Chemnitzer Morgenpost

Hinab in den finsteren Keller

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 16. Teil

- Von Frank Goldammer

Dresden im Sommer 1948. Während die Währungsre­form in Ost und West die Teilung Deutschlan­ds festigt, wird die Stadt mühsam wieder aufgebaut. Die Hellers haben ein Pflegekind aufgenomme­n, Anni. Karin Heller arbeitet als Trümmerfra­u.

Was bisher geschah: Oberkommis­sar Max Heller hadert mit seiner Arbeit: Plünderung, Raub und Totschlag, wenig Erfolge. Dann wird eine Leiche auf einer Baustelle gefunden. Offenbar fiel der Jugendlich­e von einem Kran, sein Körper ist mit Hämatomen übersät. Heller klappert Schulen ab. Direktorin Dr. Schleier identifizi­ert den Toten als Albert Utmann. Alberts Mutter Alma hat Angst vor ihrem Mann Karl - ein Kriegsheim­kehrer, der seine Familie offenbar schlägt. Heller befragt Alberts Bruder Alfons in dessen Schule und fordert die Mitschüler auf, ihm zu verraten, was sie eventuell wissen. Vermutlich gehören sie einer Kinderband­e an, die Zigaretten, Schnaps und Schokolade klaut.

Die Polizei entschließ­t sich zur Hausdurchs­uchung bei den Utmanns. Dabei zeigt sich, wie brutal der Vater seiner Familie zusetzt, Frau und Kinder grün und blau prügelt. Der Haustyrann aber schläft, lässt sich nicht wecken.

„Utmann! Aufwachen!“, rief Oldenbusch und traktierte weiter den Schlafende­n. Heller schob ihn beiseite, beugte sich über den Mann und schob mit dem Daumen ein Augenlid nach oben. Utmanns Pupille blieb starr und unveränder­t.

„Betrunken?“, fragte Oldenbusch. „Delirium?“

Heller wedelte sich den Atem des Mannes zu und schüttelte den Kopf. „Getrunken hat er, ja, aber nicht bis zur Besinnungs­losigkeit.“Er sah auf. „Frau Utmann, kam er betrunken heim? Wurde er gebracht von jemandem?“

„Nein, er kam gestern Abend heim. Er sprach mit uns, wir aßen noch etwas und dann ging er ins Bett“, flüsterte die Frau, als fürchtete sie, ihren Mann aufzuwecke­n.

„Was macht Alfons jetzt gerade?“

„Er kam nicht heim“, sagte Frau Utmann mit besorgtem Blick. „Es wird Ärger geben, wenn Karl das erfährt.“Sie senkte den Kopf. Heller überlegte, wie er die Frau nur dazu bringen konnte, sich von ihrem Mann zu lösen.

„Schafft Alfons gerade etwas beiseite? Haben Sie ihn dazu angestifte­t? Oder Ihr Mann?“, fragte er dann.

„Nein, ich weiß nicht, wo er ist. Ich hoffe nur, er kommt bald heim.“

„Also gut.“Heller sah sich um. „Beginnen wir hier. Frau Utmann, Sie und die Kinder bleiben hier in der Wohnung. Wenn Sie versuchen sollten, etwas aus der Wohnung zu schaffen, muss ich Sie wegen Verdunklun­gsgefahr in Gewahrsam nehmen. Haben Sie das verstanden?“Heller sah die Frau streng an. Alma nickte ergeben und verschücht­ert.

Oldenbusch begann umgehend mit der Durchsuchu­ng. Er öffnete die Schränke, nahm Wäsche heraus und alte Papiere, wovon nicht wenige halb verbrannt waren. Er entdeckte diverse Pappschach­teln

mit persönlich­en Gegenständ­en, jedoch nichts davon hatte irgendeine­n materielle­n Wert. Schließlic­h legte er alles mit wenig Sorgfalt zurück. Während Oldenbusch sich der Kommode widmete, begann Alma Utmann sorgfältig, wieder aufzuräume­n. Mühevoll kniete sie sich hin und verbiss es sich, ihre Schmerzen zu zeigen.

Heller half währenddes­sen Oldenbusch, die Schränke von der Wand zu ziehen, um die Rückwände anzusehen. Er klopfte auf die Deckplatte­n, immer auf der Suche nach Hohlräumen, wackelte an den Bodendiele­n, um zu sehen, ob eine davon locker war. Dann fielen die Blicke beider Männer auf die Matratze, auf der Utmann wie bewusstlos schlief.

„Nehmen wir uns zuerst die anderen Zimmer vor“, bestimmte Heller, zog sich die Jacke aus und krempelte die Hemdsärmel hoch.

„Wollen Sie uns nicht doch sagen, wo wir etwas finden können?“, fragte er die Frau nachdrückl­ich. Alma schüttelte nur stumm den Kopf.

Heller schwitzte und hatte Durst, doch er wollte nicht um Wasser bitten. Stattdesse­n half er Oldenbusch, der sich voll Eifer der Durchsuchu­ng der Küche widmete, um schließlic­h ins Kinderzimm­er zu wechseln, aus dem die beiden Kinder in die Arme ihrer Mutter flüchteten. Als sie auch dieses Zimmer ohne Ergebnis verließen und der Abort sich als winziger, karger Raum entpuppt hatte, in dem ein selbstgezi­mmerter hölzerner Kasten die Kloschüsse­l und ein Blecheimer den Spülkasten ersetzten, wendeten sie sich dem Wohnzimmer zu.

Auch hier fanden sie nur Persönlich­es, brandfleck­ige Fotoalben, Frontbrief­e, Urkunden. Als Heller in den Flur zurückkehr­te, sah er Alma Utmann weinen. Sie tat das lautlos, versuchte es zu unterdrück­en und betupfte sich die Augen mit einem Tuch. Aber sie konnte nicht verhindern, dass Heller die blutigen Tränen sah, die aus ihrem verletzten Auge liefen.

„Sie müssen zu einem Arzt“, sagte er noch einmal eindringli­ch. „Sehen Sie sich auf dem Dachboden um, Werner, ich nehme an, da wird es nicht viele Verstecke geben.“Heller deutete auf die Zimmerdeck­e, die voller Wasserflec­ken war. „Ich gehe derweil in die Parterrewo­hnung.“

„Chef, bitte nichts unnötig anfassen“, ermahnte ihn Oldenbusch mit wichtiger Miene, bevor er die Treppe hochstieg. Heller musste kurz auflachen, aber er nahm es ihm nicht übel. Er wusste, dass dies nur ein Beweis für die gewissenha­fte Arbeit war, die sein Assistent immer wieder ablieferte.

Heller wartete einen Moment. „Frau Utmann, wenn Alfons wieder auftaucht, schicken Sie ihn gleich zu mir. Sagen Sie Ihrem Mann nichts, verstehen Sie?“Heller holte ein Stück Papier aus seiner Jackentasc­he und gab es der Frau. Darauf hatte er seine dienstlich­e Anschrift und die Nummer seines Fernsprech­apparates notiert. Nur sehr zögernd nahm die Frau den Zettel und steckte ihn in ihren Kittel. Heller machte sich auf den Weg nach unten.

Er hatte nur einen Schritt in die Erdgeschos­swohnung getan, schon verschlug ihm der penetrante Benzingest­ank den Atem. Die Räume waren ausgebrann­t, die Wände voller schwarzem Ruß. Heller zog den einzelnen Gummihands­chuh heraus, zwang ihn auf seine rechte Hand und rieb dann mit einer Fingerkupp­e über die schwarze Wand. Rechts neben der Tür malte er einen kurzen Strich.

Es gab nicht viel zu sehen. Sämtliches Inventar war verglüht, der Holzboden verkohlt, stellenwei­se weggebrann­t. Das Schüttgut unter diesen offenen Stellen wirkte schlammig. Der Boden war übersät mit unzähligen Stiefelspu­ren. Oldenbusch war bereits wieder die Treppe hinunterge­kommen und stand nun neben Heller. Angewidert verzog er das Gesicht.

„Die Spuren sind wahrschein­lich allesamt alt und der ganze Boden ist mit Benzin verseucht.“Er wagte es, den Flur zu betreten, drehte eine Runde durch die Zimmer und kam dann wieder zurück.

„Bliebe nur der Keller“, brummte er.

„Sofern es etwas zu finden gibt. Haben Sie eine Taschenlam­pe dabei?“

„Immer!“Oldenbusch griff in seine Tasche und holte eine DAIMON-Lampe heraus, der man mithilfe zweier kleiner Schieber eine rote und eine grüne Blende vorschiebe­n konnte. Die Lampe war aus Wehrmachts­bestand. Wo Oldenbusch dieses Exemplar hatte auftreiben können, war Heller wieder einmal ein Rätsel.

Im Keller stank es noch schlimmer als in der Erdgeschos­swohnung, das ganze Gemäuer schien mit Benzin vollgesoge­n zu sein. Fäkalienge­stank mischte sich unter. Ölige Fäden hingen von der Decke herab, alte, mit Treibstoff getränkte Spinnweben. Putz sandete von den Wänden. Auf dem Boden und in den feuchten Ecken war dennoch reges Treiben zu erkennen. Spinnen eilten davon, sobald Hellers Fuß den Kellerbode­n berührte, Asseln wuselten in die Ritzen, aufgeschre­ckt vom Licht.

Heller zögerte. Er wusste Oldenbusch hinter sich. Das war beruhigend und bedrückend zugleich, denn dieser verstellte den Ausgang und absorbiert­e mit seiner massigen Erscheinun­g das Licht. Allein der Geruch konnte einem den Verstand rauben. Heller wollte sich keine Blöße geben und überspielt­e sein Zögern, indem er mit dem Strahl der Lampe Boden, Wände und Decke ableuchtet­e. Noch erreichte ihn das Tageslicht, auch wenn es gedämpft war im finsteren Treppenhau­s, doch noch drei, vier Schritte und er würde sich allein auf die Lampe verlassen müssen, und auf seinen Willen.

„Da sind Spuren zu erkennen gewesen. Leuchten Sie mal links, Chef.“Oldenbusch wusste von Hellers Ängsten ni wenigstens so. He dies als Aufforderu wagte sich tiefer Finsternis. Er vers nach außen zu lau und nicht in sich Beklemmung mac in seinem Brustk

Doch nicht einma holen konnte er unten. Er leuchte Oldenbusch, de sich hinkniete und auf dem Boden nach etwas tastete, das sich als ein feuchte Sandklumpe­n en puppte.

„Nein, hier is nichts“, murmelte er.

Heller nickte nur, zwang sich, noch tiefer hineinzuge­hen, bog nach rechts ab, in einen Raum, der so schwarz wirkte wie ein bo denloses Loch. der hintersten Ecke erkannte er Holzkisten. Das Holz fühlte sich feucht und verschimme­lt an. Die Kisten waren leer und das Holz zerbrach zwischen Hellers Fingern, als er eine herunterhe­ben wollte.

„Hier vielleicht, Chef?“, rief Oldenbusch.

Heller folgte der Stimme. Oldenbusch war ohne Lampe weitergega­ngen und wartete auf Heller vor dem nächsten Raum. Nur ein schwacher Rest Tageslicht ließ sie die Konturen einer Tür erkennen.

Auch dieser Raum war leer. Eine Nische zeichnete sich ab, hinter der etwas versteckt sein könnte. Etwas reflektier­te den Lichtstrah­l wie die Augen einer Katze.

Heller hatte die Lampe, weshalb er sich gezwungen sah weiterzuge­hen. Er hätte Oldenbusch bitten können, die Lampe zu nehmen, er hätte ihn auffordern können, den Keller allein weiter zu durchsuche­n. Er wusste das. Ganz bestimmt hätte sein Assistent kein Wort darüber verloren. Umso mehr bereute Heller nun seine Starrköpfi­gkeit, doch irgendwann musste er seine Ängste besiegen. Gerade als er den Raum betreten wollte, rieselte Sand von der linken Wand. Kleine Bröckchen verfingen sich in alten Spinnweben. Wie dumm man doch sein konnte, dachte Heller, kaum war das Licht verschwund­en, begann man wie ein kleines Kind, an Geister zu glauben. Kurzentsch­lossen marschiert­e Heller nun auf die zwei leuchtende­n Punkte zu, die nichts weiter waren als zwei verzinkte Schraubenk­öpfe an einem verrostete­n Rechen. Erleichter­t wollte Heller einen Fluch ausstoßen, da schlug oben die Tür zu.

 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des
Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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