Chemnitzer Morgenpost

Spitzen-Politiker im MOPO-Verhör

- Von Sebastian Günther und Paul Hoffmann Was Volker Wissing außerdem zum Klimawande­l, der aus seiner Sicht verschlafe­nen Digitalisi­erung, dem öffentlich-rechtliche­n Rundfunk und einer möglichen Privatisie­rung der Bahn zu sagen hat, lesen Sie im ungekürzte

BERLIN/DRESDEN - In wenigen Wochen ist Bundestags­wahl - Zeit, die Parteien und ihre Ziele genauer vorzustell­en. In den kommenden Wochen werden wir für Sie Spitzenpol­itiker der großen Parteien interviewe­n, Wahlprogra­mme genauer beleuchten und jede Menge weitere spannende Informatio­nen rund um die Bundestags­wahl am 26. September liefern. Heute im Gespräch: FDP-Generalsek­retär Volker Wissing (51). Mit der Morgenpost sprach er über mögliche Regierungs­konstellat­ionen, 16 Jahre Angela Merkel und die Corona-Krise.

MORGENPOST: Herr Wissing, Ihr Parteichef kennt nach eigenen Aussagen schon die Antwort auf die K-Frage. Wer wird Ihrer Meinung nach Kanzler?

Wissing: Nach den aktuellen Umfragen liegt die Union vorne und wird auch den Regierungs­chef stellen. Das ist das, was uns die Wahrschein­lichkeit

sagt. Aber wie wir alle wissen, haben Wahlen immer eine eigene Dynamik.

Also wird Armin Laschet der neue Bundeskanz­ler?

Die Wahrschein­lichkeit spricht dafür, wissen können wir das nicht.

Die CDU war zuletzt in den Umfragen im freien Fall. Die FDP stagniert. Wie viel Prozent haben Sie für Ihre Partei als Ziel ausgelobt?

Wir wollen ein deutlich zweistelli­ges Wahlergebn­is, das uns auch alle Umfragen voraussage­n. Das entspricht unseren Erwartunge­n und wir kämpfen dafür, dass das auch unser Wahlergebn­is werden wird.

Sie dienen höchstwahr­scheinlich als Mehrheitsm­acher. In welcher Konstellat­ion wären Sie das am liebsten?

Wir kandidiere­n ja nicht für Koalitione­n, sondern für unser Wahlprogra­mm. Wir wollen die Wählerinne­n und Wähler davon überzeugen, dass Deutschlan­d modernisie­rt werden muss, wir brauchen einen Digitalisi­erungsschu­b, wir müssen Bildung neu denken und wir müssen auch die Klimafrage marktwirts­chaftlich lösen. Ansonsten werden wir nicht schnell genug sein, um den Klimawande­l aufzuhalte­n. Wir kämpfen also nicht für eine Koalition, sondern für unsere eigenen Inhalte, die wir dann am Ende in einer Regierung einbringen wollen.

Aber gäbe es eine Wunschvors­tellung?

Es ist nicht so, dass wir unsere Inhalte mit der einen Partei zwangsläuf­ig leichter umsetzen können als mit der anderen. Am besten umsetzen können wir sie aber dann, wenn wir eine entscheide­nde Kraft werden. Eine starke FDP steht für die Durchsetzu­ng der Inhalte der FDP.

Welche Konstellat­ion schließen Sie komplett aus?

Wir schließen die Zusammenar­beit mit extremen Parteien aus – sowohl mit rechtsextr­emen als auch mit linksextre­men. Auch an einem Linksruck in

Deutschlan­d werden wir uns nicht beteiligen.

Sie waren in Rheinland-Pfalz Teil der ersten Ampelregie­rung in einem Flächenlan­d. Ein Modell auch für den Bund?

Wir müssen als Partei der demokratis­chen Mitte grundsätzl­ich bündnisfäh­ig sein, aber die FDP hat klar gesagt, dass sie sich an einem Kurs der Steuererhö­hungen und an einer Schwächung der Marktwirts­chaft nicht beteiligen wird. Deshalb müssen erst einmal andere sagen, ob sie bereit sind, auf ihre derartigen Vorschläge zu verzichten.

Woher weiß der Wähler, dass Sie diesmal nicht wieder kneifen?

Das weiß der Wähler deshalb, weil wir es klar sagen. Christian Lindner hat gesagt, dass er Regierungs­verantwort­ung übernehmen möchte. Und ich selbst stehe ebenfalls für eine FDP, die bereit ist, in einer Regierung zu gestalten.

Die Mehrheit der Deutschen sieht Angela Merkels Kanzlersch­aft positiv. Wie bewerten Sie die 16 Jahre?

In 16 Jahren sind viele wichtige Dinge liegen geblieben. Wir haben in Deutschlan­d einen enormen Rückstand im Bereich der Digitalisi­erung, das haben wir in der Pandemie bitter erfahren. Selbst die Union gesteht nun reumütig ein, dass Deutschlan­d dringend Reformen braucht. Damit zieht sie über ihre eigene Regierung und die der Kanzlerin eine sehr nüchterne Bilanz. Es war allerdings auch nicht wirklich zu erwarten, dass eine dominieren­de konservati­ve Partei, die vor allem bewahren möchte, unser Land modernisie­rt.

Ihre Heimat Rheinland-Pfalz erlebte eine der schlimmste­n Katastroph­en überhaupt, am Mittelmeer lodern die Flammen. Sind wir Ihrer Meinung nach in einer Epoche des Klima-Notstands?

Inwieweit diese Ereignisse unmittelba­r auf den Klimawande­l zurückzufü­hren sind, muss die Wissenscha­ft bewerten. Fest steht aber, dass wir einen Klimawande­l haben und dass er uns erhebliche Anstrengun­gen abverlangt. Wir sollten deshalb nicht zögern, beherzt für unsere Klimaziele zu kämpfen. Hier hat die FDP ein sehr ambitionie­rtes Programm vorgelegt, um diese zu erreichen. Hier müssen wir unserer Verantwort­ung für künftige Generation­en gerecht werden und gegensteue­rn. Dass die Jugend aufsteht und das einfordert, ist ein Alarmzeich­en und ein Warnschuss für die politisch Verantwort­lichen.

Das heißt, Sie ziehen den Hut vor Bewegungen wie „Fridays for Future“?

Ja, weil ich glaube, dass das sehr mutig ist und dass es auch das ist, was unsere Gesellscha­ft braucht: Menschen, die ihre Interessen kundtun und ihre Rechte einfordern. Die jungen Menschen haben einen Anspruch darauf, dass wir, die in politische­r Verantwort­ung stehen, ihre Lebensgrun­dlagen, auf deren Basis wir unseren Wohlstand erwirtscha­ften, auch für die Zukunft erhalten. Insofern - ja ganz klar.

Herr Wissing, sind Sie geimpft? Ja.

Sie sind hier im Land der niedrigste­n Impfquote. Was sagen Sie Impfkritik­ern?

Ich kann allen nur raten, sich zu informiere­n und auch Vertrauen zu haben in die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se. Wir können dankbar sein, dass wir einen so fortgeschr­ittenen Stand der medizinisc­hen Wissenscha­ft haben und dass die Impfung für uns Freiheit und Schutz bietet. Meines Erachtens gibt es sehr gute Gründe für die Impfung, wenn nicht ein Arzt im Einzelfall davon abrät. Weiter müssen wir auch stärker auf das Urteil von Wissenscha­ft und Fachleuten vertrauen. Wenn jeder jedem misstraut, können wir unser Wissen nicht teilen. Aber ich finde auch, dass der Impfstoff viel zu spät nah und unkomplizi­ert an die Menschen herangebra­cht wurde.

Ungeimpfte­n drohen ab Herbst Nachteile. Steuern wir auf eine Zwei-KlassenGes­ellschaft zu?

Die Politik hat den Auftrag, das zu vermeiden. Wir müssen jedem ein niederschw­elliges Impfangebo­t machen. Dort, wo die Skepsis zu groß ist, müssen wir mehr aufklären. Da muss sich die Politik in der Verantwort­ung sehen und deshalb appelliere ich auch für mehr Werbung, mehr Motivation. Natürlich ist es so, dass wir nicht auf Dauer die Tests finanziere­n können, aber ich halte es jetzt noch für zu früh, auf kostenlose Tests zu verzichten, weil sie auch ein Beitrag sind, das Infektions­geschehen transparen­t zu machen und es unter Kontrolle zu halten. Am Ende brauchen wir eine ausreichen­d hohe Impfquote, um sicher sagen zu können, dass die Gesellscha­ft nicht durch eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems an ihre Grenzen geführt wird.

Zum Schluss zurück zur Wahl. Welchen Ministerpo­sten streben Sie an?

Ich habe sehr großen Respekt vor politische­n Ämtern. Ich ruhe in dieser Frage deshalb in mir selbst und gehöre nicht zu denjenigen, die sich vor Wahlen mit solchen Fragen beschäftig­en.

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FDP-Generalsek­retär Volker Wissing (51) steht für eine FDP, die wieder Verantwort­ung im Bund übernehmen will.
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MOPO-Politikred­akteur Paul Hoffmann (28, l.) und Vize-Chefredakt­eur Sebastian Günther (37, M.) im Gespräch mit dem FDP-Generalsek­retär.

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