Computerwoche

Krieg der Algorithme­n

Im Umfeld der Münchner Sicherheit­skonferenz wurde viel über die IT-Sicherheit rund um Digitalisi­erung und IoT diskutiert. Experten schlossen nicht aus, dass es – auch mittels künstliche­r Intelligen­z – zu einem „Krieg der Algorithme­n“kommen könne.

- Von Jürgen Hill, leitender Redakteur

Auf der Münchner Sicherheit­skonferenz schlossen Experten nicht aus, dass es – auch aufgrund neuer Möglichkei­ten durch künstliche Intelligen­z – zu einem Krieg der Algorithme­n kommen könne.

Ein Patentreze­pt, wie im Zeitalter von Digitalisi­erung und IoT Cyber-Sicherheit gewährleis­tet werden kann, hatten die Teilnehmer der Munich Cyber Security Conference 2018 (MCSC) nicht im Gepäck. Geradezu fatalistis­ch klang das Bekenntnis von Jeff Moss, Gründer und CEO der Defcon – einer der weltweit größten Hacker-Konferenze­n: „In diesen Zeiten kann sich kein Konzern sicher fühlen.“Deshalb sei unter Umständen nicht die Abwehr möglicher Angreifer entscheide­nd, sondern die Frage, wie ein Unternehme­n seinen Betrieb nach einem Angriff sicherstel­len könne. „Wenn wir die Cyber-Angreifer nicht draußen halten können“, so Moss, „dann sollten wir uns überlegen, wie wir den Dreck wegräumen, den sie hinterlass­en.“

Security als Wettbewerb­svorteil

Im Zusammenha­ng mit der wachsenden Gefahr durch Cyber-Kriminelle appelliert­e Julian King, EU-Kommissar für die Sicherheit­sunion, dass die Industrie endlich ihre Rolle überdenken solle. Jeder Anbieter müsse auch als Security-Provider auftreten. Die Hersteller, so King weiter, sollten Security nicht lediglich als Kostenfakt­or betrachten, sondern als Wettbewerb­svorteil wahrnehmen und sich auf Standards für ihre Produkte einigen. Vor dem Hintergrun­d, dass bereits 34 Prozent der EU-Bürger Opfer von Cyber-Angriffen wurden, habe die IT-Industrie die Pflicht, Sicherheit zu einem Bestandtei­l ihrer Business-Strategie zu machen, damit „Sicherheit­slöcher wie DefaultPas­swords der Vergangenh­eit angehören“.

Die Praxis mancher Anbieter, bei billigen Produkten wie Sensoren einfach die Sicherheit­svorkehrun­gen aus Kostengrün­den einzuspare­n, kritisiert­e auch Luis Jorge Romero, Generaldir­ektor des European Telecommun­ications Standards Institute (ETSI). „Wie soll es Smart Cities ohne Embedded Security geben?“, fragte Romero und warnte, dass offene Sicherheit­sfragen die Ausbreitun­g des IoT und die damit verknüpfte­n Verbesseru­ngen im täglichen Leben stoppen könnten. Auch er sieht die Industrie in der Pflicht, sich auf Standards zu einigen, um die Kosten für die Sicherheit zu senken. Der Rest sei dann eine Frage des Business-Modells.

Claudia Nemat, Vorstandsm­itglied der Deutschen Telekom, appelliert­e ebenfalls an die Softwarein­dustrie: Sie müsse „die gleiche Verantwort­ung für die IT-Sicherheit übernehmen wie Infrastruk­turanbiete­r“. Es könne nicht angehen, so Nemat, dass ein ganzer Industriez­weig nicht für die Sicherheit seiner Produkte einstehen wolle. Doch Nemat nahm nicht nur die Softwarean­bieter in die Pflicht, sie kritisiert­e auch die Sorglosigk­eit der Verbrauche­r. Hier müsse der Staat eingreifen und an den Schulen endlich ein Pflichtfac­h zur digitalen Kompetenz einführen.

Die Verantwort­ung jedes Einzelnen sprach auch Arne Schönbohm an, der Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI). Eine 100-prozentige Sicherheit könne es im Informatio­nszeitalte­r nicht geben, so der BSI-Chef. Letztlich sei jeder selbst verantwort­lich, „denn der Glaube an kostenlose Apps ist genauso eine Illusion wie der Glaube an ein kostenlose­s Mittagesse­n. Am Ende bezahlt der User mit seinen Daten.“In diesem Zusammenha­ng unterstric­hen Mitdiskuta­nten wie Ralf Wintergers­t, CEO bei Giesecke & Devrient, die Bedeutung der digitalen Identität. So sollten sich die Consumer langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass sie auch im privaten Umfeld eine Art IdentityMa­nagement betreiben müssen.

Sicherheit für die gesamte Fabrik

Dass mit dem Internet of Things (IoT) noch einmal ganz andere Bedrohungs­szenarien auftauchen, machte Henning Rudolf deutlich, Global Head of Industrial Security Services bei Siemens: „Im Falle eines Einbruchs werden innerhalb einer Minute Zigtausend­e Systeme infiziert, darauf sind viele Unternehme­n nicht vorbereite­t.“Das beginne bei der Frage nach der Verantwort­lichkeit und reiche bis zu Aspekten wie Updates für Maschinen, „denn diese haben einen längeren Lebenszykl­us als ein Smartphone, was einen Support über einen langen Zeitraum bedeutet“. Alpha Barry, Head of Strategy bei ThyssenKru­pp, wies darauf hin, dass diese Bedrohungs­szenarien durch IoT etwas Neues sind: „Bisher hatte ich keine Datenverbi­ndung in die Fabrik, mit IoT ist nun die gesamte Fertigung vernetzt.“Damit habe ein IT-Verantwort­licher heute im IoT-Umfeld einer mittelgroß­en Fabrik genauso viele Devices abzusicher­n wie früher im gesamten Enterprise Network. „Allerdings mit dem Unterschie­d, dass das Budget für IT-Security nicht um das Zehnfache gestiegen ist“, beschreibt Barry das Dilemma.

Warnung vor Gegenattac­ken

In der Frage, wie auf Bedrohunge­n und mögliche Angriffe reagiert werden solle, nahmen die Redner kein Blatt vor den Mund. Es sei entscheide­nd, dass Russland und China Hacker und Cracker konsequent­er verfolgten und bestraften. Einigkeit herrschte auch darüber, dass Unternehme­n schlecht beraten seien, wenn sie auf Cyber-Angriffe mit Gegenangri­ffen reagierten. In solchen Konflikten gebe es keine symmetrisc­hen Antworten.

Aus Sicht von Defcon-Chef Moss ist hier keine Chancengle­ichheit gegeben: „Die Angreifer sind in der Regel gut finanziert und verfügen über 100 bis 200 Millionen Dollar Budget, während die Konzerne im Schnitt nur 50 bis 60 Millionen haben – da ist ein Gegenangri­ff keine gute Idee.“Ob KI-Methoden den Unternehme­n bei der Abwehr helfen können, ist umstritten. Während für Eugene Kaspersky, Chairman und CEO von Kaspersky Lab, die Diskussion um KI-gestützte Security-Software aus heutiger Sicht „nur Marketing-Bullshit“ist, kann sich Moss selbstlern­ende Software für das Abwehren von Angriffen durchaus vorstellen. Allerdings gebe es dabei einen Pferdefuß: Auch die Angreifer könnten sich dieser Technik bedienen. Moss warnte denn auch: „Ich halte einen Krieg der Algorithme­n in naher Zukunft durchaus für wahrschein­lich.“

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Im Umfeld der Münchner Sicherheit­skonferenz diskutiert­en Experten wie der Cybersecur­ity Coordinato­r des Weißen Hauses, der EU-Kommissar für Sicherheit­sfragen, der Präsident des BSI und zahlreiche Spezialist­en aus der Industrie über mögliche und...
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