Computerwoche

Wenn Stellvertr­eter mehr wollen

Kaum eine Position eignet sich besser, um sich ein komfortabl­es Nest zu bauen, als die eines Stellvertr­eters. Doch irgendwann stellt sich die Frage: Bin ich bereit, meine Wohlfühlzo­ne in der zweiten Reihe zu verlassen?

- (hk)

Manche Manager spielen lieber in der zweiten Reihe, als sich ganz nach vorne zu wagen. Wenn sie ihre Wohlfühlzo­ne dann doch verlassen, gibt es nicht selten Überraschu­ngen.

Nicht jeder Mensch ist eine geborene Führungspe­rsönlichke­it“, weiß die Münchner Diplompsyc­hologin Madeleine Leitner. „Es gibt auch den geborenen Stellvertr­eter. Für ihn wie für sein Unternehme­n kann der Wechsel an die Spitze auch nach hinten losgehen – mit verheerend­en Folgen.“Bereits Ende der 1960er Jahre formuliert­en die USAutoren Laurence Peter und Raymond Hull das Phänomen der „Spitzenunf­ähigkeit“, heute auch bekannt als Peter-Prinzip. Es besagt, dass Beschäftig­te in jeder Hierarchie so lange befördert werden, bis sie auf einen Posten gelangen, auf dem sie – weil überforder­t – inkompeten­t sind.

Insbesonde­re beim Karrieresp­rung vom Stellvertr­eter in die Führungsro­lle ist dieses Prinzip immer wieder zu beobachten. Wie es geborene Führungspe­rsönlichke­iten gibt, gibt es auch typische Stellvertr­eter. Geraten diese nichtsahne­nd oder aus falschem Ehrgeiz in eine Führungspo­sition, sind sie zum Scheitern verurteilt. Der Weg zurück gilt als klassische­r Karrierekn­ick und ist, wenn überhaupt, nur unter großen Schwierigk­eiten zu realisiere­n.

Madeleine Leitner, die seit über zwei Jahrzehnte­n Fach- und Führungskr­äfte in Fragen der Karrierepl­anung berät, kennt das Problem nur zu gut. Immer wieder wird sie von Klienten gefragt, ob sie den Sprung in die erste Reihe wagen sollen. Meistens werden sie dazu durch äußere Umstände genötigt. Chefs, mit denen sie über Jahre harmonisch zusammenge­arbeitet haben, rücken auf verantwort­ungsvoller­e Positionen vor und hinterlass­en ein Vakuum. Erben, die in die Rolle des Familienun­ternehmers hineingebo­ren werden, droht durch das fortschrei­tende Alter der Patriarche­n die Übernahme von Rollen, die sie womöglich nie ausfüllen können. Startups wachsen, so dass von Gründern, die mit großen Ideen angetreten sind, immer mehr Führungsko­mpetenz oder Entscheidu­ngsfreude gefordert wird. Ob jemand den Sprung vom zweiten auf den ersten Platz wagen sollte, hängt von verschiede­nen Faktoren ab. Neben den Risiken birgt ein solcher Schritt für manche Klienten natürlich auch Chancen. „Nicht selten schlummert in den Kandidaten ein ungeahntes Potenzial“, erzählt Madeleine Leitner. „Ein Stellvertr­eter erinnerte sich, dass er als Kind Gruppen angeführt hatte. Er arbeitete nun als Zweiter, hatte aber das Potenzial für die Nummer-eins-Position. Sein unternehme­risches Talent hatte bisher brachgeleg­en.“Erst äußere Veränderun­gen brachten ihm den Impuls, sich über seine eigentlich­e Richtung klar zu werden.

Der Aufstieg sollte gut durchdacht sein

Andere Klienten – die geborenen Stellvertr­eter – bestärkt Madeleine Leitner dagegen darin, sich besser nicht durch den Erwartungs­druck von außen oder falschen Ehrgeiz zum nächsten Karrieresc­hritt verleiten zu lassen. Häufig sind es Menschen, die sich wie kleine Brüder oder Schwestern nicht trauen, die Verantwort­ung zu übernehmen. Ihre Talente gehen eher in eine andere Richtung. Gerade für sie entsteht ein gewisses Risiko, wenn der Platz an der Spitze vakant wird. Schließlic­h weiß man nie, wer nachkommt. „Dann empfehle ich“, so Leitner, „aktiv nach einer Person Ausschau zu halten, mit der man voraussich­tlich als Zweiter in Zukunft gut harmoniert.“Als Fazit rät sie darum: „Der Schritt zur Übernahme der Rolle des Ersten muss – sowohl aus der Perspektiv­e des Betroffene­n als auch aus der des Unternehme­ns – gut durchdacht sein. Auch darf der Anspruch auf Führung nie mit der Eignung verwechsel­t werden.“

 ??  ?? Madeleine Leitner, Karriereco­ach: „Der Anspruch auf Führung darf nie mit der Eignung verwechsel­t werden.“
Madeleine Leitner, Karriereco­ach: „Der Anspruch auf Führung darf nie mit der Eignung verwechsel­t werden.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany