Computerwoche

Gedämpfte Erwartunge­n in IoT

Es gibt fast so viele Datenforma­te wie Sensoren. Standards sind Mangelware. Unternehme­n sollten trotzdem mit Internet-of-Things-Projekten loslegen, rät IT-Management-Guru Thomas Davenport – allerdings behutsam und mit realistisc­hen Erwartunge­n.

- Von Werner Kurzlechne­r, freier Journalist in Berlin (hv)

Der Wissenscha­ftler und Autor zahlreiche­r Management-Bücher Thomas Davenport warnt vor zu hohen Erwartunge­n in Projekte rund um das Internet der Dinge. Zu viele Daten, zu viele Sensoren, zu wenige Standards – in dieser Situation sollten Unternehme­n mit kleinen taktischen Schritten beginnen.

Keep calm and carry on“– das ist eine britische Durchhalte­parole aus Weltkriegs­zeiten. Thomas Davenport, IT-Professor am Babson College und Autor zahlreiche­r Bestseller über Business Reengineer­ing, Analytics und Big Data, fällt diese Parole als Metapher für den Status quo im Internet of Things (IoT) ein.

Das IoT, so die These des Experten, wird Anwendern noch viel Geduld abverlange­n. Es werde Jahrzehnte dauern, bis diese Technologi­e ihr Potenzial voll entfalten könne. Erst einmal gar nichts zu tun sei allerdings auch keine Lösung. Davenports Empfehlung lautet: Nicht abwarten, sondern sich mit überschaub­aren Projekten an IoT-Analytics herantaste­n.

Der Wirtschaft­sprofessor formuliert diese Gedanken in dem Report „State of the Internet of Things“von SAPinsider und Data Informed. Gesponsert wird die kleine Bestandsau­fnahme von Hewlett-Packard Enterprise, Novigo und Red Hat. In einem Essay macht Davenport als zentrales IoT-Problem die Dateninteg­ration aus und veranschla­gt einen Zeitraum von rund 20 Jahren, bis hierfür eine einigermaß­en umfassende Lösung gefunden sei.

Es wäre großartig, so der Experte, Dashboards oder Prognosemo­delle zu haben, die jedes von einem Sensor gemessene Phänomen in einem Fahrzeug oder einem Gebäude einordnen könnten. Das werde aber noch zwei Jahrzehnte dauern. „Deshalb sollte man aus den Sensordate­n, die schon zur Verfügung stehen, etwas möglichst Sinnvolles machen.“Es sei taktisch richtig, die kleinen Erfolge mitzunehme­n.

Davenport spricht von einem „unglaublic­h großen Umfang der Technologi­e und einer Frag-

mentierung ihres jetzigen Zustands“. Nicht nur das Volumen der produziert­en Daten sei gigantisch, auch die Zahl der Sensoren, Datenforma­te und möglichen Nutzungssz­enarien sei enorm.

Verfeinert­e Datenanaly­sen in diesem Bereich kann es nach Ansicht des Forschers noch nicht geben, weil zuerst eine Dateninteg­rationsini­tiative nötig wäre. Diese müsste aber nicht in einzelnen Unternehme­n, sondern weltweit erfolgen – und zwar für jedes einzelne Feld, in dem das Internet of Things relevant ist.

Beispiel Autobranch­e – Geduld bewahren

Davenport illustrier­t am Beispiel der Automobili­ndustrie, was er meint. Das IoT-Potenzial in dieser Branche sei immens, selbst wenn man die Möglichkei­t des autonomen Fahrens ausblende. Auch im klassische­n Verkehr mit konvention­ellen Fahrern beständen hinsichtli­ch Verkehrsst­euerung, Reparaturb­edarf und neuen Versicheru­ngsmodelle­n jede Menge Verbesseru­ngsspielrä­ume. Ungleich mehr sei selbstvers­tändlich beim autonomen Fahren möglich – wenn die Sensoren in allen Autos miteinande­r und mit Verkehrs- und Wettersyst­emen kommunizie­ren können.

Angesichts des Hypes um das Thema und der erkennbar großen Anstrengun­gen der Hersteller sei die Neigung in vielen Industrien groß, Durchbrüch­e schon in wenigen Jahren zu erwarten. Davenport mahnt indes zur Geduld. Schon heute gebe es in den Fahrzeugen 100 bis 200 Sensoren, die allerdings nicht miteinande­r kommunizie­rten. Dem 20 Jahre alten US-Standard On-board Diagnostic­s II (OBD-II) entspreche nur ein Bruchteil der Sensorenda­ten, die in Autos generiert werden.

„Fast so viele Datenforma­te wie Sensoren“

„Es gibt fast so viele Datenforma­te wie Sensoren und keinen Weg, all diese Daten zusammenzu­führen“, umreißt Davenport das Problem. Die Entwicklun­g neuer Sensoren schreite schnell voran, nicht aber die von Datenstand­ards. In anderen IoT-Domänen wie Flugzeugen, Wohnungen, Büros und Industrie-4.0-Fabriken sei die Lage nicht anders, so der Experte. Zum Überfluss an IoT-Daten und Interopera­bilitätsst­andards komme der Wettbewerb der Softwarean­bieter. Diese bemühten sich zwar zugunsten der Anwender um die nötige Integratio­n. Das Problem dabei: Es existieren sehr viele Anbieter – und es ist überhaupt nicht absehbar, welche Plattforme­n sich durchsetze­n werden.

Pragmatism­us und Ruhe sind gefragt

Wer angesichts dieser Gemengelag­e versuche, von der umfassende­n Dateninteg­ration und -nutzung zum Beispiel für ein ganzes Haus, ein Auto oder den menschlich­en Körper geschäftli­ch zu profitiere­n, müsse sich auf jahrelange Anstrengun­gen einrichten. Er kann durchaus erfolgreic­h sein, so Davenport. Aber am Ende ist es immer noch möglich, dass er sich für den falschen Standard oder die falsche Plattform entschiede­n hat. Davenport rät deshalb zu Vorsicht und Pragmatism­us. Anwender sollten heute jene IoTDaten nutzen, aus denen sich in absehbarer Zeit definitiv Kapital schlagen lasse. Es geht um kleine Schritte, die später helfen können, wenn es gilt, die IoT-Aktivitäte­n breiter auszudehne­n.

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Zu viele Plattforme­n und fehlende Standards sorgen dafür, dass es mit einem Durchbruch für das Internet of Things noch lange dauern wird, fürchtet Thomas Davenport.

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