Digitalstrategien zu defensiv
Viele deutsche Unternehmen verfolgen eine reine Verteidigungsstrategie, wenn es um den digitalen Wandel geht. Das ist ein Kernergebnis einer Umfrage von Cognizant, Lünendonk und der TU Darmstadt. Statt die Chance zur Erneuerung zu nutzen, wollten Firmen o
Deutsche Unternehmen neigen dazu, mit Hilfe digitaler Technologien vorhandene Produkte und Prozesse verbessern zu wollen. Doch in der Digitalisierung geht es darum, über den Tellerrand hinauszublicken und Marktanteile sowie Kundenkreise auszuweiten.
Autobauer, Chemie- und Pharmaindustrie, Handel, Logistik und natürlich die vielen Vertreter aus der Industrieproduktion – das sind die klassischen Säulen des Wirtschaftsstandorts Deutschland, die in den vergangenen Jahrzehnten Wachstum und Wohlstand hierzulande gesichert haben. Die meisten Unternehmen aus diesem Umfeld sind geprägt durch hierarchische Organisationen, lange Entwicklungszyklen sowie hohe Qualitätsansprüche bei gleichzeitig niedriger Fehlertoleranz. Wenn es darum geht, eine Perspektive für die eigene Strategie zu entwickeln und Innovationen voranzutreiben, richtet sich der Blick in aller Regel vornehmlich auf die eigene Branche beziehungsweise das nähere Wettbewerbsumfeld. Ob diese Methode in Zukunft noch funktionieren wird, ist fraglich, denn das Marktumfeld für diese Unternehmen ändert sich massiv. Vertreter der digitalen Wirtschaft schaffen es, losgelöst von herkömmlichen Produktionsprozessen, viel schneller, Innovationen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Damit gelingt es den praktisch aus dem Nichts auftauchenden Konkurrenten, sich in die Wertschöpfungsketten der etablierten Player einzuklinken und auf deren Kosten zu wachsen.
Old Economy muss Geschäftsmodelle auf den Prüfstand stellen
Die Vertreter der Old Economy werden also durch den digitalen Wandel gezwungen, ihre eigenen Geschäftsmodelle zu transformieren. Dabei tauchen viele Fragen auf: Welche Ziele sollte eine digitale Agenda verfolgen? Wie sieht das Wettbewerbsumfeld aus? Welche Chancen und Risiken sind auszumachen? Antworten auf diese Fragen sucht die Trendstudie „Wie digitalisieren Sie Ihr Businees? – Mehrwerte schaffen durch Digitale Transformation“
von Cognizant, Lünendonk und dem Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität Darmstadt. Ziel war, den Status quo in Sachen digitale Transformation großer Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz abzufragen. Dafür wurden im vergangenen Jahr über 120 IT- und Business-Entscheider aus Firmen mit mehr als 2500 Mitarbeitern interviewt. Branchenschwerpunkte bildeten die Bereiche Handel, Banken und Finanzdienstleister sowie Chemie/Pharma/Medizintechnik.
Nur die wenigsten Firmen gehen demnach davon aus, dass der digitale Sturm ohne Auswirkungen auf die eigenen Geschäfte vorüberziehen wird. Gut sechs von zehn Unternehmen rechnen mit großen (31 Prozent) beziehungsweise sehr großen (30 Prozent) Veränderungen innerhalb der eigenen Branche. Interessanterweise werden die unmittelbaren Folgen für das eigene Unternehmen aber als weniger drastisch beurteilt. Gut die Hälfte der Befragten erwartet hier große (36 Prozent) beziehungsweise sehr große (17 Prozent) Veränderungen. Die größten Chancen im Zuge der Digitalisierung sehen die Unternehmen in Prozessverbesserungen (84 Prozent), einer stärkeren Bindung bestehender Kunden (60 Prozent) sowie im Halten beziehungsweise Verbessern der eigenen Wettbewerbssituation (52 Prozent). Diese Ausrichtung sehen die Studienautoren allerdings kritisch. Primär ständen damit „Verteidigungsziele“im Fokus der Unternehmenslenker. Dagegen spielten Innovationen und wachstumsorientierte Ziele wie eine strategische Neuausrichtung (28 Prozent), das Erschließen neuer Geschäftsfelder (26 Prozent) oder die Gewinnung zusätzlicher Kunden (21 Prozent) eine untergeordnete Rolle.
Die Experten mutmaßen, dass die Konditionierung bestehender Rollen und Aufgaben in den Organisationen dazu geführt habe, dass sich das Management vieler Unternehmen darauf konzentriert, den Status quo zu verteidigen und zu bewahren. In den zurückliegenden Jahren hätten sich die Verantwortlichen in den Unternehmen hauptsächlich darauf kapriziert, Prozesse zu verbessern und Kosten zu senken. „Aus dieser Historie heraus fällt ein Umdenken schwer“, heißt es in der Studie. Das gelte umso mehr, wenn innerhalb der Organisation nur wenige Personen den Auftrag hätten, neu und anders zu denken, um eine Strategie für die digitale Transformation zu entwickeln. Dazu kommt auch, dass nur wenige Unternehmen den digitalen Wandel als Impuls von innen heraus verstehen. Die Mehrzahl (70 Prozent) empfindet die Tatsache, sich transformieren zu müssen, als einen aufgezwungenen Trend. Der Druck kommt überwiegend von außen, so das Statement von mehr als zwei Dritteln der befragten Manager.
Risiko-Investitionen
So verwundert es nicht, dass die Unternehmen als größtes Risiko im Zusammenhang mit dem digitalen Wandel die Gefahr sehen, dass sich die Investitionen in den Umbau der eigenen Organisation nicht rechnen. Darüber hinaus befürchtet mehr als die Hälfte der Verantwort-
lichen (55 Prozent), die Neuausrichtung der eigenen Unternehmenskultur werde nur sehr langsam funktionieren. Auch die Herausforderung, hochqualifizierte IT-Fachkräfte zu finden und an das eigene Unternehmen zu binden, sehen viele der Befragten (48 Prozent) als großes Risiko. Defizite offenbart die Studie im Hinblick auf die technische Grundausstattung der Unternehmen für die Digitalisierung. Zu den technologischen Treibern gehören aus Sicht der Experten Themen wie das Internet of Things (IoT), Big Data, das mobile Internet, Social Media, Robotik und künstliche Intelligenz (KI). Hier sehen sich viele befragte Unternehmen im Hintertreffen. Im internationalen Vergleich glauben sie sich lediglich in puncto Mobile Computing besser aufgestellt als ihre Wettbewerber. In Sachen Big Data und Cloud sehen sich die Befragten etwa auf Augenhöhe mit der Konkurrenz. Als schwächer wird dagegen die eigene Position hinsichtlich Social Media, KI sowie Robotik eingestuft.
Schwierig wird es für die Unternehmen offenbar auch dann, wenn es darum geht, den digitalen Wandel konkret umzusetzen. Der Studie zufolge schätzen sich die Verantwortlichen durchaus als gut ein, wenn es um die Entwicklung geht – die Entwicklung digitaler Innovationen, digitaler Geschäftsmodelle, einer Digitalisierungsstrategie insgesamt. Zwischen 40 und etwas über 50 Prozent gaben im Rahmen der Umfrage an, ihr Unternehmen sei dafür gut beziehungsweise sehr gut aufgestellt. Wenn es aber darum geht, diese Pferdestärken auf die Straße zu bringen, sieht es ganz anders aus. In der Vermarktung digitaler Innovationen glaubt sich nur noch rund jeder vierte Teilnehmer gut beziehungsweise sehr gut aufgestellt. Und die Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie im eigenen Unternehmen bezeichnet nur jeder Zehnte als sehr gut. Rund die Hälfte der Befragten räumt ein, in diesen Punkten schlecht oder sogar sehr schlecht aufgestellt zu sein. „Diese Einschätzung, gut in der Entwicklung, aber schwach in der Vermarktung zu sein, spiegelt eine Tendenz wider, dass Deutschland auf internationaler Ebene bei der Digitalen Wirtschaft keine führende Rolle einnimmt“, schreiben die Studienautoren.
Ideen finden – Unternehmen vertrauen althergebrachten Methoden
Im Rahmen der Studie wurde auch abgefragt, wie die Unternehmen Innovationen entwickeln. Dabei setzen die Befragten in erster Linie auf die interne Ideenfindung (92 Prozent), beispielsweise in einem Innovation Lab, beziehungsweise auf die Zusammenarbeit mit bekannten Stakeholdern (98 Prozent) wie etwa Kunden oder Partnern. Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen nutzt offenere, weniger kontrollierbare Methoden der Innovationsentwicklung wie beispielsweise Open Innovation oder Crowdsourcing. Auch in der Wahl der Methode halten sich die Unternehmen an das Altbewährte. Fast jedes Unternehmen (98 Prozent) gab an, mit klassischem Brainstroming zu arbeiten. Andere Wege wie Canvas, das St. Gallener Management Modell (18 Prozent) oder Design Thinking (13 Prozent) werden deutlich seltener beschritten.
Für viele Unternehmen wird sich das Partnerumfeld im Zusammenhang mit der digitalen Transformation verändern, haben die Ergebnisse der Umfrage gezeigt. Vier von fünf der Befragten stimmen der These „voll“zu, dass die neuen Ökosysteme komplexer werden. Rechnet man noch die Unternehmen hinzu,
die der These „eher“zustimmen, sind es 95 Prozent, die von der steigenden Komplexität der Ökosysteme überzeugt sind. Berücksichtigt man dabei, dass sich die Unternehmen bei der Suche und Pflege von Innovationspartnern (Startups, Technologieunternehmen, branchenfremde Unternehmen) schlecht aufgestellt sehen, wird klar, dass hier Nachholbedarf besteht.
Fazit: Folgen werden unterschätzt
„Die zunehmende Digitalisierung stellt Unternehmen vor viele neue Herausforderungen“, konstatiert Peter Buxmann, Professor an der TU Darmstadt. Hierzu zählt der an der Studie beteiligte Wissenschaftler etwa die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, um beispielsweise neue Märkte zu erschließen beziehungsweise neue Kunden zu gewinnen. Seiner Ansicht nach unterschätzen viele Unternehmen immer noch die Bedeutung der Digitalisierung. Darauf weise die vielfach geäußerte Einschätzung hin, wonach andere Unternehmen von der Digitalisierung mehr betroffen seien als man selbst. „Diese Einstellung ist gefährlich und könnte auch die Denkwelt gewesen sein, in der sich frühe Opfer der Digitalisierung, wie etwa Kodak, bewegt haben.“
Die Ergebnisse zeigten, dass viele Unternehmen mit der digitalen Transformation eher defensiv umgehen und innovative Entwicklungen zu zögerlich vorantreiben, steht im Fazit zur Studie. Bezüglich der „Chancen“ständen Verteidigungsziele wie die Bindung von Kunden oder Prozessverbesserungen im Vordergrund. Perspektiven durch neue Geschäftsmodelle oder das Erschließen neuer Märkte würden als weniger bedeutsam eingestuft. „Den Unterneh- men fällt es schwer zu erkennen, welche Innovationen ihnen helfen, einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu generieren“, folgert Buxmann. „Die Resultate der Studie zeigen, dass die befragten Unternehmen eher auf Nummer sicher gehen, als neue, vielleicht auch unsichere Wege zu beschreiten.“
Der Studie zufolge lauert hier eine Gefahr. Es entstehe ein Spannungsfeld, wenn Unternehmen wachstumsorientierten Themen nur geringe Chancen zuschreiben und gleichzeitig das Investitionsrisiko bei der Entwicklung digitaler Innovationen und Geschäftsmodelle als hoch einstufen. Auf lange Sicht gefährde dieses Verhalten die Überlebensfähigkeit, „denn am Ende des Tages selektiert der Kunde diejenigen Unternehmen, die kein digitales Erlebnis bieten, einfach aus“, lautet das Fazit der Studie.