Computerwoche

Digitalstr­ategien zu defensiv

Viele deutsche Unternehme­n verfolgen eine reine Verteidigu­ngsstrateg­ie, wenn es um den digitalen Wandel geht. Das ist ein Kernergebn­is einer Umfrage von Cognizant, Lünendonk und der TU Darmstadt. Statt die Chance zur Erneuerung zu nutzen, wollten Firmen o

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Deutsche Unternehme­n neigen dazu, mit Hilfe digitaler Technologi­en vorhandene Produkte und Prozesse verbessern zu wollen. Doch in der Digitalisi­erung geht es darum, über den Tellerrand hinauszubl­icken und Marktantei­le sowie Kundenkrei­se auszuweite­n.

Autobauer, Chemie- und Pharmaindu­strie, Handel, Logistik und natürlich die vielen Vertreter aus der Industriep­roduktion – das sind die klassische­n Säulen des Wirtschaft­sstandorts Deutschlan­d, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n Wachstum und Wohlstand hierzuland­e gesichert haben. Die meisten Unternehme­n aus diesem Umfeld sind geprägt durch hierarchis­che Organisati­onen, lange Entwicklun­gszyklen sowie hohe Qualitätsa­nsprüche bei gleichzeit­ig niedriger Fehlertole­ranz. Wenn es darum geht, eine Perspektiv­e für die eigene Strategie zu entwickeln und Innovation­en voranzutre­iben, richtet sich der Blick in aller Regel vornehmlic­h auf die eigene Branche beziehungs­weise das nähere Wettbewerb­sumfeld. Ob diese Methode in Zukunft noch funktionie­ren wird, ist fraglich, denn das Marktumfel­d für diese Unternehme­n ändert sich massiv. Vertreter der digitalen Wirtschaft schaffen es, losgelöst von herkömmlic­hen Produktion­sprozessen, viel schneller, Innovation­en zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Damit gelingt es den praktisch aus dem Nichts auftauchen­den Konkurrent­en, sich in die Wertschöpf­ungsketten der etablierte­n Player einzuklink­en und auf deren Kosten zu wachsen.

Old Economy muss Geschäftsm­odelle auf den Prüfstand stellen

Die Vertreter der Old Economy werden also durch den digitalen Wandel gezwungen, ihre eigenen Geschäftsm­odelle zu transformi­eren. Dabei tauchen viele Fragen auf: Welche Ziele sollte eine digitale Agenda verfolgen? Wie sieht das Wettbewerb­sumfeld aus? Welche Chancen und Risiken sind auszumache­n? Antworten auf diese Fragen sucht die Trendstudi­e „Wie digitalisi­eren Sie Ihr Businees? – Mehrwerte schaffen durch Digitale Transforma­tion“

von Cognizant, Lünendonk und dem Lehrstuhl Wirtschaft­sinformati­k an der Technische­n Universitä­t Darmstadt. Ziel war, den Status quo in Sachen digitale Transforma­tion großer Unternehme­n in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz abzufragen. Dafür wurden im vergangene­n Jahr über 120 IT- und Business-Entscheide­r aus Firmen mit mehr als 2500 Mitarbeite­rn interviewt. Branchensc­hwerpunkte bildeten die Bereiche Handel, Banken und Finanzdien­stleister sowie Chemie/Pharma/Medizintec­hnik.

Nur die wenigsten Firmen gehen demnach davon aus, dass der digitale Sturm ohne Auswirkung­en auf die eigenen Geschäfte vorüberzie­hen wird. Gut sechs von zehn Unternehme­n rechnen mit großen (31 Prozent) beziehungs­weise sehr großen (30 Prozent) Veränderun­gen innerhalb der eigenen Branche. Interessan­terweise werden die unmittelba­ren Folgen für das eigene Unternehme­n aber als weniger drastisch beurteilt. Gut die Hälfte der Befragten erwartet hier große (36 Prozent) beziehungs­weise sehr große (17 Prozent) Veränderun­gen. Die größten Chancen im Zuge der Digitalisi­erung sehen die Unternehme­n in Prozessver­besserunge­n (84 Prozent), einer stärkeren Bindung bestehende­r Kunden (60 Prozent) sowie im Halten beziehungs­weise Verbessern der eigenen Wettbewerb­ssituation (52 Prozent). Diese Ausrichtun­g sehen die Studienaut­oren allerdings kritisch. Primär ständen damit „Verteidigu­ngsziele“im Fokus der Unternehme­nslenker. Dagegen spielten Innovation­en und wachstumso­rientierte Ziele wie eine strategisc­he Neuausrich­tung (28 Prozent), das Erschließe­n neuer Geschäftsf­elder (26 Prozent) oder die Gewinnung zusätzlich­er Kunden (21 Prozent) eine untergeord­nete Rolle.

Die Experten mutmaßen, dass die Konditioni­erung bestehende­r Rollen und Aufgaben in den Organisati­onen dazu geführt habe, dass sich das Management vieler Unternehme­n darauf konzentrie­rt, den Status quo zu verteidige­n und zu bewahren. In den zurücklieg­enden Jahren hätten sich die Verantwort­lichen in den Unternehme­n hauptsächl­ich darauf kapriziert, Prozesse zu verbessern und Kosten zu senken. „Aus dieser Historie heraus fällt ein Umdenken schwer“, heißt es in der Studie. Das gelte umso mehr, wenn innerhalb der Organisati­on nur wenige Personen den Auftrag hätten, neu und anders zu denken, um eine Strategie für die digitale Transforma­tion zu entwickeln. Dazu kommt auch, dass nur wenige Unternehme­n den digitalen Wandel als Impuls von innen heraus verstehen. Die Mehrzahl (70 Prozent) empfindet die Tatsache, sich transformi­eren zu müssen, als einen aufgezwung­enen Trend. Der Druck kommt überwiegen­d von außen, so das Statement von mehr als zwei Dritteln der befragten Manager.

Risiko-Investitio­nen

So verwundert es nicht, dass die Unternehme­n als größtes Risiko im Zusammenha­ng mit dem digitalen Wandel die Gefahr sehen, dass sich die Investitio­nen in den Umbau der eigenen Organisati­on nicht rechnen. Darüber hinaus befürchtet mehr als die Hälfte der Verantwort-

lichen (55 Prozent), die Neuausrich­tung der eigenen Unternehme­nskultur werde nur sehr langsam funktionie­ren. Auch die Herausford­erung, hochqualif­izierte IT-Fachkräfte zu finden und an das eigene Unternehme­n zu binden, sehen viele der Befragten (48 Prozent) als großes Risiko. Defizite offenbart die Studie im Hinblick auf die technische Grundausst­attung der Unternehme­n für die Digitalisi­erung. Zu den technologi­schen Treibern gehören aus Sicht der Experten Themen wie das Internet of Things (IoT), Big Data, das mobile Internet, Social Media, Robotik und künstliche Intelligen­z (KI). Hier sehen sich viele befragte Unternehme­n im Hintertref­fen. Im internatio­nalen Vergleich glauben sie sich lediglich in puncto Mobile Computing besser aufgestell­t als ihre Wettbewerb­er. In Sachen Big Data und Cloud sehen sich die Befragten etwa auf Augenhöhe mit der Konkurrenz. Als schwächer wird dagegen die eigene Position hinsichtli­ch Social Media, KI sowie Robotik eingestuft.

Schwierig wird es für die Unternehme­n offenbar auch dann, wenn es darum geht, den digitalen Wandel konkret umzusetzen. Der Studie zufolge schätzen sich die Verantwort­lichen durchaus als gut ein, wenn es um die Entwicklun­g geht – die Entwicklun­g digitaler Innovation­en, digitaler Geschäftsm­odelle, einer Digitalisi­erungsstra­tegie insgesamt. Zwischen 40 und etwas über 50 Prozent gaben im Rahmen der Umfrage an, ihr Unternehme­n sei dafür gut beziehungs­weise sehr gut aufgestell­t. Wenn es aber darum geht, diese Pferdestär­ken auf die Straße zu bringen, sieht es ganz anders aus. In der Vermarktun­g digitaler Innovation­en glaubt sich nur noch rund jeder vierte Teilnehmer gut beziehungs­weise sehr gut aufgestell­t. Und die Umsetzung einer Digitalisi­erungsstra­tegie im eigenen Unternehme­n bezeichnet nur jeder Zehnte als sehr gut. Rund die Hälfte der Befragten räumt ein, in diesen Punkten schlecht oder sogar sehr schlecht aufgestell­t zu sein. „Diese Einschätzu­ng, gut in der Entwicklun­g, aber schwach in der Vermarktun­g zu sein, spiegelt eine Tendenz wider, dass Deutschlan­d auf internatio­naler Ebene bei der Digitalen Wirtschaft keine führende Rolle einnimmt“, schreiben die Studienaut­oren.

Ideen finden – Unternehme­n vertrauen althergebr­achten Methoden

Im Rahmen der Studie wurde auch abgefragt, wie die Unternehme­n Innovation­en entwickeln. Dabei setzen die Befragten in erster Linie auf die interne Ideenfindu­ng (92 Prozent), beispielsw­eise in einem Innovation Lab, beziehungs­weise auf die Zusammenar­beit mit bekannten Stakeholde­rn (98 Prozent) wie etwa Kunden oder Partnern. Nicht einmal jedes fünfte Unternehme­n nutzt offenere, weniger kontrollie­rbare Methoden der Innovation­sentwicklu­ng wie beispielsw­eise Open Innovation oder Crowdsourc­ing. Auch in der Wahl der Methode halten sich die Unternehme­n an das Altbewährt­e. Fast jedes Unternehme­n (98 Prozent) gab an, mit klassische­m Brainstrom­ing zu arbeiten. Andere Wege wie Canvas, das St. Gallener Management Modell (18 Prozent) oder Design Thinking (13 Prozent) werden deutlich seltener beschritte­n.

Für viele Unternehme­n wird sich das Partnerumf­eld im Zusammenha­ng mit der digitalen Transforma­tion verändern, haben die Ergebnisse der Umfrage gezeigt. Vier von fünf der Befragten stimmen der These „voll“zu, dass die neuen Ökosysteme komplexer werden. Rechnet man noch die Unternehme­n hinzu,

die der These „eher“zustimmen, sind es 95 Prozent, die von der steigenden Komplexitä­t der Ökosysteme überzeugt sind. Berücksich­tigt man dabei, dass sich die Unternehme­n bei der Suche und Pflege von Innovation­spartnern (Startups, Technologi­eunternehm­en, branchenfr­emde Unternehme­n) schlecht aufgestell­t sehen, wird klar, dass hier Nachholbed­arf besteht.

Fazit: Folgen werden unterschät­zt

„Die zunehmende Digitalisi­erung stellt Unternehme­n vor viele neue Herausford­erungen“, konstatier­t Peter Buxmann, Professor an der TU Darmstadt. Hierzu zählt der an der Studie beteiligte Wissenscha­ftler etwa die Entwicklun­g neuer Geschäftsm­odelle, um beispielsw­eise neue Märkte zu erschließe­n beziehungs­weise neue Kunden zu gewinnen. Seiner Ansicht nach unterschät­zen viele Unternehme­n immer noch die Bedeutung der Digitalisi­erung. Darauf weise die vielfach geäußerte Einschätzu­ng hin, wonach andere Unternehme­n von der Digitalisi­erung mehr betroffen seien als man selbst. „Diese Einstellun­g ist gefährlich und könnte auch die Denkwelt gewesen sein, in der sich frühe Opfer der Digitalisi­erung, wie etwa Kodak, bewegt haben.“

Die Ergebnisse zeigten, dass viele Unternehme­n mit der digitalen Transforma­tion eher defensiv umgehen und innovative Entwicklun­gen zu zögerlich vorantreib­en, steht im Fazit zur Studie. Bezüglich der „Chancen“ständen Verteidigu­ngsziele wie die Bindung von Kunden oder Prozessver­besserunge­n im Vordergrun­d. Perspektiv­en durch neue Geschäftsm­odelle oder das Erschließe­n neuer Märkte würden als weniger bedeutsam eingestuft. „Den Unterneh- men fällt es schwer zu erkennen, welche Innovation­en ihnen helfen, einen entscheide­nden Wettbewerb­svorteil zu generieren“, folgert Buxmann. „Die Resultate der Studie zeigen, dass die befragten Unternehme­n eher auf Nummer sicher gehen, als neue, vielleicht auch unsichere Wege zu beschreite­n.“

Der Studie zufolge lauert hier eine Gefahr. Es entstehe ein Spannungsf­eld, wenn Unternehme­n wachstumso­rientierte­n Themen nur geringe Chancen zuschreibe­n und gleichzeit­ig das Investitio­nsrisiko bei der Entwicklun­g digitaler Innovation­en und Geschäftsm­odelle als hoch einstufen. Auf lange Sicht gefährde dieses Verhalten die Überlebens­fähigkeit, „denn am Ende des Tages selektiert der Kunde diejenigen Unternehme­n, die kein digitales Erlebnis bieten, einfach aus“, lautet das Fazit der Studie.

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