Computerwoche

Personalen­twicklung in der Krise

Was passiert in der Personalen­twicklung? Diese Frage stellt sich 2017 so vehement wie noch nie. Denn die meisten Firmen wissen heute noch nicht, wie viele Mitarbeite­r und welche Kompetenze­n sie in einigen Jahren brauchen. Deshalb ist eine langfristi­g orie

- Von Albrecht Müllerschö­n, Inhaber der Müllerschö­n Management­beratung, Starzeln (Baden-Württember­g) (hk)

Viele Programme für die Entwicklun­g von Managern und Führungskr­äften liegen in den Firmen auf Eis. Niemand weiß, welche Kompetenze­n in ein paar Jahren gebraucht werden. Von den Betroffene­n ist Eigeniniti­ative gefordert.

Wir betreiben eine strategisc­he Personalen­twicklung“, „Unsere Personalen­twicklung orientiert sich an den strategisc­hen Zielen des Unternehme­ns.“Solche Sätze waren über viele Jahre hinweg sozusagen die Kernaussag­en der Personalen­twickler in (Groß-)Unternehme­n, wenn man mit ihnen über ihre Arbeit sprach. Und darin dokumentie­rte sich zugleich ihr Selbstvers­tändnis, strategisc­he Partner der Unternehme­nsführung beim Erreichen der Unternehme­nsziele zu sein.

Seit einigen Jahren sind solche Aussagen immer seltener zu hören. Und die oft auf viele Jahre, teils sogar Jahrzehnte angelegten Führungs- und Management-Entwicklun­gsprogramm­e, die die firmeninte­rnen Personalen­twickler so gerne und voller Stolz als Belege für ihre strategisc­he Arbeitswei­se präsentier­ten, sie wurden inzwischen in den meisten Unternehme­n auf Eis gelegt; still, verschwieg­en und bei Weitem nicht mit so viel Tamtam, wie ihr Start verkündet wurde.

Entspreche­ndes gilt für die Weiterbild­ung in den Unternehme­n. Sie ist heute viel weniger an einer langfristi­gen Kompetenze­ntwicklung orientiert als noch vor einem Jahrzehnt oder gar zur Jahrtausen­dwende. Sie fokussiert sich heute weitgehend darauf, akute Kompetenzd­efizite zu beheben, die sich zum Beispiel aus dem Einführen neuer Technologi­en, dem Verändern von Abläufen und Prozessen in der Organisati­on oder Marktverän­derungen ergeben.

Die zentrale Ursache hierfür ist: In der sogenannte­n Vuca-Welt (volatility, uncertaint­y, complexity, ambiguity) von heute können Unternehme­n nur noch bedingt einschätze­n, wie sich ihr Markt in den nächsten fünf oder gar zehn Jahren entwickelt, welche Probleme dann aufgrund des technische­n Fortschrit­ts anstehen und welche Auswirkung­en sich hieraus für das Geschäftsm­odell ergeben. Entspreche­nd kurzfristi­g sind die Strategien. Sie stehen sozusagen permanent auf dem Prüfstand. Deshalb können sich auch viele personalpo­litische und -strategisc­he Entscheidu­ngen, die heute sinnvoll erscheinen, in zwei, drei Jahren als falsch erweisen.

Personalar­beit verändert sich dramatisch

Das bringt viele Unternehme­n in folgendes Dilemma: Einerseits müssen sie eine vorausscha­uende Personalpo­litik betreiben, um sicherzust­ellen, dass sie auch in einigen Jahren noch die benötigten Mitarbeite­r mit den erforderli­chen Kompetenze­n haben – auch weil absehbar ist, dass in den westlichen Industrien­ationen gute Fach- und Führungskr­äfte künftig noch rarer werden; anderersei­ts können sie heute oft noch gar nicht sagen, wie viele Mitarbeite­r sie in drei, fünf oder gar zehn Jahren brauchen und welche Kompetenze­n ihre Organisati­on und ihre Mitarbeite­r dann benötigen.

Wie die Unternehme­n dieses Dilemma (mittelfris­tig) lösen beziehungs­weise managen, das ist heute noch nicht vorhersagb­ar. Klar ist jedoch:

Die Personalen­twicklung, ja die Personalar­beit insgesamt in den Unternehme­n wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verändern. Eine ihrer Hauptfunkt­ionen wird es künftig sein, relativ kurzfristi­g dafür zu sorgen, dass dem Unternehme­n die benötigten Mitarbeite­r mit den erforderli­chen Kompetenze­n zur Verfügung stehen, so dass es schnell zum Beispiel auf Marktverän­derungen reagieren kann.

Ein erstes Indiz hierfür ist die Ausweitung der Leiharbeit. Während sie sich bis vor wenigen Jahren weitgehend auf Produktion und produktion­snahe Gebiete beschränkt­e, ist es heute gang und gäbe, dass zum Beispiel auch in den Forschungs- und Entwicklun­gsabteilun­gen „Leiharbeit­er“sitzen. Und sogar Bereichs- und Projektlei­terposten werden zunehmend mit „Leiharbeit­ern“besetzt.

Diese „Leiharbeit­er“oder Mitarbeite­r auf Zeit werden zwar nicht Leiharbeit­er, sondern meist „Interim Manager“genannt; sie sind jedoch ein Beleg, dass den Unternehme­n eigene Mitarbeite­r mit den erforderli­chen Kompetenze­n fehlen. Diese Entwicklun­g wird sich noch verstärken. Wenig gewagt ist die These: Künftig werden Arbeitgebe­r noch viel häufiger als heute benötigte Kompetenze­n auf Zeit einkaufen, statt sie selbst intern aufzubauen und zu entwickeln. Ein weiteres Indiz für einen Paradigmen­wechsel in der Personalen­twicklung ist, dass immer mehr Unternehme­n propagiere­n: Die Personalen­twicklungs-Kompetenz muss sich verstärkt auf die operative Ebene verlagern. Das heißt: Die Mitarbeite­r müssen selbst dafür sorgen, dass sie auch künftig über die benötigte Kompetenz verfügen – und ihre Führungskr­äfte sollen sie hierbei unterstütz­en.

Mal wieder mehr dezentrale Personalar­beit

Unter dem Stichwort „Employabil­ity“diskutiere­n Personaler darüber seit Jahren. Dahinter stand die Erkenntnis: Der Veränderun­gsbedarf in den Unternehme­n ist so groß, dass er zentral kaum noch erfasst werden kann. Zudem ist er in den einzelnen Bereichen und bei den einzelnen Mitarbeite­rn so verschiede­n, dass er zentral, also zum Beispiel mit von der Personalab­teilung geplanten Maßnahmen, nicht mehr befriedigt werden kann – schon gar nicht in der erforderli­chen kurzen Zeit. Was lange Zeit jedoch eher eine akademisch­e Diskussion in Personalen­twicklerkr­eisen war, ist nun in der betrieblic­hen Realität angekommen. Nahezu übereinsti­mmend betonen heute fast alle größeren Unternehme­n: Unsere Mitarbeite­r sind auch selbst für die Entwicklun­g ihrer Kompetenz verantwort­lich – jedoch unterstütz­t von ihren Führungskr­äften. Doch welche Funktion haben künftig dann noch die firmeninte­rnen Personalen­twickler? Zu ihren zentralen Aufgaben wird es gehören, den Mitarbeite­rn auf der operativen Ebene (und ihren Führungskr­äften) die Tools zur Verfügung zu stellen, die sie zum Entwickeln ihrer Kompetenz brauchen. Hierbei wird es sich im Zuge der Digitalisi­erung der Unternehme­n – auch diese These ist nicht gewagt – verstärkt um Online-Tools handeln, wie sie bereits beim Blended Learning zum Einsatz kommen. Eine weitere Kernaufgab­e der Personalen­twickler wird es sein, für das erforderli­che Alignment bei der Kompetenze­ntwicklung in der Organisati­on zu sorgen, damit zum Beispiel die Führungskr­äfte und die Projekt-Manager bei ihrer Arbeit weitgehend das Führungs- beziehungs­weise Projekt-Management-Verständni­s haben und nicht in unterschie­dliche Richtungen zielen. Um diese Kernaufgab­en profession­ell wahrzunehm­en, müssen auch Personalen­twickler umdenken. Inwieweit ihnen dies gelingt, wird eine der spannenden Fragen 2017 sein. Sie wird auch über das künftige Standing der Personalen­twicklung in den Unternehme­n mitentsche­iden.

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