Spitzen-Politiker im MOPO-Verhör
BERLIN/DRESDEN - In wenigen Wochen ist Bundestagswahl - Zeit, die Parteien und ihre Ziele genauer vorzustellen. In den kommenden Wochen werden wir für Sie Spitzenpolitiker der großen Parteien interviewen, Wahlprogramme genauer beleuchten und jede Menge weitere spannende Informationen rund um die Bundestagswahl am 26. September liefern. Heute im Gespräch: FDP-Generalsekretär Volker Wissing (51). Mit der Morgenpost sprach er über mögliche Regierungskonstellationen, 16 Jahre Angela Merkel und die Corona-Krise.
MORGENPOST: Herr Wissing, Ihr Parteichef kennt nach eigenen Aussagen schon die Antwort auf die K-Frage. Wer wird Ihrer Meinung nach Kanzler?
Wissing: Nach den aktuellen Umfragen liegt die Union vorne und wird auch den Regierungschef stellen. Das ist das, was uns die Wahrscheinlichkeit
sagt. Aber wie wir alle wissen, haben Wahlen immer eine eigene Dynamik.
Also wird Armin Laschet der neue Bundeskanzler?
Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, wissen können wir das nicht.
Die CDU war zuletzt in den Umfragen im freien Fall. Die FDP stagniert. Wie viel Prozent haben Sie für Ihre Partei als Ziel ausgelobt?
Wir wollen ein deutlich zweistelliges Wahlergebnis, das uns auch alle Umfragen voraussagen. Das entspricht unseren Erwartungen und wir kämpfen dafür, dass das auch unser Wahlergebnis werden wird.
Sie dienen höchstwahrscheinlich als Mehrheitsmacher. In welcher Konstellation wären Sie das am liebsten?
Wir kandidieren ja nicht für Koalitionen, sondern für unser Wahlprogramm. Wir wollen die Wählerinnen und Wähler davon überzeugen, dass Deutschland modernisiert werden muss, wir brauchen einen Digitalisierungsschub, wir müssen Bildung neu denken und wir müssen auch die Klimafrage marktwirtschaftlich lösen. Ansonsten werden wir nicht schnell genug sein, um den Klimawandel aufzuhalten. Wir kämpfen also nicht für eine Koalition, sondern für unsere eigenen Inhalte, die wir dann am Ende in einer Regierung einbringen wollen.
Aber gäbe es eine Wunschvorstellung?
Es ist nicht so, dass wir unsere Inhalte mit der einen Partei zwangsläufig leichter umsetzen können als mit der anderen. Am besten umsetzen können wir sie aber dann, wenn wir eine entscheidende Kraft werden. Eine starke FDP steht für die Durchsetzung der Inhalte der FDP.
Welche Konstellation schließen Sie komplett aus?
Wir schließen die Zusammenarbeit mit extremen Parteien aus – sowohl mit rechtsextremen als auch mit linksextremen. Auch an einem Linksruck in
Deutschland werden wir uns nicht beteiligen.
Sie waren in Rheinland-Pfalz Teil der ersten Ampelregierung in einem Flächenland. Ein Modell auch für den Bund?
Wir müssen als Partei der demokratischen Mitte grundsätzlich bündnisfähig sein, aber die FDP hat klar gesagt, dass sie sich an einem Kurs der Steuererhöhungen und an einer Schwächung der Marktwirtschaft nicht beteiligen wird. Deshalb müssen erst einmal andere sagen, ob sie bereit sind, auf ihre derartigen Vorschläge zu verzichten.
Woher weiß der Wähler, dass Sie diesmal nicht wieder kneifen?
Das weiß der Wähler deshalb, weil wir es klar sagen. Christian Lindner hat gesagt, dass er Regierungsverantwortung übernehmen möchte. Und ich selbst stehe ebenfalls für eine FDP, die bereit ist, in einer Regierung zu gestalten.
Die Mehrheit der Deutschen sieht Angela Merkels Kanzlerschaft positiv. Wie bewerten Sie die 16 Jahre?
In 16 Jahren sind viele wichtige Dinge liegen geblieben. Wir haben in Deutschland einen enormen Rückstand im Bereich der Digitalisierung, das haben wir in der Pandemie bitter erfahren. Selbst die Union gesteht nun reumütig ein, dass Deutschland dringend Reformen braucht. Damit zieht sie über ihre eigene Regierung und die der Kanzlerin eine sehr nüchterne Bilanz. Es war allerdings auch nicht wirklich zu erwarten, dass eine dominierende konservative Partei, die vor allem bewahren möchte, unser Land modernisiert.
Ihre Heimat Rheinland-Pfalz erlebte eine der schlimmsten Katastrophen überhaupt, am Mittelmeer lodern die Flammen. Sind wir Ihrer Meinung nach in einer Epoche des Klima-Notstands?
Inwieweit diese Ereignisse unmittelbar auf den Klimawandel zurückzuführen sind, muss die Wissenschaft bewerten. Fest steht aber, dass wir einen Klimawandel haben und dass er uns erhebliche Anstrengungen abverlangt. Wir sollten deshalb nicht zögern, beherzt für unsere Klimaziele zu kämpfen. Hier hat die FDP ein sehr ambitioniertes Programm vorgelegt, um diese zu erreichen. Hier müssen wir unserer Verantwortung für künftige Generationen gerecht werden und gegensteuern. Dass die Jugend aufsteht und das einfordert, ist ein Alarmzeichen und ein Warnschuss für die politisch Verantwortlichen.
Das heißt, Sie ziehen den Hut vor Bewegungen wie „Fridays for Future“?
Ja, weil ich glaube, dass das sehr mutig ist und dass es auch das ist, was unsere Gesellschaft braucht: Menschen, die ihre Interessen kundtun und ihre Rechte einfordern. Die jungen Menschen haben einen Anspruch darauf, dass wir, die in politischer Verantwortung stehen, ihre Lebensgrundlagen, auf deren Basis wir unseren Wohlstand erwirtschaften, auch für die Zukunft erhalten. Insofern - ja ganz klar.
Herr Wissing, sind Sie geimpft? Ja.
Sie sind hier im Land der niedrigsten Impfquote. Was sagen Sie Impfkritikern?
Ich kann allen nur raten, sich zu informieren und auch Vertrauen zu haben in die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wir können dankbar sein, dass wir einen so fortgeschrittenen Stand der medizinischen Wissenschaft haben und dass die Impfung für uns Freiheit und Schutz bietet. Meines Erachtens gibt es sehr gute Gründe für die Impfung, wenn nicht ein Arzt im Einzelfall davon abrät. Weiter müssen wir auch stärker auf das Urteil von Wissenschaft und Fachleuten vertrauen. Wenn jeder jedem misstraut, können wir unser Wissen nicht teilen. Aber ich finde auch, dass der Impfstoff viel zu spät nah und unkompliziert an die Menschen herangebracht wurde.
Ungeimpften drohen ab Herbst Nachteile. Steuern wir auf eine Zwei-KlassenGesellschaft zu?
Die Politik hat den Auftrag, das zu vermeiden. Wir müssen jedem ein niederschwelliges Impfangebot machen. Dort, wo die Skepsis zu groß ist, müssen wir mehr aufklären. Da muss sich die Politik in der Verantwortung sehen und deshalb appelliere ich auch für mehr Werbung, mehr Motivation. Natürlich ist es so, dass wir nicht auf Dauer die Tests finanzieren können, aber ich halte es jetzt noch für zu früh, auf kostenlose Tests zu verzichten, weil sie auch ein Beitrag sind, das Infektionsgeschehen transparent zu machen und es unter Kontrolle zu halten. Am Ende brauchen wir eine ausreichend hohe Impfquote, um sicher sagen zu können, dass die Gesellschaft nicht durch eine Überlastung des Gesundheitssystems an ihre Grenzen geführt wird.
Zum Schluss zurück zur Wahl. Welchen Ministerposten streben Sie an?
Ich habe sehr großen Respekt vor politischen Ämtern. Ich ruhe in dieser Frage deshalb in mir selbst und gehöre nicht zu denjenigen, die sich vor Wahlen mit solchen Fragen beschäftigen.