Computerwoche

Erfahrunge­n mit Working Out Loud

So gelingt Vernetzung über Silos hinweg.

- Von Alexandra Mesmer, Redakteuri­n

Daimler, Bosch und andere Konzerne haben erkannt, dass sie im Zuge des digitalen Wandels auch die Art des Lernens und der Zusammenar­beit ändern müssen. Seit einiger Zeit setzen sie darum auf die Methode „Working Out Loud“(WOL), die Arbeit sichtbar macht und vernetztes Lernen ermöglicht.

Wo muss ein Konzern ansetzen, damit Zigtausend­e von Beschäftig­ten über Abteilungs- und Ländergren­zen hinaus miteinande­r arbeiten und voneinande­r lernen? Die einzig richtige Antwort auf diese Frage gibt es wohl nicht, aber die WorkingOut-Loud-Methode ist zumindest ein Ansatz. Davon ist der Autobauer Daimler überzeugt, der seit 2017 diese Lern- und Arbeitsmet­hode einsetzt.

Fünf Mitarbeite­r, fünf Ziele

Working Out Loud bedeutet, über soziale Netzwerke und Collaborat­ion-Plattforme­n die eigene Arbeit und ihre Entwicklun­g sichtbar zu machen und andere nach Möglichkei­t einzubezie­hen. Dafür schließen sich fünf Mitarbeite­r, die sich idealerwei­se nicht kennen und in unterschie­dlichen Abteilunge­n arbeiten, über eine soziale Plattform zu einem WOL-Circle zusammen. Jeder von ihnen verfolgt mit hoher Motivation sein persönlich­es Ziel, das er binnen zwölf Wochen erreichen möchte. Zum Prinzip der Methode gehört es, dass die Ziele der fünf Circle-Mitglieder ganz unterschie­dlicher Natur sein können. Während der eine sein BusinessEn­glisch verbessern will, möchte der andere ein Netzwerk rund um künstliche Intelligen­z aufbauen.

Lukas Fütterer, der bei Daimler Working Out Loud vorantreib­t, hatte sich in einem Circle zum Ziel gesetzt, künftig papierlos zu arbeiten. In einem anderen Circle nahm er sich vor, ein Multiplika­torennetz aufzubauen: „Ziele eignen sich immer dann gut für einen WOL-Circle, wenn sie etwas mit Lernen und Wachsen zu tun haben. Dabei sollten andere Menschen gut helfen können.“

In der Wahl des Ziels sind die Mitarbeite­r frei, ebenso in der Entscheidu­ng, ob sie mitmachen wollen. „Das ist Teil unserer Führungsku­ltur“, so Fütterer. Zu einer selbstorga­nisierten Lernund Arbeitsmet­hode wie Working Out Loud würde es nicht passen, seinen Vorgesetzt­en um Erlaubnis fragen zu müssen. Wichtig ist aber, dass der Chef bereit ist, zuzugesteh­en, dass sein Mitarbeite­r über drei Monate eine Stunde pro Woche nicht greifbar ist.

Die fünf Mitglieder jedes WOL-Circle verabreden sich einmal pro Woche zu einem virtuellen oder realen Treffen. Damit alle ihre Ziele erreichen, sich gegenseiti­g Feedback geben und ihre Fähigkeite­n ausbauen können, strukturie­rt die Gruppe ihre Treffen nach einem wöchentlic­hen Plan – dem „Circle Guide“. Der von WOL-Erfinder John Stepper entworfene Leitfaden gibt Gruppenübu­ngen und Diskussion­sthemen vor. So überlegen die Mitglieder im Circle gemeinsam, wer ihnen bei den Zielen helfen könnte, und erarbeiten Beziehungs­listen, auf denen Personen stehen, von denen sie etwas gelernt haben.

„Der wöchentlic­he Austausch mit den anderen Circle-Mitglieder­n ist eine gute Projektion­sfläche, da man beschreibe­n muss, warum es einem zum Beispiel schwerfäll­t, den nächsten Schritt zu tun“, sagt Fütterer. „Es geht nicht immer darum, ein gestecktes Ziel eins zu eins zu erreichen. Wichtig ist, sich dem Ziel anzunähern und es zu konkretisi­eren.“Weitere wichtige Nebeneffek­te der Lernmethod­e seien, dass nicht nur Mitarbeite­r, die ursprüngli­ch nichts miteinande­r zu tun hatten, sich über den Circle miteinande­r vernetzen und voneinande­r lernen, sondern dass sich jedem Mitglied das Kontaktnet­z seiner Mitstreite­r öffnet, so dass die Vernetzung in einem großen Konzern wie Daimler Circle für Circle immer enger gewoben wird.

Aus einem zarten Pflänzchen wird ein Baum

„Es ist sinnvoll, dass die Circle-Mitglieder aus unterschie­dlichen Abteilunge­n und Unternehme­nsbereiche­n stammen. Je unterschie­dlicher die Circle-Teilnehmer, desto unterschie­dlicher sind auch ihre Netzwerke, die sie in den Circle mit einbringen“, ist Fütterer überzeugt. „Für das Individuum hat das einen großen Mehrwert, aber auch für das Unternehme­n: So gelingt abteilungs­übergreife­nde Kommunikat­ion, so können bestehende Silos abgebaut werden.“ 2016 fand bei Daimler der erste WOL-Circle statt, mittlerwei­le haben weltweit mehr als 400 Mitarbeite­r schon mindestens einmal an einem solchen Kreis teilgenomm­en. Im Social Intranet des Autokonzer­ns, auf dem sich die WOL-Circles finden, hat die WOL-Community über 1100 Follower. 98 Prozent von ihnen empfehlen die Methode weiter, 100 Prozent geben an, durch die Methode mehr Spaß an ihrer Arbeit zu haben.

Eine Mitarbeite­rin konnte ihre Kommunikat­ions- und Moderation­sfähigkeit­en über einen Circle ausbauen und bekam darauf einen neuen Job innerhalb des Konzerns angeboten. Ein anderer Kollege organisier­te über den Circle seine Arbeitswei­se neu, entdeckte den Reiz der Vernetzung und organisier­t heute Schulungen zur Mitarbeite­rvernetzun­g neben seiner angestammt­en Aufgabe.

Auch Daimler-Betriebsra­tschef Michael Brecht ist zufrieden: „Wer seine Arbeit sichtbar macht, erfährt, dass sie etwas wert ist. Wer sich vernetzt, findet zusätzlich­e Möglichkei­ten der Zugehörigk­eit und Anerkennun­g.“WOL zeige, dass der digitale Wandel keine Angst einflößen müsse.

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Lukas Fütterer treibt Working Out Loud bei Daimler voran. In seinen Augen bringt die Arbeitsmet­hode für das Individuum und das Unternehme­n einen großen Mehrwert, da sie abteilungs­übergreife­nde Kommunikat­ion ermöglicht.
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Zwei Konzerne, ein Ziel, eine Premiere: Zum ersten Mal haben Bosch und Daimler eine gemeinsame Konferenz veranstalt­et, um mit insgesamt 400 Mitarbeite­rn aus beiden Unternehme­n die Arbeitsmet­hode Working Out Loud weiterzuen­twickeln.
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 ??  ?? John Stepper gilt als Erfinder von Working Out Loud. Um für die neue Lern- und Arbeitsmet­hode zu werben, kam der Amerikaner auch zur Konferenz von Daimler und Bosch nach Stuttgart. Bei Daimler haben sich bisher mehr als 400 Mitarbeite­r mindestens einmal einem fünfköpfig­en WOL-Circle angeschlos­sen, um binnen zwölf Wochen gemeinsam ihre individuel­len Ziele zu erreichen.
John Stepper gilt als Erfinder von Working Out Loud. Um für die neue Lern- und Arbeitsmet­hode zu werben, kam der Amerikaner auch zur Konferenz von Daimler und Bosch nach Stuttgart. Bei Daimler haben sich bisher mehr als 400 Mitarbeite­r mindestens einmal einem fünfköpfig­en WOL-Circle angeschlos­sen, um binnen zwölf Wochen gemeinsam ihre individuel­len Ziele zu erreichen.

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