Personalentwicklung in der Krise
Was passiert in der Personalentwicklung? Diese Frage stellt sich 2017 so vehement wie noch nie. Denn die meisten Firmen wissen heute noch nicht, wie viele Mitarbeiter und welche Kompetenzen sie in einigen Jahren brauchen. Deshalb ist eine langfristig orie
Viele Programme für die Entwicklung von Managern und Führungskräften liegen in den Firmen auf Eis. Niemand weiß, welche Kompetenzen in ein paar Jahren gebraucht werden. Von den Betroffenen ist Eigeninitiative gefordert.
Wir betreiben eine strategische Personalentwicklung“, „Unsere Personalentwicklung orientiert sich an den strategischen Zielen des Unternehmens.“Solche Sätze waren über viele Jahre hinweg sozusagen die Kernaussagen der Personalentwickler in (Groß-)Unternehmen, wenn man mit ihnen über ihre Arbeit sprach. Und darin dokumentierte sich zugleich ihr Selbstverständnis, strategische Partner der Unternehmensführung beim Erreichen der Unternehmensziele zu sein.
Seit einigen Jahren sind solche Aussagen immer seltener zu hören. Und die oft auf viele Jahre, teils sogar Jahrzehnte angelegten Führungs- und Management-Entwicklungsprogramme, die die firmeninternen Personalentwickler so gerne und voller Stolz als Belege für ihre strategische Arbeitsweise präsentierten, sie wurden inzwischen in den meisten Unternehmen auf Eis gelegt; still, verschwiegen und bei Weitem nicht mit so viel Tamtam, wie ihr Start verkündet wurde.
Entsprechendes gilt für die Weiterbildung in den Unternehmen. Sie ist heute viel weniger an einer langfristigen Kompetenzentwicklung orientiert als noch vor einem Jahrzehnt oder gar zur Jahrtausendwende. Sie fokussiert sich heute weitgehend darauf, akute Kompetenzdefizite zu beheben, die sich zum Beispiel aus dem Einführen neuer Technologien, dem Verändern von Abläufen und Prozessen in der Organisation oder Marktveränderungen ergeben.
Die zentrale Ursache hierfür ist: In der sogenannten Vuca-Welt (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) von heute können Unternehmen nur noch bedingt einschätzen, wie sich ihr Markt in den nächsten fünf oder gar zehn Jahren entwickelt, welche Probleme dann aufgrund des technischen Fortschritts anstehen und welche Auswirkungen sich hieraus für das Geschäftsmodell ergeben. Entsprechend kurzfristig sind die Strategien. Sie stehen sozusagen permanent auf dem Prüfstand. Deshalb können sich auch viele personalpolitische und -strategische Entscheidungen, die heute sinnvoll erscheinen, in zwei, drei Jahren als falsch erweisen.
Personalarbeit verändert sich dramatisch
Das bringt viele Unternehmen in folgendes Dilemma: Einerseits müssen sie eine vorausschauende Personalpolitik betreiben, um sicherzustellen, dass sie auch in einigen Jahren noch die benötigten Mitarbeiter mit den erforderlichen Kompetenzen haben – auch weil absehbar ist, dass in den westlichen Industrienationen gute Fach- und Führungskräfte künftig noch rarer werden; andererseits können sie heute oft noch gar nicht sagen, wie viele Mitarbeiter sie in drei, fünf oder gar zehn Jahren brauchen und welche Kompetenzen ihre Organisation und ihre Mitarbeiter dann benötigen.
Wie die Unternehmen dieses Dilemma (mittelfristig) lösen beziehungsweise managen, das ist heute noch nicht vorhersagbar. Klar ist jedoch:
Die Personalentwicklung, ja die Personalarbeit insgesamt in den Unternehmen wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verändern. Eine ihrer Hauptfunktionen wird es künftig sein, relativ kurzfristig dafür zu sorgen, dass dem Unternehmen die benötigten Mitarbeiter mit den erforderlichen Kompetenzen zur Verfügung stehen, so dass es schnell zum Beispiel auf Marktveränderungen reagieren kann.
Ein erstes Indiz hierfür ist die Ausweitung der Leiharbeit. Während sie sich bis vor wenigen Jahren weitgehend auf Produktion und produktionsnahe Gebiete beschränkte, ist es heute gang und gäbe, dass zum Beispiel auch in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen „Leiharbeiter“sitzen. Und sogar Bereichs- und Projektleiterposten werden zunehmend mit „Leiharbeitern“besetzt.
Diese „Leiharbeiter“oder Mitarbeiter auf Zeit werden zwar nicht Leiharbeiter, sondern meist „Interim Manager“genannt; sie sind jedoch ein Beleg, dass den Unternehmen eigene Mitarbeiter mit den erforderlichen Kompetenzen fehlen. Diese Entwicklung wird sich noch verstärken. Wenig gewagt ist die These: Künftig werden Arbeitgeber noch viel häufiger als heute benötigte Kompetenzen auf Zeit einkaufen, statt sie selbst intern aufzubauen und zu entwickeln. Ein weiteres Indiz für einen Paradigmenwechsel in der Personalentwicklung ist, dass immer mehr Unternehmen propagieren: Die Personalentwicklungs-Kompetenz muss sich verstärkt auf die operative Ebene verlagern. Das heißt: Die Mitarbeiter müssen selbst dafür sorgen, dass sie auch künftig über die benötigte Kompetenz verfügen – und ihre Führungskräfte sollen sie hierbei unterstützen.
Mal wieder mehr dezentrale Personalarbeit
Unter dem Stichwort „Employability“diskutieren Personaler darüber seit Jahren. Dahinter stand die Erkenntnis: Der Veränderungsbedarf in den Unternehmen ist so groß, dass er zentral kaum noch erfasst werden kann. Zudem ist er in den einzelnen Bereichen und bei den einzelnen Mitarbeitern so verschieden, dass er zentral, also zum Beispiel mit von der Personalabteilung geplanten Maßnahmen, nicht mehr befriedigt werden kann – schon gar nicht in der erforderlichen kurzen Zeit. Was lange Zeit jedoch eher eine akademische Diskussion in Personalentwicklerkreisen war, ist nun in der betrieblichen Realität angekommen. Nahezu übereinstimmend betonen heute fast alle größeren Unternehmen: Unsere Mitarbeiter sind auch selbst für die Entwicklung ihrer Kompetenz verantwortlich – jedoch unterstützt von ihren Führungskräften. Doch welche Funktion haben künftig dann noch die firmeninternen Personalentwickler? Zu ihren zentralen Aufgaben wird es gehören, den Mitarbeitern auf der operativen Ebene (und ihren Führungskräften) die Tools zur Verfügung zu stellen, die sie zum Entwickeln ihrer Kompetenz brauchen. Hierbei wird es sich im Zuge der Digitalisierung der Unternehmen – auch diese These ist nicht gewagt – verstärkt um Online-Tools handeln, wie sie bereits beim Blended Learning zum Einsatz kommen. Eine weitere Kernaufgabe der Personalentwickler wird es sein, für das erforderliche Alignment bei der Kompetenzentwicklung in der Organisation zu sorgen, damit zum Beispiel die Führungskräfte und die Projekt-Manager bei ihrer Arbeit weitgehend das Führungs- beziehungsweise Projekt-Management-Verständnis haben und nicht in unterschiedliche Richtungen zielen. Um diese Kernaufgaben professionell wahrzunehmen, müssen auch Personalentwickler umdenken. Inwieweit ihnen dies gelingt, wird eine der spannenden Fragen 2017 sein. Sie wird auch über das künftige Standing der Personalentwicklung in den Unternehmen mitentscheiden.