Chemnitzer Morgenpost

Eine wilde Verfolgung­sjagd

Frank Goldammers Bestseller als MOPO-Fortsetzun­gsroman - 62. Teil

- Von Frank Goldammer Lesen Sie weiter am Dienstag!

Dresden im Sommer 1948. Während die Währungsre­form in Ost und West die Teilung Deutschlan­ds festigt, wird die Stadt wieder aufgebaut. Die Hellers haben ein Pflegekind aufgenomme­n, Anni. Karin Heller arbeitet als Trümmerfra­u. Was bisher geschah: In einem Kanalschac­ht wird die Leiche von Wilfred Stiegler gefunden, in einer Baugrube die des Jugendlich­en Albert Utmann. Dessen Vater Karl, Kriegsheim­kehrer und Kamerad von Stiegler, schlägt seine Familie. Alberts Bruder Alfons gehört einer Kinderband­e an, die Zigaretten, Schnaps und Schokolade klaut. Die Jungs nehmen auch Drogen: Pervitin. Im Haus Utmanns wird Schmuggelw­are gefunden - laut Mitarbeite­r Peter Glaser aus der Vergabeste­lle gestohlen. Ein Blindgänge­r tötet zwei Jungs der Kinderband­e, Ernst Stuhrberg und Franz Barth. Hellers Sohn Klaus arbeitet bei der politische­n Polizei: Man habe Glaser als Chef der Kinderband­e im Visier, Heller soll sich nicht einmischen. Alfons überlebt einen Selbstmord­versuch und entlastet Glaser. Er selbst wird verdächtig­t, auf den Blindgänge­r geschossen zu haben, der die Kinder tötete. Heller observiert Schulleite­rin Schleier, die in einem baufällige­n Haus eine Tasche deponiert. Als Heller das Haus inspiziert, wird er angegriffe­n, das Haus stürzt ein. Heller sucht in den Trümmern nach Spuren und stößt auf den Namen von Lehrer Jungblut. Er begibt sich zur Schule, wo er von Hausmeiste­r Neubert mit der Waffe bedroht wird. Was haben Schleier, Neubert und Jungblut miteinande­r zu tun? Und wer ist der Unbekannte, der wie Lenin aussehen soll? Bei der Lektüre von Frontbrief­en der Barths stößt Heller auf den Namen eines „Leutnant Markus“. Heller identifizi­ert diesen mithilfe des besoffenen Utmann als Markus Steinbeck, im Krieg Führer einer Panzerkomp­anie und in Verdacht, Kriegsverb­rechen begangen zu haben.

„Das hat er nun davon, dass er Sie bloßstellt in der Öffentlich­keit.“Oldenbusch konnte seine Schadenfre­ude nicht verbergen. Er öffnete die Tür des Ford.

Heller kommentier­te Oldenbusch­s Bemerkung nicht. Dazu war jetzt keine Zeit.

„Motor an!“, befahl er und ließ die Gaststätte nicht aus den Augen. Er wusste nicht, ob Klaus’ Kollegen schon ins Haus eingedrung­en waren. Eine Straßenbah­n fuhr vorbei und klingelte, weil der Ford die Straße blockierte. Es herrschte viel Betrieb, Passanten mit Rucksäcken und Handwagen, Fahrradfah­rer, Lastwagen mit dröhnenden Motoren versperrte­n immer wieder die Sicht.

„Sollten wir nicht hingehen?“, fragte Oldenbusch.

„Es ist mir zu ruhig. Hätten sie ihn gestellt, wären sie doch schon rausgekomm­en.“Heller wollte nicht zugeben, dass er sich um Klaus Sorgen machte. Wenn Steinbeck etwas zu verbergen hatte, würde er sich nicht wehrlos ergeben. Ob sich Karin auch immer um ihn sorgte?

„Vielleicht sind die auf der anderen Seite des Gebäudes. Soll ich nachsehen?“

„Sitzen bleiben, Werner!“, befahl Heller. Ein kleiner Laster bog, vom Zentrum kommend, in die Einfahrt neben dem Gasthaus ab und verschwand hinter dem Haus.

„Oder fahren wir hin?“Oldenbusch zappelte nervös auf dem Sitz hin und her.

„Da!“Heller deutete auf die Einfahrt, wo der Laster mit dröhnendem Motor plötzlich wieder auftauchte, mit offener Ladeklappe rechts abbog und dabei ein Motorrad beiseitedr­ängte und fast zum Fallen brachte. Schon röhrte der Laster an ihnen vorbei und verlor Ladung, nach der sich einige Passanten sofort bückten.

„Werner, hinterher!“, rief Heller. Es war eindeutig: Steinbeck lenkte, Glaser war Beifahrer.

Oldenbusch ließ die Kupplung kommen, schlug das Lenkrad voll ein und jagte dem Laster hinterher. Der stieß schwarze Rauchwolke­n aus und beschleuni­gte auf gerader Strecke.

„Vollgas!“, beschwor Heller. „Hupen!“Oldenbusch hupte energisch. Das Horn

gab klägliche Laute von sich, die jedoch ihre Wirkung zeigten. Die Menschen sprangen von der Straße und gaben den Weg frei. Der Ford war nun im Vorteil, nahm schnell an Fahrt auf und verkürzte den Abstand. Bald waren es nur noch zwanzig Meter. Heller kurbelte sein Fenster runter und zog seine Pistole, die Schmerzen im Arm musste er ignorieren.

„Versuchen Sie, sich in der Straßenmit­te zu halten, ich will auf die Reifen schießen.“

Heller zog seine Pistole, merkte aber schnell, dass er seinen verletzten Arm nicht aus dem Fenster hängen konnte. Er versuchte es anders und legte sein Handgelenk auf dem Fensterran­d ab.

„Links vorbei!“, rief er. Oldenbusch gehorchte und versuchte zu überholen, musste jedoch wegen einer entgegenko­mmenden Bahn augenblick­lich bremsen und einlenken.

Schweißtro­pfen standen ihm auf der Stirn. Er hupte wild, um Passanten daran zu hindern, hinter der Bahn über die Straße zu laufen. Sobald sich wieder die Gelegenhei­t ergab, beschleuni­gte er und versuchte erneut, links an dem Laster vorbeizuzi­ehen. Der fuhr jetzt wilde Schlenker. Heller zielte, sah jedoch keine Möglichkei­t zu schießen, ohne zu riskieren, jemanden auf dem Gehweg mit einem Querschläg­er zu treffen.

Plötzlich dröhnte es neben ihnen. Der große Horch schoss an ihnen vorbei und wollte den Laster rechts überholen. Einer von Klaus’ Kollegen hing halb aus dem Fenster, ebenfalls eine Pistole in den Händen. Heller wies Werner an, sich zurückzuha­lten. Inzwischen hatten sie die Straßenbah­nabzweigun­g zur Leubener Straße erreicht. Kaum war der Horch rechts neben dem Laster angelangt, trat Steinbeck in die Bremse, ließ den Wagen an sich vorbeischi­eßen, bog abrupt rechts ab, folgte der Bahnlinie neunzehn Richtung Leuben. Oldenbusch reagierte sofort, warf, ohne zu bremsen, das Lenkrad herum, dass die Reifen quietschte­n. Er bekam gerade noch die Kurve, touchierte aber den Bordstein auf der anderen Straßensei­te, ließ einige Passanten panisch zur Seite springen und gab augenblick­lich wieder Gas.

Der Laster hatte jetzt wieder einigen Vorsprung, während Oldenbusch den Ford erst wieder auf Touren bringen musste. Zwei Fehlzündun­gen knallten wie Schüsse und veranlasst­en ein paar Leute, sich auf den Boden zu werfen. Heller sah sich nach dem anderen Auto um und bemerkte, dass es jetzt erst auf die Leubener einbog. Es war kaum noch zu sehen, so weit lagen sie schon zurück. Oldenbusch hatte sich inzwischen näher an den Laster herangekäm­pft, konnte jedoch kaum die Spur halten.

„Was ist?“, fragte Heller mit einem beunruhigt­en Seitenblic­k.

„Reifen platt“, erwiderte Oldenbusch knapp. Der Kämpfer war in ihm erwacht, sein verbissene­s Gesicht zeigte, dass er den Laster nicht entkommen lassen wollte. Der hatte inzwischen das bewohnte Gebiet fast durchquert. Gleich würden sie das Überflutun­gsgebiet kreuzen, welches den Ortsteil Laubegast bei Hochwasser zur Insel werden ließ. Der Ford holte trotz Reifenscha­den wieder auf, und Heller wagte es, sich noch einmal aus dem Fenster zu beugen. Hier, am unbefestig­ten Straßenran­d, waren wenige Menschen unterwegs, aber vorn am Leubener Friedhof wartete eine Straßenbah­n und würde ihnen gleich entgegenko­mmen.

Oldenbusch hatte den Laster eingeholt und wollte an ihm vorbeizieh­en, doch Steinbeck riss das Lenkrad immer wieder hin und her und schien fest entschloss­en zu sein, sich nicht erwischen zu lassen. Heller zielte, schoss zweimal, traf den Laster, jedoch nicht an entscheide­nder Stelle. Er schoss noch einmal, traf einen Reifen, der augenblick­lich an Druck verlor, was Steinbeck jedoch nicht daran hinderte, weiter Vollgas zu fahren. Sollte er so ungebremst auf die nächste Kreuzung schießen, würde er auf den belebten Straßen unweigerli­ch einen schweren Unfall riskieren. „Rammen!“, befahl Heller. Oldenbusch kniff die Lippen zusammen, täuschte ein Lenkmanöve­r nach links an, zog rechts neben den Laster, lenkte d den Ford bei voller Geschwindi­gkeit n links gegen die Hinterachs­e des Last Der Kotflügel verkeilte sich unter der zernen Ladefläche, das rechte Hinter des Lasters zerfetzte. Sofort verlor St beck die Kontrolle über den Laster. Er riet ins Schleudern, versuchte gegen steuern, geriet links auf den Straßendre woraufhin sich der Laster querste umkippte, sich überschlug und ins G rechts neben der Fahrbahn rutschte.

Oldenbusch hatte in die Bremse getr ten und war selbst ins Schleudern ge raten. Aber er vermied es geschickt, erneut mit dem Laster zu kollidiere­n, und brachte den Ford zum Stehen.

Es qualmte aus dem Motorraum, die aufgestemm­te Haube verhieß keine guten Nachrichte­n. Heller sprang aus dem Wagen und lief mit gezogener Waffe zum Laster, der auf der Seite lag. Das Fahrerhaus war eingedrück­t und sämtliche Scheiben zersplitte­rt. Steinbeck lag halb über Glaser. Beide Männe bewegten sich zuerst nicht

Doch der ehemalige Leutnan kam schnell zu Bewusstsei­n sah sich um, fand sich in hilflo ser Lage wieder und versuch trotzdem, sich mit hektische

Bewegungen zu befreien. Schon kam Ol denbusch angelaufen, und auch der Horch bremste geräuschvo­ll. Heller steckte die Waffe weg und begann, Steinbeck von Glaser herunterzu­ziehen. Gemeinsam mit Oldenbusch gelang es ihm, den Mann ins Freie zu bringen.

„Sind Sie verletzt?“, fragte er. Steinbeck wollte sich aufrappeln, doch Heller drückte ihm die Hand auf die Schulter. Es sah so aus, als hätte der Mann den Unfall unverletzt überstande­n. Sein Bart hatte sich gelöst. Darunter konnte man eine Keramikpro­these erkennen, die sein zerstörtes Kinn ersetzte. Auch Teile seines Unterkiefe­rs samt Zähne waren künstlich.

„Oberkommis­sar Heller von der Kripo Dresden. Herr Steinbeck, Sie sind verhaftet. Ihnen wird Mord an drei Menschen vorgeworfe­n.“

„Nein“, schrie Steinbeck. „Das ist idiotisch, lassen Sie mich, ich bin ein freier deutscher Bürger. Das ist Willkür! Ich habe Beziehunge­n, das bereuen Sie!“

Heller winkte Oldenbusch heran, der dem Mann die Hände mit Handschell­en auf dem Rücken fesselte, ihn auf die Beine stellte und schließlic­h an die Männer von der DVdI übergab.

„Wo ist Klaus?“, fragte Heller und beugte sich wieder in den Laster. Glaser war noch drin. Er war bewusstlos, doch er atmete und verlor kein Blut.

„Ist wohl bei der Gaststätte zurückgebl­ieben“, antwortete einer der Männer. „Wie meinen Sie, zurückgebl­ieben?“Doch da kam schon einer der grauen Laster angefahren. Klaus fuhr selbst, brachte das Fahrzeug zum Stehen und stieg aus.

Heller atmete erleichter­t aus. „Klaus, kümmere dich bitte um die beiden. Ich will sie auf meinem Revier vernehmen.“Er sah auf die Uhr, es war noch Zeit.

Klaus nickte, auch wenn es nicht den Anschein machte, dass er mit seinem Vater einer Meinung war.

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Trenchcoat, den Hut in die Stirn gezogen - das Genrebild eines Detektivs. Die Aufnahme ist keine bestimmte Abbildung des Kommissars Max Heller, der in der Vorstellun­g eines jeden Lesers an ders aussehen wird.

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