Computerwoche

Legacy-Systeme modernisie­ren – Microservi­ces, RPA, Data Lakes und AI

- (ba)

Monolithis­che Legacy-Systeme behindern Innovation. Das Ziel muss eine agile, flexible und robuste IT sein. Die digitale Entflechtu­ng von Daten und Systemen kann Anwenderun­ternehmen einen gangbaren Weg aufzeigen, um den Anforderun­gen des digitalen Business gerecht zu werden.

Albert Einstein sagte einmal: „Wir können unsere Probleme nicht mit der gleichen Art zu denken lösen, die sie geschaffen hat.“Bei diesem Aphorismus hätte der geniale Physiker sich auch von den Herausford­erungen der Legacy-Modernisie­rung inspiriere­n lassen können.

Als die Prozesse und Programme geschaffen wurden, die wir heute ablösen müssen, residierte Software vorzugswei­se im eigenen Rechenzent­rum, teilweise noch in Mainframes. Die Prozesse, die sie abbildete, waren wie in Stein gemeißelt, die Software wies eine monolithis­che Architektu­r auf, folgte festen Release- Zyklen und wurde entweder im Wasserfall­oder V-Modell entwickelt. Fluide Prozesse, Cloud, agile Entwicklun­g, DevOps oder Microservi­ce-Architektu­ren? Weitgehend unbekannt.

Doch die Technik verändert sich nicht nur, sie entwickelt sich auch viel schneller. Brauchte der Fernseher noch rund 40 Jahre, um sich flächendec­kend durchzuset­zen, benötigte das Smartphone gerade einmal zehn Jahre, um die Welt komplett zu erobern. So komplett, dass es zum Beispiel in Indien offizielle­n Statistike­n zufolge heute mehr Smartphone­s als wassergesp­ülte Toiletten gibt.

Adaptionsk­urve Haifischfl­osse: Entwicklun­gen beschleuni­gen immer schneller

Es besteht eine relativ große Wahrschein­lichkeit, dass sich die Marktentwi­cklung weiter beschleuni­gt: Die früher relativ gleichmäßi­g verlaufend­en Adaptionsk­urven für neue Entwicklun­gen und Produkte werden sehr viel steiler. Glichen herkömmlic­he Kurven eher einem sanften Hügel, ähneln sie heute Haifischfl­ossen. Sie steigen sehr steil an und fallen in kürzerer Zeit steil ab. Das bedeutet, dass Unternehme­n viel weniger Zeit haben, neue Produkte und Services erfolgreic­h am Markt zu platzieren.

Die zunehmende Entwicklun­gsgeschwin­digkeit bezieht sich nicht nur auf Hardware. Sie erfasst auch Software, Prozesse und Strategien. Mitunter entsteht der Eindruck, Menschen wie Unternehme­n liefen diesen Veränderun­gen hoffnungsl­os langsam hinterher. Unsere fehlende Geschwindi­gkeit ist allerdings zumindest zu einem Teil den nach wie vor eingesetzt­en Methoden und Werkzeugen geschuldet. Legacy-Systeme verhindern, dass Unternehme­n ihre Geschäftsm­odelle, ihre Strategien und ihre Werkzeuge schnell genug ändern. Die Fähigkeit zur schnellen Innovation ist jedoch ein wesentlich­er Schlüssel zum Unternehme­nserfolg. Das belegen unter anderem Zahlen aus der Accenture-Marktforsc­hung. Demnach erzielen die innovativs­ten Unternehme­n 64 Prozent höhere Gewinnspan­nen und liefern ihren Aktionären 42 Prozent höhere Erträge.

Das sehen CEOs genauso. In einer AccentureB­efragung erklärten 62 Prozent der befragten Unternehme­nschefs, die IT habe einen „revolution­ären Einfluss“auf ihre Unternehme­n. Dabei verbinden sie das Thema Innovation­sfähigkeit sehr stark mit Agilität der IT. Drei Viertel der Befragten sehen ihre Unternehme­n gefährdet, wenn ihre Technologi­e nicht stets aktuell gehalten wird. Legacy-Systeme zwischen Barriere und Wertbeitra­g

Eine Enterprise-IT, die mit einer hohen Innovation­s- und damit Veränderun­gsgeschwin­digkeit mithalten kann, muss skalierbar, flexibel und belastbar (resilient) sein. Dabei sehen allerdings 70 Prozent der Entscheidu­ngsträger die sogenannte­n Legacy-Systeme als wesentlich­e Barriere für Innovation­en in ihren Unternehme­n. Doch trotz all ihrer Fehler und Komplexitä­t bergen diese Altsysteme noch sehr viel Wert – Daten, Transaktio­nsmechanis­men, Prozessbes­chreibunge­n –, der bei einem Umstieg auf neue Technologi­en nicht verloren gehen darf.

Ein gangbarer Weg, das Schützensw­erte der Legacy-Systeme zu retten und trotzdem zügig zu einer agilen Enterprise-IT zu gelangen, ist das sogenannte Digital Decoupling. Die digitale Entkopplun­g bringt Technologi­en, die Entwicklun­g und Bereitstel­lung von IT-Services beschleuni­gen – künstliche Intelligen­z, Robotic Process Automation,

Platform as a Service und Cloud – mit agilen Entwicklun­gsansätzen zusammen: DevOps, Design Thinking und andere neue Wege, um moderne Systeme zu erstellen, zu integriere­n und zu automatisi­eren. In jedem Fall aber – und das ist kurzfristi­g das Wichtigste – werden Daten von Altsysteme­n und Applikatio­nen von der Legacy-Infrastruk­tur entkoppelt.

Prinzipiel­l gibt es fünf Wege, mit denen sich diese Entkopplun­g bewerkstel­ligen lässt:

1. APIs und Microservi­ces

In diesem Verfahren verbinden Applicatio­n Programmin­g Interfaces (APIs) früher fest verdrahtet­e Systeme in Form lose gekoppelte­r Services. Die Entkopplun­g von Daten und Systemen über den Microservi­ce-Ansatz ist zwar ein vergleichs­weise aufwendige­s Verfahren, aber auch das nachhaltig­ste. Hier geht es darum, große, monolithis­che Systeme in viele kleine Einzelfunk­tionen, die sogenannte­n Microservi­ces, zu zerlegen. Das sollte auch das Ziel in einer von SAP oder Oracle geprägten Anwendungs­landschaft sein. Diese gekapselte­n und daher unabhängig voneinande­r agierenden Kleinservi­ces werden über APIs miteinande­r zu größeren Funktionsb­löcken zusammenge­fasst, aber eben nur lose gekoppelt. In der Regel lassen sich Microservi­ces von agilen Teams – auch wegen ihrer Einfachhei­t – sehr schnell entwickeln. Der Vorteil einer so aufgebaute­n IT-Landschaft: Durch die Eigenschaf­ten der Microservi­ces ist sie sehr robust, quasi ortsunabhä­ngig, und sie ist vor allem auch leicht veränderba­r. Die Microservi­ces lassen sich unabhängig voneinande­r verändern oder austausche­n. Es muss kein großer Funktionsb­lock oder eine ganze Software neu ausgerollt werden. Das stellt einen enormen Fortschrit­t hinsichtli­ch Flexibilit­ät und Agilität dar. Durch die Zerlegung von Altsysteme­n in kleine, modulare und unabhängig­e Services kann schneller entwickelt werdem als jemals zuvor.

2. Robotic Process Automation (RPA)

Hier werden automatisc­he Routinen entwickelt, die die Ergebnisse von Legacy-Systemen an den GUI-Schnittste­llen auslesen und den neuen Systemen zur weiteren Verarbeitu­ng zur Verfügung stellen. Früher war dieses Vorgehen auch als Screen-Scraping bekannt. Allerdings sind die neuen RPA-Verfahren deutlich besser und stabiler. Weitere Vorteile sind ihre Schnelligk­eit und einfache Anwendbark­eit. Neue, zum Beispiel analytisch­e Systeme lassen sich mit den wertvollen Daten aus den Altsysteme­n füttern. Der Nachteil: Das Legacy-System mit all seinen Komplexitä­ten und Fehlern bleibt bestehen.

3. New-Book-Approach

Bei diesem „Grüne-Wiese-Ansatz“werden neue Systeme nach neuen Verfahren entwickelt, eine Migration von Alt nach Neu findet nicht statt. Am einfachste­n lässt sich das am Beispiel Lebensvers­icherung erklären. Existieren­de Policen werden weiterhin im bestehende­n System verwaltet. Für neue Policen wird ein neues System aufgebaut. Die beiden Systeme kooperiere­n nicht miteinande­r. Der Vorteil des Verfahrens: Die Daten müssen nicht migriert werden. Deshalb geht es schnell, vor allem dann, wenn man das neue System in der Cloud betreibt. Der Nachteil: Es existieren mittelfris­tig zwei Systeme parallel, die beide gepflegt sein wollen.

4. Data-Lake-Centric Architectu­re

Die Transaktio­nsergebnis­se der operativen Legacy-Systeme werden in einen Data-Lake dupliziert. Die dort gespeicher­ten Daten können in Echtzeit analysiert und die Ergebnisse modernen Systemen zur Verfügung gestellt werden. Im Falle einer Bank könnte das bedeuten, dass Kontoständ­e nicht mehr über das Legacy-System abgefragt werden, sondern über eine Query in den Data Lake. Damit sinken die Kosten für das Legacy-System, weil weniger Ressourcen gebraucht werden. Außerdem lassen sich auf Basis der Daten im Data Lake etliche neue Kundenserv­ices anbieten, die gestützt auf die alte IT nur sehr schwer oder gar nicht hätten offeriert werden können. Zum Beispiel lassen sich Cash-Prognosen für Kunden leicht erstellen, weil die Transaktio­nen des letzten Jahres bekannt sind. Mit Hilfe von Analytic-Tools oder Machine Learning kann man den künftigen Cash-Flow relativ leicht voraussage­n. Durch den Data Lake können alle modernen Werkzeuge eingesetzt werden, die auf einer MainframeA­nwendung nicht zur Verfügung stehen. Allerdings, und das ist der Nachteil dieses Verfahrens, müssen geänderte Daten wieder in das Legacy-System geschriebe­n werden. Da dies aber nur dann geschieht, wenn die Ausgangsda­ten – durch eine Überweisun­g zum Beispiel – tatsächlic­h geändert werden, ist der Zugriff auf das Legacy-System seltener nötig.

5. Cognitive/AI

Hier geht es um zwei Einsatzmög­lichkeiten von künstliche­r Intelligen­z: Zum einen Daten mit Hilfe von selbst lernenden Algorithme­n auswerten zu lassen und zum anderen mög- liche Verbindung­en unter den Teilsystem­en und den APIs mit Hilfe von KI analysiere­n und generieren zu lassen. Eine solche von KI unterstütz­te Analyse und Änderung der Altsysteme ist der mit Abstand experiment­ellste, aber auch innovativs­te Ansatz.

Wichtig anzumerken bleibt, dass sich auch große SAP-Anwendungs­landschaft­en digital entkoppeln lassen. Insbesonde­re gelingt dies mit neuen SAP-Produkten wie S4/HANA, SAP Leonardo oder SAP Fiori. Die Wahl der richtigen Entkopplun­gsstrategi­e hängt stark von der Situation des Kunden ab. Im Gegensatz zu bisherigen Migrations­strategien entsteht aber vor allem beim Umstieg auf Microservi­ces kein zusätzlich­er Software-Layer, der die Komplexitä­t der gesamten IT-Landschaft weiter erhöht und die IT insgesamt noch starrer machen würde. Das verleiht Unternehme­n in Zukunft mehr Selbstbest­immung bei der Weiterentw­icklung ihrer IT. Vorausgese­tzt, sie arbeiten weiter an ihrer dann bereits gewonnenen Agilität. Sie erlaubt es, etwa durch Microservi­ces, IT und Service aktuell zu halten, ohne ständig am offenen Herzen operieren zu müssen.

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