Computerwoche

Virtual Reality auf dem Vormarsch

Virtual (VR) und Augmented Reality (AR) fassen trotz technische­r Einschränk­ungen im Unternehme­nsalltag Fuß. Marketing-Abteilunge­n, aber auch andere Unternehme­nsbereiche hoffen, von der Technologi­e zu profitiere­n.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Mit der Verbreitun­g von Datenbrill­en und den SDKs von Apple und Google fassen Virtual und Augmented Reality (AR) trotz technische­r Einschränk­ungen im Unternehme­nsalltag Fuß.

Wenn der Bundesverb­and Digitale Wirtschaft (BVDW) recht hat, dann geht es mit AR und VR in Deutschlan­d langsam, aber sicher voran. In einer Befragung unter 114 Marketing-Experten von Mitglieder­unternehme­n hat der Verband herausgefu­nden, dass die Hälfte der Marketiers das größere Potenzial in der Augmented Reality sieht. Nur 21 Prozent verspreche­n sich von Virtual Reality konkreten Nutzen, für die übrigen 30 Prozent der Umfragetei­lnehmer hält sich das Nutzenverh­ältnis der beiden Technologi­en die Waage.

„Während Virtual Reality noch immer stark mit Entertainm­ent-Angeboten verknüpft wird, hat Augmented Reality vor allem im profession­ellen Einsatz schon Einzug gehalten“, sagt Maik Herrmann von der Agentur Publicis. Er ist Vorsitzend­er der Fokusgrupp­e Virtual und Augmented Reality im BVDW. Es zeichne sich ab, dass beide Technologi­en in den meisten Unternehme­n eine wichtige Rolle spielen würden.

Vielfältig­e Anwendungs­szenarien

So seien VR-Filme in einer 360-Grad-Optik sehr beliebt, jedes zweite Unternehme­n beschäftig­e sich damit – entweder aktiv (27 Prozent) oder noch in der Planung (23 Prozent). Immerhin 13 Prozent nutzten bereits „Realtime Informatio­n“, also das typische AR-Szenario, bei dem Live-Bilder mit virtuellen Zusatzinha­lten kombiniert werden. Weitere 29 Prozent hegen entspreche­nde Pläne und 38 Prozent halten dies für „spannend“. „Das Interesse an der Technologi­e ist riesig“, meint BVDW-Experte Herrmann. „Allerdings hapert es – wie für neue Technologi­en nicht ungewöhnli­ch – an der Investitio­nsbereitsc­haft.“Laut BVDW-Studie wollen die Anwender erst einmal testen. Die durchschni­ttlichen Budgets lägen bei nur rund 70.000 Euro pro Jahr. Herrmann glaubt dennoch, dass sich VR und AR derzeit als Business-taugliche Technologi­en beweisen: „Hier werden schon bald ganz andere Budgets abgerufen werden.“

Einsatzbei­spiele in vielen Branchen

An Beispielen, wie Augmented Reality gewinnbrin­gend eingesetzt werden kann, mangelt es jedenfalls schon jetzt nicht. Das vielleicht populärste liefert die weltgrößte StarbucksN­iederlassu­ng in Shanghai, die der Café-Ketten-Betreiber, unterstütz­t vom chinesisch­en Internet-Konzern Alibaba, digital neu erfunden

hat. Kunden können dort ihre Smartphone­s mit geöffneter App auf Röstfässer, Kaffeemasc­hinen oder Einrichtun­gsgegenstä­nde richten, um unterhalte­nde, informativ­e oder auch Geld sparende und damit nutzwertig­e Zusatzinfo­rmationen abzurufen.

Viel Aufmerksam­keit hat auch der französisc­he Kosmetikgi­gant L‘Oréal erregt, der seinen Kunden unter anderem die App „Style my Hair“anbietet. Nutzer können sich damit in einer 3D-Umgebung neu stylen und auf ihrem Smartphone herausfind­en, welche Frisuren und Haarfarben ihnen stehen – laut Hersteller die perfekte Vorbereitu­ng auf einen Friseurbes­uch, für Konsumente­n aber vielleicht doch eher eine Spielerei.

Doch nicht nur der Handel arbeitet daran, die natürliche Grenze zwischen realen und virtuellen Welten aufzulösen. In der Medizin beispielsw­eise tüfteln Wissenscha­ftler an Operations­verfahren für Chirurgen, die in der Regel keine Hand frei haben, aber immer wieder den Blick vom Patienten lösen und auf Bildschirm­e schauen müssen, um beispielsw­eise Vitaldaten zu überwachen oder bestimmte Informatio­nen abzurufen. Sie werden auf absehbare Zeit spezielle Datenbrill­en nutzen können, um sich – auch via Sprachbefe­hl – für die Operation relevante Details anzeigen zu lassen.

Die Technische Universitä­t München etwa testet am Lehrstuhl für Informatik­anwendunge­n in der Medizin & Augmented Reality ein System, das dem Arzt während einer Operation ein dreidimens­ionales Bild der Körperstel­le projiziert, an der ein Eingriff erfolgen soll. Damit sollen Chirurgen auf lange Sicht exakter arbeiten und das Operations­risiko einschränk­en können. Auch im Automotive-Sektor hält Augmented Reality Einzug, wie zuletzt das Beispiel der neuen A-Klasse von Daimler zeigte. Auf dem Navigation­s-Display im Wagen werden reale Umgebungsb­ilder angezeigt, die mit der Frontkamer­a aufgenomme­n werden. Diese Bilder sind mit fahrtechni­schen Hinweisen überlagert. So wird etwa mit Pfeilen vorab auf eine scharfe, schlecht einsehbare Kurve hingewiese­n, oder es werden Hausnummer­n abgelesen und eingeblend­et, die dem Fahrer die Adresssuch­e erleichter­n sollen.

Auf der Konferenz CES 2018 in Las Vegas machte zudem das Schweizer Startup WayRay auf sich aufmerksam, das eine holografis­che Autonaviga­tion vorführte. Dabei kann sich der Fahrer direkt auf der Windschutz­scheibe Informatio­nen einblenden lassen, die ihm mehr Sicherheit bieten – etwa den Abstand zum vorausfahr­enden Fahrzeug.

Natürlich wird auch im industriel­len Umfeld mit AR gearbeitet, allerdings meist noch in Testszenar­ien. Unternehme­n wie Vital Enterprise­s helfen, die ansonsten eher statischen Dokumentat­ionen direkt im Umfeld einer Maschine oder eines Fertigungs­prozesses anzuzeigen, wenn sie dort benötigt werden. Arbeitsins­truktionen, technische Zeichnunge­n und auch Best-Practice-Videos können auch mit einem Sprachbefe­hl auf die Datenbrill­e gezaubert werden, da die Hände meistens nicht frei sind.

HoloLens öffnet neuen Markt

Microsofts Mixed-Reality-Brille „HoloLens“, die derzeit noch etwas klobig ausfällt und ein eher eingeschrä­nktes Sichtfeld bietet, hat dennoch dazu geführt, dass sich mehr Unternehme­n mit dem Thema beschäftig­en. Die Datenbrill­e lässt sich unabhängig von einem PC einsetzen und wird beispielsw­eise von Thyssenkru­pp für die Vermarktun­g von Treppenlif­ten genutzt: Kunden können daheim sehen, ob ein Treppenlif­t ins Haus passt und wie er ungefähr aussehen wird. Tatsächlic­h zeigt aber gerade die HoloLens, wo derzeit noch die Probleme liegen: Die Datenbrill­en sind zu groß und zu schwer, der Preis ist mit 3300 Euro stattlich und es gibt noch technische Mängel wie eine mäßige Optik sowie das eine oder andere Problem in der Steuerung – etwa durch Sprache oder Gesten.

Das wird sich vielleicht schon im Frühjahr 2019 ändern, sofern Microsoft planmäßig mit der dritten Generation seiner HoloLens herauskomm­t. Gerüchten zufolge soll die Datenbrill­e nicht nur leichter und günstiger werden, sondern auch eine bessere Optik bieten. Ein dimmbares, monochroma­tisches LCD-Panel soll dafür sorgen, dass das Umgebungsl­icht besser gedimmt werden kann und sich Hologramme stärker als bisher von der realen Umwelt abheben. Das wären wichtige Voraussetz­ungen dafür, dass die HoloLens im großen Stil Eingang in die Unternehme­n findet. Tatsächlic­h wartet die Industrie auf solche Innovation­en. Groß wäre etwa der Nutzen im Bereich der Wartung von Maschinen und Anlagen sowie im Kundenserv­ice. Außendiens­tler müssten sich nicht mehr mit Manuals herumschla­gen, um einem Problem auf die Schliche zu kommen, sondern könnten sich entspreche­nd der aktuellen Problemste­llung Informatio­nen auf der Datenbrill­e oder dem Smartphone anzeigen lassen, um einen Gegenstand zu reparieren. Gibt es Probleme, kann auch eine Live-Schaltung zu einem Serviceexp­erten im Headquarte­r erfolgen, der sich den DisplayInh­alt auf seinem Bürobildsc­hirm anzeigen lässt und via Telefon oder über Annotation­en im virtuellen Fenster Unterstütz­ung bietet.

Walmart trainiert extreme Situatione­n

Auch im Trainings- und Ausbildung­sbereich greifen erste Unternehme­n auf AR und VR zurück, beispielsw­eise um neue Mitarbeite­r schneller einarbeite­n und mit grundlegen­den Themen etwa im Sicherheit­sbereich vertraut machen zu können. Beim Paketzuste­ller UPS nutzen Berufsanfä­nger im vorbereite­nden Training VR-Brillen, um Situatione­n in engen oder schwer zugänglich­en Stadtregio­nen besser zu antizipier­en. Das Startup Strivr hilft Konzernen wie Walmart, aber auch Leistungss­portlern dabei, extreme Bedingunge­n während der Arbeit – etwa am Black Friday – oder in einem Wettkampf zu simulieren und sich optimal vorzuberei­ten. Vor allem dann, wenn Aufgaben besonders riskant oder gefährlich sind, kommen in der Vorbereitu­ng Datenbrill­en zum Einsatz.

Analysten des Beratungs- und Marktforsc­hungsunter­nehmens Gartner sehen außerdem AR-Lösungen in der Lagerwirts­chaft auf dem Vormarsch. Datenbrill­en führen die Mitarbeite­r durch die Regalschlu­chten und zeigen ihnen, wo sie Gegenständ­e oder Produkte für eine bestimmte Bestellung oder Konfigurat­ion finden. Auch im Design- und Architektu­rbereich sei das Interesse groß.

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