DFB-Psychologe über Führung
Der Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann betreut die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Zu Gast bei Microsoft verriet er, worauf es bei der Personalführung ankommt.
Vorgesetzte müssen heute eher coachen als führen. Sie sollten Mitarbeitern im Team vermitteln können, wichtig zu sein und dazuzugehören. Das empfiehlt der Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann, der die deutsche Fußballnationalmannschaft betreut.
Hermann ist Professor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken und seit 2004 Mitglied im Betreuerstab der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Kein Wunder, dass er eine sehr klare Meinung darüber hat, wie ein Team zu führen ist. Hermanns Erkenntnisse aus der Welt des Leistungssports lassen sich zu einem Gutteil auch auf die beruflichen Realitäten in Unternehmen übertragen.
Eines der wichtigsten Prinzipien der Nationalmannschaft lautet demnach, dass jeder im Team wichtig ist. Die Arbeit jedes Einzelnen ist wertzuschätzen, ganz egal, was er oder sie tut. Als Beispiel nennt Hermann die Gruppenfotos der deutschen Hockey-Nationalmannschaft nach einem Turnier. Dort wird peinlich genau darauf geachtet, dass alle – von den Ersatzspielern bis zu den Betreuern – aufs Foto kommen. Sein Credo lautet: „Ein gutes Team entsteht nicht nur, indem jeder sein Bestes gibt, sondern auch, indem einer für den anderen einsteht.“
Ein zweites wichtiges Kriterium ist für den Psychologen ein motivierendes Sozialklima im Team. Haltung und Einstellung des Vorgesetzten und seiner Mitarbeiter müssen stimmen. Das gilt zunächst für die praktische Unterstützung im Sinne von „Ich helfe dir und ich packe gleich mit an.“Ebenso gilt es für die fachliche Hilfe, nach dem Motto: „Du kannst mich immer Inhaltliches fragen.“Und schließlich ist auch die emotionale Unterstützung von größter Bedeutung – „Ich höre mir deine Sorgen an!“.
Ziel einer Führungskraft sollte es sein, die Motivationsbremsen ausfindig zu machen und auszuschalten. Laut Hermann bringt es gar nichts, Mitarbeiter immer zu 100 Prozent auszulasten. Der Chef sollte genau hinschauen, was jeder im Team zu leisten vermag. Vor allem muss er aber wissen, „wo die starken Egos“sitzen. Hermann erwähnt dabei eine nicht ganz unbekannte Studie, wonach 70 Prozent der Mitarbeiter, die ein Unternehmen verlassen, dies wegen ihres direkten Vorgesetzten tun – auch wenn man sie gerne halten möchte.
Eigenmotivation ist Grundvoraussetzung
Auf die Frage, was ein Mitarbeiter mitbringen muss, damit ein Team seine Leistung voll abrufen kann, nennt Hermann drei Aspekte. Unabdingbare Erfolgsgrundlage sei zunächst, dass die Eigenmotivation stimme und der Beschäftigte Freude an dem verspüre, was er tut. Als Sportpsychologe sagt Hermann zudem, dass man sich stets ehrgeizige Ziele setzen sollte. Mit Äußerungen von Trainern und Spielern
wie „Hier haben wir noch nie gewonnen“oder „Das wird heute nichts“kann er sich gar nicht anfreunden.
Drittens sollte das, was man tut, sinnvoll sein oder zumindest das Gefühl vermitteln. „Wenn man nicht mit ganzem Herzen bei der Sache ist, wird sich der Erfolg nicht dauerhaft einstellen“, zeigt sich der Wissenschaftler überzeugt und nennt dazu ein Beispiel.
Hermann betreute vor Jahren einen erfolgreichen 400-Meter-Läufer. Technisch zählte der zu den besten in Europa, aber bei Wettkämpfen beging er immer wieder gravierende Fehler. In den Gesprächen mit dem Psychologen wurde dem 27-Jährigen schließlich klar, dass Laufen „einfach nicht mehr sein Ding war“– obwohl er seit seinem Abitur nichts anderes getan hatte, als sich um seine sportliche Karriere zu kümmern. Er traf die Entscheidung, sich fortan um seine berufliche Ausbildung zu kümmern. Der Sportpsychologe nennt noch einen letzten wichtigen Aspekt, der einen guten Teamchef auszeichnet: Als Führungskraft sollte man für ein vertrauensvolles Umfeld sorgen. Fairness, Wertschätzung, aktives Zugehen auf die Mitarbeiter und Handeln im Einklang mit den eigenen Werten trügen dazu wesentlich bei: „Führungskräfte müssen ebenso inspiriert wie inspirierend sein, sie müssen ihren Mitarbeitern Freiräume lassen.“Die Formel „Können x Wollen x Dürfen = Leistung“bringe nur ein Ergebnis, wenn das Dürfen nicht gleich null sei.
Ein Digital Leader hinterfragt sich ständig
Hermann sprach auf einer Veranstaltung bei Microsoft. Ines Gensinger, Leiterin Business and Consumer Communications, stellte im Gespräch mit dem Psychologen fest, dass die von Hermann genannten Werte sehr wohl auch in IT-Unternehmen gültig seien. Richtig sei aber auch, dass mit „einer disruptiven Veränderung der Arbeit eine Veränderung in den Köpfen von Entscheidern“einhergehen müsse. Das neue Führen, Digital Leadership, wie die Münchner Managerin es nennt, bedeute für sie, „den eigenen Führungsstil sowie Strukturen, Prozesse und Werte einer Organisation kontinuierlich zu hinterfragen“.
Transparenz, Flexibilität und Teamorientierung seien dabei die Grundprinzipien mit dem übergeordneten Ziel: „Das Team und auch jeden Einzelnen nach vorn zu bringen.“Dem Digital Leader komme die Aufgabe zu, „flexibel, agil und durchlässig zu führen, um Innovationen zu ermöglichen und Entscheidungen zu beschleunigen“. k