Agiles Projekt-Management: Gute Führungskräfte machen sich selbst überflüssig
Design Sprint, Design Thinking, Lean Startup – moderne Ansätze stellen das Produkt in den Vordergrund, das von agilen, vielfältig besetzten, kundenorientierten Teams entwickelt wird. Gelingt das, treten Führungskräfte ins zweite Glied zurück.
Die schnelllebigen Märkte für digitale Produkte und Services haben den Erfolg agiler Methoden begründet. Unternehmen wollen so der Dynamik des Markts folgen und den veränderten Anforderungen standhalten. Aber agile Methoden haben auch den Arbeitsalltag in der Entwicklung digitaler Produkte und Services verändert, indem sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Egal ob Nutzer oder Mitarbeiter – die direkten Stakeholder spielen in der Produktentwicklung die zentrale Rolle.
In diesem Kontext rückt das Produkt-Management als Organisationsprinzip in den Fokus. Das liegt nicht allein an der Rolle des Product Owner, die durch Scrum bedeutsamer geworden ist, sondern vielmehr an der neuen Denkweise, die sich klar an einem gemeinsamen Produkterfolg ausrichtet. Noch mehr als der eigentliche Output, das Produkt selbst, zählen heute die nachhaltigen Effekte einer Produkteinführung („Outcome“). Agiles Produkt-Management stellt nicht das finale Produkt ins Zentrum, sondern die Menschen, die das Produkt nutzen und auch weiterentwickeln. Transparenz lässt die Stakeholder der Produktentwicklung vertrauen
Von der Produktidee bis zur Einführung kann viel gelingen, aber auch misslingen. Oft konnte man früher erleben, dass Fachabteilungen ihre Schnittstellen in der Organisation einfach ignorierten und über Monate oder sogar Jahre hinweg an einem Produkt arbeiteten, das sie selbst schon gar nicht mehr kaufen würden. Ursächlich für solche Fehlentwicklungen sind Routinen, Bequemlichkeit und die Scheu vor ehrlichem Feedback.
Durch mehr Kommunikation und etwas Mut lässt sich das vermeiden. Transparenz und Offenheit für neue Meinungen können einer Produktentwicklung eine völlig andere Richtung geben. Die Wertschöpfung lässt sich durch neue Ideen verbessern und beschleunigen. Wenn Stakeholder ein Vetorecht ausüben, tun sie dies in der Regel, weil sie misstrauisch sind. Transparenz hingegen schafft Vertrauen.
Ein guter Produkt-Manager wird sogar rechtliche oder finanzielle Hindernisse als Herausforderung und Ansporn verstehen, um in
Zusammenarbeit mit seinem Team eine Lösung zu finden. Unsere digitale Welt dreht sich mittlerweile meistens schneller, als wir es zu Beginn eines Produktentwicklungsprozesses absehen konnten. Die Produktentwicklung kann diesem Problem nur begegnen, indem sie den stetigen Kontakt zu den Stakeholdern sucht und auf Veränderungen mit eigener Anpassungsbereitschaft reagiert.
Erfolgreiche Produkte werden durch loyale Nutzer entwickelt
In der Entwicklung digitaler Produkte und Services spricht man aus gutem Grund nicht von Kunden, sondern von Nutzern. In der Digitalisierung entsteht Wertschöpfung nicht zwingend durch den Verkauf von Produkten, sondern auch durch den Zugang zu Leistungen. Unabhängig davon: Jede gute Produktidee basiert auf einem Nutzerbedürfnis. Deshalb muss die Produktentwicklung die Nutzer mit ihren Bedürfnissen verstehen.
Agilen Produkt-Managern ist es darum wichtig, die Nutzer kontinuierlich einzubinden und mittels iterativer Abläufe immer besser kennen- zulernen. Entsprechend sollte eine Idee schnellstmöglich an den Markt, sobald sie als Produkt einen minimalen Reifegrad erreicht hat. Ein bekanntes Konzept, um diesen Reifegrad zu definieren, ist das Minimum Viable Product (MVP) aus dem Lean-Startup-Ansatz, den Eric Ries geprägt hat.
Ziel ist es, zunächst ein schlankes Produkt herauszubringen, um dann auf interaktive und messbare Weise vom Nutzer zu lernen. Das MVP von Airbnb beispielsweise berücksichtigte zunächst nur eine einzige Unterkunft: den privaten Dachboden der Firmengründer Brian Chesky und Joe Gebbia, den die beiden vermieten wollten. Nach dem Launch des MVP kommt dem Marketing eine wesentliche Bedeutung zu. Durch gute Kommunikation muss es Feedback einfordern und unter den Nutzern der ersten Stunde Loyalität aufbauen.
Ein gutes Team ist Motor der Produktentwicklung
Sämtliche Bemühungen, mit Nutzern und Stakeholdern zu kommunizieren, bleiben aber wenig erfolgreich, wenn die eigentlichen Produktteams nur mäßig zusammenarbeiten. Sie sind der Motor der Produktentwicklung. Deshalb ist es wichtig, dass Entwicklungsteams ein gemeinsames Ziel vor Augen haben: eine Produktvision, die inspiriert und dabei das Marktumfeld berücksichtigt. Agile Teams nehmen ständig wahr, welchen Arbeitsfortschritt sie erzielt haben. Sie können ihn gemeinsam hinterfragen und bei Bedarf an der Vision neu ausrichten. Das fördert den Austausch, vermeidet einen Konfliktstau und sorgt zugleich für eine gute Arbeitsatmosphäre im Team.
Vielfalt und die richtige Chemie machen Teams erfolgreich
Dass agile Teams interdisziplinär aufgestellt sein sollten, ist mittlerweile in vielen Unternehmen bekannt, aber durchaus nicht immer gelebte Praxis. Produkt-Manager, Designer und Entwickler beispielsweise gehören in ein Team, im optimalen Fall gemeinsam mit den Entscheidern. Viele kennen die positiven Effekte einer Teamdynamik – beispielsweise aus dem privaten Umfeld, der Hochschulgruppe oder der Fußballmannschaft.
Wenn sich Menschen in Teams zusammenschließen, sind sie dann am erfolgreichsten, wenn Vielfalt und Chemie stimmen.
Das zeigt sich auch bei Unternehmensgründungen, wie der Deutsche Startup Monitor zeigt: Technologienahe Unternehmen sind demnach erfolgreicher, wenn ihre Gründer als Team agieren und sich in ihren fachlichen Kompetenzen ergänzen. Für Produktteams gilt dasselbe. Der Erfolg hängt von einem gemeinsamem Ziel und einem konstanten, zugleich vielfältigen Umfeld ab, das die Kommunikation aller Beteiligten fördert.
Führungskräfte müssen Agilität fördern und vorleben
Agile Methoden und Methoden zur Zusammenarbeit generell können Teams nur dann erfolgreich anwenden, wenn das Management seinen Beitrag dazu leistet. Den meisten Erfolg verspricht dabei eine Führungsebene, die be- strebt ist, sich selbst überflüssig zu machen. Diese These scheint gewagt, weil in der Realität viele Führungskräfte nicht bereit sind, sich zurückzunehmen. Dennoch existieren interessante Frameworks, die helfen, sich einem solchen Zustand anzunähern.
Die von Google geprägten Objectives and Key Results (OKRs) etwa sind ein modernes Führungsinstrument, mit dem man Ziele setzt, synchronisiert und den Erfolg misst. Jedem Ziel (Objective) ordnet man messbare Schlüsselergebnisse (Key Results) zu, deren Erreichung regelmäßig validiert wird. Ausgerichtet an der Unternehmensvision, lassen sich so Ziele auf Produktteams herunterbrechen, bis hinab zum einzelnen Mitarbeiter.
Der größte Vorteil besteht aber in der Transparenz: OKRs erinnern jeden Mitarbeiter regelmäßig an die eigenen und fremden Ziele und zeigen ihm auf, wie er zum übergeordneten Unternehmensziel beiträgt. Das fördert die Zusammenarbeit, und es motiviert dazu, das Richtige zu tun. Führungskräfte sollten sich also etwas einfallen lassen, um ihre Mitarbeiter tief in die Unternehmensvision einzubinden. Nur so kann es zu einer tiefen Identifikation mit der Unternehmenskultur kommen und letztlich zu erfolgreichen Teams. Dafür müssen Führungskräfte in ihrem Unternehmen Agilität und ein zunächst ungewohntes Wertesystem zulassen.
Kreativität und Innovation brauchen Motivation
Sind die Rahmenbedingungen geschaffen, bleibt die Frage nach der Arbeitsweise, mit der sich aus einer Produktidee heraus ein Produkt kreieren lässt, das am Markt Erfolg hat. Zum Glück gilt: Menschen sind von Natur aus kreativ. Unser Gehirn arbeitet automatisch erfinderisch – wenn das Umfeld es zulässt. Scott Berkun, Autor von „The Myths of Innovation“, vertrat auf der an Produkt-Manager gerichteten Konferenz „Mind The Product
2017“in London diese Auffassung. Seiner Ansicht nach brauchen wir gar keine Methoden und Tools, um kreativ zu sein.
Warum gibt es dann eine Vielzahl von Methoden, von denen Produkt-Manager überzeugt sind? Die Antwort: Häufig ist es gar nicht die Methode selbst, die wirkt, sondern der geschützte Raum für Kreativität, den man mit ihr geschaffen hat. Ein solcher Raum motiviert Menschen, ihre Kreativität zu entfalten.
Nehmen wir als Beispiel den Design-SprintAnsatz, den Jake Knapp 2010 bei Google Ventures eingeführt hat und der im Kern auf Design Thinking basiert. In seinem Buch „Sprint“schreibt Knapp von der Notwendigkeit, dass beim Design Sprint alle Teammitglieder mit ihrer vollen Arbeitszeit zur Verfügung stehen und in einem physischen Raum versammelt sind – das sind Maßnahmen, die den Raum schaffen, um Menschen zu motivieren. Charakteristisch für das DesignSprint-Framework ist ein fünftägiger Prozess, der das Team und die Nutzer einbezieht. Vier Tage verwendet das Team darauf, eine Problemstellung zu schärfen, Lösungen zu erarbeiten und einen Prototyp zu erstellen. Am fünften Tag wird dieser Prototyp dann mit dem Nutzer getestet.
Agile Methoden fördern die Teamarbeit
Neben Design Sprint existieren in der modernen Produktentwicklung weitere Ansätze zur Zusammenarbeit im Team. Eine etablierte Methode, um ausgehend von einer Problemstellung Innovation zu betreiben und Ideen zu generieren, ist Design Thinking. Dagegen wird das Methodenset von Lean Startup für Produkt-Manager relevant, wenn der Output eines Entwicklungsprozesses eine ausführlichere Validierung und eine direktere Ausrichtung auf den Outcome erfordert. Design Sprint versucht diese beiden Ansätze zu vereinen. Allen drei Methoden ist gemeinsam, dass sie die Einführung von Produkten in den Vordergrund rücken. Dagegen ist das wohl bekannteste agile Framework noch weit mächtiger: Scrum deckt den gesamten Produktlebenszyklus ab.
Häufig ist Scrum darum auch der nächste Schritt, der logisch auf alle genannten Methoden folgt, wenn es darum geht, die Wachstumsund Reifephase von eingeführten Produkten möglichst lange aufrechtzuerhalten. Eine entscheidende Gemeinsamkeit verbindet all diese agilen Ansätze: Sie rücken die Menschen und ihre Interaktionen untereinander in den Mittelpunkt.
Wie hält man das Produkt möglichst lange in der Ertragsphase?
Dem Trend folgend legen Unternehmen ihren Fokus gerne auf den Innovationsprozess für neue Produkte und Services. Dabei vernachlässigen sie mitunter, was sie bereits am Markt eingeführt haben. Ein professionelles Produkt-Management hat aber die Aufgabe, das gesamte Produktportfolio zu innovieren, sei es durch Weiterentwicklung oder durch die nächste große Idee. Wenn Teams von Beginn an agil arbeiten, von der Produktidee bis zur Marktreife, dann innovieren sie ihr Produkt kontinuierlich und halten es lange in der Ertragsphase.
Moderne Denkansätze wie die hier beschriebenen, die überwiegend dem agilen Mindset zuzuordnen sind, können den Fortschritt in beide Richtungen beschleunigen. Sie sorgen für ein Umfeld, das die Mitarbeiter motiviert, ihre Kreativität fördert und ihre unternehmerische Verantwortung stärkt. Führungskräfte sind darum gut beraten, an die Bedürfnisse von Teams und Mitarbeitern zu denken und ihnen die Freiheit zu gewähren, die die gewählten agilen Frameworks ihnen eröffnen. Nur ein Team, das erfolgreich läuft, ist in der Lage, gemeinsam mit den Nutzern ein erfolgreiches Produkt zu bauen. Der Mensch steht im Zentrum.