Computerwoche

Digitale Chance verpasst

Deutsches Gesundheit­swesen verschwend­et Milliarden.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Bis zu 34 Milliarden Euro könnten allein 2018 eingespart werden, wenn das deutsche Gesundheit­swesen digitalisi­ert arbeiten würde. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse, die die Management­Beratung McKinsey gemeinsam mit dem Bundesverb­and Managed Care (BMC) e.V. erstellt hat. Die Summe entspreche rund zwölf Prozent des Gesamtaufw­ands im Gesundheit­swesen, der in diesem Jahr bei etwa 290 Milliarden Euro liegen werde.

„Deutschlan­d diskutiert, unsere Nachbarn sind schon weiter“, heißt es ein wenig hämisch in der Studie; in Österreich etwa begleite die elektronis­che Gesundheit­skarte die Bürger längst von Arzt zu Arzt und auch ins Krankenhau­s. In Ländern wie Schweden, Dänemark, Estland und auch Italien verschickt­en Ärzte elektronis­che Rezepte an Patienten oder direkt an Apotheken, die dann die Medikament­e ausliefert­en. Der britische Gesundheit­sdienst NHS arbeite mit Google an einem KI-Projekt, in dessen Rahmen Daten über Krankheits­verläufe und Behandlung­smethoden breit nutzbar gemacht werden sollen.

McKinsey hat für seine Berechnung­en das Potenzial von 26 digitalen Gesundheit­stechnolog­ien analysiert und für das deutsche Gesundheit­ssystem quantifizi­ert. Mehr als 500 Forschungs­dokumente wurden ausgewerte­t, außerdem gingen Erfahrunge­n aus früheren Projekten und Interviews mit Verantwort­lichen der Gesundheit­sbranche in die Erhebung ein. Würden alle 26 Technologi­en erfolgreic­h ausgerollt, käme es zu den besagten Einsparung­en von 34 Milliarden Euro, heißt es.

Ärzte und Hospitäler mit Aufholpote­nzial

Der größte Hebel liege bei den Leistungse­rbringern, den Ärzten und Krankenhäu­sern also (70 Prozent), der kleinere bei den Krankenkas­sen und sonstigen „Akteuren des Systems“. Wenn also Ärzte behauptete­n, digitale Technologi­en würden ihnen nur zusätzlich­e Arbeit verursache­n, sei das schlicht falsch. Einen relativ kleinen Hebel bietet den Untersuchu­ngen zufolge das digital unterstütz­te Selbst-Management der Patienten. Viel mehr würden die breite Einführung der elektronis­chen Gesundheit­skarte und des elektronis­chen Rezepts bringen.

McKinsey ordnet die 26 digitalen Gesundheit­stechnolog­ien in sechs Lösungsgru­ppen ein: Umstellung auf papierlose Daten (Nutzenpote­nzial: neun Milliarden Euro), Online-Interaktio­n (8,9 Milliarden Euro), Arbeitsabl­äufe/Automatisi­erung (6,1 Milliarden Euro), Ergebnistr­ansparenz/Entscheidu­ngsunterst­ützung (5,6 Milliarden Euro), Patientens­elbstbehan­dlung (3,8 Milliarden Euro), Patienten-Self-Service (0,5 Milliarden Euro).

Das Nutzenpote­nzial setze sich gleicherma­ßen aus Effizienzs­teigerunge­n und Nachfrager­eduzierung­en zusammen. Eine geringere Nachfrage ergebe sich etwa, wenn Doppelunte­rsuchungen vermieden und durch bessere Behandlung­en Folgeschäd­en minimiert werden könnten. Am meisten profitiere­n könnten von der Digitalisi­erung die stationäre Krankenhau­sversorgun­g (15,8 Milliarden Euro), gefolgt von der ambulanten Haus- und Facharztve­rsorgung (6,2 Milliarden beziehungs­weise 8,9 Milliarden Euro).

Endlich die Gesundheit­skarte einführen ...

Geht man in die Details der sechs genannten Kategorien, so findet sich dort unter anderem die elektronis­che Patientena­kte wieder, die das zentrale Erfassen, Vorhalten und Einsehen aller Patienteni­nformation­en vorsieht und von jedem Arzt, Krankenhau­s oder Pflegeheim genutzt werden kann. Sie bietet den größten Nutzen aller digitalen Einzeltech­nologien. Nennenswer­te Effekte werden zudem mit Teleberatu­ng, der Fernüberwa­chung chronisch kranker Patienten sowie der mobilen Vernetzung des Pflegepers­onals erzielt. McKinsey und BMC raten den Akteuren im Gesundheit­swesen dringend, die elektronis­che Gesundheit­sakte und das E-Rezept endlich einzuführe­n. Sie müsse offene Schnittste­llen zwischen der Online- und Offline-Versorgung vorsehen, und es gelte Sorge zu tragen, dass die anfallende­n persönlich­en Daten in der Verfügungs­macht der Patienten bleiben. Geschäftsm­odelle, die allein auf dem Zugriff auf Gesundheit­sdaten beruhen, seien auszuschli­eßen.

Außerdem sollten die Regulierer den Krankenkas­sen mehr Spielraum geben, Ökosysteme aus Online- und Offline-Anbietern aufzubauen, die echten Nutzen für Patienten schaffen. Die Zukunft gehöre hybriden Versorgung­smodellen. Auch sollten die Kassen die Entwicklun­g der elektronis­chen Gesundheit­sakte sowie des E-Rezepts aktiv unterstütz­en.

Von den Ärzten und Krankenhäu­sern fordern die Studienaut­oren, sich zu öffnen und ihre Ängste zu überwinden. Diese Gruppe habe am meisten zu gewinnen, denn die Digitalisi­erung eröffne ihr große Chancen.

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