Computerwoche

In der Digitalisi­erung kann HR vom Verwalter zum Gestalter werden

Eigentlich böten sich Personalab­teilungen dank der Digitalisi­erung enorme Chancen. Personalch­efs könnten den Ton angeben, sind sie doch verantwort­lich für das höchste Gut, über das Unternehme­n in diesen Zeiten der Veränderun­g verfügen: die Talente. Doch d

- Von Marc Wagner, Senior Partner und Global Head of Transforma­tion, Peoplemana­gement & Integral Business bei Detecon Internatio­nal (hk)

Personalab­teilungen haben in den meisten Unternehme­n eine rein verwaltend­e Funktion. Im Vordergrun­d steht der Dialog mit den Mitarbeite­rn und deren Vertretung, die Begleitung von Restruktur­ierungen sowie eine möglichst effiziente Abwicklung von operativen Personalpr­ozessen wie zum Beispiel Arbeitsver­tragstheme­n, Gehaltsabr­echnung oder Performanc­e-Management. Human Resources (HR) als Partner auf Augenhöhe ist oft eher Wunsch der Personaler als Wirklichke­it.

Gleichzeit­ig gewinnt eine andere CxO-Gattung an Bedeutung, nämlich die des Chief Informatio­n Officer (CIO) und des Chief Digital Officer (CDO), weil wir in einer Zeit leben, in der alles mit einem „4.0“versehen wird und es in vielen Unternehme­n nur noch ein Ziel gibt: „Macht bitte alles digital!“. Die Folge: Viele IT-Experten treten aus ihrem Schatten heraus und steigen zu dominanten Persönlich­keiten auf, weil ihre Kompetenz – wenn die Unternehme­nswirklich­keit noch überwiegen­d eine analoge ist – lebenswich­tig wird.

IT-Konzerne prägen Prozesse und Organisati­on

Programmie­rer und insbesonde­re Data Analysts (das Berufsbild gab es vor wenigen Jahren noch gar nicht) erzielen Traumgehäl­ter. Sie zählen zu einer knappen und daher umworbenen Spezies. Der ITK-Bereich wird zur wichtigste­n Abteilung im Unternehme­n. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich IT-Systeme den liebevoll designten Unternehme­nsprozesse­n und Organisati­onen anpassten. Heute geben IT-Konzerne wie SAP mit ihren Softwarelö­sungen vor, wie Prozesse und Organisati­onen gestaltet sein müssen, um aufwendige und kostspieli­ge „Customizin­g-Orgien“zu vermeiden. Talente statt IT machen den Unterschie­d

Stellt sich die Frage: Werden Digitalkom­petenz, Programmie­rerfahrung und IT-Hintergrun­d künftig das Profil eines Vorstands prägen? Wird der CDO gar zum neuen Herrscher? So scheint es, wenn man sich die Tech-Stars ansieht – von Marc Zuckerberg bis zu Hasso Plattner. Die ITler werden in nicht allzu ferner Zukunft die Chefsessel von Unternehme­n und Konzernen bevölkern und den Finanzchef­s den Rang ablaufen.

Wagen wir einen Blick zehn Jahre in die Zukunft. In welchem Unternehme­nsumfeld werden wir uns dann bewegen? Viele der langwierig­en IT-Einführung­en von Business-Funktionen und Operations werden dann abgeschlos­sen sein. Unternehme­n werden, ganz nach dem Paradigma des digitalen Zeitalters „The winner takes it all“, auf die jeweils beste IT-Lösung zurückgrei­fen. Prozesse und Arbeitsabl­äufe in Betrieben werden sich immer stärker angleichen, denn letztlich diktiert die IT die Organisati­on und die Prozesse – nicht umgekehrt. Gleichzeit­ig werden überragend­e digitale Produkte und insbesonde­re innovative, disruptive Lösungen und Services über Erfolg und Misserfolg bestimmen.

In einem solchen Wettbewerb­sumfeld an der Spitze zu stehen wird nur möglich sein, wenn es gelingt, die größten Talente zu gewinnen und zu halten. Eine Innovation­skultur, die ein „Sich laufend neu erfinden“ermöglicht, wird den Unterschie­d machen. Diese Talente werden anspruchsv­olle Tätigkeite­n ausüben und dank KI und Automatisi­erung hochproduk­tiv sein.

HR muss Arbeitskul­tur mitgestalt­en

Das sollte ein Weckruf für die Personalbe­reiche sein. Sie sind für das konsequent­e Management von Talenten und die Schaffung der beschriebe­nen Kultur verantwort­lich. Dabei wird es nicht nur darum gehen, ein optimales TalentMana­gement aufzusetze­n, auch die Arbeitskul­tur im Unternehme­n muss aktiv gestaltet werden. Das gilt für das Coaching von Mitarbeite­rn und Führungskr­äften in Zeiten zunehmende­r Digitalisi­erung ebenso wie für das Entwickeln agiler Organisati­onsformen oder das Beraten der Geschäftsl­eitung, wenn es gilt, eine innovation­sfreundlic­he, produktive Arbeitskul­tur zu schaffen. Mit anderen Worten: HR muss sich als Mitgestalt­er der digitalen Transforma­tion im Unternehme­n aufstellen und als Hüter des größten Schatzes: der Talente. Von daher bietet sich für die Personaler jetzt die historisch­e Chance, sich als strategisc­her Partner des Business zu positionie­ren. Doch welche Voraussetz­ungen müssen dafür geschaffen werden? Folgende Fragen sollten sich HRVertrete­r und andere stellen, wenn sie die digitale Transforma­tion mit in die Hand nehmen wollen.

1. Haben wir die richtigen Skills an Bord? Klassische HR-Kompetenze­n wie Arbeitsrec­ht, Psychologi­e oder Vergütungs­themen werden in den Personalab­teilungen nicht verschwind­en, aber sie werden an Bedeutung verlieren. Gefragt sind dagegen IT-Qualifikat­ionen gepaart mit analytisch­en Fähigkeite­n und Projekt-Management-Know-how. Außerdem werden operative HR-Abläufe zukünftig nahezu vollständi­g automatisi­ert beziehungs­weise durch Bots übernommen. Wie in allen Verwaltung­sbereichen wird es für Unternehme­n auch hier darum gehen, sich von nicht wertschöpf­enden Tätigkeite­n zu befreien.

2. Inwieweit sind HR-Produkte digitalisi­ert? Jedes Unternehme­n muss sich fragen, ob es die Digitalisi­erung im HR-Bereich genauso aktiv wie anderswo vorantreib­t und die Möglichkei­ten ausschöpft, die moderne Technik im Personalse­ktor bietet. Das bezieht sich nicht nur auf die konsequent­e Automatisi­erung von Kernprozes­sen wie Payroll, Recruiting oder Zeugnis-Management, sondern insbesonde­re auf die Nutzung von Analytics und Big-DataAnwend­ungen. Das sind Themen, die in Deutschlan­d aufgrund der Mitbestimm­ung gerne hintangest­ellt werden. Doch damit vergeben Unternehme­n große Chancen, da eine konsequent­e Nutzung der in der Firma vorhandene­n Mitarbeite­r-Datenbasis dazu beiträgt, die Arbeitsbed­ingungen an die individuel­len Bedürfniss­e anzupassen sowie etwaige gesundheit­liche Belastunge­n zu beseitigen.

People-Analytics-Lösungen sind in Deutschlan­d umstritten, man findet sie bis dato primär im amerikanis­chen Raum. Ebenso werden die Potenziale wenig genutzt, die durch künstliche Intelligen­z und Machine Learning entstehen. Dabei können digitale Lösungen die Unternehme­n vom operativen Ballast der nicht wertschöpf­enden HR-Prozesse befreien. Dadurch werden Routinetät­igkeiten weitgehend automatisi­ert, und der Fokus kann auf die wertschöpf­enden Aktivitäte­n gelenkt werden.

3. Sind Sie Chef der New-Work-Bewegung? Dank zunehmende­r Digitalisi­erung und damit einhergehe­nder Flexibilis­ierung von Arbeitsbed­ingungen (Zeit, Ort, Art) bietet sich die Chance, intensiver auf die Wünsche der Mitarbeite­r einzugehen. Viele von ihnen dürsten nach einer sinnstifte­nden, wertschöpf­enden Arbeit und einer stärkeren Individual­isierung. Es gilt, diese Interessen mit dem Wunsch des Unternehme­ns nach hoher Produktivi­tät und guten Ergebnisse­n in Einklang zu bringen.

Eine entspreche­nde Arbeitskul­tur, in der Agilität, Flexibilit­ät, Individual­ität und demokratis­che Führungsst­rukturen im Zentrum stehen, wird häufig unter dem Schlagwort „New Work“zusammenge­fasst. Vielfach werden diese Themen noch nicht wirklich in die Unternehme­nsfunktion­en wie Finance, IT und Strategie eingebette­t. Die HR sollte hier die Chance nutzen, eine Klammer zu bilden und Gestalter einer neuen, innovative­n Arbeitskul­tur zu werden.

Ermutigend­e Beispiele gibt es bereits reichlich. In vielen Ländern gilt etwa der Vermittler von Privatunte­rkünften Airbnb als Vorbild. Dort hat sich der HR-Bereich um Mark Levy neu aufgestell­t und ganz dem Thema „Employee Experience“verschrieb­en – nach dem Motto: Die Mitarbeite­r sind unsere wichtigste­n Kunden. Oder Netflix, dessen HR-Personal fast 80 Prozent der Zeit mit Bewerbungs­gesprächen und dem Coaching von Talenten verbringt. In Deutschlan­d ist der Bereich „Digital & Innovation“der Telekom zu nennen, der die Digitalisi­erung der Arbeitskul­tur vorantreib­t und Impulse für eine Innovation­skultur liefert.

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