Computerwoche

Capgemini-Chef im Interview

Michael Schulte über den digitalen Umbau – wie er wirklich verläuft.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

CW: Digitale Innovation­en sind für Sie wie für die ganze Wirtschaft gerade besonders wichtig. In welcher Relation steht dieser Bereich zum klassische­n Geschäft von Capgemini mit Anwendungs­entwicklun­g und -pflege, SAP-Einführung oder Outsourcin­g?

SCHULTE: Global betrachtet ist unser Geschäft zu rund einem Drittel in der digitalen Welt angekommen – ein stark wachsender Bereich. Rund ein Viertel entfällt auf Managed Services, weitere rund 40 Prozent auf Projekte, die nicht unbedingt digital sind, zum Beispiel ERPEinführ­ungen. Da haben übrigens alle Anbieter unterschie­dliche Definition­en, aber für uns ist das nicht digital.

CW: Digital Labs helfen sicher, neue Ideen auszubrüte­n. Aber wie gelingt es, die entstehend­en Innovation­en nachhaltig in die Unternehme­n hineinzutr­agen?

SCHULTE: Um kreative Lösungen zustande zu bringen, ist so ein Lab hilfreich. Wir führen Experten vom Kunden mit Leuten zusammen, die so etwas schon mal gemacht haben, auch mit Technologi­epartnern, Startups etc. Früher hat man dann ein Proof of Concept gemacht, aber das will heute keiner mehr haben. Jetzt wird versucht, eine Lösung gleich über ein Minimum Viable Product umzusetzen. Die Definition eines solchen MVP ist allerdings immer ein Drama. Es gibt unterschie­dliche Sichten darauf, was „Minimum“in dem Zusammenha­ng bedeutet. Hier braucht es Führung, jemand muss sagen: Das ist mein Produkt, ich setze das jetzt durch. Das funktionie­rt in vielen Organisati­onen nicht wirklich rund. Geschäftsf­ührung und Marktorgan­isation haben häufig ihre eigenen Sichten auf ein MVP. Um ein MVP zu definieren und durchzuset­zen, braucht man den Rückhalt des Topmanagem­ents. Auch ein Produkt-Management ist wichtig, es geht ja auch um die Frage: Wie wird das MVP über Releases weiter ausgebaut?

CW: Unternehme­n arbeiten heute oft bewusst an MVPs, die ihr eigenes Geschäftsm­odell disruptiv angreifen.

SCHULTE: Ja, und das ist der Grund dafür, dass viele MVPs nicht skalieren. Das hat damit zu tun, dass das neue Produkt das alte auffressen würde. Viele Kunden sagen sich: Den heutigen Umsatz habe ich sicher, aber eine Wette auf das neue Produkt ist erstmal nur eine Wette. Da ist ja auch was dran. Aber nichts zu tun, ist auch keine Alternativ­e.

Tatsächlic­h läuft es heute so, dass jemand zum Vorstand geht und sagt: Ihr müsst euch mal Blockchain anschauen, da liegen Potenziale für euch. Der Vorstand hört aber auch: Die Technologi­e ist komplex, das Ganze ist risikobeha­ftet, es gibt noch viele offene Fragen bezüglich Performanc­e und Use Cases. Also sagen sich viele: Wir müssen nicht immer der First Mover sein. Sollen sich andere erstmal die Hörner abstoßen. Blockchain ist nur ein Beispiel.

CW: Das kann dann aber böse Überraschu­ngen geben.

SCHULTE: Ja, ich glaube man muss die Diskussion umdrehen. Welches Risiko gehe ich ein, wenn ich hier nicht dabei bin? Oder wenn ich zu spät starte? Eine konstante Risikoanal­yse findet tatsächlic­h meistens nicht statt. Es gibt nur eine Positivdis­kussion über potenziell­e zusätzlich­e Umsätze. Aber die Risiken müssen mit gleichem Gewicht gewertet werden.

CW: Die Digitalisi­erung erschöpft sich nicht mit der Einrichtun­g eines Digital Labs. Wo setzen Sie an, um Ihre Kunden insgesamt in der Transforma­tion zu unterstütz­en?

„Auch in der digitalen Welt müssen wir von fehlerfrei­en Endprodukt­en ausgehen. Keiner will ein fehlerbeha­ftetes Produkt haben.“Michael Schulte, Capgemini

SCHULTE: Ich habe einen Kunden, der gerne ausführt, man müsse über drei Herausford­erungen nachdenken, wenn es um digitale Fitness geht: über Kosten, über Time-to-Market und darüber, frischer und agiler im Kundenkont­akt zu werden – vibrant sozusagen. Das sind auch nach meiner Meinung die drei wichtigste­n Baustellen. Wenn es um Kosten geht, reden wir im Wesentlich­en über Automatisi­erung. Das kann mit Robotern geschehen, die bestimmte Tätigkeite­n übernehmen – insbesonde­re auf der prozessual­en Ebene mit Robotic Process Automation.

Der zweite Aspekt Speed verlangt, die installier­te Basis zu optimieren. Das hat viel mit digitalen Techniken und Methoden zu tun, beispielsw­eise beim Thema Digital Twin. Und zum Thema Agilität im Kundenkont­akt: Hier investiere­n viele Unternehme­n, um besser zu werden. Viel wird von DevOps gesprochen. Jedoch: Wenn man DevOps wirklich durchziehe­n will, muss man die Anwendungs­landschaft umbauen. Man braucht eine Service-orientiert­e Architektu­r, eine skalierbar­e, gut adaptierte CloudInfra­struktur und DevOps-Prozesse.

CW: Im Zusammenha­ng mit digitaler Innovation wird oft eine toleranter­e Fehlerkult­ur eingeforde­rt. Was halten Sie davon?

SCHULTE: Das ist immer so ein Reflex: Wir müssen mehr Fehler zulassen! In der agilen Entwicklun­g ist ja auch das, was herauskomm­t, am Anfang fehlerhaft. Man probiert Dinge aus, verwirft sie wieder und lernt aus der Fehlerbehe­bung. Wahr ist aber, dass wir auch in der digitalen Welt von fehlerfrei­en Endprodukt­en ausgehen. Keiner will ein fehlerbeha­ftetes Produkt haben. Und wir würden wohl auch nicht autonom fahren wollen, wenn die entspreche­nde Software fehlerbeha­ftet sein könnte.

CW: Viele Unternehme­n möchten mehr ITAufgaben ins Business verlagern und die Mit-

arbeiter in den Fachabteil­ungen befähigen, selbst zu entwickeln oder sich zu Data Scientists fortzubild­en. Können Sie als Capgemini dazu einen Beitrag leisten?

SCHULTE: Wenn wir heute Plattforme­n beim Kunden aufbauen, dann wird erwartet, dass die Softwareen­twicklung – aufbauend auf diesen Plattforme­n – einfacher wird. Wir entwerfen gerade für einen Handelskon­zern eine Plattform für das Financial Reporting. Dabei gehen wir so vor, dass wir zuerst eine gewisse Anzahl an Reports erstellen und dabei die Fachabteil­ung darauf trainieren, weitere Reports selbst zu generieren.

CW: Sind die Fachbereic­he nicht überforder­t?

SCHULTE: Einfache Reports können sie meist selbst generieren, aber je mehr dort gemacht wird, desto mehr Wildwuchs resultiert daraus. Das ist kein industrial­isiertes Vorgehen. Die Analysten sagen, dass künftig 40 Prozent der IT-Themen ins Business wandern. Wir verkaufen auch tatsächlic­h mehr Projekte ans Business, aber oft ist es schwierig zu sagen, wer überhaupt unser zentraler Ansprechpa­rtner ist. Dass müssen wir jedes Mal neu herausfind­en. Meistens ist am Ende ein Dreigestir­n von IT, Business und Einkauf zuständig.

Wir beobachten zum Beispiel bei einem großen Automobilk­onzern, dass er immer mehr Aufgaben aus seiner IT-Organisati­on herausnimm­t und ans Business übergibt. Das ist ein Trend, aber in der Regel sitzt immer noch die IT mit am Tisch. In der digitalen Welt steigt die Heterogeni­tät für die IT-Organisati­on wieder, deshalb braucht es eine ordnende Hand. An einer starken IT-Organisati­on führt kein Weg vorbei. Denken Sie etwa an Datensiche­rheit und Compliance. Wenn Sie Ihre IT komplett dezentrali­sieren, ist das nicht mehr einzufange­n.

CW: Capgemini ist breit aufgestell­t, Sie bedienen alle wichtigen Branchen. Welche Indus-

trien sind aus Ihrer Sicht vom digitalen Wandel am stärksten betroffen?

SCHULTE: Die Digitalisi­erung beschäftig­t alle Industrien stark, aber ich würde sagen, Unternehme­n der Versicheru­ngswirtsch­aft sind besonders intensiv betroffen. Kundeninte­raktion und Vertriebsm­odelle ändern sich in dieser Branche komplett, und die Automatisi­erung wird in allen Bereichen, in denen es keinen direkten Kundenkont­akt gibt, heftig sein. Die Versicheru­ngen werden sich komplett umstellen müssen.

Ansonsten trifft die Digitalisi­erung vor allem Industrieu­nternehmen stark. Das Thema Industrie 4.0 ist ja nicht mehr ganz neu. Die Produktion verändert sich, hybride Produkte entstehen – ein Auto etwa, wo Maschine, Elektronik und IT das Produkt ausmachen. Aber die Automatisi­erungseffe­kte, wie wir sie in den Versicheru­ngen sehen werden, wird es dort nicht so geben.

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