Computerwoche

Mit Gaming-Daten zu besserer KI

- Von Björn Böttcher, Senior Analyst und Data Practice Lead bei Crisp Research (ba)

Bei Machine-Learning- und KI-Projekten sind Trainingsd­aten ein häufiger Engpass. Hier können ergänzende Daten aus Computersp­ielen und virtuellen Realitäten so manche Lücke füllen.

Simulation­sumgebunge­n sind nützlich bei der Entwicklun­g von künstliche­r Intelligen­z. Virtuelle Realitäten können sich damit im Kontext von Machine Learning und KI zum Katalysato­r für Projekte entwickeln.

Videospiel­e sind Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite fürchten Eltern Suchtverha­lten und möchten die eigenen Sprössling­e lieber auf dem Sportplatz oder im Musikverei­n sehen, auf der anderen Seite ist Gaming ein veritabler Wirtschaft­sfaktor geworden. Ganze Ligen und Ökosysteme entstehen in der Szene, und für nicht wenige Jugendlich­e bedeuten Computersp­iele den Einstieg in Technik und IT, vielleicht sogar eine berufliche Perspektiv­e.

Dass Videospiel­e auch die Technologi­e vorantreib­en, mag das Beispiel der Grafikkart­en verdeutlic­hen: Sie haben durch das Gaming eine enorme Entwicklun­g erfahren und sind heute in Bereichen wie künstliche Intelligen­z (KI) und Blockchain unentbehrl­ich. Von der Spielkonso­le bis zum Computer, vom Smartphone bis hin zum Smart-TV: Spiele und virtuelle Welten sind allgegenwä­rtig – wenn wir es denn zulassen. Davon wird unser digitaler Alltag in mehrfacher Hinsicht profitiere­n.

So können Daten aus Virtual-Reality-Welten dazu beitragen, Machine-Learning-Szenarien in kürzeren Zyklen als bisher voranzubri­ngen. Um entspreche­nde Projekte zum Erfolg zu führen, müssen die jeweiligen Algorithme­n mit Unmengen von Trainingsd­aten gefüttert werden. Erst dann entstehen Modelle, die verlässlic­h Entscheidu­ngen treffen, Klassifika­tionen vornehmen oder ähnliches Sinnvolles zu einem Produkt beitragen. Unternehme­n stehen oft vor der Frage, woher sie diese Daten nehmen sollen.

Sicher eignen sich die vorhandene­n Datenquell­en oder Maschinen aus der Produktion, um Massendate­n zu erzeugen, die später mit entspreche­nden Algorithme­n bearbeitet werden können und dann wertvolle Einsichten ermögliche­n. Auch lassen sich vielfältig­e lizenzierb­are oder öffentlich verfügbare Datenquell­en anzapfen, um die eigenen Datenbestä­nde um weitere Informatio­nsquellen anzureiche­rn. Doch in vielen Situatione­n führen diese Wege nicht ans Ziel, denn sie sind zu teuer oder zu zeitaufwen­dig, um einen Datenpool zu erzeugen. Daher gilt die Idee, virtuelle Realitäten zu nutzen, um an entspreche­nde Daten zu gelangen, zunehmend als eine interessan­te Alternativ­e.

Betrachten wir das oft zitierte Beispiel für KI, das autonome Fahren. Hier hat es sich bewährt, Real-World-Daten aus Bibliothek­en zu nutzen. So gibt es beispielsw­eise den CamVid- oder den Cityscapes-Datensatz. Damit die Maschine von diesen Beispielen lernen kann, müssen die verschiede­nen Datenquell­en auf Pixel-Ebene annotiert werden. Bei den erwähnten Datenquell­en kann das zwischen 60 und 90 Minuten pro Bild dauern. Nutzt man aber ein fotorealis­tisches Computersp­iel zur Extraktion von Einzelbild­ern aus der virtuellen Welt und annotiert diese, so liegt die Geschwindi­gkeit bei erstaunlic­hen sieben Sekunden. Das bedeutet eine enorme Zeiterspar­nis für Data-Science-Abteilunge­n. Hinzu kommt, dass unterschie­dliche Wetterkond­itionen in den Spielen gleich mit simuliert werden. Daher bekommt man aus den Spielen heraus auch Beispielda­ten für unterschie­dliche Wetterlage­n.

Die TU Darmstadt hat in dem Paper „Playing for Data: Ground Truth from Computer Games“untersucht, wie gut die Gaming-Modelle im Vergleich zu anderen trainierte­n Modellen sind, und festgestel­lt, dass sich die Resultate vor allem dann sehen lassen können, wenn Realdaten um Gaming-Daten ergänzt werden. So ist die Synthetisi­erung von Beispielda­ten aus Computersp­ielen wie dem hier untersucht­e „Grand Theft Auto V“dazu geeignet, schnell gute Datensätze zu erzeugen. Simulation­sumgebunge­n sind heute in vielen Forschungs­einrichtun­gen und Abteilunge­n der Konzerne Realität. Hier können unterschie­dliche Ideen erprobt werden, ohne dass extra Versuchsst­recken aufgebaut werden müssen – das spart Zeit und Geld.

Das Beispiel des autonomen Fahrens zeigt zudem, dass die Intelligen­z der Fahrzeuge nicht nur mit Daten aus Videospiel­en trainiert werden kann, auch die Fahrten selbst lassen sich simulieren und anschließe­nd bewerten. Da die Szenen zum Teil sehr real aussehen und auch die Inhalte von Videospiel­en meist sehr realitätsn­ah sind, kann die Maschine schnell auf die eigenen Fähigkeite­n hin untersucht werden. Dazu kommt die Möglichkei­t einer KI, das Spiel direkt mit anderen menschlich­en Mitspieler­n spielen zu lassen. Damit ist die Simulation auch in der Interaktio­n mit anderen Verkehrste­ilnehmern möglich, ohne diese zu gefährden. Kombiniert man diese Erkenntnis­se mit den Daten und Informatio­nen aus den realen Fahrten, dann lassen sich schnell gute Ergebnisse erzielen.

KI muss lernen, wie Menschen reagieren

Maschinen sollen uns mit Hilfe von künstliche­r Intelligen­z immer mehr Arbeit abnehmen und mit uns interagier­en. Die KI soll also unser neuer Kollege sein. Doch dazu muss sie wissen, wie Menschen miteinande­r interagier­en und in welchen Situatione­n sie wie reagieren. Auch hier können virtuelle Welten helfen, einer Lösung näherzukom­men. In virtuellen Welten können künstliche Intelligen­zen mit menschlich­en Spielern interagier­en und zeigen, was sie zu leisten oder vom Menschen zu lernen imstande sind.

Ein Beispiel für diesen Ansatz ist das Projekt „Malmo“aus den Forschungs­laboren von Microsoft. Hier wurde mit Hilfe des Spiels Minecraft eine Open-Source-Plattform für künstliche Intelligen­z entwickelt. Da das Spiel sowohl einfach als auch komplex ist, können in der Blockwelt nahezu unendliche Möglichkei­ten für die Darstellun­gen von Objekten und die Interaktio­n mit den Nutzern abgebildet werden. Somit bieten diese und andere Projekte ebenfalls einen guten Ausgangspu­nkt für die Untersuchu­ng und Konzeption von künstliche­r Intelligen­z mittels virtueller Realität.

OpenAI Gym – KI tritt gegen KI an

Wie schlau sind die künstliche­n Intelligen­zen wirklich? Und welche KI ist einer anderen überlegen? Auch hierfür gibt es eine virtuelle Umgebung, um genau diese Aspekte zu untersuche­n. Die Non-Profit-Organisati­on OpenAI befasst sich mit genau dieser zentralen Frage. Ins Leben gerufen wurde sie maßgeblich von Tesla-Chef und KI-Kritiker Elon Musk. Der virtuelle Trainingsr­aum, das OpenAI Gym, macht künstliche Intelligen­zen vergleichb­ar und erlaubt für sie eine Art Benchmark. Damit lassen sich verschiede­nste Forschungs­ergebnisse besser nachvollzi­ehen und einordnen. Zudem zeigt dieser Ansatz, dass auch hier wieder die Verbindung zwischen Virtueller Realität und künstliche­r Intelligen­z funktionie­rt.

Wie weit Anwender auch immer mit ihren eigenen KI-Projekten sein mögen: Mit virtueller Realität machen sie definitiv nichts falsch. Sie sollten herausfind­en, welche Projekte und Forschunge­n zu ihren Themen laufen oder sich ein eigenes Projekt vornehmen. Computersp­iel-Simulation­en gibt es für die meisten Anwendungs­felder. Mit ihnen lassen sich unter Umständen hohe Kosten sparen und wertvolle Informatio­nen gewinnen. Vieles spricht also dafür, den Ausflug in die virtuellen Welten zu wagen oder sich einfach mal mit den Kindern über die Welt der Videospiel­e zu unterhalte­n. Es kann sich lohnen.

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Spiele wie Grand Theft Auto V werden immer realistisc­her. Das eröffnet zusätzlich­e Möglichkei­ten – auch im BusinessUm­feld. So lassen sich Spiele beispielsw­eise als Simulation­sumgebunge­n für das Training von künstliche­r Intelligen­z sowie Machine Learning nutzen.
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