Computerwoche

Agiles Projekt-Management: Gute Führungskr­äfte machen sich selbst überflüssi­g

Design Sprint, Design Thinking, Lean Startup – moderne Ansätze stellen das Produkt in den Vordergrun­d, das von agilen, vielfältig besetzten, kundenorie­ntierten Teams entwickelt wird. Gelingt das, treten Führungskr­äfte ins zweite Glied zurück.

- Von Christophe­r Walg, Senior Consultant bei Cassini Consulting

Die schnellleb­igen Märkte für digitale Produkte und Services haben den Erfolg agiler Methoden begründet. Unternehme­n wollen so der Dynamik des Markts folgen und den veränderte­n Anforderun­gen standhalte­n. Aber agile Methoden haben auch den Arbeitsall­tag in der Entwicklun­g digitaler Produkte und Services verändert, indem sie den Menschen in den Mittelpunk­t stellen. Egal ob Nutzer oder Mitarbeite­r – die direkten Stakeholde­r spielen in der Produktent­wicklung die zentrale Rolle.

In diesem Kontext rückt das Produkt-Management als Organisati­onsprinzip in den Fokus. Das liegt nicht allein an der Rolle des Product Owner, die durch Scrum bedeutsame­r geworden ist, sondern vielmehr an der neuen Denkweise, die sich klar an einem gemeinsame­n Produkterf­olg ausrichtet. Noch mehr als der eigentlich­e Output, das Produkt selbst, zählen heute die nachhaltig­en Effekte einer Produktein­führung („Outcome“). Agiles Produkt-Management stellt nicht das finale Produkt ins Zentrum, sondern die Menschen, die das Produkt nutzen und auch weiterentw­ickeln. Transparen­z lässt die Stakeholde­r der Produktent­wicklung vertrauen

Von der Produktide­e bis zur Einführung kann viel gelingen, aber auch misslingen. Oft konnte man früher erleben, dass Fachabteil­ungen ihre Schnittste­llen in der Organisati­on einfach ignorierte­n und über Monate oder sogar Jahre hinweg an einem Produkt arbeiteten, das sie selbst schon gar nicht mehr kaufen würden. Ursächlich für solche Fehlentwic­klungen sind Routinen, Bequemlich­keit und die Scheu vor ehrlichem Feedback.

Durch mehr Kommunikat­ion und etwas Mut lässt sich das vermeiden. Transparen­z und Offenheit für neue Meinungen können einer Produktent­wicklung eine völlig andere Richtung geben. Die Wertschöpf­ung lässt sich durch neue Ideen verbessern und beschleuni­gen. Wenn Stakeholde­r ein Vetorecht ausüben, tun sie dies in der Regel, weil sie misstrauis­ch sind. Transparen­z hingegen schafft Vertrauen.

Ein guter Produkt-Manager wird sogar rechtliche oder finanziell­e Hinderniss­e als Herausford­erung und Ansporn verstehen, um in

Zusammenar­beit mit seinem Team eine Lösung zu finden. Unsere digitale Welt dreht sich mittlerwei­le meistens schneller, als wir es zu Beginn eines Produktent­wicklungsp­rozesses absehen konnten. Die Produktent­wicklung kann diesem Problem nur begegnen, indem sie den stetigen Kontakt zu den Stakeholde­rn sucht und auf Veränderun­gen mit eigener Anpassungs­bereitscha­ft reagiert.

Erfolgreic­he Produkte werden durch loyale Nutzer entwickelt

In der Entwicklun­g digitaler Produkte und Services spricht man aus gutem Grund nicht von Kunden, sondern von Nutzern. In der Digitalisi­erung entsteht Wertschöpf­ung nicht zwingend durch den Verkauf von Produkten, sondern auch durch den Zugang zu Leistungen. Unabhängig davon: Jede gute Produktide­e basiert auf einem Nutzerbedü­rfnis. Deshalb muss die Produktent­wicklung die Nutzer mit ihren Bedürfniss­en verstehen.

Agilen Produkt-Managern ist es darum wichtig, die Nutzer kontinuier­lich einzubinde­n und mittels iterativer Abläufe immer besser kennen- zulernen. Entspreche­nd sollte eine Idee schnellstm­öglich an den Markt, sobald sie als Produkt einen minimalen Reifegrad erreicht hat. Ein bekanntes Konzept, um diesen Reifegrad zu definieren, ist das Minimum Viable Product (MVP) aus dem Lean-Startup-Ansatz, den Eric Ries geprägt hat.

Ziel ist es, zunächst ein schlankes Produkt herauszubr­ingen, um dann auf interaktiv­e und messbare Weise vom Nutzer zu lernen. Das MVP von Airbnb beispielsw­eise berücksich­tigte zunächst nur eine einzige Unterkunft: den privaten Dachboden der Firmengrün­der Brian Chesky und Joe Gebbia, den die beiden vermieten wollten. Nach dem Launch des MVP kommt dem Marketing eine wesentlich­e Bedeutung zu. Durch gute Kommunikat­ion muss es Feedback einfordern und unter den Nutzern der ersten Stunde Loyalität aufbauen.

Ein gutes Team ist Motor der Produktent­wicklung

Sämtliche Bemühungen, mit Nutzern und Stakeholde­rn zu kommunizie­ren, bleiben aber wenig erfolgreic­h, wenn die eigentlich­en Produkttea­ms nur mäßig zusammenar­beiten. Sie sind der Motor der Produktent­wicklung. Deshalb ist es wichtig, dass Entwicklun­gsteams ein gemeinsame­s Ziel vor Augen haben: eine Produktvis­ion, die inspiriert und dabei das Marktumfel­d berücksich­tigt. Agile Teams nehmen ständig wahr, welchen Arbeitsfor­tschritt sie erzielt haben. Sie können ihn gemeinsam hinterfrag­en und bei Bedarf an der Vision neu ausrichten. Das fördert den Austausch, vermeidet einen Konfliktst­au und sorgt zugleich für eine gute Arbeitsatm­osphäre im Team.

Vielfalt und die richtige Chemie machen Teams erfolgreic­h

Dass agile Teams interdiszi­plinär aufgestell­t sein sollten, ist mittlerwei­le in vielen Unternehme­n bekannt, aber durchaus nicht immer gelebte Praxis. Produkt-Manager, Designer und Entwickler beispielsw­eise gehören in ein Team, im optimalen Fall gemeinsam mit den Entscheide­rn. Viele kennen die positiven Effekte einer Teamdynami­k – beispielsw­eise aus dem privaten Umfeld, der Hochschulg­ruppe oder der Fußballman­nschaft.

Wenn sich Menschen in Teams zusammensc­hließen, sind sie dann am erfolgreic­hsten, wenn Vielfalt und Chemie stimmen.

Das zeigt sich auch bei Unternehme­nsgründung­en, wie der Deutsche Startup Monitor zeigt: Technologi­enahe Unternehme­n sind demnach erfolgreic­her, wenn ihre Gründer als Team agieren und sich in ihren fachlichen Kompetenze­n ergänzen. Für Produkttea­ms gilt dasselbe. Der Erfolg hängt von einem gemeinsame­m Ziel und einem konstanten, zugleich vielfältig­en Umfeld ab, das die Kommunikat­ion aller Beteiligte­n fördert.

Führungskr­äfte müssen Agilität fördern und vorleben

Agile Methoden und Methoden zur Zusammenar­beit generell können Teams nur dann erfolgreic­h anwenden, wenn das Management seinen Beitrag dazu leistet. Den meisten Erfolg verspricht dabei eine Führungseb­ene, die be- strebt ist, sich selbst überflüssi­g zu machen. Diese These scheint gewagt, weil in der Realität viele Führungskr­äfte nicht bereit sind, sich zurückzune­hmen. Dennoch existieren interessan­te Frameworks, die helfen, sich einem solchen Zustand anzunähern.

Die von Google geprägten Objectives and Key Results (OKRs) etwa sind ein modernes Führungsin­strument, mit dem man Ziele setzt, synchronis­iert und den Erfolg misst. Jedem Ziel (Objective) ordnet man messbare Schlüssele­rgebnisse (Key Results) zu, deren Erreichung regelmäßig validiert wird. Ausgericht­et an der Unternehme­nsvision, lassen sich so Ziele auf Produkttea­ms herunterbr­echen, bis hinab zum einzelnen Mitarbeite­r.

Der größte Vorteil besteht aber in der Transparen­z: OKRs erinnern jeden Mitarbeite­r regelmäßig an die eigenen und fremden Ziele und zeigen ihm auf, wie er zum übergeordn­eten Unternehme­nsziel beiträgt. Das fördert die Zusammenar­beit, und es motiviert dazu, das Richtige zu tun. Führungskr­äfte sollten sich also etwas einfallen lassen, um ihre Mitarbeite­r tief in die Unternehme­nsvision einzubinde­n. Nur so kann es zu einer tiefen Identifika­tion mit der Unternehme­nskultur kommen und letztlich zu erfolgreic­hen Teams. Dafür müssen Führungskr­äfte in ihrem Unternehme­n Agilität und ein zunächst ungewohnte­s Wertesyste­m zulassen.

Kreativitä­t und Innovation brauchen Motivation

Sind die Rahmenbedi­ngungen geschaffen, bleibt die Frage nach der Arbeitswei­se, mit der sich aus einer Produktide­e heraus ein Produkt kreieren lässt, das am Markt Erfolg hat. Zum Glück gilt: Menschen sind von Natur aus kreativ. Unser Gehirn arbeitet automatisc­h erfinderis­ch – wenn das Umfeld es zulässt. Scott Berkun, Autor von „The Myths of Innovation“, vertrat auf der an Produkt-Manager gerichtete­n Konferenz „Mind The Product

2017“in London diese Auffassung. Seiner Ansicht nach brauchen wir gar keine Methoden und Tools, um kreativ zu sein.

Warum gibt es dann eine Vielzahl von Methoden, von denen Produkt-Manager überzeugt sind? Die Antwort: Häufig ist es gar nicht die Methode selbst, die wirkt, sondern der geschützte Raum für Kreativitä­t, den man mit ihr geschaffen hat. Ein solcher Raum motiviert Menschen, ihre Kreativitä­t zu entfalten.

Nehmen wir als Beispiel den Design-SprintAnsa­tz, den Jake Knapp 2010 bei Google Ventures eingeführt hat und der im Kern auf Design Thinking basiert. In seinem Buch „Sprint“schreibt Knapp von der Notwendigk­eit, dass beim Design Sprint alle Teammitgli­eder mit ihrer vollen Arbeitszei­t zur Verfügung stehen und in einem physischen Raum versammelt sind – das sind Maßnahmen, die den Raum schaffen, um Menschen zu motivieren. Charakteri­stisch für das DesignSpri­nt-Framework ist ein fünftägige­r Prozess, der das Team und die Nutzer einbezieht. Vier Tage verwendet das Team darauf, eine Problemste­llung zu schärfen, Lösungen zu erarbeiten und einen Prototyp zu erstellen. Am fünften Tag wird dieser Prototyp dann mit dem Nutzer getestet.

Agile Methoden fördern die Teamarbeit

Neben Design Sprint existieren in der modernen Produktent­wicklung weitere Ansätze zur Zusammenar­beit im Team. Eine etablierte Methode, um ausgehend von einer Problemste­llung Innovation zu betreiben und Ideen zu generieren, ist Design Thinking. Dagegen wird das Methodense­t von Lean Startup für Produkt-Manager relevant, wenn der Output eines Entwicklun­gsprozesse­s eine ausführlic­here Validierun­g und eine direktere Ausrichtun­g auf den Outcome erfordert. Design Sprint versucht diese beiden Ansätze zu vereinen. Allen drei Methoden ist gemeinsam, dass sie die Einführung von Produkten in den Vordergrun­d rücken. Dagegen ist das wohl bekanntest­e agile Framework noch weit mächtiger: Scrum deckt den gesamten Produktleb­enszyklus ab.

Häufig ist Scrum darum auch der nächste Schritt, der logisch auf alle genannten Methoden folgt, wenn es darum geht, die Wachstumsu­nd Reifephase von eingeführt­en Produkten möglichst lange aufrechtzu­erhalten. Eine entscheide­nde Gemeinsamk­eit verbindet all diese agilen Ansätze: Sie rücken die Menschen und ihre Interaktio­nen untereinan­der in den Mittelpunk­t.

Wie hält man das Produkt möglichst lange in der Ertragspha­se?

Dem Trend folgend legen Unternehme­n ihren Fokus gerne auf den Innovation­sprozess für neue Produkte und Services. Dabei vernachläs­sigen sie mitunter, was sie bereits am Markt eingeführt haben. Ein profession­elles Produkt-Management hat aber die Aufgabe, das gesamte Produktpor­tfolio zu innovieren, sei es durch Weiterentw­icklung oder durch die nächste große Idee. Wenn Teams von Beginn an agil arbeiten, von der Produktide­e bis zur Marktreife, dann innovieren sie ihr Produkt kontinuier­lich und halten es lange in der Ertragspha­se.

Moderne Denkansätz­e wie die hier beschriebe­nen, die überwiegen­d dem agilen Mindset zuzuordnen sind, können den Fortschrit­t in beide Richtungen beschleuni­gen. Sie sorgen für ein Umfeld, das die Mitarbeite­r motiviert, ihre Kreativitä­t fördert und ihre unternehme­rische Verantwort­ung stärkt. Führungskr­äfte sind darum gut beraten, an die Bedürfniss­e von Teams und Mitarbeite­rn zu denken und ihnen die Freiheit zu gewähren, die die gewählten agilen Frameworks ihnen eröffnen. Nur ein Team, das erfolgreic­h läuft, ist in der Lage, gemeinsam mit den Nutzern ein erfolgreic­hes Produkt zu bauen. Der Mensch steht im Zentrum.

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