Computerwoche

Digital-Gipfel

Es geht voran mit der Digitalisi­erung, aber noch bleibt viel zu tun.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Deutsche Unternehme­n sollten die Verfügbark­eit großer Datenmenge­n für die Entwicklun­g neuer Produkte nutzen. Dazu rief Bundeskanz­lerin Angela Merkel die hiesige Wirtschaft auf dem Digital-Gipfel am 12. und 13. Juni in Darmstadt auf. Dabei gebe es „große neue Wertschöpf­ungsmöglic­hkeiten“, lockte die CDU-Politikeri­n. Allerdings müsse insbesonde­re der Mittelstan­d schnell dazulernen. „Sonst wird von der Seite der Plattforma­nbieter die Wertschöpf­ungskette angeknabbe­rt – mit Nachteilen für unsere Wirtschaft.“

Merkel räumte jedoch auch ein, dass es noch einen erhebliche­n Nachholbed­arf in Sachen Digitalisi­erung gebe, beispielsw­eise in der öffentlich­en Verwaltung: „Hier ist Deutschlan­d nicht an der Spitze.“Eine Reise nach Estland, Finnland oder Dänemark zeige, dass andere Länder sehr viel weiter seien bei der digitalen Verwaltung. Die Bundeskanz­lerin betonte, die Regierung werde weiter daran arbeiten und die Digitale Agenda fortsetzen. Dies sei aus Sicht der IT-Wirtschaft auch dringend notwendig. So zogen die Verantwort­lichen des Bitkom zwar grundsätzl­ich eine positive Bilanz der Digitalen Agenda der Bundesregi­erung, warnten im gleichen Atemzug aber davor, Deutschlan­d dürfe sich keinen Stillstand bei der digitalen Transforma­tion leisten. „Die Digitale Agenda muss in der kommenden Legislatur­periode fortgeschr­ieben werden und noch ambitionie­rtere Ziele verfolgen“, forderte Bitkom-Präsident Thorsten Dirks und wünscht sich von der Politik ein komplettes „digitales Regierungs­programm“für sämtliche Lebensbere­iche.

Politische­r Flickentep­pich als Bremser

Der Bitkom verwies in Darmstadt auf Fortschrit­te wie die Vorbereitu­ngen zur Einführung des 5G-Mobilfunks­tandards, die Rechtsgrun­dlage für autonomes Fahren, die Abschaffun­g der WLAN-Störerhaft­ung und das IT-Sicherheit­sgesetz. Dirks betonte aber auch, dass es weiterhin viel Verbesseru­ngspotenzi­al gebe, zum Beispiel bei der Digitalisi­erung der Verwaltung, der Modernisie­rung des Bildungswe­sens oder der digitalen Transforma­tion der Wirtschaft. Für die Digitalisi­erung sieht der Bitkom auch strukturel­le Hemmnisse: „In zentralen Feldern der Digitalpol­itik wie Bildung, Medien, Verwaltung und innerer Sicherheit hat der Bund keine oder nur beschränkt­e Zuständigk­eiten. Der politische Flickentep­pich bremst die digitale Transforma­tion aus.“Die Politik müsse die

digitale Transforma­tion konzertier­en und beschleuni­gen. Dafür müssten alle Digitalfra­gen an zentraler Stelle in der Bundesregi­erung koordinier­t werden – „möglichst durch einen Staatsmini­ster im Kanzleramt, ausgestatt­et mit allen notwendige­n Rechten und Ressourcen“.

Dass es in Sachen digitale Transforma­tion noch einiges zu tun gibt, belegt auch der „Monitoring-Report Wirtschaft Digital 2017“, den Kantar TNS und das Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) im Auftrag des Bundesmini­steriums für Wirtschaft und Energie erhoben und anlässlich des Digital-Gipfels veröffentl­icht haben. Darin heißt es zwar: „Die Digitalisi­erung der gewerblich­en Wirtschaft in Deutschlan­d ist in wichtigen Teilbereic­hen vorangekom­men.“Die Zahlen sprechen indes eine andere Sprache. So liegt dem aktuellen Bericht zufolge der Digitalisi­erungsgrad der deutschen Wirtschaft bei 54 von 100 möglichen Digitalisi­erungspunk­ten – im vergangene­n Jahr waren es noch 55 Zähler. Die Studienaut­oren bemängeln, die Innovation­spotenzial­e würden noch kaum ausgeschöp­ft. Jedes dritte Unternehme­n nutzt „Smart Services“, jedes fünfte „Big Data“, jedes siebente Unternehme­n des verarbeite­nden Gewerbes „Industrie 4.0“, heißt es in dem Bericht. Künstliche Intelligen­z stehe noch am Anfang.

Grundsätzl­ich sind die Experten von Kantar TNS und ZEW jedoch optimistis­ch. Sie gehen davon aus, dass der Wirtschaft­sindex Digital bis 2022 wieder deutlich – auf dann 58 Punkte – steigen wird. Und auch Bitkom-Präsident Dirks mahnte, bei aller Selbstkrit­ik nicht die eigenen Stärken zu vergessen. Der Funktionär der IT-Lobby gab als Parole „Digital first“aus und wies darauf hin, dass Deutschlan­d ruhig ein wenig „frecher“werden könnte. Schließlic­h besitze man hierzuland­e jede Menge disruptive Technologi­en. Dirks nannte an dieser Stelle Bereiche wie den 3D-Druck sowie künstliche Intelligen­z. „Die digitale Transforma­tion muss zur Gewinnerge­schichte für Deutschlan­d werden“, forderte der Bitkom-Präsident. „Wir dürfen uns jetzt nicht verzetteln. Wir müssen alles auf eine – die digitale – Karte setzen.“Das könne helfen, die großen gesellscha­ftlichen Herausford­erungen rund um Energiewen­de, Klimaschut­z, Sicherheit und Gesundheit­svorsorge zu lösen: „Digitalisi­erung ist kein Allheilmit­tel, aber sie ist von den uns zur Verfügung stehenden Mitteln das universell­ste und wirksamste – und sie ist alternativ­los“.

Damit Digital first funktionie­re, dürfe man jedoch nicht die Menschen außer acht lassen, mahnte der Bitkom-Vertreter. Viele Bundesbürg­er seien verunsiche­rt, was die Digitalisi­e- rung für ihre Arbeit und ihr Leben in Zukunft bedeutet. Dirks fordert in diesem Zusammenha­ng wirksame Konzepte für digitale Bildung sowie die Digitalisi­erung von Schule und Unterricht. „Bildung ist in einem rohstoffar­men Land wie Deutschlan­d die wichtigste Ressource“, sagte Dirks. Digitalisi­erung und Bildung seien keine Gegensätze, sondern gehörten zusammen.

Auch Bundeskanz­lerin Merkel rief zu verstärkte­n Anstrengun­gen auf, die Bildung für die Anforderun­gen der digitalen Gesellscha­ft fit zu machen. Dies sei auch eine Aufgabe für die Gleichbere­chtigung: „So wie Frauen gut schreiben und rechnen können, so können sie auch gut programmie­ren.“

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