Chemnitzer Morgenpost

Außer Atem durch den Feuersturm

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 52. Teil

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„Wo sind wir hier?“, wollte Heller fragen, aber der Sturm riss ihm die Worte aus dem Mund. „Sind Sie …?“, setzte er noch einmal an, doch verstummte dann. Die Frau im langen Wintermant­el, unter dem sie nur ein Nachthemd trug, sah mit ausdrucksl­osem Blick durch ihn hindurch, die Haare auf ihrem Kopf waren versengt, selbst ihre Augenbraue­n waren verschwund­en. Ihr Mantel qualmte. Mit aufgerisse­nen Augen und weit aufgesperr­tem Mund wollte sie an ihm vorbei. Wohin wollte sie? Hinter ihm gab es doch nur Feuer und Schutt.

„Nein, warten Sie!“, rief Heller und wollte sie an der Schulter berühren. Die Frau krächzte heiser auf, drehte sich zu ihm um und kippte steif nach hinten weg. Heller ging auf die Knie, um ihr aufzuhelfe­n, doch sie war tot. Jetzt erkannte er sie. Er hatte ihr gerade noch aus dem Keller geholfen.

Heller wandte sich ab. Eine Welle der Übelkeit und Angst breitete sich in ihm aus. So wollte er nicht sterben. Er wollte gar nicht sterben.

Da sah er einen Gullydecke­l. Vielleicht könnte er sich darin verstecken, dachte er, kroch zu ihm hin, schob mit den Füßen einen Mauerbrock­en weg und griff mit den Fingern in die Löcher. Dann schrie er auf. Aus der Kanalisati­on fauchte kochende Luft und verbrühte ihm die Finger.

Der Schmerz war es, der ihm seine Benommenhe­it nahm. Jetzt spürte er mit jeder Faser seines Körpers, was geschehen war, wie es an ihm zerrte, wie Flammen nach immer neuer Nahrung suchten. Wie sich ihm die Haare kräuselten, die heiße Luft seine Lunge schrumpfte und seine Augen austrockne­n wollten und wie der Sauerstoff schwand. Um ihn herum gaben

immer mehr Mauerreste nach, überschütt­eten die Straße mit Schutt und Glas. Unüberwind­bar waren die Berge, die sich auftürmten. Doch wohin war die Frau mit dem Kind verschwund­en? Ihr zu folgen schien seine einzige Chance. Er kroch jetzt dicht am Boden, den Mantel über dem Kopf, doch die Hitze des Straßenpfl­asters war schier unerträgli­ch. Eine plötzliche Eingebung ließ ihn in seinem Mantel nach der Pistole suchen, um sie wegzuwerfe­n. Sie war so heiß, dass die Haut an seiner Hand augenblick­lich Blasen warf. Als er es wagte, den Kopf unter dem Mantel vorzustrec­ken, fingen seine Haare sofort Feuer. Er schlug sich mit den Händen auf den Kopf und warf sich den Mantel wieder über. Vielleicht hätte er die Waffe behalten sollen, ging es ihm durch den Kopf. Damit hätte er seinem Elend womöglich ein Ende setzen können.

Dann sah er den Kellerabga­ng rechts von sich. Er raffte sich auf, rannte geduckt auf das Feuer zu, welches aus den Erdgeschos­sfenstern des Hauses schlug, stürzte sich blindlings die Treppe hinunter, kam hart auf undfandsic­hvoreinemo­ffenen Eingang wieder. Dort kroch er hinein, schnappte nach Luft, doch alles, was er einatmete, waren heiße Gase. Er hörte ein hohes Pfeifen, schrill wie ein kochender Teekessel. Heller verspürte einen scharfen Luftzug, überlegte nicht lang, tastete sich in der Finsternis voran. Er kroch dem Pfeifen nach, fand einen Wanddurchb­ruch zum nächsten Haus. Er erhob sich, stolperte blind mit ausgestrec­kten Armen voran, fand einen nächsten Durchbruch, stürzte über etwas Weiches, Lebloses.

„Hallo?“Heller stand wieder auf, tastete sich weiter voran. Nach einem Dutzend weiterer Durchbrüch­e erkannte er vor sich einen Lichtschim­mer Er schä dert eine vielle errei gang laute

Bünd gena sah, er, d ware aus, sie,

Gesi gam zuge über müs nicht hier wieder raus. Soviel er auch atmete, er konnte nicht genug Sauerstoff bekommen. Verzweifel­t warf er sich nach vorn und kroch über die Toten.

Endlich draußen, stand er auf einer großen Kreuzung. Hier fand das Feuer nicht genügend Nahrung, trotzdem warf ihn eine Sturmbö sofort zu Boden. Heller kroch in den Schutz einer Litfaßsäul­e, an der die angeklebte­n Plakate schwelten und verglühten, ohne Feuer zu fangen. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Nichts um ihn herum kam ihm bekannt vor. Die Säule knackte und knirschte vor Hitze, als wollte sie gleich zerspringe­n. Heller kroch weg von ihr. Doch wohin sollte er jetzt gehen?

Er musste sich irgendwie einen Überblick verschaffe­n, dachte er, eine Ahnung bekommen, wo die rettende Elbe sein könnte. Rechts von ihm war ein Haus bis auf seine Grundmauer­n eingestürz­t, die Balken des Dachstuhls standen kreuz und quer zwischen Ziegeln und Mauerreste­n. Auf allen vieren begann Heller hinaufzukl­ettern. Mehrmals brach das lose Gestein unter ihm zusammen, rollte hinunter und riss ihn zurück. An einem Mauerrest hielt er sich fest, balanciert­e mehrere Meter auf einem Balken, ging wieder auf allen vieren weiter. So kam er langsam voran, vorbei an zertrümmer­ten Möbeln, Gardinenfe­tzen, an einem einzelnen Ski. Als er sich auf ein scheinbar festes Brett stutzem wolte, sackte dieses unter seinem Gewicht ab. Ein Mauerstuck kippte, sturzte in das Loch und riss alles mit was ihm in den Weg gereit,

 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller,
der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders
aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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