Mein Horrortrip mit Corona
Fotograf Matthias Creutziger erkrankte an Covid-19
DRESDEN - Der 1. November, mit dem Sonderkonzert der Staatskapelle im Dresdner Kulturpalast, war sein letzter Arbeitstag. Jetzt ist auch über ihn der Lockdown verhängt, der die Kulturszene zum zweiten Mal in diesem Jahr lahmlegt. Matthias Creutziger ist seit Jahrzehnten Hausfotograf des Orchesters, er ist Dokumentarist, Reporter, Künstler. Der Lockdown zwingt auch ihn in die Untätigkeit, doch regt ihn das nicht auf. Der Grund: Er hat das Virus kennengelernt.
Corona hatte ihn im Griff, monatelang. Creutziger hat dafür eine knappe Formel parat. „Einmal Hölle und zurück“, sagt er. Nichts weniger. Im März hatten sie sich infiziert, er und seine Frau. Wie und wo? Er weiß es nicht. Doch während die Gattin das Krankenhaus nach vergleichsweise leichterem Verlauf nach zwei Wochen verlassen konnte, tobte sich das Virus an ihm aus. Nierenversagen, Thrombosen, Lungenentzündung, Vorhofflimmern, Diabetes waren die Folgen, ein Luftröhrenschnitt war nötig.
Sechs Wochen lag er auf der Intensivstation, fünf Wochen lang hielten ihn die Ärzte im künstlichen Koma. April war der kritische Monat, erst im Mai wendete sich das Blatt. Ärzten und Patient gelang es, die Krankheiten zurückzudrängen. Langsam gewann das Leben die Oberhand. Aber es dauerte, ohne Reha ging es nicht. „Meine Muskeln hatten sich beinah komplett zurückgebildet, es war, als müsste ich wieder laufen lernen“, erinnert er sich. Als er zum ersten Mal aus dem Bett aufstand, habe er von zwei Pflegerinnen gehalten werden müssen: „Ich konnte nicht alleine stehen.“
Das deutsche Gesundheitssystem, viel gescholten,
Creutziger hat es von seiner guten Seite kennengelernt. Ärzten und Pflegepersonal ist er dankbar: „Ohne sie wäre ich nicht mehr da.“
68 Jahre alt ist er, damit gehört er zur Risikogruppe. „Ich war aber gesund und gut trainiert“, stellt er fest. Möglicherweise hat ihm das das Leben gerettet. Wenn er inzwischen auch weitgehend wiederhergestellt ist, hat die Krankheit Spuren hinterlassen, körperlich wie seelisch. Das Vorhoflimmern ist noch nicht auskuriert, er muss Blutverdünner einnehmen. Manchmal habe er Flashbacks, sagt er, dann ist der Horrortrip im Krankenhaus wieder ganz nah.
Die Euphorie, die er verspürte, als es ihm nach den langen Monaten wieder gutging, hat sich gelegt. Ein zweites Mal würde er so etwas nicht durchstehen, dessen ist er sich sicher. Angst vor einer weiteren Ansteckung hat er gleichwohl nicht. „Die Ärzte gehen davon aus, dass ich immun bin“, sagt er. An der Uniklinik nehmen er und seine Frau an einer Studie teil.
Im September fing er wieder zu arbeiten an. Seit vier Jahren ist er freischaffend, zur Arbeit zwingen kann ihn keiner. Doch macht die Fotografie nach wie vor ein Gutteil seines Lebens aus. Dass er jetzt pausieren muss, nimmt er gelassen, wenn er auch diesen zweiten Lockdown für die Kulturbranche als unangebracht empfindet. „Deren Hygienekonzepte funktionieren doch“, sagt er, die Infektionsquellen seien andere.
Anfangs hat er sich aufgeregt über Corona-Skeptiker oder gar -Leugner. Inzwischen zuckt er mit den Schultern. Was bleibt, ist Verständnislosigkeit: „Ich sage mir, sollen sie doch machen, wenn sie so dumm sind.“
Matthias Creutziger ist einer, der es aus leidvoller Erfahrung besser weiß. Er hätte auf dieses Wissen lieber verzichtet. gg