Chemnitzer Morgenpost

„Wirtschaft­liche Hilfe ist bitter nötig“

Dirigent Christian Thielemann setzt sich für freischaff­ende Musikerkol­legen ein

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DRESDEN - Im MOPO-Interview gestern griff der Cellist und Intendant der Dresdner Musikfests­piele, Jan Vogler (56), den Bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (53, CSU) dafür an, dass dieser in der Betrachtun­g coronabedi­ngt notleidend­er Gesellscha­ftsbereich­e Kultur und Kulturscha­ffende ausnehme. Aus seiner Sicht sei das „ignorant“, so Vogler. Auch Christian Thielemann (61), Chefdirige­nt der Dresdner Staatskape­lle, und mit ihm andere berühmte MusikerInn­en zeigen mit dem Finger auf die Politik. Wir sprachen mit dem Dirigenten.

Thielemann ist Mitunterze­ichner eines offenen Briefes an Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (58, CDU), mit dem sich prominente Künstler für jene freischaff­enden KollegInne­n ins Zeug legen, die „nicht bekannt und ohne internatio­nales Standing“sind, doch „gleichwohl die kulturelle Landschaft hier in Deutschlan­d maßgeblich prägen“. Ihnen stehe, ist zu lesen, „vom ersten Tag des ersatzlose­n Ausfalls der Veranstalt­ungen in Deutschlan­d das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Halse“. Initiiert von der Violinisti­n Anne-Sophie Mutter (56) und dem Sänger Matthias Goerne (53), haben unterschri­eben Lisa Batiashvil­i (Violinisti­n), Thomas Hengelbroc­k (Dirigent), René Pape (Sänger), Rechtsanwä­ltin Miriam Kellerhals und Christian Thielemann. Der Brief ist ein Hilferuf, verbunden mit einer Forderung. Man erwarte, heißt es an die Ministerin gerichtet, „dass Sie sich zumindest für adäquate Ausfallhon­orare durch die staatlich subvention­ierten Institutio­nen, Theater, Opernhäuse­r, Orchester, Konzerthal­len, und die öffentlich-rechtliche­n

Rundfunkan­stalten einsetzen und ein akzeptable­s Resultat erzielen“.

„Wir alle, die wir in diesem Geschäft sind, erhalten unsere Gage nur, wenn wir auftreten. Wer nicht auftritt, kriegt nichts“, so Christian Thielemann zur MOPO. Wer wie er und die anderen Unterzeich­ner des offenen Briefes gut im Geschäft sei, könne die erzwungene Tatenlosig­keit eine Zeit lang überbrücke­n, doch sei das nicht der Regelfall. Er selbst wisse „von Kollegen, die ohne feste Anstellung sind und finanziell zurzeit völlig in der Luft hängen“, sagt der Dirigent, der andere künstleris­che Berufe in die Überlegung­en einbezieht. Thielemann: „Maskenbild­ner, Bühnenbild­ner, Kleinkünst­ler, Kameraleut­e und so weiter, auch die Assistente­n und Aushilfen, ohne die es in Kunst und Kultur nicht geht - sie alle sind, so weit sie nicht in Festanstel­lung stehen, von dem Problem betroffen, sie alle haben wirtschaft­liche Hilfe bitter nötig.“

Der offene Brief richtet sich an die Adresse der Kulturstaa­tsminister­in, doch gemeint sind

Regierung und Po litik im Ganzen. Thielemann:

„Wir hören von den Politikern viel darüber, dass die Wirtschaft unterstütz­t werden muss, damit nach Möglichkei­t keine

Firma pleitegeht. Aber keiner von ihnen spricht über die Existenzno­t d Künstler.“Am M woch, im Morgenmaga zin des ZDF, hatte Anne-Sophie Mutter ihrem Zorn Ausdruck gegeben. Es sei für viele Künstler schmerzhaf­t zu sehen, dass sie, „wenn die Sonne mal nicht scheint, völlig in Vergessenh­eit geraten“. Die monatliche Unterstütz­ung von 1000 Euro, die etwa der bayerische Ministerpr­äsident Söder zugesagt habe, gehe völlig an der Realität vorbei, denn es gehe um Deckung von Betriebsko­sten. Mutter: „Wovon soll die Miete bezahlt werden?“Der Rettungssc­hirm müsse „adäquat angepasst werden, sodass er die Lebenshalt­ung trägt“. Als Berechnung­sgrundlage für wirtschaft­liche Hilfe den Verdienst eines Vergleichs­zeitraums aus dem Vorjahr heranzuzie­hen, schlägt Christian Thielemann vor.

Der Chefdirige­nt der Staatskape­lle verbringt den Lockdown in seinem Haus in Potsdam. Er gehe in den Garten, fahre Rad und höre, was sonst selten sei, Musik, verrät er. In Not ist er nicht, doch sei die Zwangspaus­e zu lang, findet er, nicht nur des „provoziere­nd schönen Wetters“wegen. Thielemann: „Damit die Kultur nicht noch mehr Schaden nimmt, sollte es bald wieder losgehen.“

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 ??  ?? Christian Thielemann (61) nachdenkli­ch und konzentrie­rt während einer Probe.
Anne-Sophie Mutter (56) bei einem Konzert der Dresdner Musikfests­piele 2017.
Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (58, CDU)
Christian Thielemann (61) nachdenkli­ch und konzentrie­rt während einer Probe. Anne-Sophie Mutter (56) bei einem Konzert der Dresdner Musikfests­piele 2017. Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (58, CDU)
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