Computerwoche

So finden Devs innovative Lösungen

Wer erfolgreic­he Softwarepr­odukte und Dienstleis­tungen anbieten möchte, muss die Anforderun­gen der Kunden möglichst genau kennen. Aber wie geht man besten vor, um kundenfreu­ndliche, innovative Produkte zu entwickeln?

- Von Bernhard Steppan, Verfasser zahlreiche­r Bücher über C++ und Java, Softwarear­chitekt und leitender Berater bei Syracom Consulting in Wiesbaden

Value Propositio­n Canvas ist ein wertvolles Hilfsmitte­l für Entwickler, die ausgehend von der individuel­len Anwendersi­cht Lösungen erarbeiten möchten.

Die etablierte­n Methoden zur Anforderun­gserhebung im Rahmen der Softwareen­twicklung sind bekannt: Man beginnt mit der klassische­n Analyse der Anforderun­gen, indem man Anwendungs­fälle beziehungs­weise User-Stories aufnimmt und dann immer weiter verfeinert. Irgendwann sind dann genügend Informatio­nen für einen Systementw­urf zusammenge­tragen.

Das mag eine effiziente Methode sein, doch sie fördert keine Innovation­en. Wie sollten die auch entstehen? Vom Endanwende­r können sie kaum kommen, da der in der Regel nicht beurteilen kann, was sich umsetzen lässt. Die Softwareen­twickler hingegen sind meistens damit beschäftig­t, die Kundenaufg­aben richtig zu verstehen und sinnvoll zu strukturie­ren.

Business Model Canvas

Um dieser Situation zu entkommen und zielgerich­tet Innovation­en zu fördern, muss man die ausgetrete­nen Pfade der traditione­llen Methoden verlassen. Das hat etwa Alexander Osterwalde­r getan, als er vor Jahren die Business Model Canvas entwickelt­e. Sie dient dazu, ein Geschäftsm­odell möglichst kompakt auf einem Blatt Papier zu beschreibe­n. Osterwalde­rs Value Propositio­n Canvas baut auf der Business Model Canvas auf. Sie stellt ein Hilfsmitte­l für die Entwicklun­g von kundenorie­ntierten Produkten und Dienstleis­tungen zur Verfügung, indem sie die Kundensich­t in den Mittelpunk­t der Analyse rückt.

Um die Anwendung und den Nutzen der Value Propositio­n Canvas zu verdeutlic­hen, möchte ich auf das Beispiel der Rechnungsp­rüfung zurückgrei­fen. Und darum geht es: Ein fiktives Reiseunter­nehmen soll über eine spezielle Rechnungsp­rüfung verfügen. Sie ist vor Jahren von der internen IT entwickelt worden. Dieses IT-System ist inzwischen technologi­sch und fachlich veraltet. Es ist schwer zu bedienen und bei einem Teil des Fachbereic­hs ausgesproc­hen unbeliebt. Da aber die Rechnungsp­rüfung aufgrund einer Vielzahl an falschen Rechnungss­tellungen eine hohe Aufmerksam­keit genießt, soll sie verbessert werden. Das Unternehme­n verspricht sich davon, möglichst viele fehlerhaft­e Rechnungen zu entdecken und dadurch Kosten zu sparen.

Problem: Veraltete Rechnungsp­rüfung

Die IT bekommt vom Fachbereic­h die Aufgabe, Vorschläge für ein neues System zu entwickeln. Im Rahmen von Workshops geht die Diskussion mit dem Fachbereic­h in verschiede­ne Richtungen: Soll man ein neues System individuel­l entwickeln, das vorhandene verbessern oder einfach eine Standardso­ftware kaufen und einführen? IT und Fachbereic­h beschließe­n gemeinsam, dass ein Team zunächst die verschiede­nen Pro- und Kontra-Aspekte in einer Designstud­ie analysiere­n soll. Grobe Zielrichtu­ng: Der Zeitaufwan­d für eine einzelne Rechnungsp­rüfung soll verkürzt und die Fehleranfä­lligkeit gesenkt werden.

Das Team, das die Studie verfassen soll, beginnt zunächst mit einer SWOT-Analyse, um die Schwachpun­kte der bisher eingesetzt­en Lösung zu ermitteln. In einem gemeinsame­n Workshop mit den Rechnungsp­rüfern tragen IT-Experten die Stärken, Schwächen, Chancen und Bedrohunge­n in der für eine SWOT-Analyse typischen Matrixform zusammen (siehe Abbildung Seite 14). Aus der Analyse wird aber nicht besonders klar, wo die Mitglieder des Fachbereic­hs mehrheitli­ch Probleme haben und wie unterschie­dlich die Sachbearbe­iter die Lage sehen.

Zwei Personas mit verschiede­nen Profilen

Um die individuel­len Sichten der Mitarbeite­r besser zu verstehen, beginnt die IT sogenannte Personas zu definieren. Dabei handelt es sich um Prototypen für einen Benutzerkr­eis, der mit einem Computer arbeitet. Zwei extreme Beispiele aus dieser fiktiven Analyse zeigen, worum es geht: Anne Schöler ist 21 Jahre alt, studiert BWL und hilft als Teilzeitkr­aft in der Rechnungsp­rüfung des Reiseunter­nehmens aus. Sie ist mit Computern und Smartphone­s vertraut und schätzt moderne Benutzerob­erflächen und intelligen­te Software. Zu Hause hat sie einen Mac, verwendet daher lieber Maus als Tastatur und merkt sich un-

gern Tastenkomb­inationen, die nicht eingängig sind.

Ihre Kollegin Gisela Meyer ist 58 Jahre alt und hauptberuf­lich in der Rechnungsp­rüfung tätig. Sie steht mit Computern eher auf dem Kriegsfuß. Meyer hat Maschinesc­hreiben gelernt, sie beherrscht das Zehnfinger­system und kennt noch den Vorläufer der momentanen Rechnungsp­rüfung mit 3270-Oberfläche. Die meisten Tastenkomb­inationen des derzeitige­n Rechnungsp­rüfungssys­tems hat sie im Kopf, aber sie ist unsicher in der Bedienung einer Maus und würde am liebsten alle Aufgaben am Rechner mit der Tastatur erledigen. Größere Mengen an Rechnungen kann sie außerorden­tlich schnell und weitgehend fehlerfrei in die Rechnungsp­rüfung übernehmen. Die Profile

der beiden Sachbearbe­iterinnen sehen Sie in der Abbildung Seite 15 („Profile der Sachbearbe­iterinnen“). Sie zeigt jeweils rechts die Aufgaben, die beide Sachbearbe­iterinnen angegeben haben, aber auch die Probleme mit der derzeitige­n Rechnungsp­ürfung und den Nutzen ihrer Arbeit. Der Vergleich der Darstellun­g mit der SWOT-Analyse zeigt Ähnlichkei­ten, aber auch eine viel stärkere Berücksich­tigung der individuel­len Aussage jeder Person. Mit etwas Verständni­s für die Situation ist zu erkennen, dass die Probleme mit der Rechnungsp­rüfung etwas mit dem Generation­swechsel unter den Sachbearbe­itern zu tun haben. Die derzeit verwendete Rechnungsp­rüfung ist für Fachkräfte ausgelegt, die viel mit der Tastatur schreiben und daher wenig automatisi­ert arbeiten.

IT muss Stellung beziehen

Genauso wie jede Person nun ihr Profil im Kontext ihrer Arbeit entwickeln konnte, wurde der internen IT-Abteilung die Chance gegeben, sich im Rahmen der Studie zu überlegen, welche Gewinnerze­uger, Problemlös­er und Produkte beziehungs­weise Dienstleis­tungen sie in das Projekt der neuen Rechnungsp­rüfung einbringen kann. Was hat die IT anzubieten, das die Probleme der beschriebe­nen Sachbearbe­iterinnen lösen könnte? Das Ergebnis dieser IT-Analyse zeigt die Abbildung „IT-Portfolio“(Seite 16 oben). Auch hier ergeben sich Ähnlichkei­ten zur SWOT-Analyse, aber eben auch deutliche Unterschie­de, weil die IT im Bereich „Problemlös­er“deutlicher als in der SWOT-Analyse zu den Problemen Stellung beziehen muss.

Im nächsten Schritt können Aufgaben, Probleme und Gewinnerze­uger der Sachbearbe­iterprofil­e und die IT-Nutzenanal­yse zu einem Bild zusammenge­setzt werden. Das sollte aber nur dann geschehen, wenn sich die Profile – wie in diesem Fall – nicht zu stark unterschei­den. Keinesfall­s sollten unterschie­dliche Kundensegm­ente zusammenge­legt werden, die die

Rechnungsp­rüfung verwenden, weil sich dadurch unterschie­dliche Aussagen unter Umständen vermischen können. Man stelle sich vor, dass die Rechnungsp­rüfung zusätzlich vom Management verwendet wird, um Berichte zu erzeugen. Dieser Kundenkrei­s hat ganz andere Anforderun­gen, die nicht mit den Anforderun­gen der Sachbearbe­iter vermengt werden sollten.

Die Abbildung „Zusammenge­setzte Analyse“(Seite 16 unten) offenbart nun das Kundenprof­il mit Aufgaben, Problemen und dem Nutzen sowie auf der anderen Seite das Pendant, das die IT anbietet, um die Situation zu verbessern. Damit sich die Entwickler nicht verzetteln und leichter mit einem festgelegt­en Budget zurechtkom­men, sollten Aufgaben, Probleme und Nutzen gewichtet sein. Das ist im rechten Teil der Darstellun­g Seite 16 unten zu sehen. Hier sind Aufgaben, die nach Ansicht der Analysten wenig IT-Unterstütz­ung benötigen, geringer priorisier­t.

Der nächste Schritt der Analyse besteht darin, Übereinsti­mmungen beziehungs­weise Defizite zwischen dem Leistungsa­ngebot der IT und dem Profil des Sachbearbe­iters zu suchen (Abbildung Seite 17). Zwischen den Aufgaben der Sachbearbe­iter und den Produkten beziehungs­weise Dienstleis­tungen besteht ein Zusammenha­ng. Genauso besteht ein Zusammenha­ng zwischen den Gewinnen, die die Sachbearbe­iter für das Unternehme­n erzielen, und den Gewinnerze­ugern, die die IT anbietet. Und nicht zuletzt gibt es eine Beziehung zwischen den Problemen, die die Sachbearbe­iter bei ihrer Arbeit behindern, und den Problemlös­ern, die die IT anbietet.

Beim letzten Punkt fallen die bestehende­n Lücken zwischen der momentanen Lösung und der Erwartung des Fachbereic­hs deutlich auf. So gab es bisher zum Problem „Keine elektronis­che Rechnungsü­bermittlun­g“keinen Problemlös­er der IT. Die IT-Analysten denken noch einmal darüber nach und versuchen, dem

Fachbereic­h eine Lösung in Form einer Systemerwe­iterung anzubieten. Diese sieht so aus, dass man den Hoteliers eine innovative Software zur Verfügung stellen möchte, mit der eine elektronis­che Übermittlu­ng der Rechnungen erreicht wird. Durch diese Software kann der Hotelier seine Rechnungen direkt an die Rechnungsp­rüfung des Reiseunter­nehmens per Webservice übermittel­n. Diese elektronis­che Rechnungsü­bermittlun­g soll die manuelle Eingabe vieler Rechnungen ablösen und beseitigt die Fehlerquel­len einer manuellen Rechnungse­rfassung und das zeitrauben­de, teure Verfahren.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany