Wir erarbeiten ein Sicherheitskon für das Resid
Heute vor einem Jahr geschah der Raubzug im Historischen
DRESDEN - Am 25. November 2019 passierte, was nicht für möglich gehalten wurde: Räuber brachen ins Historische
Grüne Gewölbe (HGG) ein und entwendeten fast ein Dutzend Juwelen. Das Residenzschloss sei so sicher wie Fort Knox, hatte der ehemalige Generaldirektor Martin Roth (1955-2017) einst verkündet. Der Einbruch bewies das Gegenteil. Nach beinah einjährigen Ermittlungen gelang der Polizei vergangene Woche ein Coup: Die Spur führte ins Berliner
Clan-Milieu, drei Angehörige der berüchtigten Remmo-Familie wurden verhaftet. Weitere Verdächtige sind auf der Flucht. Wir sprachen mit SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann (55) über neue Sicherheitstechnik, Evakuierungspläne und ihre Hoffnung, die geraubten Kunstschätze wiederzuerlangen.
MOPO: Frau Ackermann, vor einem Jahr brach eine Panzerknacker-Bande in das Historische Grüne Gewölbe ein. Mit welchen Empfindungen schauen Sie auf das heutige Datum?
• Marion Ackermann: Natürlich ist es ein emotionaler Tag! Die Zeit unmittelbar nach dem Einbruch war für uns alle hart. Wir mussten schmerzlich erfahren, dass das, was wir sicher geglaubt hatten, der brachialen Gewalt nicht standhalten konnte. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben über Jahrzehnte hinweg große Verdienste, die Kunstschätze sichtbar und geschützt zugleich zu halten. Am 25. November 2019 hat all dies nicht ausgereicht, und das ist bitter. Es bleibt aber auch die Fassungslosigkeit über die hohe kriminelle Energie der Täter.
Drei Tatverdächtige sind gefasst worden, zwei weitere auf der Flucht. Die Namen sind bekannt, verantwortlich ist wohl ein Berliner Clan. Ein Fahndungserfolg, wie es scheint. Ist inzwischen klar, ob die Räuber Hilfe von Museumsmitarbeitern hatten?
• Wir können hier nur auf die laufenden Ermittlungen verweisen.
Die geraubten Stücke sind nach wie vor verschollen. Gibt es Hinweise auf ihren Verbleib?
• Mir sind bisher keine Hinweise bekannt.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, die Stücke heil wiederzubekommen?
• Die aktuellen Entwicklungen in Berlin machen uns vorsichtig optimistisch. Der
Umgang mit der Berliner Goldmünze und die Einkreisung des Täterspektrums mit dem konkreten Verdacht lässt die Vermutung zu, dass es den Tätern nicht um Kulturgüter an sich ging oder darum, sie an Liebhaber zu verkaufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein so großes Konvolut - elfeinhalb Werke aus Juwelengarnituren - spurlos verschwindet. Die Spurenauswertung und auch die Verhöre führen hoffentlich zu neuen Hinweisen. Wir müssen abwarten. Bisher gibt es jedenfalls weder einen Beleg für eine Zerstörung noch für einen Verkauf.
Der Einbruch geschah auf unvorstellbar einfache Art: Die Räuber durchtrennten die schmiedeeisernen Fenstergitter und schlugen die Vitrinen ein. Die Sicherheitsmaßnahmen am Schloss waren nicht ausreichend. Auf welche Weise ist die Sicherheitstechnik entwickelt worden seither, wie sicher sind die SKD-Museen im Moment?
• Mit Blick auf die Sicherheitsmaßnahmen ist in diesem Jahr selbstverständlich viel geschehen. Wir ertüchtigen und optimieren nicht nur das Grüne Gewölbe, was übrigens ein kontinuierlicher Prozess ist, sondern erarbeiten derzeit auch ein neues, übergreifendes Sicherheitskonzept für das gesamte Residenzschloss. Unser grundlegendes Ziel muss es sein, die Widerstandszeit zu erhöhen, also die Zeit eines möglichen Vordringens so weit ausdehnen, dass die Polizei rechtzeitig an Ort
und Stelle intervenieren kann. Bei den Maßnahmen ging es seit letztem November um die kurzfristigen Sofortmaßnahmen im Residenzschloss, die unmittelbar umgesetzt wurden und wovon einige ja auch öffentlich sichtbar sind, wie zum Beispiel die Außenstreife am Residenzschloss mit Hunden, wie eben auch um langfristig wirksame Maßnahmen, die gemeinsam mit unserem Staatsministerium und dem SIB, beraten vom LKA, für alle unsere Sammlungen und Gebäude entwickelt wurden. Die dafür notwendigen finanziellen Beträge sind im Freistaat bekannt. Wir haben auch die Zyklen der Überprüfungen sowie die Evaluierungen unserer Sicherheitssysteme auf den Prüfstand gestellt und hierzu nochmals einen internationalen Abgleich vorgenommen. Wir haben außerdem Prozesse der stärkeren Vernetzung von Informationsflüssen angestoßen.
Auch unsere internationale Expertenkommission, die von der
Sächsischen Staatsministerin für Kultur und Tourismus berufen wurde und uns dieses Jahr mit Rat begleitet, ist dabei extrem hilfreich und wichtig. Und wir überprüfen seit dem Einbruch gemeinsam mit SIB und LKA systematisch alle Gebäude und Räume sowie die technischen Anlagen. Zudem gibt es vonseiten der Polizeidirektion Dresden temporär für die SKD personelle Unterstützung.
Ist das bisherige Sicherheitskonzept anpassungsfähig oder muss ein ganz und gar anderes entwickelt werden? • Das Sicherheitskonzept ist anpassungsfähig, und es wird kontinuierlich weiterentwickelt. Nach dem Einbruch wurde es auf verschiedenen Ebenen geprüft und optimiert. Müssen alle Vitrinen in den SKD neu und sicherer verglast werden?
• Ziel muss es sein, dass potenzielle Täter gar nicht erst so weit kommen. Zentral ist, dass die Vitrinen Teil eines mehrstufigen Sicherheitssystems sind. Dieses lässt sich vielleicht am besten mit dem Zwiebelprinzip erklären. Hier sind die Vitrinen der innerste Teil der Zwiebel. Nur allein die Vitrine nach ihrer Widerstandsklasse zu bewerten, greift somit zu kurz. Nachrüstungen werden dennoch vorgenommen.
Es gibt offenbar neu entwickelte Evakuierungspläne für Kunstwerke im Notfall. Naturkatastrophen, Überfälle - welche Art Unbill ist damit gemeint?
• Evakuierungspläne wurden schon vor Jahren entwickelt (zum Beispiel im Falle von Hochwasser). Sie sind Teil unseres Risikomanagements. Im günstigsten Fall hat man eine gewisse Vorlaufzeit. Natürlich gibt es auch Evakuierungen im Notfall, zum Beispiel bei Brand.
Die Evakuierungspläne definieren, in welcher Reihenfolge Kunstwerke zu retten sind?
• Ja, das ist auch ein Bestandteil der Pläne. Es gibt aber auch andere Kriterien, etwa die Länge der Rettungswege. Für unsere Museen liegen selbstverständlich zugeschnittene Prioritäts- und Evakuierungspläne vor. Ein wichtiger Punkt betrifft in diesem Zusammenhang aber auch die praktische Durchführbarkeit der Evakuierung, sprich wie schnell kann ich ein Objekt bergen. Mitunter kann aber auch der Schutz der Objekte vor Ort eine gute Lösung sein.
Reihenfolge bedingt Rangfolge. Wenn es ernst würde: Wäre Ihnen der Grüne Diamant mehr wert als etwa der Hofstaat des Großmoguls?
• Beide Kunstwerke sind unverzichtbar und unwiederbringlich.
Nochmals zum Einbruch: Die Täter hatten keine große Mühe, die historischen Außengitter vor den Fenstern zu durchtrennen. Die Gitter entstammen einer Baumaßnahme Ende des 19. Jahrhunderts und sind denkmalgeschützt. Offenbar halten sie modernen Sicherheitsanforderungen
nicht stand. War es ein Fehler, auf sie zu vertrauen?
• Die Gitter sind, ebenso wie die Vitrine, nur eine Komponente im Sicherheitssystem. Im Zuge des Wiederaufbaus des Residenzschlosses entschied man sich, die historischen Gitter zu erhalten. Die Belange des Denkmalschutzes sind aber selbstverständlich in der Abstimmung des Sicherheitskonzeptes mit gewertet worden.
Besteht grundsätzlich ein Konflikt zwischen Denkmalschutz und Sicherheit? Anders gefragt: Geht der Denkmalschutz mitunter auf Kosten der Sicherheit?
• Denkmalschutz und Sicherheit können selbstverständlich zusammen funktionieren; hier sollte kein Widerspruch entstehen, vielmehr bedarf es intelligenter Lösungen, um Sicherheit und Denkmalschutz gemeinsam zu denken.
Was wird mit den beschädigten Vitrinen im Juwelenzimmer? Werden sie ausgetauscht, neu gefüllt oder bleiben sie leer, bis klar ist, ob die geraubten Stücke zurückkehren oder nicht?
• Die Einbruchsvitrine im HGG wird vom Staatsbetrieb Sächsisches Immobilienund Baumanagement (SIB) im ersten Quartal 2021 wiederhergerichtet. Wie wir kuratorisch mit der Fehlstelle umgehen, ist noch offen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man könnte die Vitrine einrichten wie vorher, nur eben mit den Fehlstellen. Man könnte auch Künstler*innen beauftragen, sich mit dem Grünen Gewölbe auseinanderzusetzen, also eine andere Form zu finden, die die Geschichte des Einbruchs vermittelt und zugleich Raum lässt für die Verarbeitung. Wir warten jedoch mit der Entscheidung, was wir in der Vitrine zeigen, in der Hoffnung, dass die Auswertungen der Polizei nach dem Großeinsatz vergangene Woche Hinweise auf die Tatbeute geben. gg