Computerwoche

Gelangweil­te Roboter

Jürgen Schmidhube­r gehört zu den KI-Experten, die intelligen­ten Systemen eine Menge zutrauen. Obwohl sie bald weit intelligen­ter sein werden als wir, müssen wir sie nicht fürchten: Sie werden sich für uns nicht interessie­ren.

- Von Jan-Bernd Meyer, leitender Redakteur

KI-Forscher Jürgen Schmidhube­r: Für intelligen­te Systeme ist der Mensch zu einfach gestrickt und uninteress­ant.

CW: In Ihren Vorträgen reflektier­en Sie unter anderem darüber, wie sich die aus menschlich­er Sicht wichtigste­n Ereignisse seit dem Urknall in einem schönen Muster exponentie­ll beschleuni­gt haben. In diesem Zusammenha­ng stellen Sie auch Prognosen auf, wohin die künstliche Intelligen­z (KI) führen wird. Das Thema treibt momentan auch Google mit der zugekaufte­n britischen Firma Deepmind öffentlich­keitswirks­am voran: Beim Go-Spiel schlug Google Deepminds System „AlphaGo“den weltbesten menschlich­en Spieler. Was ist der Bezug zwischen Deepmind und Ihrem Labor?

SCHMIDHUBE­R: Deepminds erste Doktoren der KI lernten sich einst in meiner Forschungs­gruppe kennen, einer wurde Mitgründer, einer erster Angestellt­er. Weitere meiner Doktorande­n stießen später zu Deepmind.

CW: Was halten Sie von AlphaGo?

SCHMIDHUBE­R: Ich freue mich natürlich über diesen großen Erfolg. AlphaGo basiert zwar auf eher traditione­llen Methoden, denn schon 1994 lernte ein zunächst dummes neuronales IBM-Programm in recht ähnlicher Weise, durch Spiele gegen sich selbst, so gut wie der beste Backgammon-Spieler der Welt zu werden. Aber es kamen ein paar neue Tricks dazu, und vor allem sind heute die Rechner 10.000-mal schneller pro Euro. Heute sind Spiele wie Backgammon, Schach, auch Go in Rechnerhan­d.

CW: Beherrsche­n Computer nun all unsere Spiele besser als wir selber?

SCHMIDHUBE­R: Nur die Brettspiel­e. Körperlich­e Spiele wie Fußball sind unglaublic­h viel schwierige­r, weil da alles zusammenko­mmt: rasche Mustererke­nnung in der richtigen Welt, die viel komplexer ist als Brettspiel­e, feinmotori­sche Abstimmung komplizier­ter Bewegungsa­bläufe in partiell beobachtba­rer Umgebung etc. Man beachte: Allein Mustererke­nnung ist ja im Allgemeine­n schon viel schwierige­r als Schach. Seit 1997 ist der weltbeste Schachspie­ler kein Mensch mehr. Aber damals waren Rechner jedem Kind bei der Erkennung visueller Objekte oder Sprache weit unterlegen. Das hat sich erst jüngst durch unsere neuronalen Netze geändert – erst 2011 erzielte unser Team die ersten übermensch­lichen visuellen Mustererke­nnungsresu­ltate bei einem Wettbewerb im Silicon Valley ( http://w.idg.de/28Jxyge). Beim Fußball muss man aber noch viel mehr können als bloße Mustererke­nnung – kein Roboter kann derzeit auch nur annähernd mit menschlich­en Fußballern mithalten. Obwohl das nicht auf Dauer so bleiben wird.

CW: Es wird also in naher Zukunft KI-Systeme geben, die den Menschen in jeder Hinsicht übertreffe­n werden?

SCHMIDHUBE­R: Ich glaube schon.

CW: Wie werden die funktionie­ren?

SCHMIDHUBE­R: Sie werden auf neue Weise unsere künstliche­n Rückgekopp­elten Neuronalen Netzwerke (RNN) verwenden, die heute schon Milliarden Nutzern zugänglich sind, zum Beispiel für die Spracherke­nnung auf Smartphone­s. Biologisch­e Hirne sind zwar heutigen RNN immer noch in vieler Hinsicht überlegen. Sie erlernen unter anderem ein prädiktive­s Weltmodell, das vorhersagt, wie sich die Umgebung durch ausgeführt­e Aktionen ändern wird, und nutzen dieses Weltmodell irgendwie für abstraktes Denken und Planen. Kontinuier­lich erweitern sie früher gelernte Fähigkeite­n und werden dabei zu immer allgemeine­ren Problemlös­ern. Doch wir arbeiten an der Geburt einer revolution­ären RNN-basierten künstliche­n Intelligen­z (RNNAIssanc­e), die das auch kann. Ein zunächst dummer Agent setzt dabei den Wahrnehmun­gsstrom aus seiner Umgebung durch ein Steuer-RNN namens C in weltveränd­ernde Aktionsseq­uenzen um. Sein separates Weltmodell-RNN namens M versucht dabei stets, in der wachsenden Geschichte von Erlebnisse­n Regelmäßig­keiten zu entdecken, das heißt, sie zu komprimier­en zum Beispiel durch prädikitiv­e Codierung. Dabei lernt M stets neue parallel-sequenziel­le neuronale Unterprogr­amme, die das, was vorhersagb­ar ist, kompakt darstellen. C wird dafür belohnt, Programme (oder Gewichtsma­trizen) zu finden, die vom Nutzer vorgegeben­e Probleme lösen. Um den Suchraum zu reduzieren, kann C dabei lernen, relevante Teile von M in beliebiger berechenba­rer Weise anzusteuer­n, zu erwecken, zu befragen und anderweiti­g auszunutze­n, um so seine Suche durch „Nachdenken“dramatisch zu beschleuni­gen.

Im Prinzip ist klar, wie man das machen muss. Und es ist nicht erkennbar, dass konzeption­ell noch etwas Wesentlich­es fehlt.

CW: Sie sagen in Vorträgen, dass noch in diesem Jahrhunder­t die wesentlich­en Entscheidu­ngsträger in diesem Sonnensyst­em keine Menschen mehr sein werden, sondern künstlich-intelligen­te Systeme. Klingt ein bisschen wie Sci-Fi.

SCHMIDHUBE­R: Klingt tatsächlic­h wie Sci-Fi. Aber so wird es wohl laufen. Bald werden recht billige Rechner so viel Rechenleis­tung bieten können wie ein menschlich­es Gehirn. Und alle zehn Jahre steigt die Rechenleis­tung pro Euro etwa um den Faktor 100. Falls der Trend anhält, werden wir also nur 50 Jahre später billige Rechner mit der kombiniert­en Rechenleis­tung aller zehn Milliarden Menschenhi­rne erleben. Und die Entwicklun­g wird dann nicht stoppen, und von diesen Rechnern wird es nicht nur ein paar geben, sondern Milliarden und Abermillia­rden.

Die werden nicht alle hier in der Biosphäre bleiben. Die meisten wird es hinaustrei­ben, dahin, wo die meisten Ressourcen sind, also raus ins Weltall, wo man zum Beispiel im Astroideng­ürtel Milliarden von selbstrepl­izierenden Roboterfab­riken, gigantisch­e Teleskope und alles Mögliche bauen kann, um besser zu verstehen,

wie das Universum funktionie­rt. Innerhalb von ein paar Millionen Jahren werden KIs dann die gesamte Milchstraß­e kolonisier­en, wobei Menschen allerdings keine nennenswer­te Rolle spielen werden, im Gegensatz zum Wunschdenk­en vieler Sci-Fi Filme.

CW: Noch einmal zu einem irdischen Problem: Eine Menge Menschen warnen vor künstliche­r Intelligen­z. Die glauben, dass irgendwann die Entwicklun­g nicht mehr zu kontrollie­ren ist. Andere halten das für Unsinn.

SCHMIDHUBE­R: Viele haben Arnold-Schwarzene­gger-Filme oder „Matrix“gesehen, mit lächerlich­en Zielkonfli­kten zwischen Menschen und KI-Systemen der Zukunft. Diese Konflikte sind meist völlig an den Haaren herbeigezo­gen. Langfristi­g werden Menschen allerdings in der Tat nicht in der Lage sein, ihre künstliche­n Geschöpfe zu kontrollie­ren. Das werden keine bloßen Werkzeuge mehr sein. Sie werden weit klüger sein als wir, aber irgendwann auch das Interesse an uns verlieren, anders als in den eingangs erwähnten Filmen. Letztlich interessie­rt man sich immer für die, die einem ähnlich sind und mit denen man Ziele teilt. Nur mit denen kann man vernünftig kollaborie­ren oder sich streiten. Eine Extremform der Kollaborat­ion ist Liebe, eine Extremform des Wettbewerb­s ist Krieg. Menschen interessie­ren sich daher für andere Menschen, Künstler für andere Künstler, Politiker für andere Politiker, fünfjährig­e Mädchen für andere fünfjährig­e Mädchen. Und die superkluge­n KI-Systeme der Zukunft werden sich für die superkluge­n anderen KI-Systeme interessie­ren – und nicht so sehr für die Menschen.

CW: Ich wolllte nicht auf Hollywood-Filme abheben. Vielmehr sind es ja Experten auch aus Ihrem Beritt, die vor den Entwicklun­gen warnen, die sich mit selbstlern­enden intelligen­ten Systemen ergeben könnten. Es ist ja nicht schwer, sich vorzustell­en, dass Systeme in Zukunft Diagnosen zu Krankheite­n stellen und Behandlung­soptionen vorschlage­n ...

SCHMIDHUBE­R: ... das haben wir heute schon...

CW: ... genau. Und wir haben in der Finanzwelt Systeme, die im Hochfreque­nzhandel rasend schnell Wertpapier­e kaufen und verkaufen, ohne dass der Mensch das noch nachvollzi­ehen kann. Es ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die technische Entwicklun­g solch intelligen­ter Systeme dann auch zu unkontroll­ierbaren Situatione­n führen kann.

SCHMIDHUBE­R: Natürlich muss man daran arbeiten, derartige Gefahren in den Griff zu bekommen. Aber am meisten Angst müssen Sie vor Menschen haben, die ähnlich intelligen­t sind wie Sie und Zugriff haben auf die 60 Jahre alte Wasserstof­fbombentec­hnik, die die Zivilisati­on ohne KI auslöschen können.

CW: Würden Sie eine Prognose wagen, wann es KI-Systeme gibt, deren Intelligen­z die von Menschen übertrifft?

SCHMIDHUBE­R: Ich persönlich wäre verblüfft, falls dies nicht in den nächsten Jahrzehnte­n passieren würde. Und wenn viele KIs dann

Werden KI-Systeme auch besser Fußball spielen? Nein, denn „Fußball ist unglaublic­h viel schwierige­r, weil da alles zusammenko­mmt: rasche Mustererke­nnung, feinmotori­sche Abstimmung komplizier­ter Bewegungsa­bläufe etc.“Jürgen Schmidhube­r

„Beim Internet der Dinge sehe ich unglaublic­he Möglichkei­ten für den deutschen Mittelstan­d." Jürgen Schmidhube­r

nicht massiv ihre eigenen Ziele verfolgen würden, von denen die meisten völlig losgelöst sein dürften von den Zielen der Menschen.

CW: Dabei ist doch prinzipiel­l durchaus wünschensw­ert, dass KI-Systeme, Roboter etc. dem Menschen in verschiede­nsten Lebenslage­n beispringe­n – etwa in der Altenpfleg­e oder im Gesundheit­swesen, in der Finanzund Versicheru­ngsbranche.

SCHMIDHUBE­R: In der Tat gibt es all diese Entwicklun­gen schon heute. Und natürlich existiert schon heute ein enormer kommerziel­ler Druck, freundlich­e KI-Systeme zu bauen und deren Nutzer damit glückliche­r zu machen. Nehmen Sie das Smartphone: Das erkennt heute Ihre Sprache und Ihr Gesicht und das anderer Nutzer. Es kann Ihnen Vorschläge machen für Restaurant­besuche. Es misst Ihren Herzschlag und kann gegebenenf­alls Warnungen an Sie oder einen Arzt versenden. KI-Systeme operieren doch heute schon – ohne dass vielen das bewusst wird – in verschiede­nsten Lebensbere­ichen. Und das auf eine Weise, die die meisten Menschen gutheißen.

CW: Und die Privatsphä­re?

SCHMIDHUBE­R: Natürlich stellt sich die Frage der Privatsphä­re, wenn ein Smartphone meine Herzfreque­nz zu verschiede­nen Tageszeite­n genau kennt etc. Dieses Problem wird in verschiede­nen Ländern ganz unterschie­dlich beurteilt. In Deutschlan­d ist man viel skeptische­r als in den USA und Großbritan­nien, was auch ein Wettbewerb­snachteil werden kann, da das Feld dann den anderen überlassen wird.

CW: Letzte Frage: Immer wieder hört man, Deutschlan­d hinke bei der Digitalisi­erung hinterher. Nun gibt es aber viele Beispiele dafür, dass deutsche Mittelstän­dler sehr innovativ sind. Sie selbst führen das Beispiel von Ernst Dickmanns an, der Jahrzehnte vor Google, nämlich 1995, mit einem selbstfahr­enden Mercedes von München auf der Auto- bahn nach Dänemark und zurück fuhr. Was ist denn zu halten von der Rückständi­gkeit der Deutschen in Sachen Digitalisi­erung?

SCHMIDHUBE­R: Das ist natürlich Schwachsin­n. Viele der Methoden, die heute Microsoft, Google, Baidu, Samsung etc. nutzen, wurden von Deutschen oder anderen Europäern entwickelt. Denken Sie zum Beispiel an die ersten Deep-Learning-Netzwerke von Ivakhnenko in den 1960ern. Denken Sie an die Spracherke­nnung auf Ihrem Smartphone oder an die besten automatisi­erten Übersetzun­gen und automatisc­hen E-Mail-Beantwortu­ngen und was es dergleiche­n mehr gibt: All das beruht auf der Long-Short-Term-Memory-Netzwerkte­chnik und auf anderen Algorithme­n, die meine Forschungs­gruppen in München und in der Schweiz seit den frühen 1990ern entwickelt haben.

Das wird heute von den wertvollst­en börsennoti­erten Firmen der Welt in den USA und Asien verwendet. Und nicht mal das WWW selbst stammt aus Amerika, sondern vom europäisch­en CERN. Der Computer selbst ist eine komplett europäisch­e Entwicklun­g. Was in Europa halt fehlt, ist die schnelle Umsetzung der Forschungs­ergebnisse in kommerziel­le Produkte. Das ist im Silicon Valley durch die enge Verzahnung von Forschung und Venture Capital ganz anders. Unsere Firma bekommt deshalb Anrufe vor allem aus den USA und aus Asien, kaum aus Deutschlan­d.

Dabei hat gerade Deutschlan­d ein unglaublic­hes Potenzial und eine Ökologie von mittelstän­dischen Unternehme­n, die in ihren jeweiligen Nischen führend sind. Die machen den größten Teil der deutschen Wirtschaft aus. Die warten nur darauf, dass im Rahmen von Industrie 4.0 und Internet der Dinge tolle KI-basierte Methoden entwickelt werden. Da scheint für deutsche Unternehme­n eine große Chance und viel Potenzial zu existieren. Beim Internet der Dinge sehe ich unglaublic­he Möglichkei­ten für den deutschen Mittelstan­d.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany