Chemnitzer Morgenpost

„Die Pillen machen euch kaputt!“

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 44. Teil

- Von Frank Goldammer

Dresden im Sommer 1948. Während die Währungsre­form in Ost und West die Teilung Deutschlan­ds festigt, wird die Stadt wieder aufgebaut. Die Hellers haben ein Pflegekind aufgenomme­n, Anni. Karin Heller arbeitet als Trümmerfra­u.

Was bisher geschah: Im Kanalschac­ht wird die Leiche eines Mannes, Wilfred Stiegler, gefunden. Dann ein weiterer Toter: Albert Utmann, ein junger Mann, anscheinen­d vom Kran gefallen. Dessen Vater Karl schlägt seine Familie. Alberts Bruder Alfons gehört einer Kinderband­e an, die Zigaretten, Schnaps und Schokolade klaut. Die Jungs nehmen auch Drogen: Pervitin. Im Haus Utmanns werden Tausende Reichsmark und Lebensmitt­elkarten gefunden - laut Mitarbeite­r Peter Glaser aus der Vergabeste­lle gestohlen. Ein Blindgänge­r tötet zwei Jungs der Kinderband­e, Ernst und Franz. Hellers Sohn Klaus arbeitet jetzt bei der politische­n Polizei und fordert den Vater auf, die Ermittlung­en zurückzust­ellen - man habe Glaser als Chef der Kinderband­e im Visier. In dessen Wohnung wird Heller vom Mädchen Johanna Zeil mit einem Messer verletzt. Im Haus der Utmanns findet Heller den blutenden Alfons: Selbstmord­versuch! Der völlig besoffene Vater Utmann, der den toten Stiegler aus dem Krieg kannte, hütet ein Röhrchen Pervetin-Pillen

- sein Sohn würde sie ihm bringen. Heller besucht den geretteten Alfons in der Kinderklin­ik.

Alfons öffnete jetzt die Augen und hob etwas den Kopf aus dem Kissen. „Es geht nicht um meinen Vater. Der Vater hat für uns gekämpft. Er hat Russen umgebracht - und Amis. So viele er erwischen konnte. Er ist verraten worden. Vom Führer. Das hat er mir erzählt. Ja, der Führer hat uns verraten. Und die Mutter. Meine Mutter hat den Vater verraten. Als er weg war, da war sie bei einem anderen Mann. Der Heiner ist nicht mein richtiger Bruder. Aber das darf ich dem Vater nicht verraten. Mutter sagte, er darf es nie erfahren. Niemals. Aber der Vater ist doch nicht dumm.“Erschöpft ließ Alfons den Kopf wieder zurücksink­en.

Heller beugte sich über den Jungen. Er durfte jetzt nicht aufhören zu reden. Sacht berührte er ihn an der Schulter. „Alfons, der Mann, bei dem sie war, kennst du ihn?“

Alfons schüttelte langsam den Kopf. „Er kam immer nur in der Nacht.“

„Und du hast ihn nie gesehen?“„Gehört haben wir ihn.“„War es Glaser? Kennst du ihn?“

„Herr Glaser war mit dem Vater im Krieg. Er lässt uns bei sich schlafen und gibt uns zu essen ab und an. Er sagt …“Alfons wollte seine Hände heben, doch dann merkte er, dass sie gefesselt waren.

„Was?“

„Er sagt, sie hätten schlimme Dinge getan im Krieg. Vater ist gar nicht bös auf uns, er ist nur immer wütend, weil sie so böse Dinge getan haben. Das kann Vater nicht vergessen, deshalb ist er so. Wissen Sie, was er gemacht hat?“

„Dein Vater hat Gefangene umgebracht“, sagte Heller leise. „Das ist nicht erlaubt.“

Alfons drehte seinen Kopf weg.

„Aber wenn es ihm befohlen wurde, dann musste der das doch tun, nicht wahr?“

„Auch dein Vater war in Gefangensc­haft. Hätte der Ami ihn umbringen sollen?“

Alfons schüttelte hastig den Kopf und begann zu schluchzen.

„Ist es Glaser, der dir die Pillen gibt?“

„Nein!“Alfons kniff die Augen zusammen.

„Alfons, lüg nicht!“Alfons schüttelte wieder den Kopf, trotzig diesmal.

„Alfons, ihr müsst loskommen von diesen Pillen. Sie machen euch kaputt.“

Jetzt sah ihm der Junge offen ins Gesicht. „Das stimmt nicht. Sie sind gut!

Sie helfen mir. Sie helfen mir, wach zu bleiben. Und wenn es Schläge gibt, tut das gar nicht weh.

Ich kann Vater beschützen, wenn er getrunken hat.“

Heller drückte Alfons fester an die Schulter. „Alfons, diese Pillen bringen euch um, glaub es mir, wie sie Albert umgebracht haben, und Ernst, und Franz.“

Alfons fuhr auf. „Der Franz war ein Aufschneid­er! Es geschieht ihm recht, wenn er tot ist. Der schikanier­te alle und raubte Leute aus. Der Ernst wollte nicht mehr mitmachen, weil es ihm nicht mehr geheuer war. Er hat sogar in den abgesperrt­en Ruinen geplündert. Und im Wald hat er mal ein Gewehr, einen Karabiner, gefunden. Ein Mauser. Unheimlich geprahlt hat er damit!“

„Ein Mauser, K98? Hast du es gesehen?“

„Ich hab’s ihm weggenomme­n. Weil er gesagt hat, dass er mich umbringen will!

„Du hast es ihm gestohlen?“„Ich habe es aus seinem Versteck rausgenomm­en. Der glaubt ja, es weiß keiner was davon.“„Aber du kennst es?“Alfons nickte.

„Zeigst du es mir?“

Der Junge überlegte kurz. „Nur, wenn Sie mich losmachen.“

Heller schüttelte den Kopf. „Dann läufst du wieder weg, das weiß ich schon.“

„Nein, ich will nur meine Mutter suchen. Und ich muss doch auf den Vater aufpassen!“

Heller betrachtet­e den Jungen nachdenkli­ch. „Also gut. Ich denke darüber nach. Aber du musst mir jetzt sagen, wo das Gewehr ist.“

„Im Haus. In der Tür.“„Nein, da war es nicht! Wir fanden nur gestohlene Lebensmitt­elkarten und Geld“, sagte Heller streng.

Alfons wollte erst widersprec­hen, dann schwieg er.

Heller versuchte es noch einmal. „Dein Vater wusste von dem Versteck. Hattet ihr Munition?“Alfons nickte.

„Wie viel Schuss?“

„Ein Magazin war voll.“

In einem Ladestreif­en waren fünf Schuss, wusste Heller. Neunzehnhu­ndertvierz­ehn war er an diesem Gewehr ausgebilde­t worden. „Und Ernst Sturberg wollte nicht mehr mitmachen? Gab es Streit deshalb, zwischen ihm und Franz Barth?“

„Mit dem Franz war nicht gut streiten. Früher, da war er wie ein Freund, jetzt aber nicht mehr.“

„Weißt du etwas von einer Mutprobe? Was wollte Franz bei dem Blindgänge­r?“

„Vielleicht den Zünder ausschraub­en, er hat gesagt, er weiß, wie das geht. Der tut immer, als weiß er alles. Und beim Spielen macht er auch immer Schmu.“

„Und du willst nicht endlich zugeben, dass Herr Glaser euch die Pillen gibt und euch für sich stehlen lässt?“

„Herr Glaser ist ein guter Mann.“Alfons wagte einen Blick zu Heller, wich ihm aber sofort wieder aus. Eine Weile lag er still da und starrte vor sich hin.

Heller wagte ihn nicht weiter zu bedrängen. Aber er wusste, ihm selbst lief die Zeit davon. Es gab noch so viel zu tun. Doch er wollte das Vertrauen, das er bei Alfons gerade mühsam gewonnen hatte, nicht gleich wieder aufs Spiel setzen.

Plötzlich hob Alfons seinen

Kopf.

„Und? Machen Sie mich jetzt los?“

23. Juni 1948, früher Vormittag

„Alle schweigen?“

Oldenbusch nickte. Heller hat te sich von einem Krankenhau­sfahrer zur Schule bringen lassen. Nun standen sie vor dem Gebäude, Oldenbusch lehnte an der Seite vom Ford, Heller schaute sich misstrauis­ch um. Etwas lag in der Luft. Es war schwüler als in den letzten Tagen. Gut möglich, dass heute noch ein Gewitter aufzog. Doch der Himmel war klar. Bombenwett­er sagten die Menschen seit einiger Zeit dazu.

„Vielleicht haben sie einfach nichts zu erzählen“, versuchte Oldenbusch zu erklären.

Heller schaute in fragend an. „Auch nicht Friedrich Bach? Der Klassenstr­eber?“

Oldenbusch schüttelte den Kopf. „Stumm wie ein Fisch. Wir haben sie gemeinsam und auch einzeln im Schulleite­rzimmer befragt. Es kam buchstäbli­ch zu keiner einzigen Aussage. Der Lehrer Jungblut war der Einzige, der etwas gesagt hat. Er erzählte, dass es vereinzelt zu unerlaubte­m Wegbleiben vom Unterricht kam, aber dass das nicht ungewöhnli­ch sei. Oft gehen mehrere Schüler gemeinsam auf Hamsterfah­rt und bleiben tagelang weg. Außerdem ist ihm bei den Utmann-Jungen eine gewisse Verhaltens­veränderun­g aufgefalle­n, teilweise waren sie apathisch, teilweise aggressiv. Alfons soll sich mit Sturberg geprügelt haben, obwohl er zwei Jahre jünger und viel kleiner ist.“

„Das ist nichts, was wir nicht schon wüssten. Und Frau Schleier?“

„Ist sehr aufgebrach­t und verfolgt alles stumm und voller Misstrauen. Sie ist auffallend fahrig. Zweimal hat sie ihren Füllfeder halter fallen

„Und gib

Bericht aus sischen Kirc

„Die M haben Z bekommen es ist ein

Gebäude. S alles ab. Au herum. Ab

Sie wissen selbst, wie da aussieht

Auf diesem Gelände eine

Patronenhü­lse zu finden wä reiner Zufa noch da könnte de

Schütze so schlau gewesen sein und hätte die Hülse auffangen können.

Und haben

Sie sich mal überleg wie man e

Blindgänge­r mit einer Pistole aus sicherer Entfernung treffen will? Das ist fast unmöglich, es müsste ein sehr guter Schütze gewesen sein.“

Doch Heller beachtete Oldenbusch­s Einwände gar nicht. Er war in Gedanken bereits woanders. „Die Männer sollen an der Stelle suchen, an der Sturberg gefunden worden war. Es war ein Gewehr!“

Oldenbusch stutzte, fand den Gedanken Hellers dann aber durchaus nicht abwegig. „Sturberg lag etwa hundertach­tzig Meter entfernt, er könnte sich sicher gefühlt haben. Im Umgang mit einem Gewehr kann er geschult gewesen sein. Die haben doch den Pimpfen schon das Schießen beigebrach­t, oder? Ich frage mich nur, was sein Motiv gewesen sein soll. Warum soll er auf die Bombe geschossen haben? Und wo ist die Waffe?“

„Eines nach dem anderen, Werner.“Heller nahm seine Mütze ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er musste gerade an Karin denken, die heute mit dem ganzen Geld zur Bank gehen wollte. Hoffentlic­h war es nicht schon zu spät dafür. Seit gestern bezahlten die Leute mit Geldschein­en, denen eine Marke aufgeklebt worden war, alle anderen Scheine galten nichts. Und schon hatte man eine Bezeichnun­g dafür gefunden. Tapetengel­d.

„Es könnte auch Alfons gewesen sein, der geschossen hat. Er wusste von einer Mutprobe und er hatte das Gewehr von Franz Barth gestohlen. Und sein Bluterguss unter dem rechten Auge könnte vom Rückstoß der Waffe

stammen “

 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des
Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders
aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

Newspapers in German

Newspapers from Germany