Virtual Reality auf dem Vormarsch
Virtual (VR) und Augmented Reality (AR) fassen trotz technischer Einschränkungen im Unternehmensalltag Fuß. Marketing-Abteilungen, aber auch andere Unternehmensbereiche hoffen, von der Technologie zu profitieren.
Mit der Verbreitung von Datenbrillen und den SDKs von Apple und Google fassen Virtual und Augmented Reality (AR) trotz technischer Einschränkungen im Unternehmensalltag Fuß.
Wenn der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) recht hat, dann geht es mit AR und VR in Deutschland langsam, aber sicher voran. In einer Befragung unter 114 Marketing-Experten von Mitgliederunternehmen hat der Verband herausgefunden, dass die Hälfte der Marketiers das größere Potenzial in der Augmented Reality sieht. Nur 21 Prozent versprechen sich von Virtual Reality konkreten Nutzen, für die übrigen 30 Prozent der Umfrageteilnehmer hält sich das Nutzenverhältnis der beiden Technologien die Waage.
„Während Virtual Reality noch immer stark mit Entertainment-Angeboten verknüpft wird, hat Augmented Reality vor allem im professionellen Einsatz schon Einzug gehalten“, sagt Maik Herrmann von der Agentur Publicis. Er ist Vorsitzender der Fokusgruppe Virtual und Augmented Reality im BVDW. Es zeichne sich ab, dass beide Technologien in den meisten Unternehmen eine wichtige Rolle spielen würden.
Vielfältige Anwendungsszenarien
So seien VR-Filme in einer 360-Grad-Optik sehr beliebt, jedes zweite Unternehmen beschäftige sich damit – entweder aktiv (27 Prozent) oder noch in der Planung (23 Prozent). Immerhin 13 Prozent nutzten bereits „Realtime Information“, also das typische AR-Szenario, bei dem Live-Bilder mit virtuellen Zusatzinhalten kombiniert werden. Weitere 29 Prozent hegen entsprechende Pläne und 38 Prozent halten dies für „spannend“. „Das Interesse an der Technologie ist riesig“, meint BVDW-Experte Herrmann. „Allerdings hapert es – wie für neue Technologien nicht ungewöhnlich – an der Investitionsbereitschaft.“Laut BVDW-Studie wollen die Anwender erst einmal testen. Die durchschnittlichen Budgets lägen bei nur rund 70.000 Euro pro Jahr. Herrmann glaubt dennoch, dass sich VR und AR derzeit als Business-taugliche Technologien beweisen: „Hier werden schon bald ganz andere Budgets abgerufen werden.“
Einsatzbeispiele in vielen Branchen
An Beispielen, wie Augmented Reality gewinnbringend eingesetzt werden kann, mangelt es jedenfalls schon jetzt nicht. Das vielleicht populärste liefert die weltgrößte StarbucksNiederlassung in Shanghai, die der Café-Ketten-Betreiber, unterstützt vom chinesischen Internet-Konzern Alibaba, digital neu erfunden
hat. Kunden können dort ihre Smartphones mit geöffneter App auf Röstfässer, Kaffeemaschinen oder Einrichtungsgegenstände richten, um unterhaltende, informative oder auch Geld sparende und damit nutzwertige Zusatzinformationen abzurufen.
Viel Aufmerksamkeit hat auch der französische Kosmetikgigant L‘Oréal erregt, der seinen Kunden unter anderem die App „Style my Hair“anbietet. Nutzer können sich damit in einer 3D-Umgebung neu stylen und auf ihrem Smartphone herausfinden, welche Frisuren und Haarfarben ihnen stehen – laut Hersteller die perfekte Vorbereitung auf einen Friseurbesuch, für Konsumenten aber vielleicht doch eher eine Spielerei.
Doch nicht nur der Handel arbeitet daran, die natürliche Grenze zwischen realen und virtuellen Welten aufzulösen. In der Medizin beispielsweise tüfteln Wissenschaftler an Operationsverfahren für Chirurgen, die in der Regel keine Hand frei haben, aber immer wieder den Blick vom Patienten lösen und auf Bildschirme schauen müssen, um beispielsweise Vitaldaten zu überwachen oder bestimmte Informationen abzurufen. Sie werden auf absehbare Zeit spezielle Datenbrillen nutzen können, um sich – auch via Sprachbefehl – für die Operation relevante Details anzeigen zu lassen.
Die Technische Universität München etwa testet am Lehrstuhl für Informatikanwendungen in der Medizin & Augmented Reality ein System, das dem Arzt während einer Operation ein dreidimensionales Bild der Körperstelle projiziert, an der ein Eingriff erfolgen soll. Damit sollen Chirurgen auf lange Sicht exakter arbeiten und das Operationsrisiko einschränken können. Auch im Automotive-Sektor hält Augmented Reality Einzug, wie zuletzt das Beispiel der neuen A-Klasse von Daimler zeigte. Auf dem Navigations-Display im Wagen werden reale Umgebungsbilder angezeigt, die mit der Frontkamera aufgenommen werden. Diese Bilder sind mit fahrtechnischen Hinweisen überlagert. So wird etwa mit Pfeilen vorab auf eine scharfe, schlecht einsehbare Kurve hingewiesen, oder es werden Hausnummern abgelesen und eingeblendet, die dem Fahrer die Adresssuche erleichtern sollen.
Auf der Konferenz CES 2018 in Las Vegas machte zudem das Schweizer Startup WayRay auf sich aufmerksam, das eine holografische Autonavigation vorführte. Dabei kann sich der Fahrer direkt auf der Windschutzscheibe Informationen einblenden lassen, die ihm mehr Sicherheit bieten – etwa den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug.
Natürlich wird auch im industriellen Umfeld mit AR gearbeitet, allerdings meist noch in Testszenarien. Unternehmen wie Vital Enterprises helfen, die ansonsten eher statischen Dokumentationen direkt im Umfeld einer Maschine oder eines Fertigungsprozesses anzuzeigen, wenn sie dort benötigt werden. Arbeitsinstruktionen, technische Zeichnungen und auch Best-Practice-Videos können auch mit einem Sprachbefehl auf die Datenbrille gezaubert werden, da die Hände meistens nicht frei sind.
HoloLens öffnet neuen Markt
Microsofts Mixed-Reality-Brille „HoloLens“, die derzeit noch etwas klobig ausfällt und ein eher eingeschränktes Sichtfeld bietet, hat dennoch dazu geführt, dass sich mehr Unternehmen mit dem Thema beschäftigen. Die Datenbrille lässt sich unabhängig von einem PC einsetzen und wird beispielsweise von Thyssenkrupp für die Vermarktung von Treppenliften genutzt: Kunden können daheim sehen, ob ein Treppenlift ins Haus passt und wie er ungefähr aussehen wird. Tatsächlich zeigt aber gerade die HoloLens, wo derzeit noch die Probleme liegen: Die Datenbrillen sind zu groß und zu schwer, der Preis ist mit 3300 Euro stattlich und es gibt noch technische Mängel wie eine mäßige Optik sowie das eine oder andere Problem in der Steuerung – etwa durch Sprache oder Gesten.
Das wird sich vielleicht schon im Frühjahr 2019 ändern, sofern Microsoft planmäßig mit der dritten Generation seiner HoloLens herauskommt. Gerüchten zufolge soll die Datenbrille nicht nur leichter und günstiger werden, sondern auch eine bessere Optik bieten. Ein dimmbares, monochromatisches LCD-Panel soll dafür sorgen, dass das Umgebungslicht besser gedimmt werden kann und sich Hologramme stärker als bisher von der realen Umwelt abheben. Das wären wichtige Voraussetzungen dafür, dass die HoloLens im großen Stil Eingang in die Unternehmen findet. Tatsächlich wartet die Industrie auf solche Innovationen. Groß wäre etwa der Nutzen im Bereich der Wartung von Maschinen und Anlagen sowie im Kundenservice. Außendienstler müssten sich nicht mehr mit Manuals herumschlagen, um einem Problem auf die Schliche zu kommen, sondern könnten sich entsprechend der aktuellen Problemstellung Informationen auf der Datenbrille oder dem Smartphone anzeigen lassen, um einen Gegenstand zu reparieren. Gibt es Probleme, kann auch eine Live-Schaltung zu einem Serviceexperten im Headquarter erfolgen, der sich den DisplayInhalt auf seinem Bürobildschirm anzeigen lässt und via Telefon oder über Annotationen im virtuellen Fenster Unterstützung bietet.
Walmart trainiert extreme Situationen
Auch im Trainings- und Ausbildungsbereich greifen erste Unternehmen auf AR und VR zurück, beispielsweise um neue Mitarbeiter schneller einarbeiten und mit grundlegenden Themen etwa im Sicherheitsbereich vertraut machen zu können. Beim Paketzusteller UPS nutzen Berufsanfänger im vorbereitenden Training VR-Brillen, um Situationen in engen oder schwer zugänglichen Stadtregionen besser zu antizipieren. Das Startup Strivr hilft Konzernen wie Walmart, aber auch Leistungssportlern dabei, extreme Bedingungen während der Arbeit – etwa am Black Friday – oder in einem Wettkampf zu simulieren und sich optimal vorzubereiten. Vor allem dann, wenn Aufgaben besonders riskant oder gefährlich sind, kommen in der Vorbereitung Datenbrillen zum Einsatz.
Analysten des Beratungs- und Marktforschungsunternehmens Gartner sehen außerdem AR-Lösungen in der Lagerwirtschaft auf dem Vormarsch. Datenbrillen führen die Mitarbeiter durch die Regalschluchten und zeigen ihnen, wo sie Gegenstände oder Produkte für eine bestimmte Bestellung oder Konfiguration finden. Auch im Design- und Architekturbereich sei das Interesse groß.