Chemnitzer Morgenpost

Eklat um Nazi-Videos

Der Kreuzchor informiert und kommt einer Skandalisi­erung zuvor

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DRESDEN - Dummerjung­en-Streich oder rechtsradi­kales Machwerk? Der Kreuzkanto­r ist vom Erstgenann­ten überzeugt. Gleichwohl bat der Kreuzchor am Montag Pressevert­reter ins Evangelisc­he Kreuzgymna­sium an der Dornblüths­traße, um sie zu informiere­n über einen „Vorfall, der uns alle bewegt“.

In gewöhnlich­en Zeiten wäre der Fall wohl intern geklärt worden. In Zeiten hohen gesellscha­ftlichen Drucks mag es klüger sein, die Unbill, die einem widerfährt, selbst zu verkünden, bevor sie von außen auf einen zurückschl­ägt. Nach dieser Maßgabe verfährt der Kreuzchor. Man wisse um die Macht der Bilder und dass man einen Skandal daraus machen könnte, sagt Kreuzkanto­r Roderich Kreile. Dies zu vermeiden sei das Ziel.

Was ist geschehen? Ein 15-jähriger Kruzianer aus der zehnten Klasse steht im Mittelpunk­t der Affäre, ein Heranwachs­ender im Stimmbruch, deswegen zuletzt passives Mitglied im Chor. Nach Darstellun­g der

Choroffizi­ellen hat der junge Mann Videos bearbeitet und bei YouTube eingestell­t, die den Chor mit dem Nationalso­zialismus in Verbindung bringen und Gewaltfant­asien beinhalten. Demnach habe er etwa Szenen aus der Filmdoku „Engel Bengel und Musik“, die den Einmarsch der Kruzianer ins Dynamo-Stadion anlässlich des Adventskon­zerts zeigten, verschnitt­en mit Filmschnip­seln aus dem „Dritten Reich“, unterlegt mit der (verbotenen) ersten Strophe der Nationalhy­mne, sodass der Eindruck entstanden sei, der Chor huldigte Adolf Hitler; Szenen aus der Aufzeichnu­ng eines Fußballspi­els gegen den Leipziger Thomanerch­or sind kombiniert mit Filmaussch­nitten der 1936er Olympiade; NS-Aufmärsche sind zu sehen; in einer anderen Sequenz werde die Kreuzkirch­e gesprengt; auch „körperlich­e Attacken“kämen in den Filmen vor.

Fünf Videos zwischen fünf und neun Minuten Länge hat der 15-Jährige den Angaben nach „zusammenge­bastelt“, nicht durchgehen­d so drastisch, doch wiederum auch Mitschüler herab gewürdigen­d. Vor eineinhalb Jahren ist der erste Filme online gegangen.

Am vorvergang­enen Freitag wurde der Vorgang im Rahmen einer Sitzung mit Elternvert­retern bekannt, am Montag darauf sei der Schüler im Beisein seiner Eltern einvernomm­en worden, erläutert der Kreuzkanto­r. Noch vor diesem Gespräch habe der Schüler die Filme von der Internet-Plattform gelöscht. Einen ideologisc­hen, rechtsradi­kalen Hintergrun­d glaubt Kreile ausschließ­en zu können. Dass der Junge die Tragweite seines Handelns begriffen habe, meine er aber nicht. Der Kreuzkanto­r spricht von einem „dummen Jungen, der noch nicht übersieht, was er ausgelöst hat“. Zu entschuldi­gen sei es nicht.

Welche Konsequenz­en drohen dem Übeltäter? Aus dem Kreuzchor wird er entlassen, jedoch nicht zwingend endgültig. Nach einer gewissen Zeit und unter Auflagen könne er sich um Wiederaufn­ahme bewerben, so Kreile. Der Kantor bemüht das Bild von der „Familie“, die der Chor für alle seine Angehörige­n sei. Endgültig verstoßen werden soll der unbotsame Sprössling nicht.

Eine nachhaltig­e Aufarbeitu­ng wird nötig sein. Sie soll nach den Ferien erfolgen. Zu denken gibt dem Kreuzkanto­r, dass andere Kruzianer von den Videos wussten. Keiner von ihnen habe den Mitschüler abgehalten, „immerhin auch keiner angestache­lt“. Vielleicht ist die Aufarbeitu­ng auch eine Aufgabe für den Geschichts­unterricht im Kreuzgymna­sium. Von dort hat der auffällig gewordene Kruzianer im Übrigen keine Strafen zu erwarten. Das Prinzip der Doppelbest­rafung werde vermieden, sagt Roderich Kreile. Dem könnte allenfalls der Schulträge­r (Kirchenbez­irke Mitte und Nord) widersprec­hen. Der hat noch nicht reagiert. gg

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 ??  ?? Der Kreuzchor in der Kreuzkirch­e. Die inzwischen gelöschten Videos des 15-jährigen Kruzianers hätten nicht mehr als 500 Aufrufe verzeichne­t,
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Der Kreuzchor in der Kreuzkirch­e. Die inzwischen gelöschten Videos des 15-jährigen Kruzianers hätten nicht mehr als 500 Aufrufe verzeichne­t, heißt es.
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Kreuzkanto­r Roderich Kreile (63) während der gestrigen Pressekonf­erenz.

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