In der Digitalisierung kann HR vom Verwalter zum Gestalter werden
Eigentlich böten sich Personalabteilungen dank der Digitalisierung enorme Chancen. Personalchefs könnten den Ton angeben, sind sie doch verantwortlich für das höchste Gut, über das Unternehmen in diesen Zeiten der Veränderung verfügen: die Talente. Doch d
Personalabteilungen haben in den meisten Unternehmen eine rein verwaltende Funktion. Im Vordergrund steht der Dialog mit den Mitarbeitern und deren Vertretung, die Begleitung von Restrukturierungen sowie eine möglichst effiziente Abwicklung von operativen Personalprozessen wie zum Beispiel Arbeitsvertragsthemen, Gehaltsabrechnung oder Performance-Management. Human Resources (HR) als Partner auf Augenhöhe ist oft eher Wunsch der Personaler als Wirklichkeit.
Gleichzeitig gewinnt eine andere CxO-Gattung an Bedeutung, nämlich die des Chief Information Officer (CIO) und des Chief Digital Officer (CDO), weil wir in einer Zeit leben, in der alles mit einem „4.0“versehen wird und es in vielen Unternehmen nur noch ein Ziel gibt: „Macht bitte alles digital!“. Die Folge: Viele IT-Experten treten aus ihrem Schatten heraus und steigen zu dominanten Persönlichkeiten auf, weil ihre Kompetenz – wenn die Unternehmenswirklichkeit noch überwiegend eine analoge ist – lebenswichtig wird.
IT-Konzerne prägen Prozesse und Organisation
Programmierer und insbesondere Data Analysts (das Berufsbild gab es vor wenigen Jahren noch gar nicht) erzielen Traumgehälter. Sie zählen zu einer knappen und daher umworbenen Spezies. Der ITK-Bereich wird zur wichtigsten Abteilung im Unternehmen. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich IT-Systeme den liebevoll designten Unternehmensprozessen und Organisationen anpassten. Heute geben IT-Konzerne wie SAP mit ihren Softwarelösungen vor, wie Prozesse und Organisationen gestaltet sein müssen, um aufwendige und kostspielige „Customizing-Orgien“zu vermeiden. Talente statt IT machen den Unterschied
Stellt sich die Frage: Werden Digitalkompetenz, Programmiererfahrung und IT-Hintergrund künftig das Profil eines Vorstands prägen? Wird der CDO gar zum neuen Herrscher? So scheint es, wenn man sich die Tech-Stars ansieht – von Marc Zuckerberg bis zu Hasso Plattner. Die ITler werden in nicht allzu ferner Zukunft die Chefsessel von Unternehmen und Konzernen bevölkern und den Finanzchefs den Rang ablaufen.
Wagen wir einen Blick zehn Jahre in die Zukunft. In welchem Unternehmensumfeld werden wir uns dann bewegen? Viele der langwierigen IT-Einführungen von Business-Funktionen und Operations werden dann abgeschlossen sein. Unternehmen werden, ganz nach dem Paradigma des digitalen Zeitalters „The winner takes it all“, auf die jeweils beste IT-Lösung zurückgreifen. Prozesse und Arbeitsabläufe in Betrieben werden sich immer stärker angleichen, denn letztlich diktiert die IT die Organisation und die Prozesse – nicht umgekehrt. Gleichzeitig werden überragende digitale Produkte und insbesondere innovative, disruptive Lösungen und Services über Erfolg und Misserfolg bestimmen.
In einem solchen Wettbewerbsumfeld an der Spitze zu stehen wird nur möglich sein, wenn es gelingt, die größten Talente zu gewinnen und zu halten. Eine Innovationskultur, die ein „Sich laufend neu erfinden“ermöglicht, wird den Unterschied machen. Diese Talente werden anspruchsvolle Tätigkeiten ausüben und dank KI und Automatisierung hochproduktiv sein.
HR muss Arbeitskultur mitgestalten
Das sollte ein Weckruf für die Personalbereiche sein. Sie sind für das konsequente Management von Talenten und die Schaffung der beschriebenen Kultur verantwortlich. Dabei wird es nicht nur darum gehen, ein optimales TalentManagement aufzusetzen, auch die Arbeitskultur im Unternehmen muss aktiv gestaltet werden. Das gilt für das Coaching von Mitarbeitern und Führungskräften in Zeiten zunehmender Digitalisierung ebenso wie für das Entwickeln agiler Organisationsformen oder das Beraten der Geschäftsleitung, wenn es gilt, eine innovationsfreundliche, produktive Arbeitskultur zu schaffen. Mit anderen Worten: HR muss sich als Mitgestalter der digitalen Transformation im Unternehmen aufstellen und als Hüter des größten Schatzes: der Talente. Von daher bietet sich für die Personaler jetzt die historische Chance, sich als strategischer Partner des Business zu positionieren. Doch welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden? Folgende Fragen sollten sich HRVertreter und andere stellen, wenn sie die digitale Transformation mit in die Hand nehmen wollen.
1. Haben wir die richtigen Skills an Bord? Klassische HR-Kompetenzen wie Arbeitsrecht, Psychologie oder Vergütungsthemen werden in den Personalabteilungen nicht verschwinden, aber sie werden an Bedeutung verlieren. Gefragt sind dagegen IT-Qualifikationen gepaart mit analytischen Fähigkeiten und Projekt-Management-Know-how. Außerdem werden operative HR-Abläufe zukünftig nahezu vollständig automatisiert beziehungsweise durch Bots übernommen. Wie in allen Verwaltungsbereichen wird es für Unternehmen auch hier darum gehen, sich von nicht wertschöpfenden Tätigkeiten zu befreien.
2. Inwieweit sind HR-Produkte digitalisiert? Jedes Unternehmen muss sich fragen, ob es die Digitalisierung im HR-Bereich genauso aktiv wie anderswo vorantreibt und die Möglichkeiten ausschöpft, die moderne Technik im Personalsektor bietet. Das bezieht sich nicht nur auf die konsequente Automatisierung von Kernprozessen wie Payroll, Recruiting oder Zeugnis-Management, sondern insbesondere auf die Nutzung von Analytics und Big-DataAnwendungen. Das sind Themen, die in Deutschland aufgrund der Mitbestimmung gerne hintangestellt werden. Doch damit vergeben Unternehmen große Chancen, da eine konsequente Nutzung der in der Firma vorhandenen Mitarbeiter-Datenbasis dazu beiträgt, die Arbeitsbedingungen an die individuellen Bedürfnisse anzupassen sowie etwaige gesundheitliche Belastungen zu beseitigen.
People-Analytics-Lösungen sind in Deutschland umstritten, man findet sie bis dato primär im amerikanischen Raum. Ebenso werden die Potenziale wenig genutzt, die durch künstliche Intelligenz und Machine Learning entstehen. Dabei können digitale Lösungen die Unternehmen vom operativen Ballast der nicht wertschöpfenden HR-Prozesse befreien. Dadurch werden Routinetätigkeiten weitgehend automatisiert, und der Fokus kann auf die wertschöpfenden Aktivitäten gelenkt werden.
3. Sind Sie Chef der New-Work-Bewegung? Dank zunehmender Digitalisierung und damit einhergehender Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen (Zeit, Ort, Art) bietet sich die Chance, intensiver auf die Wünsche der Mitarbeiter einzugehen. Viele von ihnen dürsten nach einer sinnstiftenden, wertschöpfenden Arbeit und einer stärkeren Individualisierung. Es gilt, diese Interessen mit dem Wunsch des Unternehmens nach hoher Produktivität und guten Ergebnissen in Einklang zu bringen.
Eine entsprechende Arbeitskultur, in der Agilität, Flexibilität, Individualität und demokratische Führungsstrukturen im Zentrum stehen, wird häufig unter dem Schlagwort „New Work“zusammengefasst. Vielfach werden diese Themen noch nicht wirklich in die Unternehmensfunktionen wie Finance, IT und Strategie eingebettet. Die HR sollte hier die Chance nutzen, eine Klammer zu bilden und Gestalter einer neuen, innovativen Arbeitskultur zu werden.
Ermutigende Beispiele gibt es bereits reichlich. In vielen Ländern gilt etwa der Vermittler von Privatunterkünften Airbnb als Vorbild. Dort hat sich der HR-Bereich um Mark Levy neu aufgestellt und ganz dem Thema „Employee Experience“verschrieben – nach dem Motto: Die Mitarbeiter sind unsere wichtigsten Kunden. Oder Netflix, dessen HR-Personal fast 80 Prozent der Zeit mit Bewerbungsgesprächen und dem Coaching von Talenten verbringt. In Deutschland ist der Bereich „Digital & Innovation“der Telekom zu nennen, der die Digitalisierung der Arbeitskultur vorantreibt und Impulse für eine Innovationskultur liefert.