Wenn selbst der Ball zu hören ist, weißt du: Alles ist anders!
AUE - Sonnabend, 12 Uhr. Eine Stunde vor dem Anpfiff der Partie zwischen Aue und Sandhausen. Die Tankstelle vorm Erzgebirgsstadion ist immer ein Treffpunkt für die Fans. Gewusel, Bier, Wurst, Smalltalk. Diesmal? Ruhe! Schon da ist zu spüren: Alles ist anders. Geisterspiel!
Einfahrt ins Stadion, Protokoll ausfüllen, Fieber messen lassen, Mundschutz aufsetzen. Die Medienleute müssen sofort auf die Pressetribüne. Der einzige Raum, der betreten werden darf, ist die Toilette. Die mitgebrachten Speisen und Getränke dürfen nur vor dem Stadion verzehrt werden. Die einheimischen Journalisten sitzen auf einer Reihe, immer mindestens zwei Meter Abstand. Der eine aus Sandhausen nimmt zwei Reihen weiter oben Platz.
Mittlerweile erwärmen sich die Mannschaften, der Staff trägt Mundschutz. Trotzdem sind die Anweisungen von Aues Fitnesscoach Frank Steinmetz zu hören, deutlich, jedes Wort. Die Arena hallt. Sandhausens Pressesprecher Marcus Beer geht Aues Pressechef Peter Höhne zur Hand. Er bringt die Aufstellungen und einen weißen Zettel: „Jeder von euch schreibt eine Frage für die Trainer darauf. Ich sammle diese kurz vor Schluss ein. Diese Fragen werden zur Pressekonferenz vorgelesen. Die PK wird ins Stadion übertragen.“Alles ist anders.
Es ist kurz vor 13 Uhr, die Mannschaften betreten den Rasen, erst der Gast, dann Aue, danach kommen die Schiedsrichter, keine Shakehands. Nur die erste Strohe des Steigerliedes
erklingt - und geht in der Leere unter. Ein Geisterfan hat sich an der Lößnitzer Straße am Zaum eingefunden. Anpfiff! Du hörst den Ball, wenn er getreten wird, selbst bei einer Ecke genau diagonal zur Tribüne. Nach vier Minuten die erste Aktion. Dennis Diekmeier fliegt nach einer Notbremse an Florian Krüger vom Platz. Sein „Spinnst du“in Richtung von Schiri Florian Badstübner ist zu vernehmen, obwohl die Medienleute weit weg sitzen. Dimitrij Nazarov trifft vom Punkt zum 1:0 für Aue, er begibt sich in den Schneidersitz, applaudiert sich selbst, die Mitspieler herzen per Ellenbogen. Alles ist anders.
Pause! „Mittagessen“vor dem Stadion, als eine Whats App von Pressesprecher Höhne kommt: „Keine Spielerstimmen nach dem
Spiel möglich.“Nur der Bezahlsender darf. Alles ist anders. Als Mitte der zweiten Hälfte Sandhausen Druck macht, schreit FCE-Präsident Helge Leonhardt aufs Feld: „Jungs, spielt nach vorn.“Keeper Martin Männel hat den Ball, verteilt ihn und dreht sich Richtung Tribüne: „Lasst uns mal spielen.“Geschichten, die Geisterspiele schreiben.
Gleich danach erhöht Krüger auf 2:0 und alles ist gut. Bis zum Schluss. Sandhausens Pressechef Beer sammelt die Zettel ein. 30 Minuten nach Spielschluss ist die Pressekonferenz, die im Stadion per Ton läuft. 16 Uhr geht es raus aus dem Stadion, als erstes kommt die inzwischen durchgeschwitzte Maske runter. Stille, keine jubelnden Fans. Da ist keiner. Alles ist anders.
Fazit: Man muss es erlebt haben, aber Spaß ist etwas anderes.
Thomas Nahrendorf