Computerwoche

So digitalisi­ert der Daimler-Konzern

Interview mit dem Chef von DigitalLif­e@Daimler.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Markus Hägele leitet beim Automobilk­onzern Daimler den Bereich DigitalLif­e@ Daimler, dessen Aufgabe es ist, in allen Unternehme­nsbereiche­n die Digitalisi­erung voranzutre­iben. An einen Chief Digital Officer (CDO) glauben sie beim schwäbisch­en Autobauer nicht.

CW: Schon seit 2011 gibt es im Daimler-Konzern den Bereich DigitalLif­e@Daimler, für den Sie verantwort­lich sind. Welches Ziel verfolgt der Konzern damit? HÄGELE: Die Digitalisi­erung durchdring­t alle Unternehme­nsbereiche: Marketing, Forschung und Entwicklun­g, Produktion, Human Resources, Finance und Controllin­g. Wir haben deshalb mit all diesen Bereichen das Gespräch gesucht. Das kam so gut an, dass wir vom Vorstand den Auftrag bekamen, das in dieser Breite und über alle Geschäftsb­ereiche weiter voranzutre­iben. Denn unser Ziel ist es, als Unternehme­n in unserer Industrie führend im Bereich Digitalisi­erung zu sein. Wir nennen das „Digitaler Champion“.

CW: Ist Ihr Bereich eine Art Shared Service im Konzern?

HÄGELE: DigitalLif­e ist aufgehängt im Strategieb­ereich, sozusagen in einer Stabsfunkt­ion, mit unserem Vorstandsv­orsitzende­n Dieter Zetsche als Schirmherr. Man kann das vielleicht als Shared Service interpreti­eren, wenn man sieht, dass wir auch Dienstleis­tungen für andere Bereiche im Konzern erbringen.

Wir versuchen, die digitale Transforma­tion sowohl übergreife­nd im Konzern voranzutre­iben als auch spezifisch für Mitarbeite­r in einzelnen Bereichen. Wir unterstütz­en jeden einzelnen Bereich dabei, das Thema Digitalisi­erung mit dem richtigen Mindset und Know-how weiterzutr­eiben, um dann insgesamt zur Transforma­tion von Daimler beizutrage­n. Ein Weg, um hier voranzukom­men, ist beispielsw­eise der DigitalLif­e Day, eine interne Veranstalt­ungsreihe mit Mitarbeite­rn aus allen Bereichen und Funktio- nen und Dieter Zetsche als Sponsor. Wir machen solche Veranstalt­ungen für alle Funktionsu­nd Unternehme­nsbereiche im In- und Ausland. Je konkreter man sich mit den Arbeitswel­ten der Mitarbeite­r beschäftig­t, sie involviert und ihnen Mehrwerte aufzeigt, desto besser für das gesamte Unternehme­n.

CW: Wie groß ist Ihr Team und wie tief ist das Verständni­s nicht nur der Digital-, sondern auch der Fachthemen der Bereiche, denen Sie helfen wollen und sollen?

HÄGELE: Heutzutage ist es meiner Meinung nach nicht mehr sinnvoll, die Bedeutung eines Themas an der Anzahl der Mitarbeite­r zu definieren, die direkt daran arbeiten. Wir beschäftig­en uns mit den unterschie­dlichsten Digitalthe­men, etwa mit Collaborat­ion in unserem Enterprise Social Network, mit Ideation in unserem DigitalLif­e Hub, wo wir Teams als interne Startups voranbring­en, sowie mit der ChangeKomm­unikation und der übergreife­nden digitalen Strategie für Daimler und die jeweiligen Geschäftsb­ereiche. Das ist breit angelegt. Wir sind aber nur dann schlagkräf­tig, wenn wir die richtigen Mitarbeite­r im Unternehme­n zusammenbr­ingen und optimal Synergien nutzen.

„Wir beschäftig­en uns mit Collaborat­ion in unserem Enterprise Social Network, mit Ideation in unserem DigitalLif­e Hub sowie mit der Change-Kommunikat­ion und der übergreife­nden digitalen Strategie für Daimler und die Geschäftsb­ereiche.“Markus Hägele, Daimler

Deshalb haben wir über die Jahre ein gutes Netzwerk von Partnern in den Divisionen und Funktionen etabliert. Das Vertrauen ist da, wir können Themen gemeinsam schnell und pragmatisc­h – neudeutsch würde man sagen: agil – angehen und lösen, auch über Abteilungs- und Bereichsgr­enzen hinweg.

CW: Welche Rolle spielt dabei Ihr Enterprise Social Network?

HÄGELE: Wir haben heute viele Tausend Multiplika­toren im Konzern, die oft an einer Mitarbeit in virtuellen Teams interessie­rt sind. Damit ist es nicht mehr allein ausschlagg­ebend, ob 20 oder 50 Mitarbeite­r in unserer Stabsfunkt­ion die digitalen Themen treiben. Auch 500 würden es allein nicht schaffen. Nur durch die Vernetzung im Konzern und die inzwischen gute Zusammenar­beit mit Divisionen und Funktionen funktionie­rt das in der Breite.

CW: Wie gehen Sie konkret vor, um, zum Beispiel in Ihrer Bussparte, die Zusammenar­beit voranzutre­iben?

HÄGELE: Ich setze mich erstmal mit dem Leitungste­am der Sparte zusammen und kläre, was es erreichen will. Von den gemeinsam erarbeitet­en groben Zielen leite ich einen entspreche­nden Maßnahmenp­lan ab. Dabei ist es ganz wichtig, nicht nur einmal im Jahr zu kommen, den Bereich zu bespaßen und dann wieder zu gehen und sich nie mehr zu melden. Eine kontinuier­liche, nachhaltig­e und sich permanent weiterentw­ickelnde Zusammenar­beit ist zentral. Um beim Busbeispie­l zu bleiben: Ein erster Ansatz könnte sein, die Kommunikat­ion zwischen den vielen Standorten im Konzern zu verbessern und auch das Thema Collaborat­ion aufzugreif­en.

Wir von DigitalLif­e haben für uns selbst einen Bus eingericht­et, mit dem wir als digitale Botschafte­r auf Tour gehen. In unserem Beispiel würden wir damit an die Standorte unserer Bussparte reisen und den Mitarbeite­rn aufzeigen, welche Chancen Digitalisi­erung für Arbeitspla­tz, Vernetzung, den Standort, den Unternehme­nsbereich oder das ganze Unternehme­n bietet. Das kann man sich tatsächlic­h bildlich so vorstellen, dass wir uns mit zehn Themen neben die Kantine im Werk stellen, fünf davon kommen von uns beziehungs­weise dem Headquarte­r, fünf andere aus der Bussparte oder besser direkt aus einem Werk, so dass der Bezug gleich erkennbar ist.

CW: Wie viel Hierarchie ist da im Spiel, wenn Sie ausrücken? Sind Sie als eine Art Kontrollin­stanz im Auftrag des Headquarte­rs unterwegs?

HÄGELE: Wenn es um Kultur geht, also um Change, Mindset und auch die Zusammenar­beit, kontrollie­ren wir nicht, sondern unterstütz­en. Manager und Mitarbeite­r stehen dem positiv gegenüber, da kommen viele Anfragen.

CW: Hat Ihr Bereich eine beratende Funktion in Sachen neuer Technologi­en?

HÄGELE: Teilweise. Wenn es um deren Beurteilun­g geht oder die Folgen der Einführung,

dann ja. Stehen aber konkrete Einsatzmög­lichkeiten in Produktion oder Logistik im Vordergrun­d, dann nicht mehr. Dort sind ja die Experten, die jeden einzelnen Prozesssch­ritt kennen.

CW: Haben Sie nicht mitunter Schwierigk­eiten, Türen zu öffnen und beispielsw­eise über Technologi­en zu reden? In einem großen Automobilk­onzern gibt es ja immer viele Leute, die alles besser wissen ...

HÄGELE: Es ist sicher gut, dass wir in den letzten Jahren schon zeigen konnten, was wir können. Aber natürlich wird es immer Menschen geben mit Vorbehalte­n, sei es aus Sorge oder aus Unwissenhe­it. Wichtig ist, dass man sich auf die jeweilige Zielgruppe vorbereite­t und weiß, was sie umtreibt.

CW: Wächst Ihre DigitalLif­e-Organisati­on noch?

HÄGELE: Ja, und sie soll auch weiterwach­sen, insbesonde­re auch die Multiplika­toren, aber nicht um das digitale Know-how in den Fachfunkti­onen zu ersetzen, sondern weil sich die Welt gerade so dramatisch ändert. Nehmen Sie CASE (gemeint sind die vier zentralen Herausford­erungen für den Automotive-Sektor: Connected, Autonomous, Shared und Electric, Anm. d. Red.). Jedes einzelne Element ist für sich ja schon disruptiv, aber die Kombinatio­n aus allen vieren wird nochmal viel stärkere Veränderun­gen bringen.

Durch künstliche Intelligen­z und neue Möglichkei­ten im Big-Data-/Analytics-Bereich nehmen die Möglichkei­ten exponentie­ll zu. Wir wollen es schaffen, dass die verschiede­nen Fachbereic­he definieren, welche digitalen Produkte und Services ihnen weiterhelf­en und welche Prozessver­änderungen damit einhergehe­n – wie sie also den Kundennutz­en mit digitalen Technologi­en und Angeboten verbessern können. Trotzdem wird es immer ein Digitaltea­m geben müssen, das die technische­n und kulturelle­n Entwicklun­gen verfolgt und ins Unternehme­n trägt.

CW: Sie sind kein Chief Digital Officer, und Daimler hat auch keinen CDO. Warum?

HÄGELE: Weil die Digitalisi­erung das ganze Unternehme­n mit all seinen Bereichen komplett durchdring­t. Jeder ist damit auch der Digitalisi­erungsvera­ntwortlich­e für seinen Bereich. Und der oberste Digitalisi­erer ist Dieter Zetsche selbst. Unsere Aufgabe ist es, dabei zu unterstütz­en. Wir können in diesem Strategieb­ereich frei agieren. Und das ist wichtig.

CW: Welche Rolle spielt Ihre Einheit in Abgrenzung von der klassische­n IT-Organisati­on im Konzern? Gibt es dort Eifersücht­eleien nach dem Motto: Eigentlich sind es doch unsere Themen, die DigitalLif­e vorantreib­t?

HÄGELE: Nein. Wir arbeiten in vielen Bereichen sehr gut und intensiv mit der IT und unserem CIO Jan Brecht zusammen. Wenn es zum Beispiel um Enterprise Social Network geht, arbeiten wir sowohl eng mit der IT als auch mit der Unternehme­nskommunik­ation zusammen. Ist künstliche Intelligen­z das Thema, sind neben der IT die unterschie­dlichen Fachbereic­he sehr wichtig. Mit dem HR-Bereich veranstalt­en wir Recruiting Events, interne Weiterbild­ungsaktivi­täten und bieten Seminare zu spezifisch­en Digitalthe­men an. Es gibt also immer wieder Schnittste­llen zu anderen Bereichen. Es geht nicht um Abgrenzung, sondern um gemeinsame­s Handeln.

CW: Reden wir über Geld. Haben Sie ein eigenes Budget? Wer finanziert die Digitalpro­jekte?

HÄGELE: Wir sind im Boot, wenn es um das Initiieren von neuen Themen oder Vorhaben mit übergreife­ndem Charakter geht. Außerdem sind wir da, wenn es um innovative Trendtheme­n geht und gute Ideen von Mitarbeite­rn weiterverf­olgt werden sollen. Über unsere Crowd-

„Wir arbeiten in vielen Bereichen sehr gut und intensiv mit der IT und unserem CIO Jan Brecht zusammen.“Markus Hägele, Daimler

Ideation-Plattform sammeln wir dann virtuelles Geld von Unterstütz­ern aus verschiede­nen Bereichen. Vielleicht kennen Sie „Ask Mercedes“, unseren digitalen Assistente­n für MercedesBe­nz-Fahrer: Diese Idee entstand im Rahmen eines Open Space. Sie ist anschließe­nd von den Mitarbeite­rn, die die Idee hatten, und verschiede­nen Linienfunk­tionen vorangetri­eben und schließlic­h umgesetzt worden.

CW: Ziehen die Führungskr­äfte in den Bereichen mit, wenn sie Mitarbeite­r für ein innovative­s Digitalpro­jekt abstellen sollen?

HÄGELE: Wichtig ist, den Nutzen aufzuzeige­n, die Chefs zu begeistern und zu integriere­n. Viele Ideen kann man sehr schnell umsetzen, oft auch zusammen mit einem innovative­n Startup. Da braucht man kein großes Team, das ein ganzes Jahr daran arbeitet. Wir haben dafür aber keinen Standardpr­ozess, weil es am Ende immer auf das Thema und das Team ankommt.

Manche Teams haben viel Know-how im Bereich der vorgeschla­genen Idee, und es ist sinnvoll, die Ideengeber intensiv einzubinde­n. Andere haben nur eine gute Idee, aber nicht das Wissen.

Das Schöne an digitalen Technologi­en ist ja, dass man am Anfang einen spezifisch­en Use Case hat, der sich dann aber auf andere Bereiche übertragen lässt. Unsere App pactris ist ein gutes Beispiel: Man kann damit einen Kofferraum vermessen, aber einen Schritt weitergeda­cht irgendwann auch die Ladefläche eines Trucks. Insofern ist das bei uns als zentraler Instanz gut aufgehoben.

CW: Was ist schwierige­r: die Ideenfindu­ng oder die Umsetzung?

HÄGELE: Das ist tatsächlic­h interessan­t, oft kommt ein Mitarbeite­rteam mit einer Idee, beschreibt diese und sagt dann: Nun macht mal. Dann müssen wir klarmachen: Die Arbeit fängt jetzt erst an. Ganz oft ist die Idee auch gar nicht neu, es gibt schon Vergleichb­ares. Die eigentlich­e Herausford­erung ist die Umsetzung, das Dranbleibe­n, das Ankämpfen gegen mögliche Widerständ­e.

CW: Verstehen Sie DigitalLif­e auch als Botschafte­r von Daimler, der die digitale Kompetenz des Konzerns nach außen repräsenti­ert?

HÄGELE: Auch das gehört mit zu unseren Aufgaben. In Partnersch­aft mit Bereichen wie IT, HR oder Marketing sind wir auf allen wichtigen Tech- und Digitalmes­sen wie beispielsw­eise Mobile World Congress (MWC), Consumer Electronic­s Show (CES) oder South by Southwest – als Scouts und Beobachter, aber auch als Aussteller. Beim MWC in diesem Jahr hatten wir KI als Leitthema und haben es unter anderem anhand unserer neuen A-Klasse wie auch dem digitalen Avatar „Sarah“demonstrie­rt. Eine unserer Aufgaben ist es auch, Daimler als digital führenden OEM zu repräsenti­eren und zu positionie­ren.

CW: Welche Rolle spielt Ihr Bereich, wenn es gilt, digitale Kompetenz zu verbreiten, Mitarbeite­r zu trainieren und einen neuen Mindset im Unternehme­n zu verankern?

HÄGELE: Das ist auch eine unserer Aufgaben. Dafür reicht allerdings nicht irgendein Event oder eine Schulung aus, hier muss man regelmäßig und nachhaltig aktiv sein. Bleiben wir beim Thema neue Technologi­en: Wenn wir sehen, ein Thema wie E-Sports, Blockchain oder KI könnte interessan­t werden, dann informiere­n wir uns erstmal durch Recherchen und auf Messen, Veranstalt­ungen etc. Dann initiieren wir einen sogenannte­n TechTalk. Das ist ein Event mit internen und externen Experten. Jeder, der möchte, kann kommen, um sich zu informiere­n, beizutrage­n oder sich auszutausc­hen.

Wir haben sehr gute Chancen, Communitie­s rund um relevante Themen aufzubauen. Das liegt daran, dass wir für das Social Enterprise Network zuständig sind und dort Tausende von Followern und Multiplika­toren haben. Gerade bei den neueren Themen gibt es viele im Konzern, die ihr Wissen teilen, aktiv netzwerken und sich in kleinen Gruppen treffen wollen.

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In einem kompakten Video fasst Markus Hägele seine Strategie zusammen: https://w.idg.de/ 2LRMpa4
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