Fliegeralarm über Dresden
Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzungsroman - 45. Teil
Dresden Anfang 1945, der Krieg ist in der Schlussphase, mit allem Grauen, das noch folgt. In diesen Wirren bangt Kriminalinspektor Max Heller um seine Söhne Klaus und Erwin, die an der Front sind - und jagt einen Frauenmörder, den Angstmann.
Was zuletzt geschah: Im November wird die Leiche der Krankenschwester Klara Bellmann gefunden, im Dezember und am 1. Januar werden weitere Opfer gefunden. Alle Frauen sind grausam zugerichtet. Hellers misstrauischer Chef, SS-Obersturmbannführer Rudolf Klepp, sieht nach langem Leugnen ein, dass ein Serienmörder am Werk ist, stellt Heller aber für weitere Ermittlungen einen Aufpasser zur Seite, den linientreuen Strampe. Der erschießt einen flüchtigen Fremdarbeiter aus Frankreich, Claude Bertrand, der in der Klinik als Techniker gearbeitet hat, wo er laut Krankenschwester Rita Stein den Hausmeister Glöckner kannte und dem „Flittchen“Klara Bellmann nachstellte. Klepp erklärt ihn zum Täter und gibt Heller einen neuen Auftrag: Er soll mit der Ordnungspolizei die Schanzarbeiten im östlichen Stadtgebiet Dresdens kontrollieren.
16. Januar 1945, später Vormittag
Wie erstarrt stand Heller da und beobachtete die Männer, die hier gruben. Ältere Männer mit gelben Sternen auf der Brust. Junge Männer, gefangene Rotarmisten, ausgemergelt, mit versteckter oder auch direkter Fröhlichkeit. Manche sangen, scherzten, verschwendeten ihre Arbeitskraft in Gräben, die sich kreuz und quer durch die Stadt zogen.
„Meister, Machorka!“, rief einer und lachte, obwohl er wusste, dass Heller nie eine Zigarette übrig haben würde.
Heller schenkte ihm ein Lächeln, eher ein kurzes Zucken mit den Mundwinkeln, und hing wieder seinen Gedanken nach.
Die pure Zeitverschwendung war diese Arbeit für ihn. Sie hätte leicht von einem der Aufseher getan werden können. Er lief nur herum, wusste nicht, ob und wie er mit den Juden sprechen sollte, überall standen Ordnungspolizisten, Zivilisten liefen vorbei, stumm und blind für alles um sie herum. Nur die Rotarmisten schienen als Einzige zufrieden mit ihrem Schicksal oder hatten sich wenigstens darin ergeben.
„Nicht traurig sein, Meister“, rief der junge Russe, „wenn du bist mein Gefangener, ich dir gebe Machorka!“
Heller sah auf.
„Ich bin nicht traurig, ich denke nach!“
„Ach so, hab ich probiert, denken. Aber davon man wird nix satt!“Der junge Russe zwinkerte Heller zu und widmete sich dann wieder seiner Arbeit. Heller schmunzelte. In dem Moment hörte man eine helle Stimme sich ereifern.
„Aufhängen müsste man euch Judenpack!“Ein Bursche stand bei den Juden. Er trug die Uniform der Hitlerjugend und war als Flakhelfer gekennzeichnet.
Nicht mehr lange, und man würde ihn einziehen, fuhr es Heller durch den Kopf.
„Geh weiter, marsch!“, befahl Heller barsch. Bald war Mittag und ihm war nie wohl, wenn er seine Essensration aus der Großküche bekam, während die Juden kalte Kartoffeln aßen, die sie sich selbst mitgebracht hatten.
Plötzlich gingen die Sirenen an. „Fliegeralarm!“, rief einer der Ordnungspolizisten. „Bunker aufsuchen!“
„Juden raus hier!“, rief jemand wütend, als sie in den nahe gelegenen Bunker der Zeiss-IkonWerke einrückten. „Geht in den Judenkeller!“
Heller suchte sich einen Platz zwischen all den fremden Menschen. Er sah nicht auf, wollte nicht sprechen. In Gedanken war er bei Glöckner, bei Bertrand und bei Rita Stein. Hatte sie ihm alles erzählt über Klara Bellmann? Glöckners Fingerabdrücke müssten noch abgenommen und verglichen werden mit denen vom Fundort ihrer Leiche. Vom Krankenhaus fuhren jeden Tag Sanitätswagen zu den Flüchtlingslagern. Glöckner dürfte es nicht schwergefallen sein, mit einem dieser Transporte mit zufahren und sich mit einer der Schokoladentafeln eine junge Schlesierin zu ködern. Die Spurensicherung müsste jeden einzelnen Tatort noch einmal nach roten Fasern absuchen, Glöckners Keller ebenso. Heller starrte auf den Boden. Dann fiel ihm ein, dass er noch immer das Tuch aus Ritas Zimmer in seiner Manteltasche hatte, das zerrissene Laken, ausfranst an den Rändern und millimeterkurze weiße Fäden hinterlassend, genau wie in der Nase des zweiten Opfers.
„Was ist das?“, fragte Heller leise und horchte nun doch auf.
„Flugzeuge!“, erwiderte ein Mann aus einer hinteren Ecke. So still war es geworden, dass er Hellers leise Frage verstanden ein nähe ten s
Rum
„W terte
„Ke jema
Da wurd den ren. nähe blieb nug von heut scho den
Das Summen verklang. Die Si renen gaben keine Entwarnung. Stattdessen kam im Radio die Meldung, dass ein zweiter Anflug sich näherte. Wenigstens hatten sie hier eines. Ohne Radio wären sie wie abgeschnitten von der Außenwelt. Die Stimmung war gedrückt, alle saßen da, die Köpfe zwischen die Schultern gezogen. Es war klar, dass die Fabriken die Ziele waren, egal ob sie Granaten, Lokomotiven, Nähnadeln oder Objektive herstellten. Ob die Russen noch immer lachten und sangen, fragte sich Heller. Da kam es wieder heran, ein leises Brausen, wie von einem beständigen Sturmwind. Lauter diesmal? Warum hörte man noch keine Einschläge?
Und da waren sie schon. Heller zählte mit, gab aber bei einem Dutzend auf. Was bewarfen sie nur? Dann wusste er es: die Bahnhöfe!
Schließlich kam die Entwarnung, jetzt erst sah Heller auf die Uhr. Mehr als eine Stunde war vergangen.
„Heller? Ist ein Max Heller hier?“, rief jemand.
„Anwesend!“, antwortete Heller laut.
Ein Polizist kam ihm entgegen. „Befehl von der Ortsgruppenleitung Ost. Ihre Männer werden zum Räumen und Löschen abgezogen. Lassen Sie sie antreten. Laster kommen gleich.“
„Die Russen nur oder auch die Juden?“
Der Uniformierte zögerte Nur die Russen“, bestimmte er dann, „Die Juden sollen sich bei den Dienststelle melden.“
„Gab es Treffer? Wo?“„Friedrichstadt!“, erwiderte der Polizist und deutete gen Westen, woman schwarze Rauchwolken aufsteigen sah.
Lesesn Sie weiter am Donnerstag!