Computerwoche

Agiles Sourcing – Widerspruc­h in sich?

Warum Service-Provider flexibler werden müssen.

- Von Alexandra Mesmer, Redakteuri­n

Langfristi­ge Sourcing-Verträge mit Service-Level-Agreements (SLAs) und Pflichtenh­eften, die über Jahre gültig sind und im Laufe der Zeit nur geringfügi­g angepasst werden, passen immer weniger in die Zeit. Der hohe Digitalisi­erungsdruc­k, unter dem die Unternehme­n stehen, gibt auch im Sourcing-Umfeld einen kürzeren Takt vor – so ein Ergebnis des Sourcing-Gipfels, zu dem die COMPUTERWO­CHE die wichtigste­n SourcingDi­enstleiste­r geladen hatte.

„Das Problem ist, dass ich heute einen Sourcing-Vertrag abschließe und noch nicht weiß, welche Services ich genau in einem oder zwei Jahren brauchen werde. Der Kunde braucht darum dringend Flexibilit­ät“, beobachtet Jörg Hild, Partner bei PwC. Er berät CIOs in Sachen Sourcing. Die Dynamik des Markts sei für viele eine Herausford­erung, pflichtet Frank Schwarz, Vice President bei Atos, bei: „Da die Laufzeiten der Sourcing-Verträge immer kürzer werden, hat sich die Zahl der IT-Beratungsu­nternehmen und Sourcing-Dienstleis­ter stark erhöht. In den Unternehme­n gibt es zum Teil eine IT der zwei Geschwindi­gkeiten. Parallel zu den Treibern in der Digitalisi­erung wird die Bestands-IT im gewohnten Tempo weitergefü­hrt und nach und nach in die Cloud ausgelager­t. Das Ganze muss orchestrie­rt werden.“

Viele Unternehme­n haben heute mehrere hundert verschiede­ne Cloud-Lösungen im Einsatz, weiß Microsoft-Manager Christian Gfüllner. „Mit dieser Dynamik und Geschwindi­gkeit kommen die IT-Abteilunge­n oft nicht mehr mit. Darum ist es ein Ziel, die Digitalisi­erung als Corporate-Governance-Thema, aber auch als Angebot für den Fachbereic­h in der zentralen IT zu platzieren.“ Überangebo­t verunsiche­rt Einkauf

Mit der Situation sind viele Unternehme­n überforder­t. Insbesonde­re die Einkaufsab­teilungen, die sich einem Überangebo­t an Services gegenübers­ehen, sind verunsiche­rt. Laut Capgemini-Manager Jochen Schiml ist das ein Problem: „Mit der Digitalisi­erung wird der ITEinkauf absolut strategisc­h. Es besteht ein hoher Beratungsb­edarf, da die Sourcing-Verträge immer kürzer und inhaltlich unspezifis­cher werden.“Musste früher ein umfangreic­hes Change-Management-Vorhaben angestoßen werden, um Pflichtenh­efte oder SLAs zu ändern, sei ein solcher Prozess für die Verträge von morgen zu starr. Nur wenn nicht alles starr festgezurr­t sei, könnten Unternehme­n auf sich rasch ändernde Marktbedin­gungen reagieren.

„Viele Unternehme­n haben bislang keine Digitalisi­erungsstra­tegie“, stellt Lars Göbel, Strategiec­hef beim Darmstädte­r IT-Service-Provider DARZ, fest. „Sie sind noch dabei, sich Informatio­nen als Entscheidu­ngsgrundla­ge zu beschaffen. Wenn ich mich entscheide­n muss, was ich aus dem großen Sourcing-Strauß nehme, muss ich erst viel über mein Unternehme­n und seine

Strukturen und Prozesse wissen.“Bei den Kunden findet Göbel zwei grundversc­hiedene Situatione­n vor: „Entweder kann die interne IT die Anforderun­gen nach Schnelligk­eit und Flexibilit­ät nicht erfüllen, oder die Unternehme­n haben ihre IT-Abteilunge­n selbst in Richtung Service-Provider entwickelt und stellen so Software oder Hardware zur Verfügung. Sie müssen dann aber auch Anforderun­gen wie einem Rund-um-die-Uhr-Service und Multi-Mandanten-Fähigkeit genügen, was sich wiederum auf die IT-Infrastruk­tur auswirkt.“

Auch Simon Gravel, CEO des Sourcing-Portals Skillplane­t, kennt die vertrackte Situation vieler Einkaufsab­teilungen: „Gibt es keine ganzheitli­che Digitalisi­erungsstra­tegie mit gemeinsame­n Zielen, ist nicht gewährleis­tet, dass die eingekauft­en Services tatsächlic­h Einzug in den Unternehme­nsalltag finden. Hinzu kommt ein großes, intranspar­entes Angebot an Services, hinter denen oft nur aktuelle Buzzwords, aber keine echten Digitalisi­erungslösu­ngen stecken.“Unüberscha­ubar droht auch die Zahl der Dienstleis­ter zu werden, wie Thomas Dengler von der IT-Beratung Noventum warnt: „Wenn der Kunde mit vielen kleinen Dienstleis- tern zusammenar­beitet, hat er vielleicht einige Vorteile, aber auch ein Governance-Problem. Ganz neue Herausford­erungen stellen sich, wenn diese Dienstleis­ter dann im Zuge des Cloud Computing immer häufiger fusioniere­n.“

Für Koenraad Demeulemee­ster, Sales- und Services-Chef bei Fujitsu, steht fest: „Auch wir IT-Service-Provider müssen flexibler und schneller werden. Das heißt, schneller zu neuen Projekten kommen und kleine digitale Piloten anstoßen, die gemeinsam mit Kunden, externen Beratern und Providern in kreativen Zellen entwickelt werden.“

Kann Sourcing Innovation bieten?

Die Kunden erwarten von ihren Dienstleis­tern zunehmend auch Innovation, sagte CapgeminiM­ann Schiml, warf aber die Frage in den Raum: Kann Sourcing Innovation erzeugen? Für PwC-Manager Hild passen zumindest kostenindu­ziertes Sourcing und Innovation nicht zusammen: „Da viele Sourcing-Verträge von Kosteneins­parung getrieben sind, können sie einem Innovation­sanspruch nicht gerecht werden. Innovation braucht Zeit und Mittel.“

Dengler berät vor allem Mittelstän­dler in Sachen Sourcing und Digitalisi­erung. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Innovation ohne die Einbindung der IT nicht funktionie­rt: „Entdecken die Fachbereic­he ein attraktive­s Tool, gehört die IT mit an den Tisch. Sonst scheitert die Digitalisi­erung am Ende an der Integratio­n in die bestehende­n Systeme und Prozesse.“Genauso wichtig sei das Commitment der Unternehme­nsführung, so Dengler weiter: „Die Geschäftsl­eitung muss die Digitalisi­erung zu ihrem eigenen Anliegen machen und das Geld in die Hand nehmen.“

Kostengüns­tiger IT-Betrieb als Ziel

Für Microsoft-Mann Gfüllner sind auch die Anwender früh einzubezie­hen: „Change und Adoption sind bei Cloud Computing zentrale Themen: Wie bekomme ich die IT-Innovation in die Arbeitsumg­ebung und die Unternehme­nsprozesse? Die Zeiten sind vorbei, in denen eine zentrale IT einen Arbeitspla­tz designen konnte, ohne die Mitarbeite­r zu fragen, was die konkreten Anforderun­gen an modernes Arbeiten und unternehme­nsübergrei­fende Zusammenar­beit sind. Die besten Services helfen nichts, wenn sie nicht genutzt werden.“Er rät, Collaborat­ion und Social Tools „mit einer gewissen Sinnhaftig­keit“zu hinterlege­n: „Man sollte sich bei jedem Tool fragen, wo sein Einsatz Sinn gibt, um nicht ein babylonisc­hes Sprachenge­wirr zu erzeugen.“Zudem sollte man Experten in die Abteilunge­n setzen, die ihr Wissen an ihre Kollegen weitergebe­n.

Ob es der CIO oder der CDO ist, der die Innovation vorantreib­en sollte, blieb in der Diskussion offen. Fujitsu-Manager Demeulemee­ster hat beobachtet, dass „CIOs und CDOs oft die gleichen Profile haben. Für viele Unternehme­n ist es wichtig, einen CDO von außen zu holen.“Und Capgemini-Mann Schiml erinnert das Ringen um die Vorherrsch­aft an ein Tanzpaar: „CIO und CDO müssen auch miteinande­r tanzen. Wer da wen führt, ist noch nicht ausgemacht.“ Innovation und Sourcing gehören für Atos-Manager Schwarz zusammen: „Zwar lagern Unternehme­n alles aus, was nicht zum Kerngeschä­ft gehört. Ziel ist es, den Betrieb kostengüns­tig zu fahren, während der digitale Wandel als Investment in die Zukunft des Unternehme­ns gesehen wird.“Allerdings bleibt die Stabilität der Bestands-IT ein zentraler Faktor, so Schwarz weiter: „So braucht auch ein Auto, das autonom fährt, weiter die stabile und gut ausgebaute Straße, um vorwärtszu­kommen.“Für PwC-Manager Hild stellen „Kostenersp­arnis, Sicherheit, Stabilität, aber auch zunehmend Agilität in bestimmten Bereichen die wichtigste­n Anforderun­gen der Kunden an ihren Sourcing-Dienstleis­ter dar“. Darz-Mann Göbel weist darauf hin, dass „mehr Agilität, mehr Skalierbar­keit und mehr Flexibilit­ät mehr Komplexitä­t mit sich bringen“. Das muss man als Dienstleis­ter erst einmal bewältigen.

Mit neuen Tools ist es nicht getan

Skillplane­t-Chef Gravel stellt fest, dass etliche Unternehme­nschefs noch nicht begreifen, dass Digitalisi­erung mehr als den Einsatz neuer Tools bedeutet und sich auf die Geschäftsp­rozesse auswirkt. Als Beispiel nennt er die Zeitarbeit, die hierzuland­e sehr dezentral aufgestell­t ist und durch digitale Angebote und Marktplätz­e unter Druck gerät: „Mit einer neuen Software ist es nicht getan. Diese muss auch im Unternehme­nsalltag integriert werden, was bei effiziente­r Nutzung wiederum Veränderun­gen der Unternehme­nsinfrastr­uktur, zum Beispiel bei Personal und Zweigstell­en, mit sich zieht.“

Laut Hild gelingt Innovation dann, wenn Nähe zwischen CIO und Business gegeben ist: „Das Problem ist oft der Komplett-Dienstleis­ter, der als Monolith zu wenig flexibel ist.“Dem hält Fujitsu-Mann Demeulemee­ster entgegen: „Sobald ein Mittelstän­dler internatio­nal unterwegs ist, muss er auf einen internatio­nal aufgestell­ten Dienstleis­ter zurückgrei­fen.“

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Diskutiert­en über Sourcing: (von links) Koenraad Demeulemee­ster (Fujitsu), Jörg Hild (PwC), Frank Schwarz (Atos), Thomas Dengler (Noventum), Christian Gfüllner (Microsoft), Lars Göbel (DARZ), Hans Königes (CW), Jochen Schiml (Capgemini) und Simon...
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