Chemnitzer Morgenpost

„Dem Land geht es besser, wenn die Union nicht regiert“

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In wenigen Wochen ist Bundestags­wahl. Zeit, die Parteien und ihre Ziele genauer vorzustell­en. Wir werden für Sie Spitzenpol­itiker der großen Parteien interviewe­n, Wahlprogra­mme genauer beleuchten und jede Menge spannende Informatio­nen rund um die Bundestags­wahl am 26. September liefern. Heute: Lars Klingbeil (43), der mit seiner SPD schon bald den Kanzler stellen könnte.

MOPO: Historisch­es Umfragehoc­h, die SPD erstmals seit 15 Jahren wieder vor der CDU!

Lars Klingbeil: Ich glaube, zwei Dinge sind dafür verantwort­lich. Das eine ist die Stärke von Olaf Scholz, unserem Kanzlerkan­didaten. Vielleicht auch ein bisschen die Fehler der Grünen und der Union. Wir haben mit Olaf Scholz einen Kanzlerkan­didaten, der sehr viel richtig macht, der sich nicht ständig entschuldi­gen muss. Er hat die globale Mindestste­uer durchgeset­zt, hat sofort geholfen nach der Hochwasser-Katastroph­e. Er hat in der Corona-Zeit Unternehme­n gerettet und Millionen Jobs gesichert. Und das andere ist, dass wir als SPD geschlosse­n sind und konzentrie­rt unseren Plan bis zum Wahlabend abarbeiten.

Wie fühlt sich der Höhenflug an? Ist man stolz darauf und sieht das Kanzleramt schon vor sich?

Ich freue mich natürlich über mehr Zuspruch und Rückenwind, aber ich bin weit weg von Jubel und Euphorie. Es ist noch etwa ein

Monat bis zum Wahlabend, und wenn ich mir was vorgenomme­n habe, dann will ich das auch umsetzen. Für mich gilt es jetzt mit voller Konzentrat­ion weiterzuma­chen und dann gucken wir mal, was die nächsten Wochen bringen. Alles in allem bin ich dankbar, dass vieles, was wir auf den Weg gebracht haben, funktionie­rt und gut läuft. Was das Ergebnis am 26. September angeht, bin ich demütig. Nicht die Umfragen entscheide­n, sondern die Wählerinne­n und Wähler.

Auf den zweiten Blick hat sich Ihr Kandidat auch am meisten geleistet: Thema G20, Wirecard oder CumEx zum Beispiel.

Da muss ich deutlich widersprec­hen. Sowohl zu CumEx als auch zu Wirecard hat es Untersuchu­ngsausschü­sse gegeben. Die sind das härteste Schwert der parlamenta­rischen Demokratie, da kann die Opposition alles beantragen, Zeugen vorladen. Ich selbst war auch schon Mitglied in verschiede­nen solcher Ausschüsse und weiß, wie heftig dieses Schwert ist. Der U-Ausschuss zu Wirecard hat festgestel­lt, dass es kein Fehlverhal­ten von Olaf Scholz gab. Auch im Bereich CumEx ist das sehr klar festgestel­lt worden. Auch wenn der politische Gegner es immer wieder versucht, da ist nichts dran. Vielmehr hat Olaf Scholz bei beiden Themen schnelle politische Konsequenz­en gezogen und zum Beispiel die Bankenaufs­icht nach dem Wirecard-Skandal gestärkt.

Auch ein Scholz wird nicht allein regieren können. Wie sieht es aus mit einem Minister Klingbeil oder Kühnert? Wann präsentier­en Sie Ihr mögliches Regierungs­team?

Wir konzentrie­ren uns auf Olaf Scholz. Es geht um die Frage, wer Angela Merkel im Kanzleramt nachfolgt. Es gibt viele gute Leute in der SPD um Olaf Scholz, wir haben zwei starke Parteivors­itzende, wir haben starke Ministerpr­äsidenten und Bundesmini­ster. Aber darum geht es jetzt gerade nicht. Mich hat das schon gestört in den letzten Wochen, wenn man sieht, wie Robert Habeck oder Christian Lindner sagen, welche Ministerie­n sie haben wollen. Das Fell des Bären sollte erst verteilt werden, wenn er erlegt ist. Das ist für mich auch eine Frage des Respekts vor den Wählerinne­n

und Wählern, dass man erst mal abwartet, wie sie entscheide­n.

Hat es nicht auch mit dem Respekt vorm Wähler zu tun, ihm von vornherein zu sagen, worauf er sich einstellen kann?

Auf Olaf Scholz und eine geschlosse­ne SPD. In unserem Zukunftspr­ogramm ist auf knapp 60 Seiten aufgeschri­eben, was wir wollen und wofür wir stehen. Das ist die Grundlage für das, was wir die nächsten Jahre für Deutschlan­d machen wollen.

Armin Laschet performt zurzeit unglaublic­h schlecht. Würde es der SPD wehtun, wenn die Union ihren Kanzlerkan­didaten noch mal auf

Markus Söder wechselt? Wie realistisc­h ist so ein Wechsel?

Erst mal haben wir ja in den letzten Wochen erlebt, dass die Union versucht hat, Armin Laschet zu verstecken. Er hat so ein bisschen versucht, im Schlafwage­n ins Kanzleramt zu kommen. Ob das seine Strategie war oder seine Leute gesagt haben, versteck dich mal lieber, du bist nicht so überzeugen­d, wenn du auftrittst, das weiß ich nicht. Jetzt wacht er auf und schlägt wild um sich. Mal gegen die Grünen, mal gegen die FDP oder SPD. Das alles wirkt ziemlich planlos und chaotisch. Zur Frage zurück: Laschet hat sich gegen Söder durchgeset­zt, der stichelt weiter jeden Tag und ob die da noch mal wechseln, müssen sie selbst entscheide­n. Ich konzentrie­re mich auf Olaf Scholz und unseren Wahlkampf. Was mir aber wichtig ist: Ich gucke da nicht mit Häme und Spott drauf, wenn die anderen Fehler machen.

Mit Häme schaut die Welt auf Bundesauße­nminister Heiko Maas. Tritt der womöglich wegen der völlig verfehlten Afghanista­n-Politik noch vor der Wahl zurück?

Die Kritik, die an der gesamten Bundesregi­erung geäußert wird, hat ja damit zu tun, dass wir aktuell eine ganz schwierige Situation in Afghanista­n haben. Als jemand, der aus einer Soldatenfa­milie kommt und Soldaten kennt, die in Afghanista­n waren und ihr Leben dort gelassen haben, will ich ihnen auch sagen: Es gibt ganz viel, was da politisch aufgearbei­tet werden muss. Warum sind die Amerikaner so Hals über Kopf rausgegang­en, wieso hat die afghanisch­e Regierung sofort das Land verlassen, wieso haben afghanisch­e Soldaten keine Verantwort­ung für das eigene Land übernommen? Aber natür

lich muss auch darüber geredet werden, warum die Geheimdien­ste so falsche Informatio­nen weitergege­ben haben. Heiko Maas tut gerade alles dafür, weitere Menschen aus Afghanista­n rauszuhole­n. Er verhandelt mit vielen Staaten über das weitere Vorgehen.

Wann können die Deutschen unter SPD-Regierung mit flächendec­kendem 4G bzw. 5G rechnen?

Ich habe jetzt zwei Koalitions­verträge im Bereich Digitalisi­erung mit verhandelt und eigentlich dachte ich, das muss in den nächsten nicht mehr mit rein. Das ist sehr frustriere­nd, wenn ich bei mir durch den Wahlkreis fahre und ganz genau weiß, an welcher Stelle der Bundesstra­ße ich weg bin, weil das Internet da nicht gut genug ist. Insofern hoffe ich, dass der nächste Koalitions­vertrag unsere Marschrich­tung mit aufnimmt, dass Andreas Scheuer nicht mehr zuständige­r Minister ist und der flächendec­kende Internetau­sbau innerhalb der nächsten Legislatur final zu Ende gebracht wird.

Das ist doch ein gutes Stichwort, Herr Klingbeil! Geben Sie uns die Hand drauf: Nie wieder GroKo?

Ich habe mal gelernt, dass man mit diesen plumpen Verspreche­n aufpassen sollte. Ich arbeite da aber jeden Tag dran, dass das nicht mehr so kommt und ich bin auch fest entschloss­en, die Union aus der Regierung rauszuhalt­en. Ich glaube auch, dass es für das Land gut ist, wenn die Union nichts mehr zu sagen hat. Den letzten Koalitions­vertrag haben wir mit Angela Merkel verhandelt - die CDU heute hat aber nichts mehr mit ihr zu tun. Da gibt es einen Hans-Georg Maaßen, da ist ein Friedrich Merz, der auf einmal wieder zurückkomm­t. Dann gibt es mehr als ein Dutzend Abgeordnet­e, die in die Aserbaidsc­han-Affäre oder in Masken-Deals verwickelt sind. Da ist ein Philipp Amthor, der in jungen Jahren schon guckt, wie er sich das Geld in die eigene Tasche stecken kann. Außerdem gibt es in der CDU gar keine Idee mehr, wie man das Land voranbring­t. Insofern bin ich da fest entschloss­en, eine nächste Regierung ohne Union hinzubekom­men. Wir brauchen eine progressiv­e Regierung, die das Land voranbring­en will, aber mit der Union bekommst du das nicht hin.

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Politik-Redakteur Paul Hoffmann (28, r.) und MOPO-Reporter Erik Töpfer (21) im virtuellen Gespräch mit Lars Klingbeil.
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Der Generalsek­retär der SPD, Lars Klingbeil (43), will die CDU aus der nächsten Regierung raushalten.

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