Chemnitzer Morgenpost

Was Frau Krumbach sah

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 25. Teil

- Von Frank Goldammer

Dresden Ende 1944, der Krieg ist in der Schlusspha­se, mit allem Grauen, das noch folgt. Kriminalin­spektor Max Heller hat einen schwierige­n Job. Er jagt einen Frauenmörd­er, den Angstmann. Was zuletzt geschah: Nachdem im November die Leiche der aus Berlin stammenden Krankensch­wester Klara Bellmann mit herausgesc­hnittener Zunge gefunden wurde, führen erste Ermittlung­en zunächst ins Nichts. Hellers Chef, SS-Obersturmb­annführer Rudolf Klepp, glaubt, dass sich Klaras jüdischer ExMann für die Scheidung rächen wollte. Doch so einfach scheint es nicht zu sein: Mitte Dezember wird eine zweite, grausig zugerichte­te Frauenleic­he entdeckt, nackt auf einem Dachboden drapiert. Man hat ihr mit einem Messer die Haut abgezogen! Heller lässt die Leiche von Dr. Schorrer untersuche­n und erfährt in einem Flüchtling­slager von der fortgelauf­enen Polin Agneschka, 17 Jahre alt. Doch Klepp will nichts von einem Zusammenha­ng zwischen den beiden Mordfällen wissen und droht Heller immer unverhohle­ner. Dann taucht eine Zeugin auf.

„Frau Krumbach?“, fragte Heller und setzte sich der Frau am Tisch gegenüber.

Sie nickte ängstlich und hatte es ganz offensicht­lich schon längst bereut, hierhergek­ommen zu sein. Sie trug ein schlichtes Kleid, das einmal rot gewesen sein mochte, nun aber ausgeblich­en war. Ihr schwarzer Mantel hing sauber gefaltet über dem Stuhl. Mit fest zusammenge­pressten Beinen, die Hände im Schoß gefaltet, saß sie da, eine Ledertasch­e wie ein Schulranze­n stand neben ihrem Stuhl. „Geboren?“

Sie versuchte zu antworten, doch ihre Stimme versagte. Sie räusperte sich. „24.04.1910.“„Wohnhaft?“„Schumannst­raße 5, dritte Etage.“

Heller hatte sich alles notiert, legte nun den Bleistift weg und sah die Frau an. Dass sie Mitte dreißig war, konnte er kaum glauben. Auf den ersten Blick hatte er gedacht, sie müsste mindestens fünfzig sein. Er ertappte sich dabei, wie er darüber nachdachte, ob er selbst auch viel älter wirkte, als er war, und ob das jetzt vielleicht auf jeden zutraf.

„Verzeihen Sie“, flüsterte die Frau, „ich wollte eigentlich nur eine Aussage machen, und nun sitze ich hier schon seit beinahe zwei Stunden. Und meine Mädchen sind daheim und ich habe noch nichts ...“

„Was ist geschehen?“Heller nahm den Stift wieder auf.

Die Frau seufzte leise. „Letzte Nacht, da war ich auf dem Heimweg von meiner Schicht in der Fabrik.“

„Welche Fabrik?“

„Seidel und Naumann, auf der Hamburger Straße 19. Ich fuhr mit der Bahn ...“

„Linie?“„Neunzehn.“„Uhrzeit?“

„Meine Schicht war in der Nacht um zehn beendet.“

„Moment, um halb elf in der Nacht war Alarm!“Heller sah die Frau streng an.

„Ja, bei der Cranachstr­aße hielt die Bahn. Ich stieg aus, im Wagen waren noch vier Männer, die

beschlosse­n zu warten, ich abe wollte nach Hause laufen.“Frau Krumbach verstummte, da sie Heller ausschreib­en lassen wollte Heller aber machte mit dem Blei stift kleine Kreise in der Luft, sie solle fortfahren. „Deshalb lief ich die Striesener Straße entlang und war eine Kreuzung vor der Schu mannstraße angelangt. Da hörte ich jemanden von der Andreas kirche rufen.“

„Was haben Sie getan?“„Zuerst wollte ich einfach wei tergehen, doch dann rief es noch einmal. Es hörte sich beinahe nach einem Hilfeschre­i an.“„Beinahe?“

„Nun ja, so eine Art Quieken wie ... wie ein Kind.“

Heller hob die Augenbraue­n. „Eine Kinderstim­me. Also rie ich auch etwas. ‚Hallo, ist da wer? rief ich.“

„Hatten Sie keine Angst?“„Oh ja doch, sehr. Aber ich wollte nicht einfach weglaufen, wenn vielleicht ein Kind allein war.“

„Antwortete jemand?“„Nein. Es blieb still. Dann hörte ich Laub rascheln. Und dann die ses Schnaufen. Da dachte ich, es wären Wildschwei­ne. Ich habe gehört, im Waldpark soll es Wild schweine geben, die manchma nachts die Gärten in der Umge bung zerstören. Da bekam ich es dann doch mit der Angst und woll te schnell heim. Ich hab in meiner Tasche nach dem Haustürsch­lüssel gesucht und dabei fiel er zu Boden. Ich musste ein paar Schritte zurückgehe­n. Es war sehr dunkel und ich fand den Schlüssel nicht gleich. Ich tastete den Boden ab, fand ihn, und als ich aufsah, stand da jemand. ‚Wer sind Sie?‘, habe ich gefragt. Er gab keine Antwort. Er hat nur so geatmet.“Die Krumbach machte das Atmen nach und Heller nickte auffordern­d mit dem Kopf.

„Ich erhob mich und ... und ... Ich habe in meiner Tasche ein Messer, ein Brotmesser, soll ich es Ihnen zeigen?“, fragte sie verlegen. Heller nickte knapp und die Frau holte ler nickte knapp und die Frau holte das Messer aus der Tasche und legte es vorsichtig auf den Tisch. ich habe es aus der Tasche ge-zogen. ,Ver-schwinde, hab ich gesagt, und da hat er ge-gurrt." „Gegurrt, wie eine Tau-be, meinen Sie?"

„Ja nein, beinahe war es, als amüsierte es ihn. Und er tat ei-nen Schritt auf mich zu und .er hat ganz furchtbar gestunken. ‚Wer sind Sie?‘, fragte ich noch mal und lief dabei rückwärts. Ich wollte zur nächsten Haustür, um dort zu klingeln. Dann begann er zu knurren. Das war so ein Rollen, das kam aus seiner Kehle. Und immer sog er Spucke. Dann wollte er nach mir greifen. Da hab ich um Hilfe gerufen. Dann ist er fortgelauf­en.“

„Haben Sie sein Gesicht gesehen? Können Sie ihn beschreibe­n?“

„Nein, ganz und gar nicht. Wissen Sie, ich bin nur gekommen, um vielleicht helfen zu können.“

„Was meinen Sie, hat er Ihnen aufgelauer­t?“

„Nein, das glaube ich nicht, er hat mich doch erst bemerkt, als ich rief.“

„Haben Sie gesehen, ob er bewaffnet war? Hatte er ein Messer bei sich?“

„Sie wissen doch, die Laternen sind aus und alles ist verdunkelt. Aber so viel habe ich gesehen: Er war nicht größer als ich, und seine Arme waren ganz lang, die Hände hingen fast bei den Knien. Meinen Sie, es dauert noch sehr lang? Ich muss ganz furchtbar dringend austreten!“

Heller klappte sein Buch zu und erhob sich. „Kommen Sie!“

Die Krumbach packte das Messer in ihre Tasche nahm ihren Mantel und folgte Heller auf den Flur. „Es wäre besser, Sie ge-hen nachts nicht mehr al-lein aus dem Haus." Heller schämte sich beinahe für diesen Rat, denn er ahnte, dass der Frau wohl nichts anderes übrig blieb. „Ich werde der Sache nachgehen. Die Treppe hinunter und rechts ist der Abort Auf Wiedersehe­n."

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 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller,
der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders
aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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