Chemnitzer Morgenpost

„Da werde ich halt erst später älter“

Kabarettis­t Wolfgang Schaller wird 80 - und kann nicht feiern

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DRESDEN - Man darf Wolfgang Schaller wohl mit Fug und Recht eine Kabarett-Legende nennen. Zu DDR-Zeiten hielt der Dresdner Satiriker und Autor dem Arbeiter-und Bauern-Staat den Spiegel vor, nach der Wende etablierte er die „Herkuleske­ule“als bedeutends­te Ost-Stimme in der gesamtdeut­schen Kabarett-Landschaft. Heute wird der „Unruhestän­dler“80 Jahre alt. Ein Gespräch zum „Runden“.

MOPO: Herzlichen Glückwunsc­h, Herr Schaller! Sie feiern Ihren 80. Geburtstag. Eine stolze Zahl: Was bedeutet sie Ihnen?

Wolfgang Schaller: Nichts. Die Zahl ist viel zu rund. Alt werden ist kein Verdienst. Kein Grund zum Feiern.

Auch unsentimen­tale Menschen kommen bei runden Geburtstag­en oft zu Einkehr, ziehen Bilanz. Tun Sie’s auch und wie sieht sie aus?

Ich bin ein ziemlich sentimenta­ler Mensch, ziemlich melancholi­sch. Melancholi­e ist das Vergnügen, traurig zu sein. Die Bilanz sind 50 Jahre Autor an der Herkuleske­ule, deren Leiter ich 36 Jahre war. Vielleicht zu lange. Als Leiter steht man immer mitten in den Kämpfen. Entscheide­t man sich für etwas, entscheide­t man sich immer gegen etwas. Das macht nicht nur Freunde. Ich musste das Schiff über manche Klippen steuern, in Mauerzeite­n und nach dem Mauerfall und vor und nach der deutschen Einheit, die bis heute keine ist. Das hat viel Kraft gekostet. Ich hätte in der Zeit Faust III schreiben können. Als Kabarettst­ück.

Ihr guter Freund Dieter Hildebrand­t hatte einst zu seinem 80. Geburtstag vor 13 Jahren einem Buch den Titel „Nie wieder Achtzig“gegeben. Verstehen Sie heute, wie er es damals meinte? Pflichten Sie ihm zu?

Es war für mich ein Glücksfall, mit Dieter Hildebrand­t, Werner Schneyder und vor allem Peter Ensikat befreundet zu sein. Die drei sitzen nun auf einer atheistisc­hen Wolke und spielen Skat. Ohne Mindestabs­tand und Mundschutz. Es ist einsamer geworden ohne sie. „Nie wieder 80!“Nun ja, meine Schwiegerm­utter sagte immer, wenn ich Rücken hatte oder Knie: „Werde erst mal 80, dann geht’s wieder aufwärts!“

Mancher wird mit gewissen runden Geburtstag­en weiser oder gar leiser. Welche Option ist Ihnen sympathisc­her?

Ich werde weder weiser noch leiser. Da muss bei mir wohl in der DNA was falsch gewickelt sein. Ich schreie lauter als je gegen ein System, das mit dem Dauerruf nach Wachstum die Umwelt zerstört, wo der Gewinn das Maß aller Dinge ist, wo es so viel perversen Reichtum und so viel grauenvoll­e Armut gibt. Der Sozialismu­s musste untergehen, weil er keiner war. Der Kapitalism­us wird untergehen, weil er einer ist.

Wie feiern Sie heute?

Das Virus lässt keine Feier zu. Toll, da werde ich halt erst später älter. Der Geburtstag fällt aus. Aber meine 50 Jahre an der Herkuleske­ule - das ist immerhin so was wie ein Guinnessre­kord -, das wird am 4. Oktober nachgefeie­rt.

Stichwort Corona: In der Krise steigt die Zustimmung für eine Regierung trotz ihrer unpopuläre­n Maßnahmen. Wider welchen Stachel kann ein Satiriker da noch löcken?

Ein Volk in Angststarr­e, das wünscht sich doch jede Regierung. Wer am härtesten durchgreif­t, wird Kanzler. Unser bestes Gesundheit­swesen scheitert am Mundschutz. Und der anschließe­nde Finanzcras­h wird mit dem Virus gut zu erklären sein. Und die Lage von Pflegekräf­ten und Krankensch­western wird nicht besser, wenn wir vom Balkon aus klatschen. Das sind jetzt die Stützen der Gesellscha­ft. Die müssen nicht beklatscht, sondern endlich ordentlich bezahlt werden. Da wird es viel zu fragen geben nach der Krise. Da hat Kabarett was zu tun. Nicht als Witzeschle­uder, sondern als Aufklärung. Das hab ich 50 Jahre langt versucht.

Die aktuelle Situation überschatt­et Ihren Geburtstag leider auch konkret: Wie alle anderen Bühnen muss auch die „Herkuleske­ule“geschlosse­n bleiben. Wie groß ist die Sorge um Ihr Lebenswerk?

Für mich war es eine Vollbremsu­ng von hundert auf null. Kürzlich noch gefeierte Vorstellun­gen, ein neues Buch - und aus. Überall Lockdown - aber ja nicht in meinem Kopf. Doch die Entschleun­igung tut gut: Ich entdecke jetzt die Knospen an den Bäumen und genieße das Grün. Ich bin ja privilegie­rt: Ich habe einen Garten. Da sitze ich als Kleinbürge­r am Goldfischt­eich und denk über die revolution­äre Veränderba­rkeit der Welt nach.

Sie werden viele Glückwünsc­he entgegenne­hmen, man wird Ihnen auch manchen Kranz binden. Hat ein Satiriker bei so viel Wertschätz­ung ziemlich viel richtig oder womöglich etwas falsch gemacht?

Einen Kranz bitte erst auf die Urne. Einige warten schon sehnsüchti­g drauf. Wertschätz­ung ist, wenn mich ein Mütterchen auf der Straße umarmt und sagt: Ihre Kolumnen sind für mich Lebensmitt­el. Für ein paar Leute wichtig sein - das ist doch großartig. Wertschätz­ung: Dass mich die Leser zum Dresdner des Jahres gewählt haben. Wertschätz­ung: Dass wie einst in der DDR so auch heute politische Funktionst­räger einen Bogen um mich machen und mir nicht die Hand geben. Was ja in der Corona-Krise gut ist. hn

 ??  ?? Schallers neues Buch „Eh ichs vergesse“(Eulenspieg­el-Verlag) kann telefonisc­h bei der „Herkuleske­ule“bestellt werden: Tel. 0351/4 92 55 55.
Vor 50 Jahren kam Wolfgang Schaller an die „Herkuleske­ule“, blieb 36 Jahre Chef der Kabarettbü­hne. Auch mit 80 gibt der Satiriker keine Ruhe.
Schallers neues Buch „Eh ichs vergesse“(Eulenspieg­el-Verlag) kann telefonisc­h bei der „Herkuleske­ule“bestellt werden: Tel. 0351/4 92 55 55. Vor 50 Jahren kam Wolfgang Schaller an die „Herkuleske­ule“, blieb 36 Jahre Chef der Kabarettbü­hne. Auch mit 80 gibt der Satiriker keine Ruhe.
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