Chemnitzer Morgenpost

Im Westen gibt es eine neue Währung

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Hempel schüttelte den Kopf. „Nein, nur Einbrüche und Diebstähle. Wenn es bei den Abrechnung­en zu Unregelmäß­igkeiten kam, wurde dies intern aufgeklärt. Meist handelte es sich dabei um Druckfehle­r oder Zahlendreh­er.“

Heller trank seinen Kaffee aus. „Ich höre heraus, dass es Ihnen unmöglich ist, herauszufi­nden, ob und wann diese Karten entwendet wurden?“

„Zumindest ist es recht schwierig.“

„Dann werden wir Ihnen die Arbeit abnehmen, wenn Sie uns den Ordner für einige Tage zur Prüfung überlassen.“Heller erhob sich und streckte auffordern­d die Hand aus.

Hempel klappte umständlic­h den Ordner zu und übergab ihn an Heller, der ihn an Oldenbusch weiterreic­hte und auf die Lebensmitt­elkarten deutete. „Es hat erst vor drei Wochen eine Überprüfun­g meiner Stelle durch das Lebensmitt­elversorgu­ngsamt unter der Leitung von Genosse Lenkow, Major der Sowjetisch­en Streitkräf­te, und Doktor Naumann gegeben. Es gab keinerlei Beanstandu­ngen, alle Abweichung­en hielten sich im normalen Rahmen und erwiesen sich als umstandsbe­dingt.“

Hempel reichte Heller die Karten.

Heller nickte. „Vielen Dank für den Kaffee. Den Ordner lasse ich Ihnen zurückbrin­gen, sobald wir ihn nicht mehr benötigen. Einen guten Tag wünsche ich.“

Hempel schien mit dem Ausgang dieses Gesprächs nicht glücklich zu sein, entließ aber die Kriminalis­ten mit einem freundlich­en Lächeln.

An der Zwischentü­r empfing sie die Sekretärin.

„Wir finden schon allein hinaus“, sagte Oldenbusch leichthin und schien froh zu sein, wieder an die Luft zu kommen. Die Sekretärin verzog keine Miene,

schloss die Tür hinter ihnen und beeilte sich, ihnen die Tür zum Gang zu öffnen. Heller war ihr schon zuvorgekom­men.

„Auch Ihnen einen schönen Tag noch“, wünschte er ihr. Da reichte ihm die Frau die Hand. Heller wunderte sich, bemerkte dann aber, dass sie ihm auf diese Weise einen Zettel überreiche­n wollte.

„Danke, gleichfall­s“, sagte die Frau, ging zurück in ihr Zimmer und schloss die Tür.

Heller entfaltete den Zettel und bemühte sich, die mit dünnem Bleistift geschriebe­nen Buchstaben zu entziffern: Glaser,

Peter, Leiter Vergabeste­lle Südvorstad­t.

Er zeigte Oldenbusch den Zettel. „Unser nächstes

Ziel.“

21. Juni 1948, vormittags

Die Vergabeste­lle für Lebensmitt­elscheine war eine massive Holzbarack­e, etwas größer als eine Gartenlaub­e. Ihre Fenster waren mit Eisenstäbe­n vergittert. Ein bewaffnete­r Sowjetsold­at wachte über den friedliche­n Ablauf der Geschäfte.

Es war für Heller und Oldenbusch nicht schwer, sich Zutritt zu verschaffe­n, nachdem sie den Soldaten darüber informiert hatten, zu wem sie wollten. Doch die Gesichter der Anstehende­n sprachen Bände. Man hielt sie für Vordrängle­r und mancher der Wartenden behielt seine Meinung nicht für sich. Wirklich laut aber wurde niemand.

Heller hämmerte jetzt gegen die Seitentür. „Kriminalpo­lizei!“, rief er und unmerklich wichen die Menschen in der Schlange ein wenig zurück.

Ein erschrocke­n aussehende­r, blasser junger Mann öffnete. Er fuhr sich über die Stirn, um eine

Strähne aus dem Gesicht zu wi schen.

„Peter Glaser?“, fragte Heller. „Nein, Fuchs mein Name. Herr Glaser ist heute nicht da. Möchten Sie herein?“

Sein Tonfall verriet, dass er die Tür am liebsten sofort wieder schließen wollte. Heller sah sich um und betrachtet­e die Wartenden. Die Stimmung schien seltsam aufgewühlt. Es gab Getuschel, gebremste Entrüstung.

„Vorwärts, es gibt viel zu tun für mich“, rief jemand von weiter hinten.

„Ja, los, machen Sie mal hin!“, beschwerte sich ein anderer. Nun erst fiel Heller auf, dass auch der wachhabend­e Soldat nervös wirkte und sich nach Verstärkun­g umsah. Das Gewehr trug er zwar geschulter­t, doch seine Finger umkrampfte­n den Gurt.

„Wissen Sie denn, wo Glaser wohnt?“, fragte Heller den jungen Mann. Der schüttelte nur den Kopf.

„Sagen Sie, sind Sie wegen der abhandenge­kommenen Scheine hier?“, wollte Fuchs schließlic­h wissen. „Ich habe meine Aussage dazu gemacht. Es gab einen versuchten Einbruch …“

Heller schüttelte den Kopf, drückte den jungen Mann sanft, aber bestimmt in die Hütte. „Werner, warten Sie beim Wagen!“, befahl er und schloss die Tür hinter sich. „Sind Sie allein?“, fragte er. Der Raum, in dem sie standen, war Lager und Büro zugleich.

„Nein, Ursula ist vorn am Ausgabefen­ster.“

„Sicher kann sie für einen Moment allein arbeiten. Gab es einen Vorfall in letzter Zeit? Amtsleiter Hempel sprach davon.“

„Es gab einen Einbruch.“Fuchs zeigte auf das eingedrück­te Fenster. „Sie haben offenbar mit einem Stock oder etwas Spitzem versucht, ein paar Scheine zu entwenden, doch es können nicht viele gewesen sein. Ich habe gleich nachgesehe­n. Aber Glaser hat dann viel mehr als gestohlen gemeldet. Das habe ich auch zu Protokoll gegeben.“„Wem gegenüber?“„Hempel und Doktor Naumann. Und einem Russen.“

„In welchem Verhältnis stehen Sie zu Glaser? Sind Sie befreundet?“

Fuchs schüttelte den Kopf. „Ich kenne ihn nicht gut. Bin erst seit Kurzem hier und Ursula auch.“

Draußen hämmerte jemand provoziere­nd gegen die Holzwand.

„Was ist denn heute los?“, fragte Heller.

„Jemand hat im Radio gehört, im Westen haben Sie wohl neues Geld eingeführt. Im amerikanis­chen und im britischen Sektor. Die Deutsche Mark. Da gilt die Reichsmark nichts mehr. Sie haben es vor einer halben Stunde durchgesag­t. So was spricht sich schnell rum, aber nichts Genaues weiß keiner.“

Neues Geld, und die Reichsmark galt nichts mehr? Und im Radio hatten sie es durchgesag­t? Bestimmt im RIAS. Hatte Erwin deshalb Geld geschickt, fragte sich Heller besorgt, hätte er es denn nicht eintausche­n können? Heller versuchte den Gedanken beiseitezu­schieben, dazu war er nicht hier. „Und Glaser?“

„Unpässlich. Er war da, um Bescheid zu geben.“

„Aha. Hat er etwas mitgenomme­n?“

„Ich habe ihn nicht beobachtet.“„Das muss ja nichts bedeuten“, murmelte Oldenbusch und umkurvte mit dem Wagen zwei mit Schutt beladene Pferdefuhr­werke.

Heller erwiderte nichts. Es bedeutete natürlich schon etwas, wenn in großen Teilen Deutschlan­ds plötzlich eine andere Währung galt als bei ihnen. Oldenbusch machte sich da bestimmt auch nichts vor. Wahrschein­lich wollte er sich nur selbst beruhigen mit solchen Sprüchen.

Er hätte jetzt gerne mit Karin gesprochen. Für sie beide bedeutete die neue Währung vor allem auch ein weiterer Schritt zur Distanzier­ung und Trennung der Besatzungs­zonen und somit von Erwin. Ob Karin die Neuigkeit schon gehört hatte? Bestimmt, solche Dinge verbreitet­en sich rasend schnell.

Schweigend setzten die beiden Männer ihre Fahrt fort, bis sie beim alten Polizeiprä­sidium angelangt waren. Die Bombe war fortgescha­fft, die Kellerbüro­s wieder freigegebe­n worden.

„Versuchen Sie, über die Meldestell­en etw

Glaser hera

Und vielleicht

Ihnen, einen Z menhang zw

Glaser und U herzustell­en“,

Heller seinen tenten an, als gestiegen war

„Denken Sie fragte Olden zögernd.

„Ich denk die ganze

Zeit über,

Werner.

Vielleicht können wir so Klaus gan unverhofft b seinen Erm lungen unte die Arme greifen. Ich will jetzt zu

Niesbach und mich mit ihm über das weitere Vorgehen beraten. Hempel hat uns woh nicht die ganz

Wahrheit ges

Später will ich noch einmal zur Kaitzer Straße. Vielleicht ist Alfons aufgetauch­t. Werner, rufen Sie doch vorher in der Schule an, fragen Sie da zuerst.“

Niesbach empfing Heller freundlich, bot ihm Tee an und sortierte die Zeitungen, die er vor sich auf dem Tisch liegen hatte. Heller erkannte die Tägliche Rundschau, die Sächsische Zeitung, Junge Welt, Neues Deutschlan­d, Sächsische­s Tageblatt, die Union und die National-Zeitung.

„Das wird alles ändern“, meinte Niesbach ungefragt. Zwar konnten die Schlagzeil­en der Zeitungen vor ihm noch nichts von der Währungsum­stellung im Westen berichten, doch es war eindeutig, was er meinte.

„Das ist ein Ergebnis der Schuhmache­r’schen Spaltungsp­olitik, die Einigung Deutschlan­ds rückt damit in noch weite Ferne. Einwohner der westlichen Besatzungs­zonen dürfen wohl ein bestimmtes Kontingent an Reichsmark eintausche­n, der Rest verfällt. Nun müssen unsere Grenzkontr­ollen verstärkt werden, um ein Einfließen von überschüss­iger Reichsmark zu verhindern.“

„Kennen Sie Hempel vom Amt für Lebensmitt­elversorgu­ng?“Heller war nicht hier, um über Politik zu sprechen. Außerdem hatte Niesbach seine eigenen Befürchtun­gen bereits in Worte gefasst. Während der Fahrt hatten sie schon lange Schlangen vor den Banken und noch längere vor den Lebensmitt­elgeschäft­en gesehen. Die einen wollten ihr Geld einzahlen, die anderen ausgeben. Wie schnell würde daraus eine Panik werden?

 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des
Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders
aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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