Offene Bürokonzepte
Die Art d der Tätigkeit sollte da darüber entscheiden, wie gear gearbeitet wird.
Offene Bürolandschaften verdrängen immer mehr Einzelbüros. Doch Dogmatik ist hier wenig hilfreich. Es empfiehlt sich, den Blick auf die Tätigkeit zu richten.
Wer das helle Büro von Q2factory betritt, dem fallen sofort die leeren Schreibtische auf. Papier oder Ordner sind nirgends zu sehen. Nur zwei DesktopComputer gibt es für die Assistentinnen der Münchner IT-Management-Beratung. In dem offenen Raum warten 15 Arbeitsplätze auf knapp 40 Mitarbeiter. Zwei mit Glaselementen abgeschlossene Büros versprechen etwas Privatsphäre. „Wir haben das papierlose Büro realisiert“, freut sich Geschäftsführer Thomas Popp, eingehende Post wird per PDF zugestellt.
Ein Berater sitzt an einem Schreibtisch und telefoniert, einen Laptop vor sich, zwei Kollegen haben sich in einen Besprechungsraum zurückgezogen. Büros für die Geschäftsführer gibt es nicht. Auch Thomas Popp setzt sich an einen der freien Schreibtische, die nicht buchbar sind. Nur Besprechungsraum und die Einzelbüros lassen sich reservieren.
Nachdem der 53-jährige Informatiker seine vorherige Firma verkauft hatte, wollte er vieles anders machen: kein Wachstum um jeden Preis, ausgewählte Projekte und eigenverantwortliche Mitarbeiter. 2011 gründete er Q2factory, eine klassische IT-Unternehmensberatung, die auch SAP-Implementierungen übernimmt. Er suchte zuerst Büroräume im Zentrum, dann die Mitarbeiter. In seinen mehr als 25 Berufsjahren hat er viele Bürokonzepte erlebt – und durchlitten: vom Großraumbüro über Cubicals nach amerikanischem Vorbild bis hin zum Einzelbüro. „Wenn der Status im Unternehmen über das Büro vermittelt wird und Sie als Neuer in die Besenkammer kommen, kennen Sie das Wertesystem ihres Arbeitgebers sofort.“
Er erinnert sich an Bürotürme, die irgendwo in der Periphere angesiedelt waren. Man saß dort im Niemandsland fest. „Ich bin morgens aus meiner Garage gefahren, im Büro in die Tiefgarage und abends wieder nach Hause. Das wollte ich nicht mehr.“Wenn Popp heute ins Büro am Münchner Gärtnerplatz geht, erledigt er zwischen zwei Terminen Einkäufe, trifft sich mit Kollegen oder Geschäftspartnern zum Mittagessen. „Wenn ich ins Büro gehe, ist das für mich fast wie Urlaub.“
Lounge und Barrista-Bar gehören dazu
Seit gut 20 Jahren erforschen Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in dem Projekt „Office 21“das Arbeitsumfeld von Wissensarbeitern. Im Zuge der Digitalisierung und durch die neueren mobilen Arbeitsmittel lassen sich die Zukunftsszenarien nun umsetzen. Firmen wie Google, Microsoft, Adidas oder Unilever haben mit ihren neuen Büros Furore gemacht. Sofas, Lounge-Zonen in kräftigen Farben und eine Barrista-Bar fehlen in keinem Konzept. Doch fühlen sich die Mitarbeiter dort wohl? Darüber gibt es kaum wissenschaftliche Studien. Angestellte in Großraumbüros klagen oft über den Lärmpegel und die soziale Kontrolle durch die Kollegen: „Der Meier trinkt schon wieder Kaffee mit der Müller vom Sales ...“
Nick Kratzer vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München möchte
in einer Studie mit Projektpartnern herausfinden, wie moderne Open-Space-Arbeitswelten gestaltet sein sollten, damit sich die Mitarbeiter wohlfühlen, produktiv arbeiten und gesund bleiben. Das Projekt „Präventionsorientierte Gestaltung von neuen (Open-Space-)Arbeitswelten“(PräGeWelt) wird vom Bundesforschungsministerium gefördert.
„Open-Space-Büros sind nicht besser oder schlechter als Einzelbüros. Es kommt darauf an, welche Aufgaben die Mitarbeiter haben“, sagt Kratzer. Wer Software entwickelt, für den kann es nützlich sein, mit den Kollegen in einer Büroumgebung zu sitzen. Wenn aber das Vertriebsteam aus Kostengründen im selben Office sitzt, dann helfen oft nur Kopfhörer.
„Es braucht räumliche Lösungen, um konzentriertes Arbeiten zu ermöglichen, und klare Verhaltensregeln“, sagt Kratzer. Mancher versteckt sich hinter einer Topfpflanze, andere stellen ein Bitte-nicht-stören-Schild auf oder ziehen sich ins Home Office zurück, wenn sie in Ruhe arbeiten wollen. Kratzer kennt auch Firmen, in denen sich Kollegen im Open-SpaceBüro zuerst per Chat kontaktieren.
Bedenken gegenüber offenen Bürolandschaften sind keine Frage des Alters. Manche Angestellte fühlen sich überrumpelt, wenn sie bei architektonischen Planungen nicht mitreden dürfen. Auch wenn die Sofas bunt und die CaféEcken stylisch sind, geht es oft darum, Büroflächen und Kosten zu reduzieren. Erfolgreicher sind Lösungen, die vor allem eine bessere Arbeitsatmosphäre für die Mitarbeiter anstreben, so Kratzer. Das ISF-Team möchte auch herausfinden, ob Kontrolle durch Kollegen und Vorgesetzte Mitarbeiter stresst: „Im verglasten Einzelbüro, das für jeden einsehbar ist, muss man stets fleißig wirken. Selbst wenn man eine kleine Pause macht, muss es nach Arbeit aussehen.“
Vertrauen statt Kontrolle
Bei Q2factory funktionieren offene Räume, wenige Regeln und ein Vertrauensvorschuss gegenüber den Mitarbeitern. Die Beschäftigten bringen langjährige Berufserfahrung mit, sind viel unterwegs und wollen selbständig arbeiten. Feste Bürozeiten würden dieser Idee widersprechen. Q2factory berät seine Kunden nicht nur rund um die Digitalisierung, sondern probiert auch selbst aus. Popp räumt ein, dass sich sein Modell nicht für jeden eignet.
„Mitarbeiter, die in den Beruf einsteigen, tun sich schwer mit unserem Konzept. Sie wünschen sich oft feste Strukturen.“Bewerber entscheiden sich also auch für oder gegen ein fle- xibles Arbeitskonzept. „Es muss klar sein, worauf sich der neue Mitarbeiter einlässt.“In den vergangenen fünf Jahren sei es noch nie vorgekommen, dass alle gleichzeitig im Büro arbeiten wollten. Die Plätze würden auch nicht ausreichen. „Die Kollegen kommen ins Büro, um sich auszutauschen und gemeinsam an einer Präsentation zu arbeiten. Das organisiert jedes Team für sich.“Popp weiß auch nicht, wer wann Urlaub nimmt, das besprechen die Mitarbeiter mit ihrem Projektleiter, es gibt keinen gemeinsamen Kalender. Ob jemand im Urlaub Anrufe entgegennimmt oder eine Vertretung einsetzt, entscheidet jeder für sich. In der Regel sind die Mitarbeiter drei Tage beim Kunden und an den anderen Tagen im Home Office oder im Büro.
Für manchen Chef oder Betriebsrat wäre das eine Horrorvorstellung, doch Popp und seinem Team scheint das freie und selbständige Arbeiten zu gefallen: „Wir haben keine harte Trennung zwischen Beruf und Privatleben.“In all den Jahren habe noch niemand gekündigt. Es gibt nur wenige verbindliche Vereinbarungen. Etwa die: Wenn in einem Projekt ein Problem auftritt, erhält der Verantwortliche eine SMS, auf die er sich binnen 24 Stunden meldet. Das sei auch so mit den Kunden vereinbart. Vertrauen statt Kontrolle ist der Schlüssel hinter dem offenen Bürokonzept von Q2factory.