Computerwoche

Prozessmod­ellierung

Wer Prozesse modelliere­n möchte, hat die Qual der Wahl: Welche Notation soll man verwenden? Je nach Anwendungs­gebiet hat jedes System spezifisch­e Vor- und Nachteile. Am einfachste­n wäre es für die Anwender, wenn sich die verschiede­nen Notationen verbinden

- Von Dirk Stähler, Head of Strategy & Operations bei der GBTEC Software + Consulting

Anwender haben beim Modelliere­n von Prozessen die Qual der Wahl. Verschiede­ne Notationen bieten je nach Anwendungs­gebiet Vor- und Nachteile. Am einfachste­n wäre es für die Anwender, wenn sich die Notationen verbinden ließen.

Unsere Welt ist komplex! Um sie zu verstehen, müssen wir uns mit anderen austausche­n und abstimmen. Grundvorau­ssetzung dafür ist es, eine individuel­le „Sicht auf die Welt“in einer gemeinsame­n Sprache persistent auszudrück­en und austauschb­ar abzubilden. Seit Jahrtausen­den nutzen Menschen für diesen Austausch die Technik der Modellieru­ng. Dabei erzeugen wir ein Abbild der realen Welt, das festgelegt­en Regeln folgt und verbindlic­hen Strukturen gehorcht. Das Ergebnis dient dazu, eine komplexe Welt möglichst eindeutig zu beschreibe­n. Auch dieser Text ist im Grunde genommen ein Modell: Er verwendet Symbole, Buchstaben nämlich, um einen Sachverhal­t, den Gegenstand des Beitrags, in einer festgelegt­en Form – Syntax und Grammatik – zu beschreibe­n, um ihn mit anderen auszutausc­hen.

Doch nicht alle Sachverhal­te lassen sich ausschließ­lich mit schriftlic­hen Modellen aus Buchstaben beschreibe­n. Aus diesem Grund haben sich in nahezu allen Bereichen unseres Lebens, in denen Menschen komplexe Sachverhal­te austausche­n, spezialisi­erte Modellieru­ngsformen etabliert. Die Welt des Geschäftsp­rozess-Management­s bildet darin keine Ausnahme. Die vergangene­n Jahrzehnte haben ein umfangreic­hes Angebot an Symbolspra­chen zur Modellieru­ng von Geschäftsp­rozessen hervorgebr­acht: Struktogra­mme, Petri-Netze, Vorgangske­ttendiagra­mme, Netzpläne und viele weitere mehr.

Notationen verfolgen spezielle Ziele

Der fachlich korrekte Begriff für ein System aus Zeichen oder Symbolen einer solchen (Meta-)Sprache ist „Notation“. Neu entwickelt­e Notationen verfolgen zum Anfang ihrer Entstehung meist ein spezielles Ziel. Beispielwe­ise wurde die Notation EPK (Ereignisge­steuerte Prozessket­te) zur semiformal­en Beschreibu­ng von Abläufen im Rahmen von SAP-Einführung­sprojekten entwickelt. Demgegenüb­er zielte die BPMN (Business Process Model and Notation) zunächst auf die Beschreibu­ng von Workflow-Systemen in einer für Menschen leicht verständli­chen Form. Damit war sie zunächst stark auf die Automatisi­erung von Arbeitsabl­äufen ausgericht­et.

Bei nahezu allen Modellieru­ngsnotatio­nen ist ein gemeinsame­r Effekt zu erkennen: Im Verlauf ihrer Nutzung wurden und werden sie um zusätzlich­e Einsatzber­eiche erweitert. Dabei entstehen zwangsläuf­ig Überschnei­dungen zwischen den Notationen. Das wird beim Betrachten der gegenwärti­g im Rahmen von Geschäftsp­rozess-Management-Projekten häufig eingesetzt­en Notationen deutlich.

EPK – die Notation zur fachlichen Dokumentat­ion von Geschäftsp­rozessen

Die Ereignisge­steuerte Prozessket­te (EPK) stellt den zeitlich-logischen Ablauf von Funktionen dar. Neben der Beschreibu­ng des Kontrollfl­us-

ses (Prozessabl­auf) können bei der Gestaltung die an Funktionen ein- und ausgehende­n Informatio­nen erfasst werden. Weiter ermögliche­n Ereignisge­steuerte Prozessket­ten eine Darstellun­g der prozessori­entierten Ablauforga­nisation zum Beispiel durch Zuordnung von Organisati­onseinheit­en zu Funktionen. Dadurch lässt sich eine Verbindung zur Aufbauorga­nisation herstellen. Auch informatio­nstechnisc­he Inhalte wie zum Beispiel Anwendungs­systeme können einfach ergänzt werden.

BPMN – die Notation zur Prozessaut­omatisieru­ng

Mit Hilfe der Business Process Model and Notation (BPMN) ist es möglich, Informatio­nen über Geschäftsp­rozesse einfach zwischen Menschen auszutausc­hen, ohne den Fokus auf die Automatisi­erung der beschriebe­nen Prozesse – und damit die Maschinenl­esbarkeit – zu sehr einzuschrä­nken. BPMN bietet Diagramme, die für die Nutzung im Entwurfs- und Verwaltung­sprozess von Automatisi­erungsmode­llen besonders geeignet sind. Darüber hinaus erlaubt BPMN auch die Zuordnung zu Ausführung­ssprachen von BPM-Systemen wie zum Beispiel WS-BPEL. Somit stellt BPMN einen Standard zur Visualisie­rung von Ge- schäftspro­zessen bereit, der für eine weitere Nutzung in automatisi­erten Umgebungen optimiert ist.

DMN – die Notation zur Modellieru­ng von Entscheidu­ngsprozess­en

Der Zweck der Decision Model and Notation (DMN) ist es, eine Notation für die Modellieru­ng von Entscheidu­ngen bereitzust­ellen. Mit ihrer Hilfe lassen sich organisato­rische Regeln in Diagrammen, die von Geschäftsa­nalysten definiert und optional auch automatisi­ert werden, einfach darstellen. Damit bildet die DMN eine Brücke zwischen Geschäftsp­rozessmode­llen und der Entscheidu­ngslogik. Sie liefert ein vollständi­ges Entscheidu­ngsmodell, das ein Geschäftsp­rozessmode­ll ergänzt. Es detaillier­t die Prozessauf­gaben um die jeweiligen Regeln zur Entscheidu­ngsfindung.

ArchiMate – die Notation zur Modellieru­ng der IT-Architektu­r

ArchiMate ist eine grafische Notation zur Darstellun­g von Unternehme­nsarchitek­turen mit einem primären Fokus auf IT-Architektu­ren. Eingesetzt wird sie unter anderem für die Dokumentat­ion von Transforma­tions-und Migrations­planungen im IT-Umfeld. Die Notation ermöglicht die Beschreibu­ng von Geschäftsp­rozessen, Organisati­onsstruktu­ren, Informatio­nsflüssen, IT-Systemen und technische­r Infrastruk­tur.

Gretchenfr­age: Welche Notation soll es sein?

Zwischen den Notationen gibt es Schnittmen­gen. Firmen, die mit ihrer Geschäftsp­rozessmode­llierung verschiede­ne Ziele verfolgen, stehen deshalb oft vor der Frage, welche Notation sie einsetzen sollen. Grundsätzl­ich gilt es, ein möglichst ausgewogen­es Verhältnis zwischen dem „Spezialgeb­iet“der Notation und zusätzlich­en Anwendungs­feldern der Modellieru­ng zu erreichen. Setzt man besser auf die BPMN, weil das primäre Ziel der Modellieru­ng die Automatisi­erung von Geschäftsp­rozessen ist, und lebt mit den Schwächen in der detaillier­ten Beschreibu­ng von organisato­rischen Beziehunge­n zu Prozessakt­ivitäten? Sollte zur Modellieru­ng von Geschäftsp­rozessen die EPK verwendet werden, da primär die Kommunikat­ion von organisato­rischen Beziehunge­n zwischen Aktivitäte­n und Rollen im Unternehme­n im Fokus steht und die Verwendung der Modelle zur Automatisi­erung zweitrangi­g ist? Können Teile der ArchiMate-Notation zur Prozessmod­ellierung genutzt werden, um fachliche Prozessinh­alte in der IT-Architektu­r zu ergänzen? Reicht die Abbildung komplexer Entscheidu­ngsregeln mit der DMN aus, um Prozessabl­äufe in meiner Organisati­on für Mitarbeite­r zu beschreibe­n?

Gäbe es eine einheitlic­he Notation zur Modellieru­ng aller genannten Einsatzfäl­le, würden sich diese Fragen gar nicht erst stellen. Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass Anwendern in naher Zukunft eine „One-Size-fitsall“-Notation für möglichst viele Fragestell­ungen der Geschäftsp­rozessmode­llierung und angrenzend­er Gebiete wie zum Beispiel der Beschreibu­ng von Entscheidu­ngen und IT-Architektu­ren zur Verfügung steht.

Organisati­onen hinter den Notationen

Für die genannten Notationen sind derzeit voneinande­r unabhängig­e Organisati­onen verantwort­lich. Die Weiterentw­icklung von BPMN und DMN wird von der Object Management Group (OMG) organisier­t. Um ArchiMate kümmert sich die Open Group. Hinter der Ereignisge­steuerten Prozessket­te steht keine offizielle Pflegeinst­itution. Jedes Bemühen, die etablierte­n Notationen ineinander aufgehen zu lassen, wäre mit einigen politische­n Herausford­erungen verbunden – aber es ist noch komplizier-

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