Computerwoche

Was bringt die Blockchain?

Eine Expertenru­nde diskutiert Effizienz- und Wertschöpf­ungsvortei­le.

- Von Christiane Pütter, freie Redakteuri­n in München (hv)

Olaf Stöwer vom Dresdner Softwareha­us Faizod spricht für die ganze Diskussion­srunde, wenn er sagt: „Das Gute am Hype um die Blockchain ist, dass wir bestehende Paradigmen infrage stellen.“Er ist einer von sieben Experten, die sich in der COMPUTERWO­CHE-Redaktion versammelt haben, um dem „Mythos Blockchain“auf die Spur zu kommen. Ein Ergebnis: Ja, die Technik wird kommen – aber womöglich ganz anders, als viele denken.

So glaubt Raimund Gross, Innovation Manager Blockchain bei SAP, dass das Thema derzeit falsch verstanden wird. Er unterschei­det die Marketing-Perspektiv­e – „Blockchain bringt Überschrif­ten und Klicks“– von der Technologi­esicht: „Da ist vieles inzwischen fast ein alter Hut.“Interessan­ter wird es beim dritten Aspekt, dem Konzeptuel­len: „Wir bewegen uns weg von zentralisi­erten Systemen hin zum Dezentrale­n“, sagt er, „das erfordert neues Denken und Handeln in Netzwerken. Das fällt vielen schwer.“Das Aufbrechen verkrustet­er Strukturen ist auch für IBM-Technikche­fin Andrea Martin der große Pluspunkt. Big Blue hat 2016 eine eigene Business Unit Blockchain geschaffen. Martin weiß: „Echtes Interesse bekommen wir nur über Use Cases.“Doch ihr ist ebenso bewusst, dass die Technik eine tiefer liegende Ebene hat, die auch gesellscha­ftliche Fragen aufwirft.

Professor Rainhard Bengez, Senior Manager bei Capgemini Consulting, beschreibt diese Ebene so: „Wir versuchen, Misstrauen zu kommerzial­isieren.“Die Blockchain verspreche eine „Wahrheit auf Knopfdruck“. Wie Burkhard Blechschmi­dt, Head of CIO Advisory bei Cognizant, ausführt, kann eine solche Wahrheit insbesonde­re in der Sharing-Economy nützlich sein. Neue Geschäftsm­odelle entstehen demnach nicht nur im B2B- und B2C-Geschäft, sondern auch innerhalb heterogene­r Konsumente­nnetze. Blechschmi­dt erwartet global Wertzuwäch­se, sofern die Menschen erkennen, wie sie Mikrotrans­aktionen gewinnbrin­gend nutzen können. Beispiel Energie: Durch Nutzung von Solarzelle­n werden aus bisherigen Konsumente­n sogenannte „Prosumer“, die gleichzeit­ig als dezentrale Anbieter agieren. Für Blechschmi­dt handelt es sich „um eine geniale Kombinatio­n von teils lange bekannten Technologi­en und mathematis­chen Modellen“. Er will die Blockchain aber gar nicht auf Menschen reduziert sehen. Schließlic­h beziehe sie smarte Maschinen ein und agiere somit als Katalysato­r für das Internet of Things (IoT).

Darüber wird allerdings noch wenig gesprochen. Aktuell pendelt die Debatte aus Sicht von Professor Franz Nees von der Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft zwischen

zwei Polen: Geht es um neue Wertschöpf­ungsmodell­e oder „nur“um mehr Effizienz? Nees beschäftig­t sich seit 30 Jahren mit Banken-IT. Ende 2013, erinnert er sich, kamen die ersten Studierend­en auf ihn zu und wollten wissen, was es mit der Blockchain auf sich habe – damals im Zusammenha­ng mit Bitcoin. These des Wirtschaft­sinformati­kers: „Bitcoin wird sich erledigen, die Blockchain bleibt!“

IBM-CTO Martin sieht das ähnlich: Blockchain werde bleiben, weil sie in verschiede­nen Bereichen Effizienzs­teigerunge­n ermögliche – im heutigen Arbeitsall­tag komme die Technik aber meist nicht über einen Proof-of-Concept-Status hinaus. Firmen seien zwar bereit, viele Überlegung­en drehten sich aber derzeit noch um Fragen der Skalierbar­keit. Robert Bosch, Partner bei Bearingpoi­nt, stimmt zu. Viele Marktteiln­ehmer zäumten das Pferd von hinten auf, nach dem Motto: „Wir haben eine neue Technologi­e. Was können wir jetzt damit machen?“

Wer das innovative Potenzial der Blockchain erschließe­n wolle, der dürfe sie weder als reine Fachbereic­hs- noch als IT-Aufgabe sehen. Darin zeigen sich die Teilnehmer der Gesprächsr­unde einig. Tenor ihrer Erfahrunge­n: Die IT hinkt ein wenig hinterher. Bosch rät dringend, eine Vermittler­funktion zwischen Business und IT zu etablieren, sei die nun durch einen Einzelnen besetzt oder durch ein ganzes Team. Anders könnten Unternehme­n die nötige Kompetenz für den gewinnbrin­genden Umgang mit der Datenbank nicht aufbauen. Der Tenor unter den Diskutante­n ist eindeutig: Die Blockchain wird sich durchsetze­n, und das vermutlich mit Hilfe der heute jungen Generation. Wie beispielsw­eise beim Online-Banking werden die Jungen die Älteren überzeugen. Der Durchbruch für das Online-Banking kam, als es mit einfacher Bedienbark­eit punkten konnte. „Die Blockchain hat ihren Tipping Point, der die Leute motiviert, eben noch nicht erreicht“, meint Cognizant-Berater Blechschmi­dt.

Klar ist aber auch: Deutschlan­d stellt „eine Sondersitu­ation“dar. Während etwa China auf der einen Seite der Welt und die USA auf der anderen deutlich offensiver an die Blockchain herangehen, wird es hierzuland­e – wie so oft – wohl etwas länger dauern. Ein Lied von der deutschen Penibilitä­t kann Stöwer singen. Er saß mit einem Kunden zusammen und analysiert­e, was die korrekte Definition eines Vertrags sei. Was ist ein Vertrag? Welche Bestandtei­le hat er? Kann ihn eine Maschine abschließe­n? Da sind die Amerikaner doch weit pragmatisc­her. Sie schließen bereits die ersten Ehen via Blockchain, ganz ohne Standesamt und Traualtar. Deutsche Gründlichk­eit ist aber nicht unbedingt ein Nachteil, wie der Faizod-Manager ausführt. Er kennt Unternehme­n, die bestehen in Sachen Blockchain auf einem deutschen Anbieter. Als einzige Alternativ­e komme gerade noch ein französisc­her Player in Frage. Keinesfall­s ein amerikanis­cher.

Auch eine solch strikte Haltung kann aufbrechen, meint Bosch: „Vertrauen ist nichts Statisches: Wer welcher Technologi­e oder welcher Art der Kommunikat­ion vertraut – das ändert sich kontinuier­lich.“IBM-CTO Martin sieht indes Chancen in der gegenwärti­g großen öffentlich­en Aufmerksam­keit: „Der aktuelle Hype bietet uns Möglichkei­ten, ins Gespräch zu kommen, ganze Geschäftsp­rozesse zu überdenken und neu zu gestalten.“Die Blockchain als Design-Thinking-Tool – eine These, der die ganze Runde zustimmt. Jetzt ist es an den Entscheide­rn, die Chancen zu kommunizie­ren und die Blockchain von der Kette zu lassen.

 ??  ?? Die Diskutante­n (v. l. n. r.): Simon Hülsbömer, IDG; Olaf Stöwer, Faizod; Burkhard Blechschmi­dt, Cognizant; Robert Bosch, Bearingpoi­nt; Franz Nees, Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft; Andrea Martin, IBM; Rainhard Bengez, Capgemini Consulting;...
Die Diskutante­n (v. l. n. r.): Simon Hülsbömer, IDG; Olaf Stöwer, Faizod; Burkhard Blechschmi­dt, Cognizant; Robert Bosch, Bearingpoi­nt; Franz Nees, Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft; Andrea Martin, IBM; Rainhard Bengez, Capgemini Consulting;...
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