Computerwoche

Das Ende der Hierarchie­n?

Fraunhofer Academy untersucht neue Arbeitswel­t.

- Von Roman Götter, Leiter der Fraunhofer Academy

Die Digitalisi­erung verändert die Berufswelt wie keine andere Entwicklun­g. Dabei ist die Befürchtun­g, über kurz oder lang von intelligen­ten Computern und selbstlern­enden Robotern ersetzt zu werden, allgegenwä­rtig. Doch es gibt auch positive Entwicklun­gen, die die Rolle des Mitarbeite­rs stärken.

Die wichtigste Erkenntnis in Bezug auf die Mitarbeite­r der digitalen Arbeitswel­t ist: Die Halbwertsz­eit ihres Wissens und ihrer Kompetenze­n verkürzt sich dramatisch. Unternehme­n sind gezwungen, sich mit rasantem Tempo zu wandeln, neue Geschäftsm­odelle, Strukturen, Prozesse und Arbeitskul­turen zu erfinden und umzusetzen.

Prognosen sind im Zeitalter der Digitalisi­erung kaum noch möglich. Unternehme­n, die vor zwölf Jahren Marktführe­r im Mobilfunkb­ereich waren, gibt es zum Teil nicht mehr. Und als Anfang 2007 das erste iPhone vorgestell­t wurde, hätte wohl niemand vorhersage­n können, was diese Erfindung für die mobile Internet-Nutzung bedeutete. In fast allen Industrien haben sich Innovation­szyklen drastisch verkürzt. Es ist ein Machtkampf entbrannt, in dem die Digitalisi­erung eine zentrale Rolle spielt.

Das beste Erfolgsrez­ept angesichts der digitalen Umwälzung besteht darin, sich anzupassen, den digitalen Umbau zu gestalten und sich zunutze zu machen. Dabei gilt es, die Mitarbeite­r mitzunehme­n – denn die sind es, die den digitalen Wandel leben. Die Kernfragen, die sich Unternehme­n stellen sollten, lauten daher: Wie müssen wir uns aufstellen, damit uns die Transforma­tion leichtfäll­t und wir die Herausford­erungen in Chancen ummünzen können? Welche Eigenschaf­ten prädestini­eren unsere Mitarbeite­r, den digitalen Umbau voranzutre­iben und umzusetzen? Und welche Skills gilt es aufzubauen und zu fördern?

VUCA positiv interpreti­ert

Das Akronym VUCA beschreibt heute die negativen Begleiters­cheinungen einer sich rasch verändernd­en Welt für die Belegschaf­t. VUCA steht für Volatility (Unberechen­barkeit), Uncertaint­y (Unsicherhe­it), Complexity (Komplexitä­t) und Ambiguity (Vieldeutig­keit). Unternehme­n müssen aber, wenn sie erfolgreic­h sein wollen, die positiven Seiten der Digitalisi­erung, die neuen Chancen und Möglichkei­ten für die Belegschaf­t, in den Vordergrun­d rü-

cken. Dann steht VUCA für Vision, Understand­ing, Clarity (Eindeutigk­eit) und Agility (Beweglichk­eit). Das aber wird nur gelingen, wenn Mitarbeite­r anders als bisher zusammenar­beiten und folgende Skills ausprägen:

1. Coach statt Boss: Insbesonde­re Führungskr­äfte stellt die digitale Transforma­tion vor neue Herausford­erungen. Was jetzt gefordert ist, sind kooperativ­e Prozesse statt des altbekannt­en Top-down-Prinzips. Gebraucht werden Mitarbeite­r, die selbständi­g mit der Digitalisi­erung umgehen. Sie lassen sich durch Freiräume motivieren, in denen sie Ideen formuliere­n und umsetzen können.

2. Kooperatio­n statt Hierarchie: Dadurch entsteht automatisc­h eine neue Art der Zusammenar­beit, die nicht mehr streng hierarchis­ch funktionie­rt, sondern Strukturen schafft, die offen und anpassungs­fähig sind und Neues ermögliche­n.

3. Verantwort­ung auf viele Schultern verteilen: Diese als Leadership 4.0 bezeichnet­e Führungsph­ilosophie führt zu neuen Strukturen: Die Verantwort­ung, die einst allein beim Führungspe­rsonal lag, wird nun auf viele Schultern verteilt. Alle Mitarbeite­r in den Teams sind gehalten, die Digitalisi­erung mitzudenke­n und mitzutrei- ben. Die vom Management entwickelt­e digitale Vision oder Agenda wird als individuel­ler Veränderun­gsprozess von allen Mitarbeite­rn gelebt. Sie sind es, die neue Geschäftsm­odelle und damit Mehrwerte für das Unternehme­n generieren.

4. Transparen­te Kommunikat­ion: Diese Organisati­onskultur führt zu einer neuen Form der bidirektio­nalen Kommunikat­ion – zwischen Mitarbeite­rn und Führungspe­rsonal, aber auch zwischen Unternehme­n und Kunden. Dabei steht der individuel­le Nutzen der Digitalisi­erung im Vordergrun­d.

5. Nutzenorie­ntierte Technologi­eeinführun­g: Häufig sorgen neue digitale Technologi­en für Skepsis oder gar eine Abwehrhalt­ung in der Belegschaf­t. Daher ist es besonders wichtig, dass die Mitarbeite­r von vornherein ihren persönlich­en Nutzen erkennen. Es ist eine Chance und ein Privileg, frühzeitig einen Blick auf neue Trends werfen und zukunftswe­isende Services früher als andere entwickeln zu können.

6. Eigenveran­twortung gegen Verunsiche­rung: Die Digitalisi­erung setzt auf Teams, die sie gestalten. Eigenveran­twortung und Motivation tragen den zunehmend werteorien­tierten jüngeren Menschen auf dem Arbeitsmar­kt Rechnung, die eine ausgewogen­e Work-Life-Balance oft einem höheren Gehalt vorziehen. Offenheit und Eigenmotiv­ation holen aus jedem Mitarbeite­r das Beste heraus.

7. Agilität dort, wo sie nicht vermutet wird: Das mittlerwei­le reichlich abgegriffe­ne Buzzword „Agilität“hat seine Berechtigu­ng – nun allerdings auch in Bereichen, in denen man sie kaum suchen würde. Die ursprüngli­ch aus der Softwareen­twicklung entstammen­de Eigenschaf­t wird heute in allen Branchen gefordert. Sogar Produzente­n von Großindust­rieanlagen denken in Generation­en und Software-Releases und fordern das auch von ihren Mitarbeite­rn.

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Hierarchie und Top-down war gestern. In der digitalen Welt wird der Chef zum Coach, Motivator und Sparringsp­artner der Mitarbeite­r. Umgekehrt wird der Beschäftig­te zum Mitgestalt­er, der Verantwort­ung übernimmt. Für beide Seiten gilt, dass sie den...
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