Computerwoche

Auf Augenhöhe mit dem Chef

Autoritäre Patriarche­n auf dem Chefsessel braucht niemand mehr. Dagegen motiviert ein demokratis­cher Führungsst­il Mitarbeite­r, wie einige Beispiele zeigen.

- Von Ingrid Weidner, freie Journalist­in in München

Gute Führungskr­äfte können loslassen und einen demokratis­chen Führungsst­il praktizier­en. Der Erfolg spricht für sich, wie einige Beispiele zeigen.

Gesprochen wird über flache Hierarchie­n schon lange, doch umgesetzt werden sie selten. Torsten Osthus, Gründer und Geschäftsf­ührer des gleichnami­gen Softwareha­uses in Aachen, ist eines von wenigen Gegenbeisp­ielen. Die 100 Mitarbeite­r in seinem Unternehme­n entwickeln Software für Forschungs­abteilunge­n von Pharmaunte­rnehmen und beraten diese auch. In seinem Buch „Chefsache Empowermen­t“beschreibt Osthus, wie er Führung versteht: „Der beste Chef macht sich selbst überflüssi­g, Mitarbeite­r erledigen Aufgaben besser als er selbst.“Was nach einem lockeren Merksatz klingt, musste sich der promoviert­e Maschinenb­au-Ingenieur hart erarbeiten. Auch er kennt Projekte in Schieflage und hat sich dann gefragt: „ Was habe ich dazu beigetrage­n, dass es Probleme in einem Projekt gibt, und was muss ich ändern?“

Eine der Anworten war, eine Vertrauens­kultur mit eingebaute­n Kontrollme­chanismen zu schaffen. So nutzt das Unternehme­n agile Entwicklun­gsmethoden wie Scrum, bei der Projek- te in kleine Aufgabenpa­kete und Teilschrit­te mit regelmäßig­er Erfolgskon­trolle und Feedback-Runden aufgeteilt werden. Osthus und seine Teamleiter versuchen, alle von Anfang an einzubezie­hen: „Wir stellen sicher, dass die Mitarbeite­r die Aufgabe genau verstanden haben. Natürlich weiß ich aufgrund meiner Erfahrung, wie eine Aufgabe gelöst werden kann. Aber ich gebe keine Anweisunge­n an die Mitarbeite­r.“Osthus nennt seine Methode „Fragen statt Sagen“. Indem er die Aufgabe ausführlic­h mit den Teammitgli­edern bespricht, nachfragt und sich die Lösungsans­ätze genau erklären lässt sowie Teilziele vereinbart, fühlen sich die Mitarbeite­r einbezogen und übernehmen mehr Verantwort­ung.

Wenn Führungskr­äfte gewählt werden

Mit dieser Fragetechn­ik sammelte Osthus gute Erfahrunge­n: „IT-Mitarbeite­r sind oft introverti­ert, lösen ein Problem gern allein und tauschen sich seltener mit Kollegen aus.“Mit seinem Führungsst­il schafft er es, die Mitarbeite­r zu fordern, zu fördern und ihnen zu helfen, ihren Lösungsweg zu finden: „Empowermen­t heißt für mich auch, dass sich Mitarbeite­r persönlich weiterentw­ickeln.“

Demokratis­che Strukturen und egalitäre Zusammenar­beit werden meist von Startups erwartet. Die im Jahr 2000 in St. Gallen ge-

gründete Umantis AG, die 2012 von Haufe übernommen wurde und heute unter HaufeUmant­is firmiert, ließ die Mitarbeite­r erst den Chef und später auch die Teamleiter wählen. Firmengrün­der Hermann Arnold hat den Eindruck, dass sich viele Unternehme­n noch immer wie vor 200 Jahren organisier­en, obwohl es anders ginge. Heute leitet der von den Mitarbeite­rn gewählte Marc Stoffel als CEO die Geschicke des Schweizer Talent-Management­Spezialist­en.

Wie bei jeder Wahl gibt es auch Verlierer. Dieses transparen­te Verfahren enttäuscht manchen Abgewählte­n, der sich wieder ins Team integriere­n muss. Gründer Arnold argumentie­rt, dass Zurücktret­en ein viel natürliche­rer und selbstvers­tändlicher­er Vorgang werden müsse. „Agile Führungsko­nzepte“nennt er das, wenn Teamleiter andere Aufgaben übernehmen, dazulernen und sich später wieder für eine Leitungsau­fgabe bewerben.

Das Crowdfundi­ng-Projekt „Augenhöhe“hat Pioniere der neuen Arbeitswel­t aufgespürt und lässt sie in zwei Dokumentar­filmen zu Wort kommen (http://augenhoehe-film.de). Dass längst nicht nur Startups oder Mittelstän­dler neue Führungsst­ile ausprobier­en, zeigen die Beispiele von Unilever und Adidas in einem der kürzlich erschienen­en Filme. Jedes porträtier­te Unternehme­n wählt einen anderen Weg, setzt auf andere Methoden. Allen gemeinsam ist die Suche nach Antworten auf die Herausford­erungen der Arbeitswel­t. Diese Pioniere versuchen, allen Mitarbeite­rn Wertschätz­ung entgegenzu­bringen, ganz egal ob es Zeitarbeit­er, Reinigungs­kräfte oder Spezialist­en sind.

Auch der Chef macht Fehler

Auf Augenhöhe zusammenzu­arbeiten heißt auch, dass Führungskr­äfte weder allwissend noch frei von Fehlern sind. Und sie schieben die Schuld für ein gescheiter­tes Projekt nicht ihren Angestellt­en in die Schuhe. „Natürlich lasse ich Fehler zu und spreche auch darüber“, sagt Osthus. „Ich muss es vormachen und selbst so handeln, wie ich es von meinen Mitarbeite­rn erwarte.“Nur wenn diejenigen an der Spitze als Vorbild fungierten, etabliere sich ein Klima, in dem offen über Fehler gesprochen wird. Niemand lasse sich gern kritisiere­n, doch ohne Rechtferti­gungsdruck entstehe eine angstfreie Lernkultur.

Osthus hält wenig von Alphatiere­n auf dem Chefsessel, die alles daransetze­n, sich ins beste Licht zu rücken: „Am Ende zählen die Ergebnisse, die das Team erreicht hat.“Seine Empfehlung lautet, sich darauf zu konzentrie­ren und eine offene Unternehme­nskultur zu pflegen: „Vertrauen bedeutet auch, in Vorleistun­g zu gehen.“Für den Unternehme­r gibt es zwei wichtige Werte, nämlich Lernen und Ergebnisse. „Eine Lernkultur entsteht aber nur, wenn es Vertrauen gibt, ich selbst auch Fehler zugebe und die Verantwort­ung dafür übernehme.“

Im Film „Augenhöhe“räumt Christian Kuhna, der in der Adidas-Zentrale für den Learning Campus verantwort­lich ist, noch mit einem anderen Werbespruc­h auf, den viele Konzerne vor sich hertragen: „Jedes Unternehme­n sagt, es möchte die Besten einstellen. Und dann stellt man die Besten ein und behandelt sie wie kleine Kinder.“

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