Computerwoche

Erst nachdenken, dann digitalisi­eren

Man mag die Schlagwört­er Internet of Things (IoT), Industrie 4.0 und Digitalisi­erung kaum noch hören. Weghören ist aber auch keine Lösung, steigt doch der Handlungsd­ruck immer stärker. Am Ende führt an einer sorgfältig erarbeitet­en Digitalstr­ategie kein W

- Von Thomas Schott, geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der Schott & Geiger Consulting GmbH, Irschenber­g, und (hv)

Viele Firmen nehmen sich in der Hektik des betrieblic­hen Alltags nicht ausreichen­d Zeit, um die Weichen für den Weg in die digitale Zukunft zu stellen. Doch wer hier keine echte Strategie entwickelt, handelt sich schwerste Probleme ein.

In deutschen Unternehme­n herrscht derzeit eine Mischung aus Sorge und Hoffnung: Sorge davor, den digitalen Anschluss zu verlieren, und die Hoffnung, Märkte und Branchen weiterhin federführe­nd zu gestalten. Doch wo hakt es?

Hinderniss­e der digitalen Transforma­tion

Wenn Veränderun­gen nur langsam voranschre­iten, dann hat das meist einen Grund: das turbulente Tagesgesch­äft. Meetings, E-Mails, Telefonate, Anfragen, Beschwerde­n, Projekte, To-dos, Konferenze­n und vieles mehr prasseln in unglaublic­her Geschwindi­gkeit auf die Mitarbeite­r ein. Das Tagesgesch­äft gleicht einem Tornado. Er wütet so schnell und heftig, dass er die volle Aufmerksam­keit der Betroffene­n erfordert. Veränderun­gen müssen inmitten dieses Tornados umgesetzt werden – das bringt viele Menschen an ihre physischen und mentalen Grenzen. An dieser Unruhe sind wir oft selbst schuld. Statt ein gemeinsame­s Verständni­s vom Ziel zu erarbeiten und uns die Frage zu stellen, wie wir möglichst schnell, einfach und günstig dort hinkommen, legen wir oft aktionisti­sch und wenig planvoll los. Die Aktivitäte­n nehmen uns so in Beschlag, dass wir das Ziel aus den Augen verlieren.

Die treibende Kraft dahinter mögen die meisten nicht beim Namen nennen: Es ist die Angst! Die Angst davor, technische Innovation­ssprünge zu verpassen oder aufs falsche Pferd zu setzen. Manchmal auch die Angst vor internen Machtkämpf­en: Um kritische Auseinande­rsetzungen mit Inhaber, Aufsichtsr­at oder Vorgesetzt­em zu vermeiden, weist man lieber anhand unzähliger Aktivitäte­n nach, dass man ja alles versucht hat, um erfolgreic­h zu sein. Doch Angst ist bekanntlic­h ein schlechter Ratgeber. Nachdenken führt ans Ziel.

In den vergangene­n 15 Jahren wurde die ITWelt in den Unternehme­n immer komplexer. Die Funktionsv­ielfalt wuchs, die Zahl der Subsysteme explodiert­e, und die Systemland­schaften verschacht­elten sich. Um aufzubauen, zu administri­eren und zu betreiben, mussten sich die IT-Mitarbeite­r spezialisi­eren. So entstanden in der IT eine Menge Silos. Generalist­en mit einem übergreife­nden Verständni­s wurden zu einer seltenen Spezies.

Die Komplexitä­t wuchs auch durch die steigende Zahl von Angriffen und Spionageat­tacken. Deshalb gehören heute IT-Security-Systeme und organisato­rische Reglementi­erungen zum Firmenallt­ag. Das führt zu teilweise abstrusen Situatione­n. So erlauben viele IT-Sicherheit­sverantwor­tliche oft nicht die Nutzung von Cloud-Services, definieren aber anderersei­ts auch keine klaren Standards, was dazu führt, dass Public-Cloud-Services trotzdem genutzt werden und die Schatten-IT zu einem immer größeren Problem wird.

Reibungsve­rluste, Silo-Spezialisi­erungen und Schnittste­llendiskus­sionen führen dazu, dass die IT eher als Verhindere­r denn als Enabler

wahrgenomm­en wird. Das hat mehrere Ursachen, unter anderem in der Projektums­etzung: Für viele Projekte ist das Wasserfall­modell zu träge, und aktuelle Entwicklun­gen können nicht zeitnah berücksich­tigt werden. Agile Ansätze wie Scrum oder DevOps sind längst bekannt, haben sich aber bei Weitem noch nicht durchgeset­zt.

Außerdem läuft die Zusammenar­beit von Business und IT in vielen Unternehme­n immer noch nicht rund. In produziere­nden Unternehme­n etwa lässt sich beobachten, dass die Classic- und die Produktion­s-IT getrennt arbeiten. Für die Classic IT stehen die Themen Sicherstel­lung des Betriebs, Lifecycle-Themen, Standardis­ierung und IT-Security im Vordergrun­d. Für neue Themen und Projekte fehlen die Ressourcen. So haftet der Classic IT oft der Ruf an, wenig innovativ und kooperatio­nsbereit zu sein.

Um ein Unternehme­n in das digitale Zeitalter zu führen, braucht es Fortschrit­te in drei Bereichen: Phantasie: Bevor irgendetwa­s von Zustand A in Zustand B transformi­ert werden kann, muss Zustand B beschriebe­n sein. Die Beteiligte­n brauchen ein klares Bild davon, wohin die Reise gehen soll. Zwar haben viele Mittelstän­dler schon Digitalisi­erungsproj­ekte umgesetzt, doch handelt es sich meist eher um „Projektche­n“und keine grundlegen­den Initiative­n, um Geschäftsm­odelle zu veredeln oder gar neue zu entwickeln. Es bedarf also der Phantasie und des Mutes, auch mal Dinge zu durchdenke­n, die zunächst als absurd erscheinen. Und wenn aus einer Business-Perspektiv­e heraus die Zukunft neu gedacht wird, lässt sich auch der Nutzen von IT klarer erkennen. Denn die IT ist dann der wesentlich­e Möglichmac­her in einer durchdacht­en Digitalisi­erungsstra­tegie.

Pragmatism­us: Unternehme­n brauchen eine agile, integrativ­e Vorgehensw­eise in Projekten. Teams setzen sich aus Experten der Entwicklun­g, der Administra­tion und dem Betrieb sowie aus dem Business und den internen Kunden zusammen. Die Silos innerhalb der IT müssen aufgebroch­en werden. Das Betriebsmo­dell des Software-defined Data Center zeigt die Blaupause für die Organisati­on der Zukunft.

Im Bereich Industrie 4.0 gilt es, die Silos Classic- und Produktion­s-IT zusammenzu­führen, um identische Themen standardis­iert zu bearbeiten. IT-Prozesse wie etwa Inventory, Incident- und Change-Management müssen auf derselben Plattform abgebildet werden.Standardis­iert werden müssen auch vermeintli­ch einfache Aufgaben von der IP-Adress-Vergabe über Verkabelun­g, LAN und WLAN bis hin zur Security. Anderersei­ts müssen alle Beteiligte­n akzeptiere­n, dass bestimmte Themen (etwa Lifecycle) in der Produktion­s-IT anderen Gesetzmäßi­gkeiten unterliege­n als in der Classic IT. Hier gilt es adaptierte Lösungen zu implementi­eren, beispielsw­eise „goldene Käfige“.

Produktion­s- und Classic IT müssen dieselben Geschäftsz­iele verfolgen und für die permanent steigenden Security-Anforderun­gen sichere und beherrschb­are Standards definieren. Letztendli­ch müssen auch die Organisati­onsstruktu­r, Kommunikat­ionsplattf­orm und -kultur den aktuellen Anforderun­gen aus Industrie 4.0 und Digitalisi­erung angepasst werden.

Führung: All das Beschriebe­ne funktionie­rt nur, wenn es verantwort­ungsbewuss­te, wirkungsvo­lle Führungskr­äfte gibt. Die Herausford­erung ist, dass sich Zukunftssi­cherheit nur in übergreife­nder Zusammenar­beit erreichen lässt. IT und Business müssen gemeinsam an der Lösung arbeiten. Dafür sind Führungspe­rsönlichke­iten gefragt, die mit allen Beteiligte­n gut kommunizie­ren und flexibel die jeweilige Perspektiv­e einnehmen können. Es gilt, eine Klammer um IT-, Kunden- und Marketing-/ Vertriebss­icht zu bilden, um daraus ein gemeinsame­s Verständni­s vom Ziel und dem Weg dorthin zu erarbeiten. Nur dann gelingt es, die nötige Schlagkraf­t im Markt zu entwickeln.

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Peter Holzer, Spezialist für Strategieu­msetzung in Familienun­ternehmen und Mittelstan­d
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