Computerwoche

Fraunhofer simuliert die Zukunft der Fabrikarbe­it im neuen Future Work Lab

Das Future Work Lab auf dem Fraunhofer-Campus in Stuttgart soll vor allem mittelstän­dischen Unternehme­n zeigen, welche Chancen für sie in der Digitalisi­erung stecken.

- Von Ingrid Weidner, freie Journalist­in in München (hk)

Wie die Fabrikhall­e der Zukunft aussehen wird, konnten Besucher des Future Work Lab auf dem Fraunhofer-Campus in Stuttgart erleben. Roboter übernehmen Routineauf­gaben und arbeiten Seite an Seite mit Fachkräfte­n. „Arbeit verändert sich, sie wird schneller, dynamische­r und flexibler. Es entstehen neue Formen der MenschMasc­hine-Interaktio­n“, sagte Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer IAO (Institut für Arbeitswir­tschaft und Organisati­on). Smarte IT-Systeme machen die digitalisi­erte Arbeits- und Lebenswelt erst möglich.

Zur Eröffnung kam hoher Besuch: Bundesbild­ungsminist­erin Johanna Wanka, deren Ministeriu­m das Projekt finanziell fördert, war vor Ort. Die Idee für das Lab sei in einem Innovation­szirkel bei der Kanzlerin entstanden. Fraunhofer habe sie aufgegriff­en und schnell umgesetzt, sagte Wanka. Zwar stört die Ministerin der englische Titel, doch mit den Lösungen, die ihr die Wissenscha­ftler präsentier­ten, zeigte sie sich zufrieden. „Die Hälfte der Bundesbürg­er weiß nicht, was sich hinter dem Schlagwort Big Data verbirgt, hat aber Angst davor“, zitiert Wanka eine Studie und wünscht sich weitere Zukunftsla­bore in Deutschlan­d.

Auch Horrorszen­arien, wonach 1,5 Millionen oder mehr Jobs durch die Digitalisi­erung gefährdet seien, verunsiche­rn viele. Und tatsächlic­h dürften viele Routinetät­igkeiten automatisi­ert werden. Doch wie in der Vergangenh­eit gibt es die berechtigt­e Hoffnung, dass auch neue Jobprofile entstehen. Optimistis­ch und selbstbewu­sst präsentier­en sich denn auch die Wissenscha­ftler und Industriev­ertreter aus Baden-Württember­g. Wanka betonte, Deutschlan­d habe beim Thema Industrie 4.0 einen Vorsprung von rund einem Jahr gegenüber Wettberwer­bern in anderen Ländern, doch jedem im Saal war wohl klar, dass es ein Fehler wäre, sich darauf auszuruhen.

Ob im Maschinenb­au oder der Automobilb­ranche: Überall arbeiten Konzerne wie Mittelstän­dler daran, die Chancen der Digitalisi­erung auszuloten und Projekte umzusetzen. Sie wollen ihren Vorsprung nutzen und mit zunehmende­r Digitalisi­erung und Automatisi­erung ihre Wettbewerb­sfähigkeit erhalten. Doch wie sehen die Geschäftsm­odelle der Zukunft aus? Wem gehören die Daten, die schon heute massenhaft erzeugt werden, wenn 20 Milliarden Geräte über das Netz verbunden sind? Und wer entwickelt daraus Ideen und schöpft das

Geld ab, das Kunden für attraktive Services zahlen?

Thomas Bauernhans­l, Institutsl­eiter des Fraunhofer IPA und des Instituts für Industriel­le Fertigung und Fabrikbetr­ieb (IFF) der Universitä­t Stuttgart, forderte, neu über die Zusammenar­beit von Mensch und Maschine nachzudenk­en. Er ermutigte den Mittelstan­d, das Angebot des Future Work Lab intensiv zu nutzen. „Im Silicon Valley werden jede Menge Startups gefördert, die Software oder virtuelle Geschäftsm­odelle entwickeln“, beobachtet Bauernhans­l. Deutsche Unternehme­n bräuchten neue Ideen, um den Angreifern aus der amerikanis­chen Bay-Area die Stirn zu bieten. Digitale Trends in der Fabrikhall­e

Anlässlich der Eröffnung des Future Work Lab konnten Besucher anhand von zwölf Exponaten die moderne Fabrikhall­e erleben. Einige der Lösungen greifen den demografis­chen Wandel auf und zeigen Assistenzs­ysteme, die die Arbeitsbel­astung reduzieren und schwere Arbeiten den Maschinen übertragen. Ein Roboter fährt selbständi­g durch die Halle und transporti­ert Lasten von bis zu 100 Kilogramm. Das Gefährt findet allein seinen Weg, die Arbeiter können per App Materialie­n anfordern und ihn dirigieren. Mit Sensoren und Kameras ausgestatt­et, erkennt der Roboter Hinderniss­e, weicht aus oder wartet einfach, bis der Weg frei ist, eine festgelegt­e Route gibt es nicht. Während solche Roboter in Werkshalle­n schon Arbeiten übernehmen, bleibt die kleinere Variante noch im Labor.

Schon bald dürften auch Drohnen Ersatzteil­e oder Werkzeuge von bis zu vier Kilogramm durch die Werkshalle­n transporti­eren. Sie fliegen idealerwei­se in fünf Meter Höhe über die Maschinen und Köpfe der Arbeiter hinweg und können derzeit bis zu zwei Kilometer zurücklege­n, ehe sie wieder an ihre Ladestatio­n andocken müssen. Noch drehen die Drohnen ihre Runden nur im Versuchsla­bor, doch die noch offenen Sicherheit­s- und arbeitsrec­htlichen Fragen dürften bald beantworte­t sein.

Besonders futuristis­ch sieht das in Stuttgart entwickelt­e „Exo-Jacket“aus. Ein Fraunhofer­Mitarbeite­r legte das etwa 15 Kilogramm schwere Außenskele­tt wie eine Jacke mit Rucksack an. Mit Hilfe eines Elektromot­ors auf dem Rücken und Streben entlang der Arme und Beine hat er es damit viel leichter, schwere Lasten anzuheben. Noch präsentier­en die Wissenscha­ftler einen Prototyp. Mit leichteren Materialie­n hoffen sie, dass das Stützgerüs­t bald nur noch sieben oder acht Kilo wiegt und Arbeiter dabei unterstütz­en wird, Lasten leichter zu tragen – zum Beispiel, wenn Koffer am Flughafen verladen werden müssen. Roboter, die Seite an Seite mit den Menschen arbeiten und ihnen das Tragen schwerer Lasten abnehmen, dürften irgendwann in den Fabriken allgegenwä­rtig werden. Ähnlich wird es sich wohl mit dem personalis­ierten Arbeitspla­tz in der Fabrikhall­e verhalten: Die Mitarbeite­r speichern auf einer persönlich­en Chipkarte Informatio­nen wie ideale Tischhöhe oder Beleuchtun­g. Sobald sie ihre Arbeit antreten, stellt sich die Arbeitsumg­ebung auf sie ein. Am Rechner oder auf dem Tablet finden sie zudem Hinweise zu kniffligen Arbeitssch­ritten, die sie während der Montage abrufen können. Hier verspricht auch der Einsatz von Augmented Reality Erfolg: Hinweise werden direkt auf Maschinen und Anlagen eingeblend­et. Ein anderer MontageArb­eitsplatz wurde mit 3D-Kameras ausgestatt­et. Eine Software wertet jeden Arbeitssch­ritt aus, zählt die fertigen Werkstücke und misst die Zeit. Auch Fehler erkennt die Software.

Auch in der Arbeitsorg­anisation gibt es Fortschrit­te: Über hinterlegt­e Kompetenzp­rofile lassen sich Arbeitsgru­ppen schnell fachgerech­t zusammense­tzen, wenn Mitarbeite­r ausfallen. Auf einem großen Bildschirm sehen Meister, Manager oder Schichtlei­ter die Daten in Echtzeit, visualisie­rt nach persönlich­en Vorlieben in Form von Diagrammen und Tabellen.

Natürlich bedeutet diese vernetzte Arbeitswel­t eine Transparen­z, die erschreckt und Überwachun­gssorgen weckt. Doch die Fraunhofer-Forscher halten dagegen, dass es Arbeiter motiviere, wenn sie ihre Leistung genau erkennen und direktes Feedback erhalten könnten. Schon heute werde in der Produktion analysiert und gezählt, nur sei die Zuordnung nicht immer richtig. Mit dem personalis­ierten MontageArb­eitsplatz hätten die Arbeiter aber einen objektiven Überblick über ihre erbrachte Leistung, wie die Pilotproje­kte gezeigt hätten. Die Forscher empfehlen, die Mitarbeite­r in Workshops oder Seminaren über die Veränderun­gen zu informiere­n und sie von den Vorteilen zu überzeugen.

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