Uberraschen Sie mich!
Interview mit Christian Thielemann über seine Dresdner Professur, seine eigene Ausbildung und sein neues Buch über Beethoven
DRESDEN - Der morgige Freitag ist für Christian Thielemann (61), Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, ein besonderer Tag. Am Abend wird er mit einem Festakt zum Honorarprofessor der Hochschule für Musik (HfM) ernannt. Außerdem erscheint, passend zum 250. Geburtstag des Komponisten in diesem Jahr, sein neues Buch „Meine Reise zu Beethoven“, das mithilfe der Journalistin Christine Lemke-Matwey entstand, die ihm schon beim ersten Buch „Mein Leben mit Wagner“zur Seite stand. Zwei gute Gründe, mal wieder mit dem Dirigenten zu telefonieren.
MOPO: Herr Thielemann, wenn am Sonntag in der Semperoper die Aufführungen des 3. Symphoniekonzerts mit Beethovens Sechster und Siebter beginnen, stehen Sie dann als Professor Christian Thielemann im Programmheft?
Christian Thielemann: Ach wo. Wie heißt es so schön bei Goethe: Namen sind Schall und Rauch. Das gilt auch für Titel.
„Professor Thielemann“, das klingt aber schon nicht schlecht, oder?
Nein, wirklich, das ist nichts für mich. Ich habe zwei Ehren-Doktortitel, mit denen ich nicht hausieren gehe. Ich will mich auch so nicht ansprechen lassen. Der Professorentitel bezeichnet, wenn ich als Lehrer tätig bin, meinen Beruf, mehr nicht. Es ist nicht mein Name. Da genügt Thielemann völlig.
Wie kommt es, dass Sie akademische Karriere machen?
Man hat mich gebeten. Axel Köhler, der neue Rektor der Dresdner Musikhochschule, den ich gut kenne, sprach mich an und fragte, ob ich mir das vorstellen könnte. Ich war schon einmal drauf und dran, eine Professur zu übernehmen, das war vor einigen Jahren in Weimar. Das ist dann irgendwie im Sande verlaufen, was
wohl auch damit zu tun hatte, dass ich jedes Mal extra hätte anreisen müssen. In Dresden ist das anders, da bin ich wie zu Hause. Studenten kommen ohnehin in meine Proben. Es macht mir Freude, mit ihnen zu arbeiten. Es passt einfach alles. Deshalb habe ich schnell zugesagt.
Sie werden nicht nur Dirigieren unterrichten, auch Kammermusik, Oper und Lied. Sie sind eine Art Generalprofessor.
Das sind Dinge, die in der künstlerischen Praxis ineinandergreifen. Wenn Sie, zum Beispiel, Strauss-Opern mit Strauss-Liedern vergleichen, werden Sie allerlei Ähnlichkeiten feststellen. Es sind verschiedene Sparten, aber einander nah.
Was gibt Ihnen die Gewissheit, dass Sie ein guter Lehrersind?
Ich würde doch sagen, dass über die Zeit ein ganz anständiger Kapellmeister aus mir geworden ist. Tatsächlich dirigiere ich nun schon seit
40 Jahren. Daraus sind Erfahrungen gewachsen, wie man sie nur in der Berufspraxis machen kann. Obendrein muss man als Dirigent, wenn junge Musiker neu ins Orchester kommen, auch Pädagoge sein. Ich kann von alldem etwas weitergeben. Das ist einer der Gründe, warum ich mich dazu entschlossen habe. Ich glaube auch, dass ich heute gelassener und toleranter bin, als es früher der Fall war. Mit 40 Lebensjahren hat man halt die Ruhe noch nicht, die sich mit 60 einstellt. Nun fühle ich mich geeignet, Lehrer zu sein. Außerdem habe ich gemerkt, dass auch ich - von den jungen Leuten etwas lerne. Was mir Studenten hin und wieder für Fragen stellen! Da muss ich erst mal drüber nachdenken, und hin und wieder gewinne ich daraus Erkenntnisse, die mich weiterbringen.
Am Freitag erscheint Ihr neues Buch:
„Meine Reise zu Beethoven“. Das erste Kapitel ist überschrieben mit „In die Todeszone und immer wieder zurück“. Im ersten Satz des Kapitels prophezeien Sie: „Beethoven wird mich bis an mein Grab beschäftigen“. Warum diese Endlichkeits-Metaphern?
Weil er so groß ist, so umfassend und unerschöpflich. Der Größte ist für mich Bach, der ist Vater, Sohn und Heiliger Geist in einer Person. Bach schwebt über allem. Beethoven folgt ihm nach.
Was macht Beethovens Musik so existenziell?
Er ist Klassiker und Romantiker und kein anderer hat so weit in die Zukunft vorgearbeitet wie er. Musikalische Formen hat er aufgesprengt, bis hin zu offen dissonanter Musik in seinem Spätwerk, den Klaviersonaten und Streichquartetten. Im 20. Jahrhundert hat Arnold Schönberg ihm die Hand gereicht. Die stilistische Spannweite seines Werks macht einen schier fassungslos. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, heißt es bei Adorno. Ich meine: Ein Leben ohne Beethoven wäre ein falsches.
Werden Sie das Buch zur Pflichtlektüre für Ihre Studenten machen?
Aber wie! Die sollen das lesen. Ich will aber vor allem, dass sie mir widersprechen. Nicht einfach alles übernehmen, was der Alte sagt, sondern den eigenen Weg finden, darauf kommt es an. Dabei will ich sie unterstützen.
Sie schreiben über Ihre eigene Ausbildung an der Berliner Musikhochschule. Und schwärmen von Ihrem Lehrer, dem Pianisten Helmut Roloff. Was war besonders an ihm?
Roloff hat seinen Schülern nie Vorschriften gemacht. Wenn ihm etwas auffiel, das er verbesserungswürdig fand, hat er uns die verschiedenen Möglichkeiten aufgezeigt, die bestehen. Er hat uns aber nie auf eine festgelegt, sondern die freie Wahl gelassen. Roloff wollte, dass wir nicht seinen, sondern unseren eigenen Weg finden. Dabei hatte er eine so unaufdringliche Art zu unterrichten. Er hat bei mir einen Schalter umgelegt damals, ich habe ihm ungeheuer viel zu verdanken. Inzwischen ist er seit vielen Jahren tot. Seine Ehefrau ist wohl auch verstorben mittlerweile. Ihr konnte ich aber nach einem Konzert noch sagen: Ohne Ihren Mann wäre ich nie so weit gekommen! Das auszusprechen, war mir wichtig.
Was war Roloffs wichtigste Lektion? Daran erinnere ich mich gut. Es war am Ende einer Unterrichtsstunde, ich kam mit einer bestimmten Stelle nicht zurecht. Er zeigte mir verschiedene Möglichkeiten auf und entließ mich mit den Worten: „Überraschen Sie mich!“Erst mal saß ich wie vor den Kopf geschlagen am Bahnhof Zoo und dann in der S-Bahn. Wie sollte es mir wohl gelingen, diesen Mann zu überraschen? Dann verstand ich, habe eine Lösung gesucht und gefunden. „Überraschen Sie mich!“Das ist ein Satz, den ich nicht vergesse. Großartig! Für mich der Satz des Jahrhunderts.
Nehmen Sie sich Roloff für Ihre eigene Lehrtätigkeit zum Vorbild?
Auf jeden Fall. Auch ich werde zu meinen Studenten sagen: Überraschen Sie mich!
„Ich bin nicht der Lehrer, der es besser weiß“, schreiben Sie an einer Stelle im Buch. Als Professor müssen Sie per Funktion ein Besserwisser sein.
Der Lehrer weiß manches besser, weil er mehr Erfahrung hat. Aber letztlich kommt es für jeden Künstler darauf an, herauszufinden, wer er selber ist. Roloff hat dazu beigetragen, dass es mir gelungen ist.
Das hoffe ich bei meinen Studenten auch zu erreichen.
In der Endphase Ihrer Ausbildung waren Sie Assistent bei Karajan. War es kein gutes Verhältnis? Sie schreiben distanziert über ihn.
Karajan war eine ungeheuer starke Persönlichkeit. Ein junger Mensch konnte geplättet sein nach der Zusammenarbeit mit ihm. Mir ging es so. Dann vergehen die Jahre, und man sieht die Dinge und auch den Mann mit Abstand, wobei sich einiges relativiert. Nicht dass er entzaubert würde, aber man bringt ihn auf die Erde zurück. Er war kein Übermensch. Das ist alles.
Welchem jungen Dirigenten fühlen Sie sich besonders nah?
Mir gefällt das Musikantentum von Andris Nelsons und Kirill Petrenko ganz außerordentlich gut. Da gehe ich gern ins Konzert.
Das sind berühmte Kollegen. Der eine ist Chefdirigent in Boston und beim Leipziger Gewandhausorchester, der andere bei den Berliner Philharmonikern. Wir meinten Nachwuchsdirigenten.
Das lässt sich immer schwierig beurteilen. Bevor sich einer nicht in Wien, Berlin oder in den Vereinigten Staaten vorgestellt hat, lässt sich eigentlich nichts sagen.
Sie haben ein Buch über Wagner geschrieben, jetzt eins über Beethoven. Sie verehren Bruckner und Strauss. Über welchen Komponisten werden Sie das nächste Buch schreiben?
Ich habe beim Verlag mal vorgefühlt. Ich würde tatsächlich gern etwas über Richard Strauss machen. Den habe ich so oft dirigiert, dass ich genau weiß, was man machen muss, damit es gelingt, und was man lassen muss, um es nicht zu versemmeln. Auch seine Spannweite ist groß. Es gäbe viel zu erzählen. Mal schauen. gg