Das Ende der Hierarchien?
Fraunhofer Academy untersucht neue Arbeitswelt.
Die Digitalisierung verändert die Berufswelt wie keine andere Entwicklung. Dabei ist die Befürchtung, über kurz oder lang von intelligenten Computern und selbstlernenden Robotern ersetzt zu werden, allgegenwärtig. Doch es gibt auch positive Entwicklungen, die die Rolle des Mitarbeiters stärken.
Die wichtigste Erkenntnis in Bezug auf die Mitarbeiter der digitalen Arbeitswelt ist: Die Halbwertszeit ihres Wissens und ihrer Kompetenzen verkürzt sich dramatisch. Unternehmen sind gezwungen, sich mit rasantem Tempo zu wandeln, neue Geschäftsmodelle, Strukturen, Prozesse und Arbeitskulturen zu erfinden und umzusetzen.
Prognosen sind im Zeitalter der Digitalisierung kaum noch möglich. Unternehmen, die vor zwölf Jahren Marktführer im Mobilfunkbereich waren, gibt es zum Teil nicht mehr. Und als Anfang 2007 das erste iPhone vorgestellt wurde, hätte wohl niemand vorhersagen können, was diese Erfindung für die mobile Internet-Nutzung bedeutete. In fast allen Industrien haben sich Innovationszyklen drastisch verkürzt. Es ist ein Machtkampf entbrannt, in dem die Digitalisierung eine zentrale Rolle spielt.
Das beste Erfolgsrezept angesichts der digitalen Umwälzung besteht darin, sich anzupassen, den digitalen Umbau zu gestalten und sich zunutze zu machen. Dabei gilt es, die Mitarbeiter mitzunehmen – denn die sind es, die den digitalen Wandel leben. Die Kernfragen, die sich Unternehmen stellen sollten, lauten daher: Wie müssen wir uns aufstellen, damit uns die Transformation leichtfällt und wir die Herausforderungen in Chancen ummünzen können? Welche Eigenschaften prädestinieren unsere Mitarbeiter, den digitalen Umbau voranzutreiben und umzusetzen? Und welche Skills gilt es aufzubauen und zu fördern?
VUCA positiv interpretiert
Das Akronym VUCA beschreibt heute die negativen Begleiterscheinungen einer sich rasch verändernden Welt für die Belegschaft. VUCA steht für Volatility (Unberechenbarkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Vieldeutigkeit). Unternehmen müssen aber, wenn sie erfolgreich sein wollen, die positiven Seiten der Digitalisierung, die neuen Chancen und Möglichkeiten für die Belegschaft, in den Vordergrund rü-
cken. Dann steht VUCA für Vision, Understanding, Clarity (Eindeutigkeit) und Agility (Beweglichkeit). Das aber wird nur gelingen, wenn Mitarbeiter anders als bisher zusammenarbeiten und folgende Skills ausprägen:
1. Coach statt Boss: Insbesondere Führungskräfte stellt die digitale Transformation vor neue Herausforderungen. Was jetzt gefordert ist, sind kooperative Prozesse statt des altbekannten Top-down-Prinzips. Gebraucht werden Mitarbeiter, die selbständig mit der Digitalisierung umgehen. Sie lassen sich durch Freiräume motivieren, in denen sie Ideen formulieren und umsetzen können.
2. Kooperation statt Hierarchie: Dadurch entsteht automatisch eine neue Art der Zusammenarbeit, die nicht mehr streng hierarchisch funktioniert, sondern Strukturen schafft, die offen und anpassungsfähig sind und Neues ermöglichen.
3. Verantwortung auf viele Schultern verteilen: Diese als Leadership 4.0 bezeichnete Führungsphilosophie führt zu neuen Strukturen: Die Verantwortung, die einst allein beim Führungspersonal lag, wird nun auf viele Schultern verteilt. Alle Mitarbeiter in den Teams sind gehalten, die Digitalisierung mitzudenken und mitzutrei- ben. Die vom Management entwickelte digitale Vision oder Agenda wird als individueller Veränderungsprozess von allen Mitarbeitern gelebt. Sie sind es, die neue Geschäftsmodelle und damit Mehrwerte für das Unternehmen generieren.
4. Transparente Kommunikation: Diese Organisationskultur führt zu einer neuen Form der bidirektionalen Kommunikation – zwischen Mitarbeitern und Führungspersonal, aber auch zwischen Unternehmen und Kunden. Dabei steht der individuelle Nutzen der Digitalisierung im Vordergrund.
5. Nutzenorientierte Technologieeinführung: Häufig sorgen neue digitale Technologien für Skepsis oder gar eine Abwehrhaltung in der Belegschaft. Daher ist es besonders wichtig, dass die Mitarbeiter von vornherein ihren persönlichen Nutzen erkennen. Es ist eine Chance und ein Privileg, frühzeitig einen Blick auf neue Trends werfen und zukunftsweisende Services früher als andere entwickeln zu können.
6. Eigenverantwortung gegen Verunsicherung: Die Digitalisierung setzt auf Teams, die sie gestalten. Eigenverantwortung und Motivation tragen den zunehmend werteorientierten jüngeren Menschen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung, die eine ausgewogene Work-Life-Balance oft einem höheren Gehalt vorziehen. Offenheit und Eigenmotivation holen aus jedem Mitarbeiter das Beste heraus.
7. Agilität dort, wo sie nicht vermutet wird: Das mittlerweile reichlich abgegriffene Buzzword „Agilität“hat seine Berechtigung – nun allerdings auch in Bereichen, in denen man sie kaum suchen würde. Die ursprünglich aus der Softwareentwicklung entstammende Eigenschaft wird heute in allen Branchen gefordert. Sogar Produzenten von Großindustrieanlagen denken in Generationen und Software-Releases und fordern das auch von ihren Mitarbeitern.