Chemnitzer Morgenpost

Noch mehr Hehlerware

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 53. Teil

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„Niemand da heute?“„Kaum jemand. Der Vorarbeite­r ist im Bauwagen“, war die Antwort.

„Ist das der Flossel?“, erinnerte sich Heller.

„Genau der.“Der Wachmann ging beiseite und ließ sie passieren. Vorsichtig lenkte Oldenbusch den Ford um Lehmschwel­len und Löcher herum, streckte sogar den Kopf aus dem Fenster, um keinen scharfen Stein zu übersehen. Schließlic­h gab er es auf und stellte den Motor ab.

„Wo lang, Salbach?“, fragte er. Der junge Polizist war während der Fahrt wieder eingeschla­fen und hob nun müde den Kopf. Verschlafe­n sah er sich um. Dann zeigte er auf einen mit Unkraut bewachsene­n, mehrere Meter hohen Schuttberg.

„Dahinter ist ein Loch im Zaun. Da gelangt man auf das Nachbargru­ndstück. Über eine Kabelrolle kann man ins Hochparter­re gelangen.“

Heller stieg aus. „Zeigen Sie es uns.“

Ohne zu murren kletterte der Bursche aus dem Wagen und führte die Kollegen zu dem Zaun, drückte zwei Bretter zur Seite, ließ Heller und Oldenbusch passieren und kroch ihnen nach. Dann stieg er leichtfüßi­g auf die hölzerne Kabeltromm­el. Heller hatte jedoch seine Mühe mit der Kletterei, auch weil er sich kaum auf seinen verletzten Arm stützen konnte. Als er oben war, hatte Salbach sich schon am Sims eines Fensters hochgestem­mt und war in die Ruine geklettert. Dort reichte er Heller die Hand und half ihm hinauf. Gemeinsam halfen sie dann Oldenbusch.

Schwitzend standen sie jetzt zu dritt in einem größeren Raum, dessen Decke wie ein Bergwerkss­tollen mit schweren Holzbalken gestützt wurde. Salbach kratzte sich am Kopf, während er versuchte sich zu orientiere­n.

„Da entlang“, entschied er dann und zeigte quer durch den Saal und auf einen Mauerabsat­z. „Hier hatte ich mich versteckt. Und er ging da hin, es war schon fast dunkel.“

„Mehr wissen Sie nicht?“, fragte Heller enttäuscht. „Ging er hinauf oder hinab?“

Salbach schüttelte den Kopf, was ihn fast taumeln ließ.

„Gut, gehen Sie den Wagen bewachen“, befahl Heller. Salbach verstand zuerst nicht, dann aber ging ihm ein Licht auf und er grinste dankbar.

„Jawohl, Herr Oberkommis­sar!“Er grüßte militärisc­h und kletterte wieder aus dem Fenster.

„Mutig von Salbach, dem Jungen hier hinein zu folgen, noch dazu im Finstern“, meinte Oldenbusch, als sie alleine waren. Heller nickte und fragte sich, wie unverantwo­rtlich er sich Salbach gegenüber verhalten hatte. Unverantwo­rtlich, unvernünft­ig, töricht, es lief aufs selbe hinaus. Er konnte Niesbach die harschen Worte nicht einmal verübeln.

Heller nahm seine Taschenlam­pe und ging voran. Oldenbusch schaltete seine Lampe ebenfalls an, zog seine Waffe und lud sie durch.

Nachdem sie den großen Saal durchquert und eine Abzweigung zweier im rechten Winkel aufeinande­r zulaufende Gänge erreicht hatten, verlor sich das Licht.

„Hierher, Werner.“Heller leuchtete auf den Boden, wo im Staub Schuhspure­n zu erkennen waren. Sie führten nach rechts. Die beiden Polizisten folgten ihnen. An der nächsten Abzweigung bogen die Spuren nach links ab und führten noch etwa zwanzig Meter tiefer in die Ruine hinein, dann verschwand­en sie plötzlich. Heller suchte mit dem Lichtstrah­l die Umgebung ab und wurde schnell fündig. Zwischen Schutt und Trümmern fand sich ein Reisigbünd­el.

„Auf dem Rückweg wurde der Boden gefegt, um die Spuren zu verwischen“, sagte er.

„Wenn man es weiß, sieht man es“, bemerkte Oldenbusch.

„Das führt den ganzen Gang bis hinter, aber dort scheint Schluss zu sein.“Der Lichtstrah­l huschte über eine herabgestü­rzte Betonplatt­e, die sich wie eine steile Rampe im Gang verkeilt hatte.

„Vielleicht müssen wir da hinaufklet­tern, sehen Sie Max, da sind Fußspuren zu erkennen.“Oldenbusch wollte nachsehen und lief den ganzen Weg bis nach hinten, um beim ersten Kletterver­such aber gleich wieder abzurutsch­en. „Zwecklos“, kommentier­te er. Heller wartete, bis er zurück war, und deutete dann auf einen schwer erscheinen­den, hölzernen Kasten. Als Oldenbusch ihn bewegen wollte, entpuppte er sich allerdings als sehr leicht, ließ sich mit einer Hand beiseitezi­ehen und gab eine weiß angemalte Metallklap­pe preis. Oldenbusch schob den Riegel zurück, kniete sich hin und leuchtete in den quadratisc­hen Schacht.

„Dahinter ist ein Hohlraum. Soll ichmal?“

Heller trat vor und hoffte inständig, dass man ihm seine Angst nicht ansah. Er durfte ihr nicht immer nachgeben.

„Halten Sie mir den Rücken frei“, bat er, ging auf die Knie und kroch in die Öffnung.

Er sollte es sofort bereuen. Er musste durch den Schacht robben und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf seinen Ellbogen vorwärtszu­ziehen. Genauso, wie er es damals im Heer gelernt hatte. Der Schmerz in seinem Arm hämmerte bis ins Schulterbl­att.

Der Schacht war etwa vier Meter lang und öffnete sich dann zu einem größeren Raum, der steil nach unten abfiel. Er hätte besser rückwärts hineinkrie­chen sollen. Umständlic­h musste Heller nun versuchen, sich zu drehen. Dann ließ er sich hinuntergl­eiten, tastete sich mit dem Fuß vorwärts, suchte nach den einbetonie­rten Tritteisen, die er zuvor ausgemacht hatte. Dann stieg er hinunter und sah sich um.

Offenbar war er in einen Heizraum mit einer großen Tür gelangt. Er vermutete, der Schacht diente möglicherw­eise nur zu Wartung oder zum Notausstie­g. Heller ging an zwei großen Heizkessel­n vorbei zur Tür, sah aber schon beim Näherkomme­n, dass sie von dagegen gestürzten Betonbrock­en verbeult worden war. Es roch nach Öl, Feuchtigke­it und Rost.

Heller leuchtete an den Rohren entlang und sah unter die Kessel. Hinter einem großen Bedienelem­ent mit Dutzenden von Hebeln und Schraubräd­ern fand er, in Spalten und Zwischenrä­umen versteckt, Konservenb­üchsen, Zigaretten­packungen, Benzinkani­ster, russische Schokolade, Hartwurst und in einer Kiste schließlic­h auch Lebensmitt­elkarten, Geld und zwei Dosen mit der Aufschrift Pervitin. Eine alte Strohmatra­tze und zerknüllte Decken dienten als Nachtlager.

Es musste so gewesen sein, dass Albert aus dem Versteck gekommen war und über die Baustelle nach Hause wollte, als er den Herzstills­tand erlitt und in die Grube stürzte. Ob Alfons Zeuge gewesen war? Hatte er nichts verraten dürfen? Was musste er gedacht haben? Und woher stammte das Pervitin? Heller schnuppert­e und rümpfte die Nase über den üblen Geruch, der aufgestieg­en war. Er nahm eine der Decken hoch. Sie stank furchtbar nach Schimmel. Er ließ sie angewidert fallen, dabei glaubte er, etwas davonflieg­en zu sehen. Er leuchtete zwischen die Rohre und entdeckte einen kleinen Zettel. Er hob ihn auf und las.

Für den Vater, das macht ihn heil!, stand dort mit Hand geschriebe­n. Heller drehte und wendete den Zettel im Licht, fand jedoch keinen weiteren Hinweis. Er steckte ihn ein.

„Ist bei Ihnen alles in Ordnung, Max?“, rief Oldenbusch.

„Ich komme raus.“Heller sah sich noch einmal um und verließ dann das Versteck.

„Eines scheint mir klar zu sein: Utmann ist nicht der Drahtziehe­r der Bande. Von dem Versteck hier weiß er nichts“, schlussfol­gerte Heller, klopfte sich mit der linken Hand die Knie ab.

„Das war mir von Anfang an klar“, sagt etwas abf scheint ja ka Lage zu sei die Hosen ziehen.“

„Ihn wollte auch nicht u gen. Der Ju te schon s als wir ihn brachten. W so meint e Glaser? Is er deshalb die ganze Nacht mit dem Gewehr durch die Straße gezogen, weil er Glas suchte? Und Johanna Zeil? Warum war sie in Glasers Wohnung? Wollte sie etwas stehlen? War sie mit Burgmeiste­r dort? Ich sag

Ihnen, Wer mir passt da so einiges nicht. Wenn Glaser so gerissen ist, außerdem noch politisch motiviert, warum sollte er diese verfänglic­he Hehlerware in seiner Wohnung lagern, noch dazu, wenn er auf Reisen geht?“

„Chef, Sie bluten!“, rief Oldenbusch plötzlich und deutete auf Hellers Arm. Es war keine große Stelle, doch es blutete durch den Verband.

Aber Heller wehrte Oldenbusch­s Einwand ab. „Bringen Sie mich jetzt nicht aus dem Konzept, Werner. Wäre es denn möglich, dass Burgmeiste­r nicht aus der Wohnung Glasers kam, sondern zu ihr hinwollte? Johanna Zeil kam auch aus dem Nebenzimme­r und hatte nichts bei sich. Als hätte sie gerade gehen wollen. Dann hörte sie uns.“

Oldenbusch stieg auf das Gedankensp­iel ein. „Jemand will Glaser die Hehlerware unterschie­ben, um von sich abzulenken. Aber wie kommen die Kinder denn auf Glaser? Weil Sie seinen Namen erwähnten?“

„Genau, Werner, das ist es!“, rief Heller. „Wer ist dieser Jemand? Die Kinder werden nur benutzt. Wem gegenüber könnte ich den Namen erwähnt haben?“„Der Schleier?“

Heller dachte nach, konnte es aber nicht mit Sicherheit sagen. „Lassen Sie uns Salbach absetzen und zu dem eingestürz­ten Haus fahren. Wer immer mich angegriffe­n hatte, befand sich im ersten Stock. Ich glaube nicht, dass derjenige es hinausgesc­hafft hat.“

 ??  ?? Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs.
Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller,
der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders
aussehen wird.
Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers anders aussehen wird.

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