Prozessmodellierung
Wer Prozesse modellieren möchte, hat die Qual der Wahl: Welche Notation soll man verwenden? Je nach Anwendungsgebiet hat jedes System spezifische Vor- und Nachteile. Am einfachsten wäre es für die Anwender, wenn sich die verschiedenen Notationen verbinden
Anwender haben beim Modellieren von Prozessen die Qual der Wahl. Verschiedene Notationen bieten je nach Anwendungsgebiet Vor- und Nachteile. Am einfachsten wäre es für die Anwender, wenn sich die Notationen verbinden ließen.
Unsere Welt ist komplex! Um sie zu verstehen, müssen wir uns mit anderen austauschen und abstimmen. Grundvoraussetzung dafür ist es, eine individuelle „Sicht auf die Welt“in einer gemeinsamen Sprache persistent auszudrücken und austauschbar abzubilden. Seit Jahrtausenden nutzen Menschen für diesen Austausch die Technik der Modellierung. Dabei erzeugen wir ein Abbild der realen Welt, das festgelegten Regeln folgt und verbindlichen Strukturen gehorcht. Das Ergebnis dient dazu, eine komplexe Welt möglichst eindeutig zu beschreiben. Auch dieser Text ist im Grunde genommen ein Modell: Er verwendet Symbole, Buchstaben nämlich, um einen Sachverhalt, den Gegenstand des Beitrags, in einer festgelegten Form – Syntax und Grammatik – zu beschreiben, um ihn mit anderen auszutauschen.
Doch nicht alle Sachverhalte lassen sich ausschließlich mit schriftlichen Modellen aus Buchstaben beschreiben. Aus diesem Grund haben sich in nahezu allen Bereichen unseres Lebens, in denen Menschen komplexe Sachverhalte austauschen, spezialisierte Modellierungsformen etabliert. Die Welt des Geschäftsprozess-Managements bildet darin keine Ausnahme. Die vergangenen Jahrzehnte haben ein umfangreiches Angebot an Symbolsprachen zur Modellierung von Geschäftsprozessen hervorgebracht: Struktogramme, Petri-Netze, Vorgangskettendiagramme, Netzpläne und viele weitere mehr.
Notationen verfolgen spezielle Ziele
Der fachlich korrekte Begriff für ein System aus Zeichen oder Symbolen einer solchen (Meta-)Sprache ist „Notation“. Neu entwickelte Notationen verfolgen zum Anfang ihrer Entstehung meist ein spezielles Ziel. Beispielweise wurde die Notation EPK (Ereignisgesteuerte Prozesskette) zur semiformalen Beschreibung von Abläufen im Rahmen von SAP-Einführungsprojekten entwickelt. Demgegenüber zielte die BPMN (Business Process Model and Notation) zunächst auf die Beschreibung von Workflow-Systemen in einer für Menschen leicht verständlichen Form. Damit war sie zunächst stark auf die Automatisierung von Arbeitsabläufen ausgerichtet.
Bei nahezu allen Modellierungsnotationen ist ein gemeinsamer Effekt zu erkennen: Im Verlauf ihrer Nutzung wurden und werden sie um zusätzliche Einsatzbereiche erweitert. Dabei entstehen zwangsläufig Überschneidungen zwischen den Notationen. Das wird beim Betrachten der gegenwärtig im Rahmen von Geschäftsprozess-Management-Projekten häufig eingesetzten Notationen deutlich.
EPK – die Notation zur fachlichen Dokumentation von Geschäftsprozessen
Die Ereignisgesteuerte Prozesskette (EPK) stellt den zeitlich-logischen Ablauf von Funktionen dar. Neben der Beschreibung des Kontrollflus-
ses (Prozessablauf) können bei der Gestaltung die an Funktionen ein- und ausgehenden Informationen erfasst werden. Weiter ermöglichen Ereignisgesteuerte Prozessketten eine Darstellung der prozessorientierten Ablauforganisation zum Beispiel durch Zuordnung von Organisationseinheiten zu Funktionen. Dadurch lässt sich eine Verbindung zur Aufbauorganisation herstellen. Auch informationstechnische Inhalte wie zum Beispiel Anwendungssysteme können einfach ergänzt werden.
BPMN – die Notation zur Prozessautomatisierung
Mit Hilfe der Business Process Model and Notation (BPMN) ist es möglich, Informationen über Geschäftsprozesse einfach zwischen Menschen auszutauschen, ohne den Fokus auf die Automatisierung der beschriebenen Prozesse – und damit die Maschinenlesbarkeit – zu sehr einzuschränken. BPMN bietet Diagramme, die für die Nutzung im Entwurfs- und Verwaltungsprozess von Automatisierungsmodellen besonders geeignet sind. Darüber hinaus erlaubt BPMN auch die Zuordnung zu Ausführungssprachen von BPM-Systemen wie zum Beispiel WS-BPEL. Somit stellt BPMN einen Standard zur Visualisierung von Ge- schäftsprozessen bereit, der für eine weitere Nutzung in automatisierten Umgebungen optimiert ist.
DMN – die Notation zur Modellierung von Entscheidungsprozessen
Der Zweck der Decision Model and Notation (DMN) ist es, eine Notation für die Modellierung von Entscheidungen bereitzustellen. Mit ihrer Hilfe lassen sich organisatorische Regeln in Diagrammen, die von Geschäftsanalysten definiert und optional auch automatisiert werden, einfach darstellen. Damit bildet die DMN eine Brücke zwischen Geschäftsprozessmodellen und der Entscheidungslogik. Sie liefert ein vollständiges Entscheidungsmodell, das ein Geschäftsprozessmodell ergänzt. Es detailliert die Prozessaufgaben um die jeweiligen Regeln zur Entscheidungsfindung.
ArchiMate – die Notation zur Modellierung der IT-Architektur
ArchiMate ist eine grafische Notation zur Darstellung von Unternehmensarchitekturen mit einem primären Fokus auf IT-Architekturen. Eingesetzt wird sie unter anderem für die Dokumentation von Transformations-und Migrationsplanungen im IT-Umfeld. Die Notation ermöglicht die Beschreibung von Geschäftsprozessen, Organisationsstrukturen, Informationsflüssen, IT-Systemen und technischer Infrastruktur.
Gretchenfrage: Welche Notation soll es sein?
Zwischen den Notationen gibt es Schnittmengen. Firmen, die mit ihrer Geschäftsprozessmodellierung verschiedene Ziele verfolgen, stehen deshalb oft vor der Frage, welche Notation sie einsetzen sollen. Grundsätzlich gilt es, ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen dem „Spezialgebiet“der Notation und zusätzlichen Anwendungsfeldern der Modellierung zu erreichen. Setzt man besser auf die BPMN, weil das primäre Ziel der Modellierung die Automatisierung von Geschäftsprozessen ist, und lebt mit den Schwächen in der detaillierten Beschreibung von organisatorischen Beziehungen zu Prozessaktivitäten? Sollte zur Modellierung von Geschäftsprozessen die EPK verwendet werden, da primär die Kommunikation von organisatorischen Beziehungen zwischen Aktivitäten und Rollen im Unternehmen im Fokus steht und die Verwendung der Modelle zur Automatisierung zweitrangig ist? Können Teile der ArchiMate-Notation zur Prozessmodellierung genutzt werden, um fachliche Prozessinhalte in der IT-Architektur zu ergänzen? Reicht die Abbildung komplexer Entscheidungsregeln mit der DMN aus, um Prozessabläufe in meiner Organisation für Mitarbeiter zu beschreiben?
Gäbe es eine einheitliche Notation zur Modellierung aller genannten Einsatzfälle, würden sich diese Fragen gar nicht erst stellen. Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass Anwendern in naher Zukunft eine „One-Size-fitsall“-Notation für möglichst viele Fragestellungen der Geschäftsprozessmodellierung und angrenzender Gebiete wie zum Beispiel der Beschreibung von Entscheidungen und IT-Architekturen zur Verfügung steht.
Organisationen hinter den Notationen
Für die genannten Notationen sind derzeit voneinander unabhängige Organisationen verantwortlich. Die Weiterentwicklung von BPMN und DMN wird von der Object Management Group (OMG) organisiert. Um ArchiMate kümmert sich die Open Group. Hinter der Ereignisgesteuerten Prozesskette steht keine offizielle Pflegeinstitution. Jedes Bemühen, die etablierten Notationen ineinander aufgehen zu lassen, wäre mit einigen politischen Herausforderungen verbunden – aber es ist noch komplizier-