Digitalisierung verändert den Handel
Lange erschien die Digitalisierung dem stationären Einzelhandel hauptsächlich als Bedrohung. Doch aktuelle Untersuchungen zeigen: Das Ladengeschäft hat Zukunft, wenn die Betreiber vom Erfolg des Online-Handels lernen.
Lange Zeit wussten viele Einzelhändler mit der Digitalisierung wenig anzufangen und empfanden den digitalen Wandel eher als Bedrohung. Doch das Ladengeschäft hat Zukunft, wenn die Betreiber vom Online-Handel lernen.
Der Verkäufer im Schuhgeschäft bedient kompetent und freundlich. Sofort hat er einen eleganten „Business-Schnürer“parat, nur ist der Schuh einen Tick zu klein. „Kein Problem“, sagt der Verkäufer, „laut Computer haben wir das Modell auch in Größe 44 vorrätig.“Doch der Schuh ist nicht zu finden, weder im Regal noch im Lager – offenbar hat ihn jemand falsch einsortiert. Der Kunde geht verärgert, der Umsatz ist verloren und der Verkäufer genervt. Das Szenario zeigt exemplarisch ein Problem des stationären Handels auf, das sich mit digitaler Technik lösen ließe.
Die Marktforscher der GFK gehen in einer ECommerce-Studie davon aus, dass der Anteil des Online-Handels bis 2025 auf 15 Prozent, im Non-Food-Bereich gar auf 25 Prozent steigen wird. Doch Online als zusätzlicher Kanal ist nicht die einzige Chance für Händler, ihre Zukunft zu sichern. Schließlich verfügen Ladengeschäfte über einige unbestreitbare Vorteile gegenüber dem Versandhandel. Dazu gehört neben der „Instant Gratification“, also dem unmittelbaren Glücksgefühl, die Ware in der Hand zu halten, vor allem das haptische Erlebnis beim An- und Ausprobieren. Jetzt kommt es darauf an, diese Vorteile mit den Vorzügen digitaler Techniken anzureichern, die dem potenziellen Käufer helfen, das gesuchte Produkt im Laden schneller und einfacher zu finden, auszuprobieren und zu bezahlen.
Die Erfahrungen mit dem Online-Einkauf haben die Kunden nachhaltig verändert: Sie sind es gewohnt, eine schier endlose Auswahl, zahlreiche Detailinformationen zum Produkt, klare Aussagen zu Verfügbarkeit oder Lieferterminen und personalisierte Vorschläge mit passenden Ergänzungen oder Alternativen zu einem gewählten Produkt zu erhalten. Kein Wunder also, wenn die Verbraucher zu fast 90 Prozent davon ausgehen, dass die meisten Geschäfte in Zukunft digitale Dienste anbieten werden. Das ergab die aktuelle Studie „Die Zukunft des Einkaufens“von Comarch und Kantar TNS.
Wie digitale Technik einen klassischen Laden beleben kann, zeigt ein Besuch bei Alexander Black, einem Concept-Store, den der Netzwerkund IT-Dienstleister BT in seinem Forschungszentrum in Adastral Park eingerichtet hat. Hier können Besucher Kleidung anprobieren und sich dabei filmen lassen, wie sie über den Laufsteg spazieren, um anschließend selbst auf einem großen Bildschirm die Außenwirkung des neuen Outfits zu beurteilen oder über SocialMedia-Plattformen Freunde nach ihrer Meinung zu fragen. Legt der potenzielle Käufer ein Produkt auf einen Tresen mit integriertem Touchscreen-Display, erhält er automatisch eine Fülle von Informationen dazu – von der Herkunft über verwendete Materialien und verfügbare Farben bis hin zu Pflegehinweisen. Und, wie bei Amazon, Empfehlungen: Zu diesem Produkt passt auch jenes.
Dass die Digitalisierung im Laden über Konzeptstudien hinausgeht, belegt ein Pilotprojekt
bei Gallerie Commerciali Italia. Für den Betreiber von mehr als 40 Einkaufs- und Fachmarktzentren hat BT in drei Shopping-Malls im Großraum Mailand eine Kombination aus InfrastrukturServices, Customer-Relationship-Management(CRM-) und In-Store-Lösungen implementiert, um die Attraktivität des stationären Handels zu steigern und den Einzelhändlern neue Geschäftschancen zu eröffnen. Eine eigens entwickelte mobile App bietet diverse Services: Kunden können ihr Auto im Parkhaus mit dem „Car Locator“einfacher wiederfinden, über Musik abstimmen, die im Einkaufszentrum gespielt werden soll, und personalisierte Gutscheine erhalten.
Augen, Ohren und sogar die Nase
Das Projekt umfasst darüber hinaus interaktive Promotion-Systeme, die den Kunden nicht nur audiovisuell, sondern auch über den Geruchssinn ansprechen. Die Display-Säulen, die an mehreren Stellen im Einkaufszentrum stehen, erkennen via Kamera Geschlecht und Alter des Kunden und können entsprechende Angebote anzeigen. Die Dame sieht also zum Beispiel eine Handtasche aus der aktuellen Kollektion, und die Promo-Säule strömt dazu dezenten Lederduft aus. Der Cheeseburger hingegen, der dem hungrigen Jugendlichen angezeigt wird, riecht lecker nach Bacon. Zusätzlich zur WLAN-Infrastruktur, die von den Besuchern kostenlos genutzt werden kann, wurden Kameras und Beacons installiert, so dass der Betreiber der Shopping-Mall nachvollziehen kann, wo sich Kunden aufhalten, welche Wege sie gehen und vor welchem Schaufenster sie wie lange verweilen. Mit diesen Daten lässt sich gezielt daran arbeiten, die Attraktivität des Centers weiter zu verbessern.
Auch das britische Modelabel Thomas Pink hat die Bedeutung digitaler Daten für das Ladengeschäft der Zukunft erkannt. In seiner Filiale an der Wall Street in New York erfasst der Anbieter exklusiver Herrenoberbekleidung unter anderem mit Videosensoren die Waren- und Besucherbewegungen im Laden. Big-Data-Analysen dienen der Prognose des Kaufverhaltens von Kunden sowie zur Optimierung von Ladengestaltung und Arbeitsabläufen. Auch RFID-Tags zur nahezu 100-prozentigen Erfassung des Inventars kommen bei Thomas Pink zum Einsatz. So können zeitintensive manuelle Inventuren vermieden und auch falsch einsortierte Kleidungsstücke schnell wiedergefunden werden. Allerdings lassen sich solche Lösungen nicht ohne eine leistungsfähige Informations- und Kommunikationsinfrastruktur realisieren, denn es reicht nicht, dem Besucher einfach nur digitale „Touchpoints“im Laden anzubieten. Vielmehr kommt es darauf an, den Kunden vom virtuellen Schaufenster im Internet über Informationssysteme im Laden und die Interaktion mit Verkaufsmitarbeitern bis hin zur – möglicherweise kassenlosen – Bezahlung und zur Auslieferung der Waren ohne Unterbrechungen zu begleiten. Damit beschäftigt sich auch die Acuitas Digital Alliance, in der sich Firmen wie Intel, BT, RetailNext, NexGen Packaging, SATO Global Solutions und Valmarc zusammengeschlossen haben. Gemeinsam präsentieren sie in der New Yorker Demo-Filiale von Alexander Black das nächste Szenario: eine interaktive Umkleidekabine. Der Kunde bekommt über ein interaktives Display Vorschläge für passende Kleidungsstücke. Wenn er per Touchscreen wählt, was er als nächstes probieren möchte, erhält der Verkäufer eine Nachricht auf sein Smartphone oder Tablet. Er kann in der Zwischenzeit im Verkaufsraum andere Kunden betreuen. Das macht das Personal effizienter und den Einkauf für den Kunden komfortabler.