Chemnitzer Morgenpost

Vor ihm zitterten die Mächtigen in Sachsen

-

Dreißig Jahre Sachsen“- das sind Jahrzehnte des Aufbaus und der Gestaltung, nicht selten verbunden mit Irrtümern, Intrigen und Skandalen, auch und gerade in der Politik. Eine Woche lang präsentier­t die MOPO täglich einen wichtigen Namen der Anfangsjah­re. Heute: Karl Nolle.

Man könnte ihn den Biedenkopf-Jäger oder auch Chef-Aufklärer nennen. Aber das würde zu kurz greifen. Karl Nolle (heute 75, SPD) war Mäzen, Verleger, Politiker, Unternehme­r mit sozialem Gewissen. Vor allem ist er der wahrschein­lich letzte echte Sozialdemo­krat, den Sachsen auf Promi-Ebene zu bieten hat. Auch wenn Haltung nicht vererbbar ist: Er entstammt einer alten

SPD-Familie. Seine spätere Frau Christl lernte er bei den Jusos kennen.

Empfang in der Dachwohnun­g in Dresden-Striesen. Unter ihm ein Haus, das ihm nicht mehr gehört, ein Betrieb, der mal seiner war. Karl und Christl haben so ziemlich alles verloren, was es an feststehen­den materielle­n Dingen gibt. Aber inzwischen ist alles geklärt, betonen sie und zeigen die Urteile des höchsten sächsische­n Finanzgeri­chts und des Pendants auf Bundeseben­e.

Das Wohnrecht im aufgepfrop­ften Dachgescho­ss ist ihnen geblieben, natürlich die Liebe und die Familie. Einen Korridor gibt es nicht: Das erste Zimmer ist ein Bastelraum. Hier entstehen Modellflug­zeuge - flugfähig, wie er betont. Die akkurate Ordnung setzt sich wenige Meter weiter am papierbela­denen Schreibtis­ch fort.

Los geht das Sachsen-Abenteuer am 9. November 1989 abends mit dem Besuch bei Verwandten und Freunden. Noch mit Visum. Unterwegs im Auto hörten sie vom Mauerfall. Am nächsten Abend in der Kreuzkirch­e bewegt ihn die erste politische Predigt, die er in seinem Leben hört.

Ab Sommer 1990 führt er auf Bitten eines Freundes die Wertermitt­lung für die Druckbetri­ebe der „Sächsische­n Zeitung“ durch, auch des Teilbetrie­bs in Striesen. Später berät er die Druckerei und erwirbt vom Alteigentü­mer die Rückübertr­agungsrech­te. Die eigene Druckerei in Hannover führt derweil Christl weiter.

In der neuen Heimat wird er schnell bekannt, gründet die Dresdner Bürgergese­llschaft und das Lichtdruck-Museum, ruft die Reihe „Kultur i Drucksaal“ins Leben, fungiert als Vorsitzend­er des Druckereiv­erbandes für die drei südöstlich­en Bundesländ­er. In der Dresdner Druckerei dürfen sich die 90 Angestellt­en über eine Mitarbeite­rbeteiligu­ngsgesells­chaft freuen. Was heute kaum jemand weiß: Erst 1998 werden er und Christl wieder in die SPD aufgenomme­n, aus der sie 1983 wegen „Kungelei“mit den Grünen rausgeflog­en waren.

Ab 1999, wieder führt Christl die Firma, mischt er die Landespoli­tik auf. Als Abgeordnet­er peitscht er die CDU durch Miet-, Paunsdorf- und Mietwagena­ffäre. Die

Mächtigen Sachsens zittern vorm ihm. So kippt er CDU-Sozialmini­sterin Christine Weber (heute 71, Rücktritt wegen Fluthilfeg­eldern) und Olympiasta­atssekretä­r Wolfram Köhler (heute 52, Rauswurf wegen Provisions­zahlungen in der Familie). Die Landesregi­erung, so Nolle, „revanchier­t sich“mit ungewöhnli­ch häufiger Steuerprüf­ung. Ihm wird - unberechti­gt - Betrug mit Investzusc­hüssen vorgeworfe­n. Banken und Auftraggeb­er ziehen sich zurück. Später plündern Partner die Firma, so Nolle. Insolvenze­n treten ein. Nolles stehen alles gemeinsam durch, auch dank der Familie. Groll? Nein, dafür ein erfülltes Leben. Wenn nicht solche Sachen passiert wären, die doch zu denken geben: „2010. Da wollte mir wohl jemand was in die Schuhe schieben und hat an meinem Haus Marihuana-Pflanzen abgestellt.“

Morgen: Klaus Gaber (Grüne), stille Revolution­är.

der

 ??  ?? Karl (75) und Christl Nolle (71) in ihrer Wohnung.
Karl (75) und Christl Nolle (71) in ihrer Wohnung.
 ??  ??
 ??  ?? Besuch bei Freunden am 9./10. November 1989 in Dresden.
Besuch bei Freunden am 9./10. November 1989 in Dresden.
 ??  ?? Karl Nolle in seinem Bastelzimm­er.
Karl Nolle in seinem Bastelzimm­er.
 ??  ?? Nolle wird von MOPO-Redakteur
Torsten Hilscher (52) befragt.
Nolle wird von MOPO-Redakteur Torsten Hilscher (52) befragt.
 ??  ?? Ein böser Scherz oder gezielte Diskrediti­erung? Marihuana an der Druckerei.
Ein böser Scherz oder gezielte Diskrediti­erung? Marihuana an der Druckerei.
 ??  ?? „Biedenkopf“Jäger Nolle im Landtag. Hier Mai 2001.
„Biedenkopf“Jäger Nolle im Landtag. Hier Mai 2001.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany