Ein Vermögen unter der Türschwelle
Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzungsroman - 17. Teil
Dresden im Sommer 1948. Während die Währungsreform in Ost und West die Teilung Deutschlands festigt, wird die Stadt wieder aufgebaut. Die Hellers haben ein Pflegekind aufgenommen, Anni. Karin Heller arbeitet als Trümmerfrau. Was bisher geschah: Oberkommissar Max Heller hadert mit der Arbeit: Plünderung, Raub und Totschlag, wenig Erfolge. Dann wird die Leiche von Albert Utmann auf einer Baustelle gefunden. Offenbar fiel der Jugendliche von einem Kran, sein Körper ist mit Hämatomen übersät.
Alberts Mutter Alma hat Angst vor ihrem Mann Karl - ein Kriegsheimkehrer, der seine Familie offenbar schlägt. Heller befragt Alberts Bruder Alfons in dessen Schule und fordert die Mitschüler auf, ihm zu verraten, was sie eventuell wissen. Offenbar gehören sie einer Kinderbande an, die Zigaretten, Schnaps und Schokolade klaut.
Die Polizei entschließt sich zur Durchsuchung bei den Utmanns. Während der brutale Haustyrann schläft, durchforsten die Kommissare das Haus bis in den Keller. Bei Heller werden Kriegsängste wach - dann schlägt die Tür zu ...
Heller fuhr zusammen und die Lampe fiel ihm aus der Hand. Sie erlosch augenblicklich. Jetzt herrschte absolute Finsternis. Heller erstarrte. Kälte durchdrang seine Schuhsohlen, arbeitete sich an seinen Beinen empor. Schon kamen sie aus dem Schatten, in dem sie sich verborgen hatten, und wollten sich an ihn schmiegen. Die Seelen der verlorenen Kameraden aus dem Graben und die der Menschen, die im Keller erstickt waren. Sie wollten etwas von seiner Wärme haben. Jetzt hatte die Kälte seine Brust erreicht, schlang sich um ihn und presste zu wie eine riesige Schlange. Heller versuchte zu atmen, doch konnte er nur noch ausatmen, nicht mehr einatmen. Ihm wurde schwindlig. Panik schnürte ihm den Hals zu.
„Max, geht es Ihnen gut?“, fragte Oldenbusch. Er hatte auf dem Boden nach der Lampe gefischt, sie gefunden und wieder eingeschaltet. Heller drehte seinen Kopf weg, wehrte mit der Hand den blendenden Lichtstrahl ab. Dann ging Oldenbusch weg.
Schon öffnete sich die Tür und Heller holte erleichtert Luft. Er folgte seinem Assistenten die Kellertreppe hinauf und versuchte mit jedem Schritt, seine Fassung wiederzugewinnen.
Da schrie jemand auf.
Ein Schupo stand im Haus und hielt einen Jungen mit festem Griff am Ellbogen fest. Heller erkannte Alfons. Der Junge wehrte sich, gab aber auf, als er Heller sah.
„Was geht hier vor?“, fragte Heller.
„Der Bursche hat sich ins Haus geschlichen. Er ist über den Zaun geklettert“, antwortete der Polizist. „Ich bin ihm nach, dann kam er plötzlich wieder herausgerannt. Da hab ich ihn gekascht!“
„Alfons, hast du die Kellertür zugeworfen?“, fragte Heller.
„Wusst ja nich, dass Sie da drinne sind“, schnaubte der Junge. „Wo kommst du her?“
„Bin rumgestromert.“Alfons schwitzte. Der Schweiß lief ihm
über die Schläfen, und seine Augen huschten unruhig hin und her. Er schluckte unablässig.
„Bist du krank?“, fragte Heller und näherte sich dem Jungen, um ihm an die Stirn zu fassen. Blitzschnell, wie ein Boxer, wich der Junge aus. Der Polizist hatte Mühe, ihn zu halten.
Heller nahm seine Hand wieder runter. Er wollte, dass Alfons sich beruhigte. „Dein Vater schläft. Und er lässt sich nicht wecken. Geschieht das häufig?“
„Manchmal. Da schläft er lang.“Alfons lachte auf, als wär es ein Witz.
Heller ahnte, warum der Junge lachte. Es waren wohl die besten Stunden für die Familie, wenn der Vater schlief.
„Dein Vater schlägt dich“, sagte Heller ohne Umschweife.
„Aber nur, wenn ich’s verdient hab!“
Hellers Bauchdecke verkrampfte sich.
Nun trat auch ihm der Schweiß auf die Stirn, und hinter seinen Schläfen begann es zu pulsieren. „Hast du es denn oft verdient?“, fragte er gepresst.
Alfons versuchte, mit den Achseln zu zucken, doch der Polizist hielt ihn weiter fest. So zog er nur die Mundwinkel nach unten.
„Auch den Albert schlug er, nicht wahr? War das immer verdient?“
„Albert war frech, ja.“Alfons lachte wieder, doch seine Mundwinkel zuckten, seine Lider begannen zu flattern.
„Fürchtest du, dass du jetzt die Prügel abbekommst, jetzt, wo Albert nicht mehr da ist?“Das Pochen hinter Hellers Schläfen war jetzt zu einem bohrenden Schmerz geworden, als ob sein Kopf ihn ermahnen wollte, dass sie nicht deshalb da waren. Heller nahm sein Taschentuch hervor und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Dann faltete er das Tuch zuOben aus der Wohnung hörte er leise Geräusche. Alfons’ Blick huschte nach oben.
„Dieser Franz Barth, ist der ein guter Freund vom Albert gewesen?“
„Nicht so dicke, früher mal, weiß nich, mir egal.“Alfons warf sich mit einer Kopfbewegung eine Strähne aus dem Gesicht.
„Aber du kennst die Bande?“„Aber ich hab noch nie was mit denen zu tun gehabt. Auf dem Pausenhof haun die alle zusammen, die nicht spuren. Der Albert, der hat dem Polak auch mal eine reingemacht, weil der ihn striezen wollte.“„Dem Polak? Heißt der so?“„Nein. Das ist der Koslowski. Wir sagen Polake, wegen seinem Namen.“
„Und der Barth, hat der auch versucht, deinen Bruder …“
„Nee, nee, nee, der nicht, hat sich da rausgehalten!“Alfons wollte schon wieder auflachen, unterdrückte den Impuls jedoch. Er scharrte jetzt mit den Füßen und schwitzte.
„Sag, versteckt dein Vater manchmal was im Haus?“
„Nee!“Alfons schüttelte den Kopf, doch Heller hatte ein kurzes Zögern und seinen Seitenblick bemerkt. Er drehte sich um und versuchte zu entdecken, wohin der Junge gesehen hatte. Da war aber nur die Tür zur Parterrewohnung. In der waren sie schon gewesen. Dann aber kam ihm ein Gedanke. Er bückte sich und betrachtete die breite hölzerne Türschwelle. Sie schien fest mit dem Türrahmen verbunden. Auch als Heller versuchte, an ihr zu wackeln, bewegte sie sich keinen Millimeter. Doch er gab nicht auf und hieb mit der Fußspitze dagegen. Dabei fielen ihm über der Schwelle parallel verlaufende Kratzer im Lack des Rahmens auf, die einen Viertelkreis bildeten.
„Haben Sie ein Eisen, Werner? Einen Schraubenzieher, ein Messer?“
Oldenbusch schüttelte den Kopf. „Ich kann helfen“, sagte der Polizist und langte in seine Hosentasche. Den Moment nutzte der Junge, ließ sich mit seinem ganzen Gewicht fallen, krabbelte auf allen vieren zur Tür und stürmte über den Rasen. Ehe Heller an der Tür war, hatte sich der Junge mit einem Satz über den Zaun davongemacht. Zwar schrillte noch ein Pfiff aus einer Pfeife und zwei Uniformierte rannten los. Doch Alfons war zu flink, sauste über die Straße und war schon im nächsten Grundstück verschwunden.
Heller fluchte laut auf. Als könnte er seinen Fehler damit wiedergutmachen, hielt der Schupo Heller entschulg pp
„Das war der einfachste Trick der Welt, und Sie haben sich überrumpeln lassen“, wies Heller den Polizisten zurecht. Dann nahm er ihm verärgert das Messer aus der Hand. Er kniete sich vor die Tür, schob die Klinge unter die Schwelle und hebelte nach oben. Mit einem Ruck gab das Brett nach und ließ sich hochklappen. Heller hielt es fest und betrachtete den Hohlraum darunter, der sich weit in die Wohnung dahinter erstreckte. Oldenbusch hielt jetzt das Brett fest, damit Heller nach einem in Segeltuch geschlagenen Paket langen konnte.
Heller ahnte schon, was es war, ehe er das Tuch öffnete. Er hatte es fühlen können. Es war Geld. Tausende Reichsmark, in Hundert-Mark-Scheinen, sauber gebündelt. Heller holte noch ein zweites Paket hervor, dann ein drittes und viertes, noch größeres. Als er es öffnete, pfiff Oldenbusch durch die Zähne, verstummte aber augenblicklich, als er sich selbst ertappte. Es waren Lebensmittelmarken und Raucherkarten. Hunderte. Ein Vermögen, heutzutage.
„Die sehen druckfrisch aus“, meinte Oldenbusch.
Heller fasste das Bündel nur mit den Fingerspitzen vorsichtig an den Seiten an, um es hochzuheben und näher zu betrachten
„Brot- und Kartoffelkarten. Sehen mir auf den ersten Blick nicht nach einer Fälschung aus. Sie sind sogar schon abgestempelt. Es dürfte schnell herauszufinden sein, wo und wann sie gedruckt wurden.“Heller roch an dem starken Papier. „Das riecht noch relativ frisch. Möglich, dass es erst gestern oder vorgestern hier deponiert worden ist.“
Heller warf noch mal einen Blick in das Loch unter der Türschwelle das bis weit unter d len der verseucht schosswohnung musste. Weiter sah er noch etwa tallenes schimme langte hinein, kam mit seinem Arm n genug unter die Die
„Machen Sie sich lich“, forderte er Uniformierten a und machte ihm
Platz. Der Polizist kniete sich hin und griff tief in das Versteck und brachte eine kleine runde Dose von e wa zehn Zentimet Durchmesser mi orangem Aufdruck zum Vorschein. Der Polizist langte immer wieder hinein, bis sich schließlich vierzehn Dosen auf dem Boden stapelten. Ein letztes Mal steckt er seinen Kopf in d mit der Taschenlampe hinein.
„Nichts mehr drin.“
19. Juni 1948, später Nachmittag
Heller betrachtete missmutig den ungewohnten Ausblick aus dem Fenster einer Schreibstube im ehemaligen Ministeriumsgebäude. Bei Arbeiten beim zerstörten Polizeipräsidium, in dessen Keller sich das Kriminalamt und somit sein Büro befand, hatte man eine Bombe gefunden. Der Bereich war nun zur Räumung gesperrt, weshalb man ihm für das Verhör kurzfristig diesen Raum zugewiesen hatte.
Auf der anderen Elbseite, vor der schwarzen Kulisse des ausgebrannten Amtsgerichts, herrschte reger Verkehr. Es war Feierabendzeit. Die Männer und Frauen, die in den Ruinen gearbeitet hatten, reihten sich in den Menschenstrom auf der notdürftig mit Kopfstein gepflasterten Straße ein. Die meisten von ihnen trugen Rucksäcke und Taschen, manche zogen einen Handwagen hinter sich her, denn jeder musste auf dem Heimweg noch Besorgungen erledigen. Einige hatten vielleicht auch etwas dabei, das sie in den Trümmern gefunden hatten. Doch kaum jemand achtete darauf. Größere Funde mussten zwar gemeldet werden, sonst riskierte man, wegen Plünderung hart bestraft zu werden. Doch es gab immer Mittel und Wege, die offizielle Kontrolle zu umgehen. Heller wusste, dass sowjetische Soldaten und deutsche Polizisten gegen gewisse Gegenleistungen gerne ein Auge zudrückten.