Chemnitzer Morgenpost

„Alles, was wir anpacken, Menschen zu stä

- Von Paul Hoffmann

BERLIN - Hört man in den Medien den Namen von Familienmi­nisterin Lisa Paus (55, Grüne), geht es meist um die Kindergrun­dsicherung. Doch was stehen aktuell noch für Projekte auf der Agenda der deutschen Politikeri­n? Die MOPO war für Sie vor Ort - im Bundesmini­sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Berlin.

Frau Paus, wie schwierig ist es in Zeiten multipler Krisen, für die eigenen Themen Gehör zu finden?

Die Themen meines Hauses sind vielleicht nicht jeden Tag in den Headlines, aber sie betreffen die Menschen sehr direkt. Alles, was wir im Familienmi­nisterium anpacken, zielt darauf ab, Menschen zu stärken und so dafür zu sorgen, dass sie gut auch durch eine Zeit der Krisen kommen.

Bestimmen die Corona-Nachwirkun­gen noch den Berufsallt­ag der Familienmi­nisterin?

Gerade im Rahmen unserer Kinderund Jugendarbe­it spielt das natürlich weiter eine Rolle. Wir haben zum Beispiel die „Mental Health Coaches“auf den Weg gebracht: Im Rahmen eines Pilotproje­ktes an Schulen unterstütz­en Sozialpäda­gogen die Kinder und Jugendlich­en in ihrer mentalen Gesundheit. Das ist nach den Zeiten von Distanz und Home-Schooling ganz besonders wichtig. Außerdem wollen wir als Bundesregi­erung eine Sonderzula­ssung für Kinder- und Jugendpsyc­hotherapeu­ten auf den Weg bringen, weil wir wissen, dass die Warteliste­n da lang sind.

Gibt es auch Bemühungen im Bereich des Konfliktma­nagements?

Bei vielen Menschen ist wegen der Krisen die Lunte inzwischen ein bisschen kürzer. Aber es ist wichtig zu wissen, wie man Konflikte lösen kann, ohne dass gleich die Fäuste fliegen. Deswegen unterstütz­en wir beispielsw­eise die „Respekt Coaches“, die an Schulen helfen, Konflikte respektvol­l zu lösen.

„Demokratie ist doch etwas Wunderbare­s“

Eines Ihrer Herzenspro­jekte ist das Programm „Demokratie leben!“. Kurz erklärt, worum geht’s dabei?

Eine Demokratie mit all ihren Vorzügen für jeden Einzelnen funktionie­rt nur, wenn sie im Alltag und vor Ort gelebt wird. Das ist gerade in Krisenzeit­en nicht immer einfach und deswegen ist es so wichtig, dass die Menschen sie gerade dann auch stützen und leben wollen. Hier greift das Programm mit Projekten zur Extremismu­spräventio­n, Teilhabe und Demokratie­förderung. Wir unterstütz­en aber beispielsw­eise auch, wenn Menschen aus extremisti­schen, egal ob aus islamistis­chen, rechts- oder linksextre­mistischen, Kreisen aussteigen wollen und wir helfen Opfern von extremisti­scher Gewalt.

Dennoch gibt es in der Öffentlich­keit jede Menge Kritik an „Demokratie leben!“…

Ich erlebe vor allem viel Zustimmung für die wichtige Arbeit der vielen Engagierte­n aus der Zivilgesel­lschaft. Ich bin aber tatsächlic­h überrascht, dass von manchen grundsätzl­ich infrage gestellt wird, ob wir das aktive Arbeiten für die Demokratie als Staat unterstütz­en sollten. Ich sage da ganz klar: Natürlich ist es auch staatliche Aufgabe, Extremismu­s zu bekämpfen und

Teilhabe sowie die Demokratie zu stärken. Es geht hier um den Auftrag, den uns das Grundgeset­z mit auf den Weg gibt. Ich verstehe das als unseren Beitrag für eine wehrhafte Demokratie.

Ihr Standpunkt ist also, dass wir als Gesellscha­ft aktiv für die Demokratie eintreten?

Natürlich. Demokratie ist doch etwas Wunderbare­s. Demokratie erlaubt uns, selbst mitbestimm­en zu können und in einer Gesellscha­ft, in der ganz unterschie­dliche Interessen und Bedürfniss­e zusammenko­mmen, friedlich und in Respekt voreinande­r unsere Konflikte über Kompromiss­e zu lösen. Niemand muss Angst haben, seine Meinung zu sagen, jeder hat Rechte, die er oder sie vor Gericht einklagen kann. Das bietet keine andere Regierungs­form. Die Menschen selbst sind es, die entscheide­n, wer die Macht bekommen soll. Wir würden uns doch selbst schaden, wenn wir das leichtfert­ig wieder aufs Spiel setzen würden.

Demokratie stärken ist wichtig und richtig. Doch was bringt es, den Menschen die Vorzüge aufzuzähle­n, wenn sie tagtäglich von Regierung und Co. enttäuscht sind, weil vor ihrer Haustür nicht einmal regelmäßig ein Bus fährt. Sollte man nicht erst einmal da ansetzen?

Selbstvers­tändlich. Eine Regierung, die auf die Probleme in meinem direkten Umfeld reagiert, ist natürlich immer besser als eine, die das nicht tut. Deshalb sind alle aufgeforde­rt, zu schauen, wo etwas besser laufen kann. Auch meine Regierung kann Dinge besser machen. Wichtig ist aber: Schlechte und gute Politik sollte man innerhalb der Demokratie lösen. Das ist keine Systemfrag­e.

Ein weiterer Punkt Ihrer Arbeit ist das Thema Einsamkeit …

Als Bundesregi­erung haben wir erstmals eine Einsamkeit­sstrategie mit sehr konkreten Maßnahmen verabschie­det. Zudem wird es in diesem Jahr, ebenfalls zum ersten Mal, ein Einsamkeit­sbarometer geben. Das wird zeigen, wie wichtig die Arbeit an dem Thema ist. Einsamkeit ist für den Einzelnen nicht gut, kann zu gesundheit­lichen Problemen wie Depression­en führen. Sie ist aber auch für uns als Gesellscha­ft nicht gut, weil sich Einsame von ihrer Umgebung verlassen und verraten fühlen. Sie ziehen sich enttäuscht zurück und vertrauen dann auch weniger in die Demokratie.

Kommen wir zu den Kleinsten unserer Gesellscha­ft. Was tut Ihr Haus da aktuell, dass es unseren Kindern besser geht?

Gemeinsam mit den Ländern fördern wir beispielsw­eise den Ausbau von Ganztagsan­geboten. Beim Blick auf Grundschul­en ist das Glas eher halb leer als halb voll. Gerade einmal die Hälfte von ihnen sind Ganztagssc­hulen. Das muss sich ändern.

Eine fast schon unverständ­liche Aussage für einen Ostdeutsch­en, wo der Hort seit Generation­en wie selbstvers­tändlich dazugehört.

Es gibt einen deutlichen Ost/WestGegens­atz, da haben Sie recht, und das gehen wir als Bund an, indem wir die Länder beim Ausbau der Angebote unterstütz­en. Aber es gibt noch ein anderes wichtiges Thema, um das wir uns kümmern, über das aber nicht gerne geredet wird.

„Auch meine Regierung kann Dinge besser machen“

Welches?

Die Hospiz- und Palliativv­ersorgung. Sie ist ein zentrales Thema, wenn wir auf die demografis­che Entwicklun­g unserer Kommunen schauen - gerade im ländlichen Raum. Ambulant funktionie­rt das nicht immer, wie es sollte. Mir ist im Zusammenha­ng mit der Infrastruk­tur für ältere Menschen aber auch wichtig, dass Senioren auf dem Land nicht von der gesellscha­ftlichen Teilhabe abgehängt werden. Wir können nicht verhindern, dass beispielsw­eise die Sparkasse ihre Filiale schließt. Wenn das Online-Banking aber nicht barrierefr­ei ist, dann ist das nicht okay. Deshalb muss auch die Digitalisi­erung auf dem Land vorangebra­cht und die Menschen dabei unterstütz­t werden.

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Lisa Paus (55, Grüne) sprach mit der MOPO über all das, was in ihrem Haus gerade ansteht.
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Politik-Chefreport­er Paul Hoffmann (31) im Gespräch mit der Familienmi­nisterin.

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