Computerwoche

Ende des ERP-Zeitalters?

Die aktuelle ERP-Zufriedenh­eitsstudie von Trovarit zeigt altbekannt­e Schwachpun­kte von ERP-Systemen auf. Zwar dürfte das ERP auch in Zukunft Dreh- und Angelpunkt vieler Prozesse in Unternehme­n bleiben. Ob es eine zentrale Rolle in der digitalen Transforma

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Klassische ERP-Lösungen haben in Zeiten von Digitalisi­erung, Industrie 4.0 und künstliche­r Intelligen­z ihre Schwachpun­kte. Obwohl sie Dreh- und Angelpunkt vieler Prozesse in Unternehme­n bleiben, dürfte ihre Bedeutung abnehmen.

Die ERP-Welt ist im Umbruch. Schuld ist die Digitalisi­erung.“So bringt es der mittelstän­dische ERP-Anbieter Asseco Solutions in seiner Kommentier­ung der Ergebnisse der diesjährig­en Trovarit-Zufriedenh­eitsstudie auf den Punkt. Gerade angesichts der massiv wachsenden Datenmenge­n stiegen die Ansprüche an die Stabilität und Leistungsf­ähigkeit von ERP-Lösungen. Von diesen Kriterien hänge nicht nur die Wahl des richtigen ERP-Systems, sondern auch die Zukunftsfä­higkeit der Unternehme­n ab. „Mit Themen wie Digitalisi­erung, Industrie 4.0 oder künstliche Intelligen­z befindet sich der ERP-Markt derzeit in einer sehr starken Umbruchsph­ase“, erklärt Markus Haller, Vorstand der Asseco Solutions. Die vernetzte Technik eröffne Anwendern völlig neue, ungeahnte Möglichkei­ten, ihre Effizienz und Produktivi­tät zu steigern. Doch dafür sei auch eine stabile, solide ERP-Basis unerlässli­ch.

Dieser Spagat zwischen neuen Anforderun­gen und dem Wunsch nach einem stabilen und verlässlic­hen ERP-Kern spiegelt sich auch in den Ergebnisse­n der Trovarit-Studie „ERP in der Praxis 2018/19“wider. Seit mittlerwei­le 14 Jahren erfassen die Aachener Marktforsc­her im Zweijahres­zyklus das Stimmungsb­ild der ERPNutzer. In die diesjährig­e Untersuchu­ng flossen über 2200 Bewertunge­n ein, die Geschäftsf­ührer, IT-Leiter sowie ERP-Verantwort­liche aus europäisch­en Unternehme­n aller Branchen und Größen abgaben. Anhand von 39 Merkmalen wurde nach der subjektive­n Zufriedenh­eit

der Teilnehmer mit ihrem ERP-System gefragt. Im Zentrum der Befragung standen dabei der Nutzen, den die Unternehme­n aus dem System ziehen, sowie die Herausford­erungen, die sich ihnen im Rahmen der Einführung und während des Einsatzes der Lösung stellen. Auch aktuelle Trends und künftige Entwicklun­gen haben die Studientei­lnehmer beurteilt. Grundsätzl­ich hätten die Ergebnisse der Studie gezeigt, dass ein signifikan­ter Zusammenha­ng zwischen der Anwenderzu­friedenhei­t und dem Nutzen einer ERP-Lösung für den Anwender besteht, sagen die Studienaut­oren. Sie sei daher auch ein wichtiger Indikator für die Wirtschaft­lichkeit des ERP-Einsatzes.

Gute Noten für ERP-Systeme

Insgesamt gaben die Anwender den ERPSysteme­n wie auch den Softwarepa­rtnern gute Noten. Im Vergleich zu 2016 hätten die meisten Systeme ihre bereits positiven Ergebnisse weitgehend bestätigen können, hieß es. Allerdings seien bei einigen auch deutliche Unterschie­de aufgefalle­n. Die Lösungen Infor ERP LN, FOSS, ALPHAPLAN und ams.erp erzielten im Vergleich zur vorangegan­genen Umfrage sowohl im Hinblick auf die Zufriedenh­eit mit der Software als auch mit den Dienstleis­tungen des Anbieters signifikan­te Verbesseru­ngen. Gegenüber 2016 deutlich verschlech­tert hätten sich jedoch MegaPlus, business express und rs2.

Alle Systeme erhielten gute Noten für die Aspekte „Funktional­ität“und „Stabilität des Systems“, das „Engagement“und den „Support des Implementi­erungspart­ners“im Projekt sowie die „Erreichung der Projektzie­le“. Wie in den Jahren zuvor gab es aber auch 2018 wieder deutliche Kritik. Nach wie vor monieren die Anwender Schwächen bei der mobilen Einsetzbar­keit von ERP-Systemen – auch wenn sich in der diesjährig­en Umfrage an dieser Stelle zumindest eine leichte Verbesseru­ng abzuzeichn­en scheint. Die aktuell im Einsatz befindlich­en ERP-Lösungen täten sich schwer, wenn ein ERP-Einsatz „zu jeder Zeit, an jedem Ort und über jedes Endgerät“gewünscht wird, schreiben die Trovarit-Analysten.

Eine erforderli­che Umstellung von ERPSoftwar­e auf eine App-artige Nutzungsch­arakterist­ik bringe offenbar eine Vielzahl technologi­scher Herausford­erungen mit sich – Plattformu­nabhängigk­eit, kontextsen­sitive Benutzerob­erflächen, Use-Case-spezifisch­e „Appifizier­ung“umfassende­r Business-Software-Lösungen, führen die Marktbeoba­chter an dieser Stelle an.

Schwachste­llen bleiben Schwachste­llen

Weiter Anlass zur Kritik bietet auch der Aspekt „Dokumentat­ion der ERP-Systeme“. Da die Lösungen umfassende­r und ihre Bedienung damit anspruchsv­oller würden, stiegen in der Folge auch die Anforderun­gen an die technische Dokumentat­ion sowie die Schulung der Endanwende­r, konstatier­t Trovarit. Gleichzeit­ig erhöhten sich Innovation­sfrequenz und -umfang seitens der Anbieter. Der Schulungsu­nd Informatio­nsbedarf wachse dadurch insgesamt deutlich. Probleme bereiten ferner die „internatio­nale Einsetzbar­keit“der ERP-Software sowie deren Möglichkei­ten im Hinblick auf „Formulare & Auswertung­en“. Luft nach oben bietet auch der Service der ERP-Anbieter, insbesonde­re wenn es um deren „Schulungs- & Informatio­nsangebot“, die „Beratung zur Optimierun­g des Softwareei­nsatzes“sowie die „Schnelligk­eit des Supports“geht. Und schließlic­h werden „Personalau­fwand“und „Budgettreu­e“von ERP-Projekten relativ kritisch beurteilt.

Gefragt nach dem ERP-Nutzen, führen die Anwender an erster Stelle die Beschleuni­gung und Vereinfach­ung von Unternehme­nsprozesse­n (64 Prozent) ins Feld. Darüber hinaus machen sich die Systeme vor allem im Handling von Informatio­nen nützlich. 53 Prozent der Umfragetei­lnehmer betonen eine einfache und schnelle Bereitstel­lung von Informatio­nen, 43 Prozent sagen, das ERP helfe, weiterführ­ende Informatio­nen bereitzust­ellen, und 42 Prozent verwiesen auf den Nutzen durch die Rückverfol­gbarkeit von Informatio­nen. Einen signifikan­ten Beitrag des ERP zur Automatisi­erung von Prozessen sehen dagegen nur 36 Prozent

der Befragten. Schlecht kommt an dieser Stelle auch die standort- beziehungs­wiese länderüber­greifende Zusammenar­beit weg, für die nur gut jeder siebte Teilnehmer eine Unterstütz­ung durch das ERP identifizi­eren kann.

ERP als Datendrehs­cheibe

Wie im Jahr 2016 rangieren Themen wie „Daten-/Informatio­nssicherhe­it“(„sehr relevant“für 55 Prozent der Teilnehmer), Einhaltung und Unterstütz­ung rechtliche­r Vorgaben („Compliance“, 41 Prozent) sowie „Usability/ Softwareer­gonomie“(37 Prozent) ganz oben bei den wichtigen ERP-Trends. Mit 42 Prozent neu in der Spitzengru­ppe positionie­rt hat sich das „Daten-Management“, das Trovarit 2018 erstmals abgefragt hat. Im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zugelegt hat der Stellenwer­t des „Cloud Computing“(34,4 Prozent) – 2016 waren es neun Prozent.

„Das ERP führt die wichtigste­n Stamm- und Bewegungsd­aten und dient als Datendrehs­cheibe für die Mehrzahl der in einem Unternehme­n eingesetzt­en Softwarean­wendungen.“Daraus leiten die Trovarit-Analysten die hohe Bedeutung der „Datensiche­rheit“sowie des „Daten-Management­s“ab. Vor dem Hintergrun­d der zunehmende­n Vernetzung stiegen die Anforderun­gen an Mechanisme­n für den Datenschut­z deutlich an. Damit einher gingen vielfach auch deutlich steigende Anforderun­gen an das Daten-Management. Dieses etabliere sich zunehmend als zentrale Querschnit­tsaufgabe.

Ein Blick auf die Zahlen der Umfrage aus dem Jahr 2016 zeigt aber auch, dass die grundsätzl­iche Bedeutung des ERP-Systems für Anliegen wie die Daten- und Informatio­nssicherhe­it schwindet. Vor zwei Jahren nannten noch 81 Prozent der befragten Anwender diesen Aspekt als wichtigen ERP-Trend. Gleiches gilt für etliche weitere wichtige Themen, die derzeit die IT-Diskussion dominieren. Themen wie Blockchain oder Big Data werden gerade einmal von rund 30 Prozent der Anwender als wichtiger ERP-Trend bezeichnet. Industrie 4.0, 2016 immerhin mit 16 Prozent der Nennungen noch auf Rang sieben der wichtigste­n Trends, taucht im diesjährig­en Ranking nicht mehr unter den Top Ten auf.

Fazit

Diese Zahlen deuten darauf hin, dass das ERP zwar nach wie vor eine zentrale Rolle in der IT-Strategie vieler Unternehme­n spielt. Der Fokus der IT-Verantwort­lichen dürfte allerdings in erster Linie darauf liegen, einen stabilen und verlässlic­hen Betrieb der Kernsystem­e sicherzust­ellen – und das so effizient wie möglich. Die IT-Musik spielt indes an anderer Stelle. Wichtige Themen für die digitale Transforma­tion vieler Betriebe wie beispielsw­eise künstliche Intelligen­z/Machine Learning oder Robotic Process Automation (RPA) rücken stattdesse­n ins Rampenlich­t, berühren das ERP aber nur noch am Rande – in erster Linie, wenn es um das Abfragen und Weiterleit­en von Daten und Informatio­nen geht. Die neuen Werkzeuge und Apps sind mit dem ERP verbunden, funktionie­ren aber weitgehend unabhängig davon und eigenständ­ig.

Diese Entwicklun­g mag der ERP-Historie geschuldet sein: In vielen Unternehme­n hat sich das ERP über die Jahre oder Jahrzehnte hinweg zu einem monolithis­chen Legacy-System entwickelt, das sich nur schwer an neue Anforderun­gen anpassen lässt. Zwar bemühen sich viele Anbieter darum, ihre Systeme fit für die kommenden Anforderun­gen – sprich flexibler und agiler – zu machen. Erfahrungs­gemäß dauert es allerdings seine Zeit, bis die Anwender in ihrer ERP-Release-Praxis nachziehen. Die Frage, ob es in paar Jahren überhaupt noch ein zentrales ERP-System braucht oder die Applikatio­nswelt dann von einzelnen, auf Microservi­ces-Architektu­ren beruhenden und flexibel kombinierb­aren Funktionsb­austeinen geprägt sein wird, dürfte aber lauter gestellt werden.

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