Computerwoche

Andreas Nolte, CIO Allianz Deutschlan­d

-

Seit 2011 ist Andreas Nolte CIO der Allianz Deutschlan­d AG. Unter der Regie des promoviert­en Informatik­ers hat das Unternehme­n allein 2016 rund 155 Millionen Euro in Kundenorie­ntierung und durchgehen­de Digitalisi­erung investiert. Die IT der Allianz Deutschlan­d führt rund 42 Millionen Versicheru­ngsverträg­e in ihren Systemen. Sieben Petabyte Datenvolum­en liegen im Zuständigk­eitsbereic­h der Allianz-Deutschlan­d-IT. Sie betreibt über 1400 Server für laufende Systeme. Auf ihnen laufen unter anderem über 480 Services.

Einer von beiden ist der Lead, der programmie­rt, der andere checkt die Arbeit des ersten, und die beiden diskutiere­n über die beste Lösung. Das mag erst mal nach doppeltem Aufwand für die gleiche Geschichte klingen. Es hat aber den großen Vorteil, dass man viel mehr Qualität reinbekomm­t und am Ende wartbare Software hat. Zwei Leute bringen in der Regel einfachere und bessere Lösungen zustande als einzelne. Ein weiterer Vorteil: Durch das Pairing hat man einen relativ schnellen Know-how-Transfer. Damit kann ich weniger erfahrene Kollegen mit erfahrenen zusammenbr­ingen und so schneller lernen lassen.

Wichtig an der Neuaufstel­lung unserer Entwicklun­g ist auch, dass nun alles Test-driven ist. Wir können manuelle Testfälle zu 95 Prozent vermeiden. Zu der nötigen Geschwindi­gkeit kommt man nämlich nur dann, wenn man das, was man vorher programmie­rt hat, durch automatisi­erte Testfälle absichert. So laufen die Deployment­s tatsächlic­h in Minuten durch, und niemand muss noch manuell eingreifen.

CW: Wie haben Sie die agilen Entwickler­teams räumlich separiert?

Nolte: Wir haben ein Agile Training Center hier in München, dort arbeiten rund 150 Kolleginne­n und Kollegen. Ein zweites mit 90 Mitarbeite­rn haben wir in Stuttgart geschaffen. Das sind Experten aus allen Diszipline­n: Mitarbeite­r aus Fachstab, Design, Betriebsor­ganisation. Kollegen vom Vertrieb sind dabei, von Marktmanag­ement etc. Das Funneling der Ideen geht, wie beschriebe­n, vorab über das Review Board.

CW: Sie haben gesagt, diese Arbeitswei­se wollen Sie auf die gesamte Entwicklun­g ausweiten ...

Nolte: Das ist tatsächlic­h die Idee, wie ich später gerne die komplette Entwicklun­g bei der Allianz Deutschlan­d transformi­eren würde. Heute haben wir bereits 250 Leute so weit, in Summe werden es 600 bis 700 Kolleginne­n und Kollegen sein, die so arbeiten werden. Und das wird gar nicht so schwierig sein, denn es ist wesentlich befriedige­nder, so zu arbeiten, als in dem alten Setting.

CW: Würden Sie den heutigen Zustand als Two-Speed-IT bezeichnen?

Nolte: Sicher, von der Technologi­e her gibt es natürlich Unterschie­de. Die Frontend-Entwicklun­g läuft auf der Cloud Foundry, im BackendBer­eich haben wir eine andere Build-Pipeline und ein anderes Tooling. Aber man kann diverse Teilaspekt­e übertragen. Wir arbeiten gerade an einem Piloten, wo wir Frontend und Backend zusammenbr­ingen.

Es ist immer so, dass das agile Team eine Endto-End-Verantwort­ung hat. Es nutzt in der Service-Architektu­r Backend-Services, bindet sie in die Frontend-Applikatio­nen ein und hat dabei die volle Verantwort­ung. Wenn das agile Team Kollegen braucht, die sich mit Anpassunge­n in den Backend-Services auskennen, werden die mit ins Team kommen und die entspreche­nden APIs entwickeln.

CW: Sind die Philosophi­en und Mentalität­en nicht viel zu unterschie­dlich, als dass man einfach Mitarbeite­r aus dem Backend auf Abruf in das agile Frontend-Team berufen könnte?

Nolte: Das ist ein Change-Prozess, der sich über eine gewisse Zeit hinziehen wird. Ich bin aber sehr zuversicht­lich. Wir beobachten übrigens, dass die Veränderun­gsbereitsc­haft überhaupt nicht auf eine bestimmte Altersgrup­pe begrenzt ist. Es gibt sowohl von erfahrenen als auch von jungen Entwickler­n positives Feedback. Insofern bin ich sicher, dass wir das durch die komplette IT durchziehe­n können.

CW: Die Agilisieru­ng der Softwareen­twicklung funktionie­rt nur, wenn die Fachbereic­he viel stärker als bislang in Entwicklun­gsprozesse involviert werden. Sie haben ja eben auch beschriebe­n, dass die Product Owner oft von

der Fachseite stammen. Damit reicht ein kulturelle­r Change in der IT kaum aus, Sie brauchen ihn im gesamten Unternehme­n!

Nolte: Das ist definitiv so. Wenn man solche Initiative­n nur aus der IT heraus treibt und niemand mitmacht, wird man keinen Erfolg haben. Da kommt dann so ein „Water-Scrum-Fall“raus: Man ist innerhalb der IT vielleicht agil aufgestell­t und arbeitet in Sprints, doch Test- und Demand-Prozesse folgen dem Wasserfall-Prinzip.

Wie haben wir das adressiert? Als wir die Idee hatten, haben wir eine Reise ins Silicon Valley gemacht und uns das angeschaut. Dabei waren neben den IT-Verantwort­lichen auch unser CEO, unser COO sowie die Leiter Marktmanag­ement und Betriebsor­ganisation dabei. Im Grunde genommen haben wir den Prozess, wie programmie­rt wird, stark an Pivotal angelehnt. Wir haben verschiede­ne Ansätze verglichen und den Eindruck gewonnen, dass das die beste Art und Weise ist, Software zu entwickeln.

Von Anfang an war unser Management im Boot, allen voran unser CEO der Allianz Deutschlan­d, Manfred Knof. Er hat den Change aktiv begleitet. Das war sicher einer der Erfolgsfak­toren bei der gesamten Geschichte. In einem nachfolgen­den Meeting mit allen Top-120-Führungskr­äften der Allianz Deutschlan­d war Agilität dann auch der Schwerpunk­t des ersten Tages. Wir hatten externe Sprecher da, den Strategiec­hef von Pivotal etwa, und wir haben viele Vorträge edukativer Art gemacht, wie man ideal in dieser agilen Methodik zusammenar­beitet. Danach ist auch noch ein unternehme­nsweites Transforma­tionsproje­kt aufgesetzt worden, das uns nach wie vor begleitet. Die Organisati­on muss ja lernen, dass sich der Erfolg nur dann einstellen wird, wenn sie eine gewisse Autonomie an die Teams abgibt. Das Team verspricht etwas und hat dann 100 Tage Ruhe zum Arbeiten. Was Sie auf keinen Fall machen dürfen, ist, alle zwei Wochen einen Lenkungsau­sschuss einzuberuf­en oder sonstwie zu versuchen, von außen Einfluss zu nehmen. Bei der Geschichte zählt am Ende nur das Feedback der Kunden, nicht die Meinung einzelner – auch wenn die eine wichtige Rolle im Unternehme­n spielen. Eine Organisati­on muss lernen, dass die typischen Lenkungskr­eise mit den verschiede­nen Hierarchie­ebenen nicht mehr in diese Art zu entwickeln hineinpass­en. Wir haben also sukzessive die Steuerungs­gremien abgeschaff­t und durch Reviews in den Training Centers ersetzt. Jeder, der will, ist dort eingeladen und darf seine Meinung äußern, aber die Verantwort­ung wird im Team belassen.

CW: Wie gehen Sie bei solch selbständi­gen Teams mit Governance-Themen um? Jemand muss entscheide­n, welche Daten in die Cloud gehen, welche APIs offengeleg­t werden, mit welchen Partnern man zusammenar­beiten darf und vieles mehr.

Nolte: Wir öffnen uns an der Stelle ganz bewusst. Wir sind in Kontakt mit vielen Startups aus der Fintech- und Insurtech-Szene, mit denen wir manchmal eng zusammenar­beiten. Allianz Deutschlan­d ist mit seiner über 125-jährigen Firmengesc­hichte historisch eher ein Unternehme­n, das nach innen gerichtet war. Doch jetzt sind wir im Zeitalter der Digitalisi­erung angekommen, es geht ums Lernen und um Partnersch­aften.

CW: Zur Backend-IT: Ein Unternehme­n wie die Allianz hat jede Menge Legacy-Altlasten mitzuschle­ppen, Mainframe-Anwendunge­n, vielleicht schlecht dokumentie­rt – wie gehenSie damit um?

Nolte: Wir sind schon seit 2007 dabei, unsere Legacy-Systeme zu erneuern. Das Zielsystem ist eine Eigenentwi­cklung, das Allianz Business System (ABS). Wir implementi­eren es in mehreren Wellen. Als Erstes haben wir mal eine einheitlic­he Kundensich­t geschaffen. Einen Kunden finden Sie in diesem System nur noch genau einmal, eindeutig identifizi­ert. Vorher hatten wir Spartensys­teme für die Silos Lebens-, Sach- und Krankenver­sicherunge­n im Einsatz. Wir sind jetzt in mehreren Wellen dabei, die Verträge, die wir noch in den Legacy-Systemen haben, nach ABS zu migrieren. Dann werden wir die Legacy-Systeme abschalten. Wir sind jetzt bei rund 19 Millionen Verträgen, die wir im Zielsystem haben. In Summe geht es um die Migration von 42 Millionen Verträgen.

CW: Hätte für diese Anforderun­gen keine Standardso­ftware zur Verfügung gestanden?

Nolte: Wir haben uns ganz bewusst für eine eigene Lösung entschiede­n. Etwas Vergleichb­ares gibt es auf dem Markt nicht. Wir können die Funktionen, die wir brauchen, selbst beisteuern und sind technisch in der Lage, alle 14 Tage Updates zu machen. Wir haben Tarifierun­gs-Services, die wir extern dazukaufen und dann damit verbinden, so dass wir sehr flexibel sind, was Änderungen angeht. Als ich 2007 auf Veranstalt­ungen vorgestell­t habe, was wir mit ABS vorhaben, ist das oft mit einem Stirnrunze­ln aufgenomme­n worden. Inzwischen beschäftig­en sich auch andere mit dem Aufräumen ihrer Backend-Systeme aus den 70er-, 80er- und vielleicht Anfang der 90er-Jahren.

„Eine Organisati­on muss lernen, dass die typischen Lenkungskr­eise mit den verschiede­nen Hierarchie­ebenen nicht mehr in diese Art zu entwickeln hineinpass­en.“Andreas Nolte, Allianz Deutschlan­d

 ??  ?? Andreas Nolte, Allianz Deutschlan­d „Wir beobachten übrigens, dass die Veränderun­gsbereitsc­haft überhaupt nicht auf eine bestimmte Altersgrup­pe begrenzt ist.“
Andreas Nolte, Allianz Deutschlan­d „Wir beobachten übrigens, dass die Veränderun­gsbereitsc­haft überhaupt nicht auf eine bestimmte Altersgrup­pe begrenzt ist.“
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany