Was bringt die Blockchain?
Eine Expertenrunde diskutiert Effizienz- und Wertschöpfungsvorteile.
Olaf Stöwer vom Dresdner Softwarehaus Faizod spricht für die ganze Diskussionsrunde, wenn er sagt: „Das Gute am Hype um die Blockchain ist, dass wir bestehende Paradigmen infrage stellen.“Er ist einer von sieben Experten, die sich in der COMPUTERWOCHE-Redaktion versammelt haben, um dem „Mythos Blockchain“auf die Spur zu kommen. Ein Ergebnis: Ja, die Technik wird kommen – aber womöglich ganz anders, als viele denken.
So glaubt Raimund Gross, Innovation Manager Blockchain bei SAP, dass das Thema derzeit falsch verstanden wird. Er unterscheidet die Marketing-Perspektive – „Blockchain bringt Überschriften und Klicks“– von der Technologiesicht: „Da ist vieles inzwischen fast ein alter Hut.“Interessanter wird es beim dritten Aspekt, dem Konzeptuellen: „Wir bewegen uns weg von zentralisierten Systemen hin zum Dezentralen“, sagt er, „das erfordert neues Denken und Handeln in Netzwerken. Das fällt vielen schwer.“Das Aufbrechen verkrusteter Strukturen ist auch für IBM-Technikchefin Andrea Martin der große Pluspunkt. Big Blue hat 2016 eine eigene Business Unit Blockchain geschaffen. Martin weiß: „Echtes Interesse bekommen wir nur über Use Cases.“Doch ihr ist ebenso bewusst, dass die Technik eine tiefer liegende Ebene hat, die auch gesellschaftliche Fragen aufwirft.
Professor Rainhard Bengez, Senior Manager bei Capgemini Consulting, beschreibt diese Ebene so: „Wir versuchen, Misstrauen zu kommerzialisieren.“Die Blockchain verspreche eine „Wahrheit auf Knopfdruck“. Wie Burkhard Blechschmidt, Head of CIO Advisory bei Cognizant, ausführt, kann eine solche Wahrheit insbesondere in der Sharing-Economy nützlich sein. Neue Geschäftsmodelle entstehen demnach nicht nur im B2B- und B2C-Geschäft, sondern auch innerhalb heterogener Konsumentennetze. Blechschmidt erwartet global Wertzuwächse, sofern die Menschen erkennen, wie sie Mikrotransaktionen gewinnbringend nutzen können. Beispiel Energie: Durch Nutzung von Solarzellen werden aus bisherigen Konsumenten sogenannte „Prosumer“, die gleichzeitig als dezentrale Anbieter agieren. Für Blechschmidt handelt es sich „um eine geniale Kombination von teils lange bekannten Technologien und mathematischen Modellen“. Er will die Blockchain aber gar nicht auf Menschen reduziert sehen. Schließlich beziehe sie smarte Maschinen ein und agiere somit als Katalysator für das Internet of Things (IoT).
Darüber wird allerdings noch wenig gesprochen. Aktuell pendelt die Debatte aus Sicht von Professor Franz Nees von der Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft zwischen
zwei Polen: Geht es um neue Wertschöpfungsmodelle oder „nur“um mehr Effizienz? Nees beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Banken-IT. Ende 2013, erinnert er sich, kamen die ersten Studierenden auf ihn zu und wollten wissen, was es mit der Blockchain auf sich habe – damals im Zusammenhang mit Bitcoin. These des Wirtschaftsinformatikers: „Bitcoin wird sich erledigen, die Blockchain bleibt!“
IBM-CTO Martin sieht das ähnlich: Blockchain werde bleiben, weil sie in verschiedenen Bereichen Effizienzsteigerungen ermögliche – im heutigen Arbeitsalltag komme die Technik aber meist nicht über einen Proof-of-Concept-Status hinaus. Firmen seien zwar bereit, viele Überlegungen drehten sich aber derzeit noch um Fragen der Skalierbarkeit. Robert Bosch, Partner bei Bearingpoint, stimmt zu. Viele Marktteilnehmer zäumten das Pferd von hinten auf, nach dem Motto: „Wir haben eine neue Technologie. Was können wir jetzt damit machen?“
Wer das innovative Potenzial der Blockchain erschließen wolle, der dürfe sie weder als reine Fachbereichs- noch als IT-Aufgabe sehen. Darin zeigen sich die Teilnehmer der Gesprächsrunde einig. Tenor ihrer Erfahrungen: Die IT hinkt ein wenig hinterher. Bosch rät dringend, eine Vermittlerfunktion zwischen Business und IT zu etablieren, sei die nun durch einen Einzelnen besetzt oder durch ein ganzes Team. Anders könnten Unternehmen die nötige Kompetenz für den gewinnbringenden Umgang mit der Datenbank nicht aufbauen. Der Tenor unter den Diskutanten ist eindeutig: Die Blockchain wird sich durchsetzen, und das vermutlich mit Hilfe der heute jungen Generation. Wie beispielsweise beim Online-Banking werden die Jungen die Älteren überzeugen. Der Durchbruch für das Online-Banking kam, als es mit einfacher Bedienbarkeit punkten konnte. „Die Blockchain hat ihren Tipping Point, der die Leute motiviert, eben noch nicht erreicht“, meint Cognizant-Berater Blechschmidt.
Klar ist aber auch: Deutschland stellt „eine Sondersituation“dar. Während etwa China auf der einen Seite der Welt und die USA auf der anderen deutlich offensiver an die Blockchain herangehen, wird es hierzulande – wie so oft – wohl etwas länger dauern. Ein Lied von der deutschen Penibilität kann Stöwer singen. Er saß mit einem Kunden zusammen und analysierte, was die korrekte Definition eines Vertrags sei. Was ist ein Vertrag? Welche Bestandteile hat er? Kann ihn eine Maschine abschließen? Da sind die Amerikaner doch weit pragmatischer. Sie schließen bereits die ersten Ehen via Blockchain, ganz ohne Standesamt und Traualtar. Deutsche Gründlichkeit ist aber nicht unbedingt ein Nachteil, wie der Faizod-Manager ausführt. Er kennt Unternehmen, die bestehen in Sachen Blockchain auf einem deutschen Anbieter. Als einzige Alternative komme gerade noch ein französischer Player in Frage. Keinesfalls ein amerikanischer.
Auch eine solch strikte Haltung kann aufbrechen, meint Bosch: „Vertrauen ist nichts Statisches: Wer welcher Technologie oder welcher Art der Kommunikation vertraut – das ändert sich kontinuierlich.“IBM-CTO Martin sieht indes Chancen in der gegenwärtig großen öffentlichen Aufmerksamkeit: „Der aktuelle Hype bietet uns Möglichkeiten, ins Gespräch zu kommen, ganze Geschäftsprozesse zu überdenken und neu zu gestalten.“Die Blockchain als Design-Thinking-Tool – eine These, der die ganze Runde zustimmt. Jetzt ist es an den Entscheidern, die Chancen zu kommunizieren und die Blockchain von der Kette zu lassen.