Erst nachdenken, dann digitalisieren
Man mag die Schlagwörter Internet of Things (IoT), Industrie 4.0 und Digitalisierung kaum noch hören. Weghören ist aber auch keine Lösung, steigt doch der Handlungsdruck immer stärker. Am Ende führt an einer sorgfältig erarbeiteten Digitalstrategie kein W
Viele Firmen nehmen sich in der Hektik des betrieblichen Alltags nicht ausreichend Zeit, um die Weichen für den Weg in die digitale Zukunft zu stellen. Doch wer hier keine echte Strategie entwickelt, handelt sich schwerste Probleme ein.
In deutschen Unternehmen herrscht derzeit eine Mischung aus Sorge und Hoffnung: Sorge davor, den digitalen Anschluss zu verlieren, und die Hoffnung, Märkte und Branchen weiterhin federführend zu gestalten. Doch wo hakt es?
Hindernisse der digitalen Transformation
Wenn Veränderungen nur langsam voranschreiten, dann hat das meist einen Grund: das turbulente Tagesgeschäft. Meetings, E-Mails, Telefonate, Anfragen, Beschwerden, Projekte, To-dos, Konferenzen und vieles mehr prasseln in unglaublicher Geschwindigkeit auf die Mitarbeiter ein. Das Tagesgeschäft gleicht einem Tornado. Er wütet so schnell und heftig, dass er die volle Aufmerksamkeit der Betroffenen erfordert. Veränderungen müssen inmitten dieses Tornados umgesetzt werden – das bringt viele Menschen an ihre physischen und mentalen Grenzen. An dieser Unruhe sind wir oft selbst schuld. Statt ein gemeinsames Verständnis vom Ziel zu erarbeiten und uns die Frage zu stellen, wie wir möglichst schnell, einfach und günstig dort hinkommen, legen wir oft aktionistisch und wenig planvoll los. Die Aktivitäten nehmen uns so in Beschlag, dass wir das Ziel aus den Augen verlieren.
Die treibende Kraft dahinter mögen die meisten nicht beim Namen nennen: Es ist die Angst! Die Angst davor, technische Innovationssprünge zu verpassen oder aufs falsche Pferd zu setzen. Manchmal auch die Angst vor internen Machtkämpfen: Um kritische Auseinandersetzungen mit Inhaber, Aufsichtsrat oder Vorgesetztem zu vermeiden, weist man lieber anhand unzähliger Aktivitäten nach, dass man ja alles versucht hat, um erfolgreich zu sein. Doch Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber. Nachdenken führt ans Ziel.
In den vergangenen 15 Jahren wurde die ITWelt in den Unternehmen immer komplexer. Die Funktionsvielfalt wuchs, die Zahl der Subsysteme explodierte, und die Systemlandschaften verschachtelten sich. Um aufzubauen, zu administrieren und zu betreiben, mussten sich die IT-Mitarbeiter spezialisieren. So entstanden in der IT eine Menge Silos. Generalisten mit einem übergreifenden Verständnis wurden zu einer seltenen Spezies.
Die Komplexität wuchs auch durch die steigende Zahl von Angriffen und Spionageattacken. Deshalb gehören heute IT-Security-Systeme und organisatorische Reglementierungen zum Firmenalltag. Das führt zu teilweise abstrusen Situationen. So erlauben viele IT-Sicherheitsverantwortliche oft nicht die Nutzung von Cloud-Services, definieren aber andererseits auch keine klaren Standards, was dazu führt, dass Public-Cloud-Services trotzdem genutzt werden und die Schatten-IT zu einem immer größeren Problem wird.
Reibungsverluste, Silo-Spezialisierungen und Schnittstellendiskussionen führen dazu, dass die IT eher als Verhinderer denn als Enabler
wahrgenommen wird. Das hat mehrere Ursachen, unter anderem in der Projektumsetzung: Für viele Projekte ist das Wasserfallmodell zu träge, und aktuelle Entwicklungen können nicht zeitnah berücksichtigt werden. Agile Ansätze wie Scrum oder DevOps sind längst bekannt, haben sich aber bei Weitem noch nicht durchgesetzt.
Außerdem läuft die Zusammenarbeit von Business und IT in vielen Unternehmen immer noch nicht rund. In produzierenden Unternehmen etwa lässt sich beobachten, dass die Classic- und die Produktions-IT getrennt arbeiten. Für die Classic IT stehen die Themen Sicherstellung des Betriebs, Lifecycle-Themen, Standardisierung und IT-Security im Vordergrund. Für neue Themen und Projekte fehlen die Ressourcen. So haftet der Classic IT oft der Ruf an, wenig innovativ und kooperationsbereit zu sein.
Um ein Unternehmen in das digitale Zeitalter zu führen, braucht es Fortschritte in drei Bereichen: Phantasie: Bevor irgendetwas von Zustand A in Zustand B transformiert werden kann, muss Zustand B beschrieben sein. Die Beteiligten brauchen ein klares Bild davon, wohin die Reise gehen soll. Zwar haben viele Mittelständler schon Digitalisierungsprojekte umgesetzt, doch handelt es sich meist eher um „Projektchen“und keine grundlegenden Initiativen, um Geschäftsmodelle zu veredeln oder gar neue zu entwickeln. Es bedarf also der Phantasie und des Mutes, auch mal Dinge zu durchdenken, die zunächst als absurd erscheinen. Und wenn aus einer Business-Perspektive heraus die Zukunft neu gedacht wird, lässt sich auch der Nutzen von IT klarer erkennen. Denn die IT ist dann der wesentliche Möglichmacher in einer durchdachten Digitalisierungsstrategie.
Pragmatismus: Unternehmen brauchen eine agile, integrative Vorgehensweise in Projekten. Teams setzen sich aus Experten der Entwicklung, der Administration und dem Betrieb sowie aus dem Business und den internen Kunden zusammen. Die Silos innerhalb der IT müssen aufgebrochen werden. Das Betriebsmodell des Software-defined Data Center zeigt die Blaupause für die Organisation der Zukunft.
Im Bereich Industrie 4.0 gilt es, die Silos Classic- und Produktions-IT zusammenzuführen, um identische Themen standardisiert zu bearbeiten. IT-Prozesse wie etwa Inventory, Incident- und Change-Management müssen auf derselben Plattform abgebildet werden.Standardisiert werden müssen auch vermeintlich einfache Aufgaben von der IP-Adress-Vergabe über Verkabelung, LAN und WLAN bis hin zur Security. Andererseits müssen alle Beteiligten akzeptieren, dass bestimmte Themen (etwa Lifecycle) in der Produktions-IT anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen als in der Classic IT. Hier gilt es adaptierte Lösungen zu implementieren, beispielsweise „goldene Käfige“.
Produktions- und Classic IT müssen dieselben Geschäftsziele verfolgen und für die permanent steigenden Security-Anforderungen sichere und beherrschbare Standards definieren. Letztendlich müssen auch die Organisationsstruktur, Kommunikationsplattform und -kultur den aktuellen Anforderungen aus Industrie 4.0 und Digitalisierung angepasst werden.
Führung: All das Beschriebene funktioniert nur, wenn es verantwortungsbewusste, wirkungsvolle Führungskräfte gibt. Die Herausforderung ist, dass sich Zukunftssicherheit nur in übergreifender Zusammenarbeit erreichen lässt. IT und Business müssen gemeinsam an der Lösung arbeiten. Dafür sind Führungspersönlichkeiten gefragt, die mit allen Beteiligten gut kommunizieren und flexibel die jeweilige Perspektive einnehmen können. Es gilt, eine Klammer um IT-, Kunden- und Marketing-/ Vertriebssicht zu bilden, um daraus ein gemeinsames Verständnis vom Ziel und dem Weg dorthin zu erarbeiten. Nur dann gelingt es, die nötige Schlagkraft im Markt zu entwickeln.