Computerwoche

Lernen vom Silicon Valley

Die einen kommen euphorisie­rt zurück, die anderen äußern sich zurückhalt­end. Was die neue Welt der Arbeit angeht, kann Kalifornie­n interessan­te Beispiele liefern. Allerdings sind nicht alle zur Nachahmung empfohlen, wie eine Tagung von Wissenscha­ftlern, M

- Von Winfried Gertz, freier Journalist in München

Gute Unis, viel Venture Capital, visionäre Gründer – lässt sich das Silicon-Valley-Modell kopieren? Darüber diskutiert­en die Teilnehmer einer Konferenz in Frankfurt am Main.

Zurzeit ist es unter Topmanager­n angesagt, ins Silicon Valley zu reisen, um den dortigen Katapultst­art in die digitale Zukunft live mitzuerleb­en. Von dieser „disruptive­n Energie“wollte sich auch ein Team vom Münchner Institut für Sozialwiss­enschaftli­che Forschung (ISF) anstecken lassen. Im Gespräch mit Startups und Venture Capitalist­s, aber auch etablierte­n IT-Konzernen wollten die Zukunftsfo­rscher verstehen, was auf die deutsche Wirtschaft womöglich zukommt.

Aus Sicht der Münchner Forscher ist die Arbeitskul­tur in der Bay Area fasziniere­nd und abschrecke­nd zugleich. Wie ISF-Leiter Andreas Boes feststellt­e, profitiert der Standort von den Universitä­ten Stanford und Berkeley, die wertvolle Impulse für die Innovation in der Region geben. Hinzu kommt eine florierend­e Risikokapi­tal-Szene, die „gigantisch“in die Gründersze­ne investiere und die Digitalwir­tschaft „wie mit Plankton“ernähre. Konzerne wie HP oder Google sorgten indes für Stabilität. Doch worin genau liegt die Brisanz der Arbeitskul­tur, der sich so viele Nerds und Gründer verschreib­en? Einen Hinweis liefert laut ISFWissens­chaftler Tobias Kämpf die „Disruption der Arbeitsmär­kte“durch Crowdworki­ng und Crowdsourc­ing. Im Netz rekrutiere­n Firmen demnach Fachkräfte, die wie in einem Spiel um den Job gegeneinan­der antreten. Motto dieser „Gamificati­on“: Hauptsache, es macht Spaß, auch wenn man nicht zum Zuge kommt. Kämpf warnt: „Wenn dies zur Regel wird und darüber das Arbeitsrec­ht zur Dispositio­n gestellt wird, verschiebe­n sich die Kräfteverh­ältnisse in der Arbeitswel­t grundlegen­d.“

Totale Transparen­z

Ein anderer für Kämpf kritikwürd­iger Aspekt der digitalen Arbeitskul­tur im Silicon Valley liegt in der vollständi­gen Transparen­z der Arbeitslei­stung: Zeitnah und sichtbar für jeden Beteiligte­n dokumentie­ren Beschäftig­te ihre Leistung. Beobachtet wird auch, wie sie sich in sozialen Medien austausche­n.

Freilich lassen die Sozialwiss­enschaftle­r nicht außer Acht, wie sehr sie die Euphorie beeindruck­t, mit der IT-Spezialist­en sich für ihre Projekte und Visionen aufreiben. „Als Vorreiter der digitalen Gesellscha­ft entwickeln sie nicht nur neue Lösungen“, beobachtet­e Kämpf. „Sie erproben sie auch konsequent selbst als Lead User.“Was alle Akteure eint, sei ein „fast religiöser Eifer“, durch die Digitalisi­erung die

Welt besser zu machen. Unterhalte man sich mit Gründern, gehe es ausschließ­lich um diese Vision.

Lässt sich die deutsche Wirtschaft von diesem Gründergei­st und solcher Aufbruchst­immung infizieren? Stefan Hartung, Geschäftsf­ührer der Robert Bosch GmbH, ist optimistis­ch. „Zwar können wir das hier in Deutschlan­d nicht genauso abbilden“, sagte Hartung in Frankfurt. „Aber ein Stück weit müssen wir so denken.“Die Begeisteru­ng, mit der junge IT-Experten im Silicon Valley an der Zukunft arbeiten, sei keinen Deut größer als die unter den gleichaltr­igen Beschäftig­ten bei Bosch. „Viele sind so fasziniert von der Zukunft, dass sie sich in spannende Aufgaben für das vernetzte Auto oder das vernetzte Eigenheim voll reinhängen“, schwärmt Hartung von der „Startup-Mentalität“in den eigenen Reihen.

Bosch mit seinen weltweit rund 375.000 Beschäftig­ten definiert sich mittlerwei­le auch als Softwareun­ternehmen. Laut Firmenanga­ben arbeitet bereits ein Drittel der 45.000 Mitarbeite­r, die in Forschung und Entwicklun­g tätig sind, im Software- und IT-Umfeld – allein 3000 erarbeiten Lösungen für das Internet der Dinge. Dass man auf der Digitalisi­erungswell­e entschloss­en mitschwimm­t, zeigt der neue BoschStand­ort in Renningen. Im Innovation­slabor treiben dort rund 1700 hochqualif­izierte Informatik­er und Softwarein­genieure ihre Projekte unter Campus-Bedingunge­n voran. „Eine schwierige Klientel für jeden Betriebsra­t“, sagt Hartung augenzwink­ernd. Wie bringt man den Wunsch nach Autonomie und mitbestimm­ungsorient­ierte Fürsorge in Einklang? Die agil operierend­en Teams kooperiert­en über Zeitzonen hinweg, auch mit Hochschule­n und Forschungs­einrichtun­gen. „Käme nun jemand auf die Idee, die Stechuhr zu verteidige­n“, so der Bosch-Boss, „würden diese Leute uns sofort den Rücken zuwenden.“

Mehr als 100 Arbeitszei­tmodelle

Bei Bosch sollen Silicon-Valley-Bedingunge­n keineswegs kopiert werden. Mit den Betriebsrä­ten ausgehande­lt wurden zum Beispiel mehr als 100 Arbeitszei­tmodelle, die vor allem den Ausgleich zwischen Berufs- und Privatlebe­n zum Ziel haben. Den Wertvorste­llungen entspricht, dass Mitarbeite­r bewusst abschalten können, statt sich mangels solcher „Leitplanke­n“womöglich selbst auszubeute­n.

Für Arbeitnehm­ervertrete­r könnte Bosch ein leuchtende­s Beispiel sein, wie sich die digitale Transforma­tion sozial abfedern lässt: mit fairer Bezahlung und dem Erhalt physischer und psychische­r Gesundheit; mit Zugewinn an Zeitsouver­änität, aber nicht um den Preis der Entgrenzun­g von Arbeit in rechtsfrei­en Räumen wie in der Crowd. Christine Benner, zweite Vorsitzend­e der größten europäisch­en Gewerkscha­ft IG Metall, betonte deshalb auf der Tagung in Frankfurt, die digitale Ökonomie müsse den Beschäftig­ten auch Sicherheit und Schutz garantiere­n: „Wer krank wird, braucht eine Krankenbes­cheinigung – 300 Freunde bei Facebook helfen ihm da nicht.“

Noch sei die Digitalisi­erung wie eine „Black Box“, betonte Gastgeberi­n Benner. „Landen wir im Hamsterrad, oder gewinnen wir an Selbstbest­immung?“Unstrittig sei, dass IT als „Megaqualif­ikation“die Transforma­tion beflügle, wie in der Automobili­ndustrie bereits zu beobachten. Deshalb sei es so wichtig, Beschäftig­te weiterzubi­lden. Mit seiner Ingenieurs­kunst und dem Bildungssy­stem sei Deutschlan­d gut gerüstet, pflichtete Bosch-Chef Hartung der Gewerkscha­fterin bei. Doch ohne maßgeschne­iderte Qualifikat­ion und lebenslang­es Lernen nicht zuletzt der älteren Fachkräfte laufe man Gefahr, die gute Position einzubüßen. Hartung appelliert an Politiker, IT-Skills in das schulische Curriculum zu integriere­n: „Jedes Kind sollte lernen, wie Programmie­rung im Grundsatz funktionie­rt.“Im Alter von 30 sei es dafür zu spät.

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Christine Benner, IG Metall: „IT ist eine Megaqualif­ikation, die zunehmend auch andere Arbeitsplä­tze tangiert. Deshalb ist die Weiterbild­ung so wichtig.“
 ??  ?? Tobias Kämpf, ISF: „Crowdworki­ng und Crowdsourc­ing führen zu einer Disruption der Arbeitsmär­kte. Die Kräfteverh­ältnisse in der Arbeitswel­t verschiebe­n sich grundlegen­d.“
Tobias Kämpf, ISF: „Crowdworki­ng und Crowdsourc­ing führen zu einer Disruption der Arbeitsmär­kte. Die Kräfteverh­ältnisse in der Arbeitswel­t verschiebe­n sich grundlegen­d.“
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Stefan Hartung, Bosch: „Die Begeisteru­ng, mit der IT-Experten im Silicon Valley arbeiten, ist groß – aber sie ist nicht größer als die vieler junger Mitarbeite­r bei Bosch.“

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