Auf Augenhöhe mit dem Chef
Autoritäre Patriarchen auf dem Chefsessel braucht niemand mehr. Dagegen motiviert ein demokratischer Führungsstil Mitarbeiter, wie einige Beispiele zeigen.
Gute Führungskräfte können loslassen und einen demokratischen Führungsstil praktizieren. Der Erfolg spricht für sich, wie einige Beispiele zeigen.
Gesprochen wird über flache Hierarchien schon lange, doch umgesetzt werden sie selten. Torsten Osthus, Gründer und Geschäftsführer des gleichnamigen Softwarehauses in Aachen, ist eines von wenigen Gegenbeispielen. Die 100 Mitarbeiter in seinem Unternehmen entwickeln Software für Forschungsabteilungen von Pharmaunternehmen und beraten diese auch. In seinem Buch „Chefsache Empowerment“beschreibt Osthus, wie er Führung versteht: „Der beste Chef macht sich selbst überflüssig, Mitarbeiter erledigen Aufgaben besser als er selbst.“Was nach einem lockeren Merksatz klingt, musste sich der promovierte Maschinenbau-Ingenieur hart erarbeiten. Auch er kennt Projekte in Schieflage und hat sich dann gefragt: „ Was habe ich dazu beigetragen, dass es Probleme in einem Projekt gibt, und was muss ich ändern?“
Eine der Anworten war, eine Vertrauenskultur mit eingebauten Kontrollmechanismen zu schaffen. So nutzt das Unternehmen agile Entwicklungsmethoden wie Scrum, bei der Projek- te in kleine Aufgabenpakete und Teilschritte mit regelmäßiger Erfolgskontrolle und Feedback-Runden aufgeteilt werden. Osthus und seine Teamleiter versuchen, alle von Anfang an einzubeziehen: „Wir stellen sicher, dass die Mitarbeiter die Aufgabe genau verstanden haben. Natürlich weiß ich aufgrund meiner Erfahrung, wie eine Aufgabe gelöst werden kann. Aber ich gebe keine Anweisungen an die Mitarbeiter.“Osthus nennt seine Methode „Fragen statt Sagen“. Indem er die Aufgabe ausführlich mit den Teammitgliedern bespricht, nachfragt und sich die Lösungsansätze genau erklären lässt sowie Teilziele vereinbart, fühlen sich die Mitarbeiter einbezogen und übernehmen mehr Verantwortung.
Wenn Führungskräfte gewählt werden
Mit dieser Fragetechnik sammelte Osthus gute Erfahrungen: „IT-Mitarbeiter sind oft introvertiert, lösen ein Problem gern allein und tauschen sich seltener mit Kollegen aus.“Mit seinem Führungsstil schafft er es, die Mitarbeiter zu fordern, zu fördern und ihnen zu helfen, ihren Lösungsweg zu finden: „Empowerment heißt für mich auch, dass sich Mitarbeiter persönlich weiterentwickeln.“
Demokratische Strukturen und egalitäre Zusammenarbeit werden meist von Startups erwartet. Die im Jahr 2000 in St. Gallen ge-
gründete Umantis AG, die 2012 von Haufe übernommen wurde und heute unter HaufeUmantis firmiert, ließ die Mitarbeiter erst den Chef und später auch die Teamleiter wählen. Firmengründer Hermann Arnold hat den Eindruck, dass sich viele Unternehmen noch immer wie vor 200 Jahren organisieren, obwohl es anders ginge. Heute leitet der von den Mitarbeitern gewählte Marc Stoffel als CEO die Geschicke des Schweizer Talent-ManagementSpezialisten.
Wie bei jeder Wahl gibt es auch Verlierer. Dieses transparente Verfahren enttäuscht manchen Abgewählten, der sich wieder ins Team integrieren muss. Gründer Arnold argumentiert, dass Zurücktreten ein viel natürlicherer und selbstverständlicherer Vorgang werden müsse. „Agile Führungskonzepte“nennt er das, wenn Teamleiter andere Aufgaben übernehmen, dazulernen und sich später wieder für eine Leitungsaufgabe bewerben.
Das Crowdfunding-Projekt „Augenhöhe“hat Pioniere der neuen Arbeitswelt aufgespürt und lässt sie in zwei Dokumentarfilmen zu Wort kommen (http://augenhoehe-film.de). Dass längst nicht nur Startups oder Mittelständler neue Führungsstile ausprobieren, zeigen die Beispiele von Unilever und Adidas in einem der kürzlich erschienenen Filme. Jedes porträtierte Unternehmen wählt einen anderen Weg, setzt auf andere Methoden. Allen gemeinsam ist die Suche nach Antworten auf die Herausforderungen der Arbeitswelt. Diese Pioniere versuchen, allen Mitarbeitern Wertschätzung entgegenzubringen, ganz egal ob es Zeitarbeiter, Reinigungskräfte oder Spezialisten sind.
Auch der Chef macht Fehler
Auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten heißt auch, dass Führungskräfte weder allwissend noch frei von Fehlern sind. Und sie schieben die Schuld für ein gescheitertes Projekt nicht ihren Angestellten in die Schuhe. „Natürlich lasse ich Fehler zu und spreche auch darüber“, sagt Osthus. „Ich muss es vormachen und selbst so handeln, wie ich es von meinen Mitarbeitern erwarte.“Nur wenn diejenigen an der Spitze als Vorbild fungierten, etabliere sich ein Klima, in dem offen über Fehler gesprochen wird. Niemand lasse sich gern kritisieren, doch ohne Rechtfertigungsdruck entstehe eine angstfreie Lernkultur.
Osthus hält wenig von Alphatieren auf dem Chefsessel, die alles daransetzen, sich ins beste Licht zu rücken: „Am Ende zählen die Ergebnisse, die das Team erreicht hat.“Seine Empfehlung lautet, sich darauf zu konzentrieren und eine offene Unternehmenskultur zu pflegen: „Vertrauen bedeutet auch, in Vorleistung zu gehen.“Für den Unternehmer gibt es zwei wichtige Werte, nämlich Lernen und Ergebnisse. „Eine Lernkultur entsteht aber nur, wenn es Vertrauen gibt, ich selbst auch Fehler zugebe und die Verantwortung dafür übernehme.“
Im Film „Augenhöhe“räumt Christian Kuhna, der in der Adidas-Zentrale für den Learning Campus verantwortlich ist, noch mit einem anderen Werbespruch auf, den viele Konzerne vor sich hertragen: „Jedes Unternehmen sagt, es möchte die Besten einstellen. Und dann stellt man die Besten ein und behandelt sie wie kleine Kinder.“